Denkschrift über die Hinrichtung des Kämmerers Carl Friedrich Schulz und des Kaufmanns Carl Friedrich Kersten durch die Franzosen in Kyritz am 8. April 1807

von Oberprediger Heinrich Bauer.

Als die Franzosen im Kriege gegen Preußen bei Jena (am 14. October 1806) gesiegt, darauf Berlin und (fast) die ganze Mark Brandenburg besetzt, dieselbe jedoch zur Fortsetzung des Krieges in der Provinz Preußen selbst bald wieder größestentheils verlassen hatten, so daß nur wenige Truppen (und viele Beamten) in ihr zurückgeblieben waren: konnte es nicht fehlen, daß sich nach kurzer Zeit größere und kleinere Schaaren der besiegten und zersprengten, so wie derjenigen preußischen Truppen, welche sich selbst aus der französischen Gefangenschaft befreit hatten, um sie und in ihr mit der Absicht sammelten, ihren Feinden nach aller Möglichkeit Abbruch zu thun. Eben so natürlich war es aber auch, daß Leute, die vielleicht gar nicht zur preußischen Armee gehört hatten, die Entblößung des Landes von französischen Truppen aus guten und bösen Absichten zu benutzen versuchten.

Ein solcher Haufe war es, der in Kyritz, jetzt Kreisstadt der Ostprignitz, eine Greuelthat der Franzosen veranlasst hat, die gewiß eine der ruchlosesten unter den unzähligen, namentlich auch gegen Deutschland verübten Schandthaten ist, welche auf diesem Volke lasten.

Es hatte sich gegen das Ende des Monats März 1807 in Kyritz allgemein das Gerücht verbreitet, der Major Schill sei von Kolberg her mit einem starken Corps Preußen im Anzuge, die Mark von den Franzosen zu befreien, und er selbst oder doch Tausende der Seinigen würden sehr bald in Kyritz eintreffen.

Kyritz, die kleine Stadt, die noch nicht 3000, und noch dazu meistens nur arme Einwohner zählte, hatte durch den Krieg schon furchtbar gelitten.

Nach einer Chronik der Stadt, die der verstorbene Bürgermeister Behrends für die Jahre 1801 bis 1813 abgefasst hat, hatten am 24. October 1806 etwa 6000 Mann vom Corps des Fürsten von Hohenlohe, und am 26. October hatte das Corps des Herzogs von Weimar darin Nachtquartier genommen und gezehrt. Am 30. October hatte die erste Invasion der Franzosen statt gefunden, und dabei hatten namentlich Marodeure vom Corps des Marschals Soult durch eine fast allgemeine Plünderung der Stadt einen Schaden verursacht, der actenmäßig auf 6262 Rthlr. berechnet ist. Im November und December waren so bedeutende Theile des Corps der Marschäle Soult und Bernadotte und des Großherzogs von Berg durchmarschirt, daß 11 Generale, 687 Officiere und 10288 Gemeine (mit 4066 Pferden) darin Nachtquartier gehabt, und der Stadt actenmäßig einen Schaden von mehr als 31161 Rthlrn verursacht hatten.

(Der Schaden würde noch weit größer gewesen sein, wenn die Bürger sich nicht mit gutem Preußensinn und eingedenk der alten Bassewitz-zeit[1]) bewaffnet, die Thore, obgleich die Stadt keine Festung mehr ist, verschlossen und besetzt, und so einzelne wie kleine Banden Marodeure, wenn gute Vorstellungen nicht halfen, durch welche sich besonders der Archidiakonus Bornemann und der Stadtschulrector Körbin, beide der französischen Sprache kundig, große Verdienste um die Stadt erwarben, durch Gewalt verhindert hätten, in dieselbe einzubringen.)

(Auch in den Jahren 1807 und 1808 dauerten die französischen Einquartirungen, Requisitionen und Contributionen fast ununterbrochen fort; die Stadt erhielt ihren eigenen französischen Commandanten [, einen Lieutenant], und im Jahre 1808 wurde selbst noch ein großes französisches Divisionslazareth von der Division des Generals La Pisse in Kyritz etablirt, in welchem einige tausend Franzosen starben, die dann theils einzeln, theils haufenweise, versteht sich ohne Sarg, in großen Gruben auf dem Kirchhofe begraben wurden. Durch alle diese Bedrückungen litt die arme Stadt so sehr, daß immer mehrere Einwohner derselben zum Theil bis zum tiefsten Elende verarmten.)

Jetzt gegen das Ende des Märzmonats 1807, bei der Nachricht von der Annäherung schillscher Truppen gab es (gerade) auch nicht einen einzigen Franzosen in Kyritz, aber auch durchaus keine Waffen zur Gegenwehr für die Bürgerschaft, da die Franzosen sich alle Waffen ausliefern gelassen hatten; nur eine preußische Gensd’armerie von 5 Mann war auf ihren Befehl zur Aufrechthaltung der Ordnung von der Einwohnerschaft gebildet. (Diese Gensd'armes hatten sich auf eigne Stoffen uniformirt und beritten gemacht, und nur Waffen, Säbel und Pistolen von den Franzosen erhalten. Es waren der Kaufmann Ballerstädt als Brigadier, der Kaufmann Baldenius, der Schneidermeister Schulz, der früher lange als Soldat gedient hatte, der Bäckermeister Schäfer und der Maurermeister Zarges. Der erste und letzte sind schon vor geraumer Zeit verstorben.)

Dessen ungeachtet that die Stadtbehörde, was sie in der Hülflosigkeit der Stadt vermochte, um, wie mit ganzer Seele auch jeder einzelne Einwohner in unverbrüchlicher Treue an König und Vaterland hing und hielt, doch jetzt, der gefährlichen Lage der Stadt wegen, das Eindringen einzelner preußischen Streifzüge nach Möglichkeit zu verhindern.

Diese Stadtbehörde, der Magistrat, bestand aus dem Justizdirector Schrader, dem sehr alten, ganz schwachen, längst aller Geschäffte enthobenen Bürgermeister Steiniger (Apotheker), dem Bürgermeister Krüger, der indeß mit städtischen Angelegenheiten eigentlich gar nichts zu thun, sondern nur Einnahmen vom Lande u. dgl. zu besorgen, und den Titel Bürgermeister sich bloß nebenher erworben hatte, und dem Kämmerer Schulz der namentlich als Stellvertreter Steinigers auch das Einquartirungswesen unter seiner Aufsicht und Verwaltung hatte.

Auf ihren Befehl wurden die dreistadtthore geschlossen, und mit verdoppelten Wachen von Bürgern besetzt. Ja es ist sogar höchst wahrscheinlich, daß bereits vor dem Einrücken der Parteigänger der Magistrat die ihm unmittelbar vorgesetzte französische Militärbehörde unter dem Commandanten Lefebre (Lefevre oder Lebfevre) in Perleberg, der damaligen Hauptstadt der ganzen Prignitz, officiell von deren Annäherung unterrichtet hatte, denn es heißt in dem (nicht ganz deutlichen) Bericht, ( nach der davon in den Magistratsacten erhaltenen Copie,) welchen derselbe am dritten April an den Kriegs- (und Steuer)rath Buddee (der königl. Kriegs- und Domainenkammer), der in Wittstock seinen Wohnsitz hatte, schickte, wörtlich:

»Auf Ew. etc. Verordnung vom heutigen Tage (vom dritten April) sollen wir nicht verfehlen, Denenselben den Vorfall mit den sogenannten schillschen Truppen allhier so ausführlich als pflichtgetreu sofort zu berichten.« (Dieser Bericht wurde also abgestattet, ehe der Magistrat noch die entsetzlichen Folgen des unglückseligen Vorfalls ahnte.)

»Schon am 31. v. M. gegen Mittag verlautete es allhier, daß sich in verschiedenen Dörfern der Nachbarschaft, als: Brunne, Tramnitz, Teez, preußische Truppen gezeigt hätten. Ob nun gleich dieses Gerücht sehr viel Unwahrscheinliches enthielt, da wir überdies die Nachrichten nur immer von Hörensagen hatten, so wurde doch der Brigadier (der genannten 5 Gensd'armes, Kaufmann Ballerstädt angelegentlichst aufgefordert, diese Nachricht sofort (also am 31. März, Mittag) per estaffette dem Herrn Commandanten Lefebre zu Perleberg zu berichten. Er hat uns auch dieen Bericht vor der Absendung vorgelegt, und wir konnten gegen die Zweckmäßigkeit desselben nichts erinnern.«

Nun folgt die Erzählung vom Ein- und abzuge der Parteigänger und ihrem Raube, die wir gleich anführen, und näher besprechen werden, und dann heißt es weiter:

»Wir haben hiernächst diesen Vorfall dem Herrn Commandanten Lefebre mittelst Berichts sofort (am Morgen des ersten Aprils) pflichtmäßig angezeigt; weil aber der Brigadier Ballerstädt, welcher die Bestellung dieses Berichts und die ausführliche mündliche Erklärung (selb st) übernommen (hatte), den Herrn Commandanten weder am ersten noch am zweiten April hat auffinden können, indem er demselben, als er auf dem halben Wege nach Perleberg erfahren (hatte), daß er schon nach Pritzwalk abgegangen sei, vergeblich dahin gefolgt, und hiernächst eben so fruchtlos ihn in (dem Dorfe) Königsberg und Wittstock aufsuchen wollen, so ist derselbe gestern hierher zurückgekehrt; jedoch geht aus Ew. etc. Verordnung vom heutigen Tage (3. April) hervor, daß der Herr Commandant Lefebre die Abschrift des gedachten Berichts schon am 1. April des Abends bei Denenselben in Wittstock erhalten hat. «

Hieraus ergiebt sich doch wohl augenscheinlich, daß dieser Magistratsbericht an Lefebre ein zweiter, ein anderer als derjenige Bericht an denselben gewesen sein muß, welchen Ballerstädt am 31. März selbst aufgesetzt, vom Magistrat bestätigen gelassen, und dann noch am 31. März, vor der Ankunft der Parteigänger, abgeschickt hatte, und zwar per estaffette, sagt der Magistrat, und das behauptet auch ganz bestimmt der damals als Gensd’arme fungirende noch lebende Kaufmann Baldenius in seinem ausführlichen Bericht über den ganzen Vorgang. Und ganz eben so bestimmt behauptet ein andrer dieser noch lebenden Gensd'armes, Schäfer, es sei namentlich der Gensd’arme (Maurermeister) Zarges gewesen, den Ballerstädt am 31. März mit seinem Bericht an Lefebre geschickt habe, und in diesem Bericht habe ausdrücklich gestanden, daß nach den Erkundigungen dieser Gensd'armes der umher streifenden Truppen nur wenige, und noch dazu schlecht bekleidete und bewaffnete zu sehen gewesen wären.

Ja, dies scheint dadurch sich zur unwidersprechlichen Gewissheit zu erheben, daß der Anführer des Streifzugs Fischer, wie wir bald hören werden, es dem Magistrat zum bittern Vorwurfe machte, vor der Ankunft der preußischen Truppen schon Berichte darüber, von denen er also etwas erfahren haben musste, an die Franzosen abgeschickt zu haben.

Schon hieraus erhellet doch wohl unwiderleglich, daß durch aus keine Verbindung des Magistrats mit den Freibeutern statt gefunden und statt finden gekonnt hat. Auch ist es historisch reine und volle Wahrheit, daß kein, auch nicht ein einziger Kyritzer Bürger unter denselben war.

Nur zwei Mann wurden erkannt, die früher unter der Garnison der Stadt vom Cuirassier-, dem sogenannten gelben Reiterregimente des Generals von Beeren gestanden hatten.

Dieser General von Beeren, den die Franzosen bei Lübeck gefangen genommen, jedoch auf sein Ehrenwort, nicht gegen sie dienen, nichts gegen sie unternehmen zu wollen, wieder frei gelassen hatten, lebte selbst in Kyritz, konnte und durfte aber, eben seines Ehrenwortes wegen, bei diesem ganzen Vorgange sich um nichts bekümmern.

Was nun das unglückselige Einrücken und Treiben der Parteigänger in Kyritz betrifft, so sagt jener Magistratsbericht vom 3. April (nach den schon vorher angegebenen Worten: »Wir konnten dagegen nichts erinnern«) wörtlich Folgendes darüber:

»Um wenigstens die möglichen Sicherheitsmaßregeln unserseits zu treffen, ließen wir die Thorwache von den Bürgern bei jedem der beiden Hauptthore (dem Wusterhauser oder Berliner, und dem Hamburger Thore) auf 16 Mann verstärken, obgleich auch diese ohne Waffen nicht im Stande waren, einer bewaffneten auch nur geringen Mannschaft Widerstand zu leisten. Es mochte (am 31. März, welcher Tag übrigens der Dinstag nach Ostern, der sogenannte Dritte Feiertag war,) des Abends zwischen 8 und 9 Uhr sein, (Punct 9 Uhr, sagt Baldenius in seinem Bericht,) als einige (Bauer) Wagen mit bewaffneten preußischen Truppen (, nach den meisten und genauesten Nachrichten ein Wachmeister oder Unterofficier und 18 Mann, nach andern 30 Mann,) (von Teez her) am Wusterhauser Thore anlangten. Die Wache hatte sie zwar aufgefordert, so lange am Thor zu halten, bis sie dem Magistrat von ihrer Ankunft Anzeige gemacht (hätte); allein sie hatten geantwortet:

daß dies nicht nöthig sei, und sie selbst Bescheid wüssten, worauf sie mit Gewalt ins Thor eingedrungen waren, und sofort jedes der drei Thore selbst mit zwei Gewaffneten besetzt hatten. Die übrigen Militairs wurden dann (on der Kyritzer Thorwache) zu dem unterschriebenen Director Schrader begleitet. Bei diesem gestellte sich nun ein sogenannter Wachmeister in blauer Husarenuniform, welcher sich den Namen Johann Fischer vom Blücherschen Husarenregiment gab. (Er war aus Havelberg gebürtig.) Er producirte eine Ordre, welche mit einem königlichen (?) Siegel, so durch den Gebrauch schon lädirt, und daher seiner Inschrift nach nicht mehr zu erkennen war, dahin lautete:

daß die commandirten Vorzeiger beauftragt wären, alle königlichen Armaturen und Effecten in Empfang zu nehmen, und daß ihnen solche bei schwerer Strafe nicht vorenthalten werden sollen.

Diese Ordre war von Greifenberg den 16. Februar c. datirt, und mit Oberstlieutenant von Schill unterschrieben." (In der Folge hat sich durch officiell angestellte Untersuchungen freilich erwiesen, daß diese Ordre falsch, Schills Unterschrift nachgemacht, das Siegel weder ein gültiges öffentliches noch sein Wappen war. Schill selbst hat erklärt, daß er die Ordre nicht ausgestellt, daß der Fischer nie unter ihm gedient habe, und daß auch von den requirirten Montirungsstücken und Geldsummen nichts bei ihm eingegangen sei. Dieses alles konnte damals aber der Magistrat, oder vielmehr der in diesem Augenblick statt dessen allein fungirende Director Schrader nicht wissen, ja nicht einmal ahnen.) »In des Wachmeisters Gefolge, der selbst mit einem Husarensäbel bewaffnet war, drangen mehrere Soldaten in verschiedenen preußischen Uniformen in die Stube, und zwar nicht allein mit gezogenen Säbeln, sondern auch mit gespannten Pistolen. Dabei ging der Wachmeister mit solcher überwiegenden Ruhe zu Werke, daß auf einen thätlichen Widerstand zu denken um so weniger rathsam sein konnte, da derselbe die Nähe von einigen tausend schillichen Truppen, welche jede Widersetzlichkeit auf das schrecklichste ahnden würden, verkündigte. Diesem nach verlangte der Wachmeister, daß ihm sofort die königlichen. Montirungsstücke und Waffen ausgeliefert werden sollten. Es wurde ihm zwar von Magistrats wegen bedeutet

daß uns nicht bekannt sei, daß allhier sich noch dergleichen Sachen befänden, weil solche bereits auf Befehl der französischen Administration nach Perleberg abgeliefert worden wären,

der Wachmeister erwiderte (aber):

Nun, wenn Sie denn nichts wissen, so werde ich sie wohl finden, und dazu bei dem Regimentsschneider Metke visitiren.

Bei dieser Gelegenheit machte derselbe auch der Stadt den Vorwurf, daß sie gar nicht preußisch gesinnt wäre, sondern wohl lieber sähe, wenn sie unter französischer Regierung bliebe, daher auch schon 2 Estaffetten abgeschickt wären. (Es konnten diese Freibeuter leicht wissen, daß Montirungen bei Metke waren, da unter ihnen ja, wie schon gesagt, zwei Mann waren, und zwar ein gewisser Dau, aus dem ganz nahen Wusterhausen gebürtig, und Rogge, die früher im Regiment von Beeren gedient, in Kyritz gelebt, und diesen Metke als Regimentsschneider gekannt hatten.)

Nun begab sich der Fischer mit seinem Gefolge zu dem hiesigen Schneidermeister Metke, visitirten daselb st, und entwandten ihm mit Gewalt 190 Collets und eben so viele Chemisets, welche sie auf die von Teez mitgebrachten Wagen packten, und mit sich genommen haben.«

Gegen das Ende des Magistratsberichts heißt es in Ansehung dieses Vorfalls noch:

Da aber der Schneider Metke offenbar gegen die von uns publicirte Verordnung vom 10. Januar d. J., alle preußischen Waffen, Munition und Effecten bei Vermeidung der härtesten Ahndung sofort zu Rathhause allhier an uns abzuliefern, verstoßen hatte, so haben wir ihn sofort zur Untersuchung gezogen, und die anliegende Abschrift des Protokolls vom 1. d. M. ergiebt, wie der Metke sich darüber verantwortet hat.

Wir haben auch nicht versäumt, die nach diesem Protokoll noch vorhandenen Montirungsstücke von dem Metke uns abliefern zu lassen ; die angefügte Specification zeiget, was hierauf von uns zu Rathhause bis zur weitern Verfügung der französischen Administration deponirt worden ( ist ), und haben wir das gedachte Untersuchungsprotokoll mit diesem Verzeichnisse sofort zur weitern Verfügung an den Herrn Commandanten Lefebre in Perleberg übersandt.«

Da für jeden Kyritzer auch die kleinsten und kleinlichsten Umstände, die bei dieser ganzen traurigen Begebenheit statt gefunden haben, interessant und wichtig sind, so sei es vergönnt, diese von jetzt an, wo sich dieselbe dem Vorfall nähert, der den ewig beweinenswerthen Mord zweier braven Männer zur Folge hatte, so ausführlich anzugeben, wie sie sich nach dem Gedächtnisse der jetzt noch lebenden Augenzeugen derselben erhalten haben, um so mehr, da sie dazu dienen, jeden Leser aufs deutlichste zu überzeugen, wie so ganz frei und rein von aller Schuld dabei die beiden unglücklichen Opfer und die ganze Stadt waren.

Der jetzt längst verstorbene Schneidermeister Metke hatte, als die Garnison beim Beginn des Krieges gegen die Franzosen i. J. 1806 Kyritz verließ, von derselben noch Material zur Anfertigung von 900 Uniformen zurückbehalten. Von diesen waren bei der Ankunft der Parteigänger 190 Collets und 190 Chemisets fertig, und als der Wachmeister Fischer mit mehreren seiner Leute bei ihm eintrat, um ihn zur Auslieferung seiner Vorräthe zu zwingen, gab er demselben doch nur diese fertigen Kleidungsstücke, wie lebendig auch mehrere mit ihnen eingetretenen Bekannten Metke's, namentlich der frühere Regimentsquartiermeister des Regiments von Beeren Grobecker und der Kaufmann ( Gensd’arme ) Baldenius ihn aufforderten, alles hinzugeben, was er habe. Aber auch dem Magistrat, wie ernstlich derselbe nach dem vorstehenden Bericht ihm auch befahl, alles auszuliefern, übergab er zwar alles, dessen Besitz er nicht ableugnen konnte, Tuch, Kirfan u.s.w., was denn nach wenigen Tagen vom Rathhause aus wirklich richtig nach Perleberg gesandt, und dem dort stationirten französischen Intendanten der Provinz Gaspard (oder Gaspar, Gaspare) überliefert wurde; indessen alles, was sich mit Sicherheit verbergen ließ, die Tressen, den Sammt u.s.w. zu den 900 Uniformen, verschwieg er in liebe zum Könige und Vaterlande, und versteckte es aufs sorgfältigste, obgleich der General von Beeren, dem er dies nachher anzeigte, damit sehr unzufrieden war, und ihm bemerkte, er setze dadurch nicht nur sich selb st, sondern auch die Stadt vielleicht großer Gefahr aus. Erst nach dem Frieden und der Rückkehr der Preußen überlieferte er aufs redlichste alles dem Major von Glaßenapp zur Rückgabe an das Regiment, der alles genau nachmessen und wiegen ließ, und für vollkommen richtig anerkannte.

Was nun den weitern Verlauf der Begebenheit betrifft, so muß zur Einleitung Folgendes bemerkt werden: etwa vierzehn Tage vorher war ein französischer Commissionär, Winung, aus Straßburg im Elsaß gebürtig, in der Stadt und den umliegenden Dörfern gewesen, um auf französische Rechnung Vieh, Stroh u.s.w. zur Verproviantirung der französischen Armee in Preußen aufzukaufen. Er war auch zum Kaufmann Kersten gekommen, einem jungen, achtungswürdigen Mann von 25 Jahren, der glücklicher Gatte und Vater war, und hatte denselben durch vielerlei Vorstellungen überredet, eine eben nicht bedeutende Strohlieferung zu übernehmen, ihm auch zur Sicherung zwei Louisd’ors Angeld gezahlt. Nun traf es sich unglücklicher Weise, daß ein Genosse dieses Winung, ein Berliner Jude, Namens Hirsch, der mit ihm zu einem und eben demselben franzöfischen Comtoir in Berlin gehörte (beide trugen die französische Cocarde), mit einem eignen Wagen von Berlin etwa Mittags an die sem 31. März in Kyritz eintraf, und sich zu diesem ihm noch ganz unbekannten Kaufmann Kersten hinfahren ließ. Er hatte das Geld bei sich, um die gemachten Bestellungen zu bezahlen, berichtigte deren auch mehrere in der Stadt und auf den Dörfern, und wollte nun den Rest bei dem Herrn Kersten deponiren. Dieser sowohl als seine Gattinn, und ganz eben so auch mehrere Bürger riethen dem Juden aufs Dringendste, dies ja nicht zu thun, eben weil schillsche Truppen, wofür man die Streifzügler noch allgemein hielt, in der Nähe wären, die wohl nach der Stadt kommen würden, und ihm dann leicht das Geld wegnehmen könnten, was selbst für die Stadt nachtheilige Folgen haben dürfte. Einige von denen, mit denen er schon Geschäffte gemacht hatte, (unter andern der Quartiermeister Grabow und der Schmiedemeister Bier) sagten ihm, sie hätten bereits das von ihm erhaltne Geld aus der Stadt gebracht, und (in ihren Garten u. d. gl.) gut vergraben und verborgen. Alle riethen ihm, baten ihn, er möge mit seinem Gelde nach irgend einem nahen Dorfe fahren, und da übernachten. Hirsch aber meinte, und wiederholte es sehr oft, sein Comtoir habe Geld genug, sehr viel Geld; kämen die Preußen, und nähmen das Geld, so möchten sie es immerhin thun; das Comtoir, zu dem er gehöre, könne es leicht entbehren. Dieser starre Eigensinn des Juden, wenn dem Benehmen des selben kein noch weit böserer Namen gebührt, war die einzige Veranlassung des ihm folgenden Unglücks der Stadt und der beiden braven Männer. Hirsch that nichts, als daß er unter Beihülfe eines Bewohners des Kerstenschen Hauses, Belitz, früher Bedienter beim Baron von Eckardstein, und auch noch eines Ackerbürgers Schäfer das mitgebrachte Geld aus dem Sacke, worin es war, heraus nahm, und die Beutel in zwei Theile sonderte, von denen der eine in der Kerstenschen Wohnstube im untern Stockwerk des Hauses unter einen Großvaterstuhl, der andere aber in Belitz's Stube im obern Stockwerk in ein Fässchen gestellt wurde. In Ansehung des Betrags dieses Geldes kann doch wohl nur dem später noch zu erwähnenden Magistratsprotokoll Glauben beigelegt werden, das 1500 Rthlr. ergiebt, da ja eine Abschrift des selben dem Hirsch selbst übergeben, und von diesem als richtig anerkannt worden ist, obgleich die Kerstenschen Hausgenossen sagen, sie hätten gehört, unterm Großvaterstuhl seien 1500 Rthlr., und bei Belitz 1000 Rthlr. gewesen. Da nun die sogenannten preußischen Truppen wirklich der Stadt sich näherten, um neun Uhr am Thor waren, und dann in die Stadt rückten, so war es ganz natürlich, daß fast alle Einwohner der selben ihre Häuser verließen, auf die Straße eilten, und nach dem Wusterhauser Thor ihnen entgegen gingen, indem gewiß alle gute, treue Preußen waren, und die meisten, die gar nicht ahnen konnten, daß und welches Unglück diese Bande veranlassen würde, die herzlichste, lebendigste Freude darüber empfanden, endlich einmal wieder preußische Truppen zu sehen. Diese Freude war so groß, daß viele selbst Widerwillen und Ärger gegen ihre eignen braven Gensd'armen äußerten, als diese, jedoch nur in ihrer bürgerlichen Kleidung, nach ihrer Pflicht Ordnung zu erhalten, und namentlich den vielen Anforderungen der Eingedrungenen sich zu widersetzen suchten. Doch gar bald ward diese Freude gar sehr gedämpft, als man diese Armee von 18 Mann näher in Augenschein nahm, und sah, wie diese Leute so unvollständig, bunt scheckig, jämmerlich, ja lächerlich bekleidet und bewaffnet waren, wie einige verrostete, mangelhafte Gewehre, andere Säbel, andere Pistolen trugen, die in einem Strick steckten, den sie als Gurt um den Leib hatten. Die Besonnenen erkannten nun sehr bald, daß die selben gar nicht zu regulären Truppen, auch nicht einmal zum schillschen Corps gehören konnten, und das sagten namentlich die Gensd'armen den einzelnen der Eingedrungenen, die sie auf den Straßen fanden, ganz offen und unverhohlen. Die Furcht vor ihnen verschwand. So packte der Gensd’arme Schulz, mit einer Wagenrunge bewaffnet, als ein Gastwirth auf der Straße jammerte, ein Schillianer wolle ihm das Haus anzünden, wenn er ihm nicht 50 Louist'ors gebe, diesen Helden, der in der Gaststube fürchterlich bramarbasirte, und auf seinen Säbel sich stützte, mit seinen Armen, trug ihn aus dem Hause, und setzte ihn mitten auf der Straße derbe nieder, so daß der selbe beschämt weiter ging. Eben so verweigerten alle Gensd'armes fest und entschlossen die Auslieferung ihrer Pferde an die Freibeuter, die sich der selben in ihren Häusern bemächtigen wollten. Mehr aber freilich konnten weder sie noch die ganze Bürgerschaft thun, da niemand Zeit zur Besinnung, und die Behörde keine Zeit zu Conferenzen, Beschlüssen, Befehlen und Thaten hatte, weil ja der ganze Coup eine Überraschung war, die in zwei Stunden ihren Zweck erreichte, und den Eingedrungenen mehr gewährte, als sie selbst ursprünglich beabsichtigt und gehofft hatten. Dazu gehört ganz vorzüglich das französische Judengeld. Beim Einzuge der Streifzügler wussten sie noch nichts von Hirsch und seinem Gelde sonst würde ihr Anführer Fischer zum Justizdirector Schrader ganz gewiß eben so gut von dessen Auslieferung oder Wegnahme bei Kersten, wie von den Monturen bei Metke gesprochen haben. Nur um diese sich zu holen, waren sie gekommen. Als sie nun aber in der Stadt, an den Thoren und auf den Straßen waren, als alle Bürger, um sie zu sehen, und in gespannter Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, ihre Häuser verließen, wie dies auch Kersten, und nach ihm Belitz ebenfalls gethan hatten, da war es sehr natürlich, daß irgend jemand, der darum wusste, irgend einem von ihnen, und wohl ganz gewiß in vermeintlich ganz guter Absicht, vaterländischen Truppen eine gute Einnahme zu schaffen, und den Franzosen als Feinden des Vaterlandes Schaden zuzufügen, entdeckte, im Hause Kerstens sei französisches Geld. Und zwar ist es wahr scheinlichst der Bediente Belitz gewesen, der dies gethan hat. Er ist schon vor langer Zeit gestorben; ein voller Beweis lässt sich also nicht mehr führen; aber es haben ihn nicht nur Kerstens Angehörige, und mit und nach ihnen bald die ganze Stadt dessen bezüchtigt, ohne daß er sich zu rechtfertigen, die Beschuldigungen zu widerlegen vermochte, sondern, was die Hauptsache ist, einer der beiden Eindringlinge, welche das erste Geld aus Kerstens Hause holten, der Husar Schickerling, (der vorher weder in Beerens Regiment gedient, noch in Kyritz gewohnt hatte,) als er nach etwa anderthalb Jahren von den Franzosen gefangen genommen, aufs Rathhaus gelegt und inquirirt (jedoch, weil kein vollständiger Beweis gegen ihn geführt werden konnte, bald wieder frei gelassen) wurde, hat es zu dem Gerichtsdiener Beit und andern Kyritzern ganz bestimmt ausgesprochen, Belitz sei es gewesen, der ihm und dem oben schon genannten Dau es entdeckt habe, daß im Hause Kerstens französisches Geld sei. Factisch ist indessen nur Folgendes: bald nach dem Einrücken der Preußen kamen Dau und Schickerling in Kerstens Haus. Sie fanden ihn nicht zu Hause, und forderten nun von dessen Gattinn mit Ungestüm das Geld. Sie hatte sich auf den schon erwähnten Großvaterstuhl gesetzt, und sagte, sie wisse von keinem Gelde. Beide hießen sie aufstehen, und fanden nun sogleich das Geld, das sie an sich nahmen und forttrugen. Nach etwa einer halben Stunde kam Dau wieder, und zwar mit dem Wachmeister Fischer. Herr Kersten war noch nicht zu Hause, und Fischer sagte deshalb zur Frau, das Geld, das er empfangen habe, sei noch nicht die ganze Summe des französischen Geldes, das in ihrem Hause sei. Da die selbe ihre Aussage wiederholte, daß sie von keinem Gelde, namentlich nicht von mehrerem Gelde etwas wisse, so antwortete Fischer, er werde es schon suchen und finden, man solle ihm nur Licht geben. Mit diesem gingen Fischer und Dau dann die Treppe zum zweiten Stockwerk hinauf, und in Belitz's Stube hinein, wo sie nun sogleich das übrige Geld im Fässchen fanden, und mit sich fort nahmen. (Ein Beweis, wie genau sie über dies Geld, und die Örter, wo es sich befand, unterrichtet waren.) Nach der Aussage der Frau und der Schwester des Herrn Kersten, die auch bei ihrem Bruder lebte, war, wie Belitz, so auch Hirsch beide male im Hause, als Dau u.s.w. das Geld holte, und also selbst Zeuge der Wegnahme seines Geldes. (Hirsch schlief übrigens auch noch gastlich diese Nacht im Kerstenschen Hause, und reisete erst am nächsten Vormittage, als auch Winung angekommen war, in seinem Wagen mit diesem wieder nach Berlin zurück.)

Aus dieser ganzen Erzählung erhellt gewiß augenscheinlich, und ohne allen Widerspruch, daß und wie ganz un schuldig der arme Kersten an diesem Raube war, und daß auch nicht die leiseste Schuld, selbst nicht der leiseste Verdacht einer Schuld auf ihm ruht. Während des ganzen Vorgangs war er nicht zu Hause, sondern ganz unbefangen auf der Straße, mitten unter seinen Mitbürgern, und zwar gewiß fast immer gar nicht weit von seiner Wohnung, denn er wohnte ganz nah am Wusterhauser Thore, und unweit des Directors Schrader, bei dem man die von Fischer hingestellte Schildwache sehen musste, und zu dem auch bald das Geld aus seinem Hause gebracht wurde, ohne daß er noch etwas davon ahnte.

Jetzt müssen wir die Fortsetzung des Magistratsberichts an den Kriegsrath Buddee liefern.

»Auch begaben sie (die eingerückten Truppen) rich (einzeln oder doch immer nur einige) zu den Gensd'armes der Stadt, und nahmen den selben (aus ihren Wohnungen, denn die meisten der selben waren nicht zu Hause, die von der französischen Administration erhaltenen Waffen ab, nämlich 4 Pistolen, 2 Karabiner und einen Degen. Außerdem gingen sie zu dem jüdischen Lieferanten Hirsch aus Berlin, welcher bei dem Kaufinanı Kersten alhier wohnte, und zwangen ihn, die 1500 Rthlr. ihnen zu übergeben, welche nach der Angabe des Hirsch dazu bestimmt waren, für die Stadt Berlin Naturalien aufzukaufen, nach der Meinung des Wachmeisters Fischer aber französische Gelder sein sollten. Nur auf vielfältige Vorstellung von Seiten des Magistrats (im Hause des Directors Schrader, wobei auch der Kämmerer Schulz zugegen war, und gewiß kräftig mitwirkte,) war der Fischer dahin zu bringen, von diesem Gelde 500 Rthlr. Münze zurück zu geben, und zwar zur Befriedigung der Verkäufer, welche in Erwartung der Bezahlung schon die Naturalien geliefert zu haben angaben.« (So erhielt hier der Bauer Funk aus Teez die Bezahlung für die von ihm gelieferten Ochsen.) »Aller Vorstellungen ungeachtet, daß diese Gelder überall nicht als französisches Gut betrachtet werden könnten, nahm der Fischer doch die übrigen 1000 Rthlr. Courant mit sich fort, mit dem Bemerken, daß er schon früher im Oderbruch dergleichen Gelder den Lieferanten abgenommen habe, welche nach ihren Pässen auch Privatgelder sein sollten, er dennoch von Berlin erfahren, daß es französische Gelder gewesen (wären). Bei allem dem verstand sich der Fischer dazu, daß sowohl über die Montirungsstücke und Waffen, als über die Gelder von ihm Quitung gegeben wurde. Da er jedoch eine verwundete und verbundene rechte Hand hatte, so hat er diese Quitung nicht eigenhändig vollzogen, so daß die Quitung über die Montirungsstücke und die Waffen von zweien aus seinem Gefolge unterschrieben ist, nämlich

1. Gehrmann vom Regiment v. Ruits,
2. Boltz vom Regiment v. Blücher,

und über die Gelder von uns ein Protokoll aufgenommen worden ist (wovon Hirsch eine Abschrift erhalten hat).

Übrigens haben diese angeblich schill'schen Soldaten nichts weiter entwandt, auch keine Lebensmittel verlangt, und sind am andern Morgen d. J. den 1. April sehr früh auf den selben Wagen (, auf welche auch die Monturen, Selde u.s.w. geladen wurden,) und auf dem selben Wege wieder (nach Teez) zurückgefahren, worauf sie gekommen waren.«

(Nach aller Bürger Behauptung sind sie schon in der Nacht, noch vor 12 Uhr abgefahren, denn sie haben ja nicht in der Stadt geschlafen.) »Von der hiesigen Bürgerschaft hat unsers Wissens niemand Antheil an diesem Vorfalle genommen."

(Nun folgen die früher schon angeführten Stellen über den durch Ballerstädt abgeschickten Bericht des Magistrats an Lefebre, und über die Vernehmung Metke's und die Absendung der von ihm eingelieferten Montirungsgegenstände. Dann folgt zum Schlusse noch Folgendes:)

»Da wir nun unserseits bei diesem Vorfalle in keiner Art gefehlt zu haben glauben, wir vielmehr alles gethan haben, was unsrer Einsicht und den Umständen nach nur immer pflichtmäßig geschehn konnte, so können wir bei der Gerechtigkeitsliebe der französischen Regierung mit Sicherheit hoffen,

daß weder uns noch der hiesigen Stadt noch mehr Gefahr erwachsen werde,

und stellen wir die weitern Verfügungen, welche noch erforderlich sein möchten, Ew. Wohlgeboren so geneigtem wie umsichtsvollem Ermessen ganz gehorsamst anheim.

Kyritz, den 3. April 1807.

Magistratus.
Schrader."

O, du armer Magistrat, du arme Stadt, wie furchtbar solltet Ihr Euern Wahnglauben an die französische Gerechtigkeitsliebe büßen!

Eben so vollkommen ruhig, unbefangen, unbesorgt, zutrauensvoll schrieb der Magistrat noch am 4. April an Lefebre:

Höchftzuverehrender Herr Commandant!

»Indem wir Ihnen eine Abschrift des gestern von uns an den Herrn Kriegsrath Buddee erstatteten Berichts, welcher den Hergang des die Stadt Kyritz betroffenen bewaffneten Überfalls von sogenannten schillschen Truppen so pflichtmäßig wie ausführlich darstellt, hiermit gehorsamst vorlegen, dürfen wir bei Ihrer anerkannten Gerechtigkeitsliebe nicht daran zweifeln, daß uns, indem wir selbst unbewaffnet nur der bewaffneten Mann schaft und ihren Drohungen nachgeben mussten, in un serm Verhalten nichts werde zur last gelegt werden, da wir keinen Augenblick von dem unerschütterlichen Willen abgewichen sind, alles zu thun, was die Pflicht von uns fordert. Und wenn nach vertriebener Gefahr es wohl scheinen möchte, daß hier und da zweckmäßiger hätte verfahren werden können, so hegen wir zu der Billigkeit der höhern Beurtheiler das gerechte Vertrauen, daß unser Verhalten nicht nach dem werde beurtheilt werden, was allererst nach dem Ereignisse zu Tage gelegt, sondern nach dem, was uns bei dem Überfalle selbst schon bekannt, und als wahr scheinlich vorgestellt worden ist). In diefer Rücksicht dürfen wir auch hoffen, daß dieses Ereigniß weder uns noch der Stadt zum Vorwurf oder Nachtheil gereichen werde, und zwar um so weniger, als keine Stadt dieser Provinz die Lasten des Krieges bisher mit mehr Ruhe und Ordnung getragen hat, als die Stadt Kyritz, und, weshalb wir uns auf das Zeugniß des Herrn Intendanten Gaspare beziehen, nie irgend eine Beschwerde gegen uns oder die Bürgerschaft bei dem selben eingegangen ist. Übrigens ist gegenwärtig in unserer Stadt die größeste Ruhe, und es verlautet auch aus der Nachbarschaft nichts, was das Gegentheil enthielte. Indem wir nun noch der geneigten Verfügung wegen des bereits unterm 1. d. M. übersandten Untersuchungsprotokolls wegen des Schneidermeisters Metke und der von demselben an uns abgelieferten Montirungsstücke entgegen sehen, empfehlen wir uns Ihrem fernern Wohlwollen, und haben die Ehre mit der ausgezeichnetsten Hochachtung zu beharren

des Herrn Commandanten

Kyritz den 4. April 1807.

ganz gehorsamster
Magistrat."

So schrieb der Magistrat am 4. April, und welches Unheil traf ihn und die Stadt schon an den nächstfolgenden Tagen! Wahrlich, jeder denkende und fühlende Leser muß es anerkennen und eingestehen, daß diese Berichte des Magistrats die volle Kraft der reinen Wahrheit in fich tragen, eben so deutlich den Verstand überzeugen, wie innigst und aufs wärmste das Herz rühren müssen. Weder auf irgend einem Gliede des Magistrats noch auf irgend einem Bürger der Stadt haftet auch nur die leisefte Schuld, die geringste Verantwortlichkeit; desto schwerere, furchtbarere Sünde lastet aber auf den Franzosen und ihren Söldlingen.

Lefebre wird von der Stadt und ihren Behörden aus schon am 31. März über die Annäherung, früh am 1. April über das Einrücken preußischer Truppen in die Stadt, und deren Schalten und Walten darin unterrichtet. In Folge dessen erhält der Kaufmann Baldenius# als Gensd'arme, nach des selben genauem Bericht darüber, Mittwoch den 1. April Abends 9 Uhr, schriftliche Ordre von ihm, sogleich mit den Kyritzer Gensd’armes nach Wittstock zu kommen, was auch ihrer drei, Baldenius,

Schäfer und Schulz (, indem Ballerstädt abwesend, Zarges aber, wahrscheinlich als Folge seines scharfen Ritts am 31. März nach Perleberg hin, und von da zurück, krank war,) so schnell thaten, daß sie schon Donnerstag, den 2. April, früh 3 Uhr in Wittstock waren, wo sie Lefebre selbst, den Intendanten Gaspar, 25 Mann Nassau-Usinger und die Perleberger Gensd'armes fanden, die nun mit ihnen und den Wittstocker Gensd'armes früh 5 uhr zur Verfolgung der Parteigänger aufbrachen, und in Meklenburg einrückten. Als Lefebre indessen im Dorfe Lätz erfuhr, die Parteigänger seien vor einer Stunde über den Müritzer See gegangen, befahl er umzukehren, machte im Städtchen Mirow Nachtquartier, und marschirte Freitag, den 3. April, Morgens nach Wittstock zurück, von wo aus er mit den Seinigen nach Perleberg, die Kyritzer Gensd'armes aber nach ihrer Stadt heimkehrten. So sehn wir, Lefebre war genau über das ganze Verhältniß unterrichtet, (so auch Gaspar,) und er hatte gegen die Kyritzer Gensd'armes auch nicht ein Wort des Tadels ausgesprochen, ja mit ihnen ganz freundlich verkehrt, und nun meldet ihm am folgenden Tage, Sonnabend den 4. April, der Kyrizer Magistrat in einem ausführlichen Doppelbericht auf das gewissenhafteste, doch mit der gebührenden Vorsicht, wie äußerlich ruhig und der fremden Gewaltherrschaft ergeben alle Bewohner der Stadt bei der Anwesenheit vaterländischer Truppen geblieben sind. Er konnte sich dabei in voller Wahrheit darauf berufen, daß sie durch die Franzosen vielleicht mehr als irgend eine Stadt der Prignitz gelitten, und doch alles stets willig geleistet habe, wozu sie aufgefordert sei. Und er bittet ihn und den Intendanten, mit dem derselbe an einem Orte wohnt, in unbedingtem Vertrauen auf ihre Einsicht, Billigkeit und Gerechtigkeit, sich der Stadt anzunehmen, damit dieser Vorgang ihr, der Unschuldigen, die nur so handeln konnte, wie sie gehandelt hat, ja die noch unaufgefordert bedeutendes preußisches Eigenthum für die Franzosen sich ausliefern lässt, um es diesen zu überschicken, keinen fernern Nachtheil bringen möge, wozu beide sittlich und rechtlich aufs höchste verpflichtet waren. Beide aber blieben kalt, theilnahmlos und stumm, und thun nichts, durchaus nichts, als eine militärische Strafcommission der armen Stadt aufs neue schwere Kosten verursacht; ja sie thun nichts, durchaus nichts, als ein scheuslicher Blutbefehl der grausamsten Härte und Ungerechtigkeit zwei hochachtbare, ganz unschuldige Männer zu morden gebietet. Weder der Commandant noch der Intendant kominen in der ganzen Unglückszeit von 1. bis 8. April nach Kyritz, und sprechen auch schriftlich kein Wort der Theilnahme, des Raths und Trostes, oder der Fürbitte für die arme Stadt bei ihren Behörden aus. So bleibt nichts übrig als die Annahme, sie müssen beide entweder herzlose Unmenschen, oder feige Sklaven, die jeden Befehl höherer Behörden, wie ruchlos er auch sei, blindlings vollziehen lassen, jedenfalls also verworfene gewesen sein. Eben so kann man aber auch über das Verfahren des damaligen französischen Generalgouverneurs unsrer brandenburgischen Marken, des Divisionsgenerals Clarke, nur ein hartes, strenges Urtheil aussprechen. In äußerer Politur strebte er, nach den Andeutungen seines corsischen Herrn, in Berlin und überau für milde und gerecht gehalten, und so gepriesen zu werden.

Er ließ deswegen nicht zu, daß namentlich Berliner bedeutende Ursachen zu lauten Klagen haben konnten; ja er ward dabei grausam und ungerecht gegen sein eignes Volk, denn auf dem Hofe seiner eignen Wohnung in Berlin ließ er wie allgemein behauptet wurde mehrere Franzosen, über welche Klagen von Berlinern eingegangen waren, erschießen, unbekümmert, ob diese armen Teufel auch wirklich ein so hartes Loos verschuldet hatten. Das war slavischer Gehorsam gegen den Befehl seines Meisters, den französischen Namen in Berlin im Glanze der Humanität, der Gerechtigkeit und Milde stralen zu lassen. Eben dieser sein Sklavensinn gegen seinen Herrn bewirkte es nun aber auch, daß Clarke nicht minder die Blutbefehle des grausamen Corsen eben so unterwürfig vollzog. Dieser hatte den Seinen im Geheimen befohlen, den französischen Namen in den Provinzen gefürchtet zu machen und zu erhalten, so daß man hier vor ihm und seinen Franzosen zittre und bebe, damit er nicht bei der Fortsetzung des Krieges grässlicher Ehr- und Habsucht in Preußen durch Aufruhr und Streifparteien, wie deren Schill eine gebildet hatte, im Rücken gehindert und gehemmt werde. Solchem Greuelbefehl gehorsam trug denn Clarke kein Bedenken, sich wenigstens zu stellen, als ob er den Lügen des jämmerlichen Hirsch vollen Glauben beimesse, als dieser mit Winung am 1. oder 2. April von Kyritz nach Berlin zurück kam, und seine Klage über den in Kyritz erlittenen Verlust bei ihm vorbrachte. Er sandte dem gemäß Truppen und eine Militärcommission nach Kyritz, die wohl ganz gewiß den geheimen, gemessenen Befehl hatte, ein Magistratsmitglied und den Hausherrn, in dessen Hause der Raub begangen war, er schießen zu lassen, vorher aber, um den Schein zu retten, auf welchen die Franzosen ja immer so viel hielten, ein nach aller Möglichkeit förmliches Kriegsgericht zu halten.

Wie nichtswiirdig ein solches Benehmen war und ist, leuchtet von selbst ein. Wahrhaft trostreich und erhebend, wie für uns Kyritzer, so für jeden guten Deutschen, ist es daher, daß namentlich unser jetzt verklärter, ewig gleich verehrungswürdiger König, als ihm am 3. Mai 1814 Clarke in Paris vorgestellt wurde, aufs ernsteste das Verdammungsurtheil dessen ausgesprochen hat, der als Mörder unsrer theuern Kyritzer dasteht, indem der gerechte, liebende Vater seines Volks erklärte, er wolle nichts mit einem Manne zu thun haben, der gute Kyritzer Bürger so grausam hinrichten gelassen habe.

Indem wir nun so auf den betrübendsten Theil unsrer Erzählung übergehn, müssen wir es zuerst schmerzlich beklagen, daß das ganze Actenstück des Kyritzer Magistrats, welches alle dabei und darüber geführten Verhandlungen und Protokolle nicht nur des Kyritzer Magistrats u.s.w., sondern doch auch wohl der französischen Militärcommission enthalten haben muß, ja vielleicht selbst die bei den Verhören der armen Angeklagten abgefassten Protokolle enthielt, auf eine ganz unerklärliche Art schon vor wenigstens einem Vierteljahrhundert aus der Registratur des Kyritzer Magistrats verschwunden ist, und daß zur höchsten Vergrößerung dieses Verlustes leider auch die hochlöbliche königliche Regierung der Provinz Brandenburg in Potsdam im Jahr 1833 befohlen oder doch zugegeben hat, das bei ihr darüber befindliche starke Actenstück als unwichtig, zur fernern Aufbewahrung nicht geeignet, zu cassiren.

So ist es denn nur noch möglich, das zu erzählen, was die noch lebenden Augen- und Ohrenzeugen der unglückseligen Begebenheit darüber zu sagen wissen, und was einige Privatpapiere davon mittheilen.

Es ist im Bisherigen noch gar nichts über den Kämmerer Schulz gesagt worden; desto beweinenswerther und ganz eben so unverschuldet und ungeahnt, wie der arme Kersten, tritt er nun in die Begebenheit ein. Wir wollen und müssen daher vorläufig Folgendes über diesen braven Mann anführen: Er war in Kyritz selbst geboren, wo sein (längst vor dieser Unglückszeit verstorbener) Vater Bürgermeister gewesen war. Er lebte noch unverheirathet, wahrscheinlich weil er nicht nur seine (damals 66 Jahr alte) Mutter bei sich im Hause und zu ernähren hatte, sondern auch seine ältere Schwester mit ihren drei Kindern, die sich von ihrem noch jetzt lebenden (85 Jahr alten) Ehemann Jüterbock trennen gemusst hatte, weil dessen Geschäfft als Apotheker in Templin pecuniär schlecht gegangen war, weswegen er diese Stadt verlassen hatte, und damals namentlich zur Vorbereitung auf einen andern Wirkungskreis als Secretär des Geheimraths v. Marquart in Anspach lebte.

Schulz's jüngere Schwester hielt sich bei ihrem Bruder auf, der damals als Justitiar in Berlin lebte, und auch der literarischen Welt als ein vielseitig gebildeter, kenntnissreicher Mann, als Schützling, Freund und langjähriger Hausgenosse des uns vergesslichen Geheimraths v. Stägemann, und namentlich als geistreicher Theaterrecensent, in welcher Hinsicht selbst Göthe ihn laut, öffentlich aufs rühmlichste belobte, bekannt geworden ist. Diesem seinem Bruder ähnlich war auch unser Schulz ein vielseitig gebildeter, Kenntnissreicher, für alles Gute und Große begeisterter, und dabei zugleich ein unermüdet thätiger, höchst arbeitsamer Mann. Er war mit der reinsten, lebendigsten Liebe, wie gegen seine Mutter und Geschwister, wie gegen König und Vaterland, so auch besonders gegen seine Vaterstadt und alle deren Bewohner erfüllt, weswegen er alle Geschäffte seines städtischen Amtes mit dem angestrengtesten Eifer zum höchsten Nutzen der Stadt verwaltete. Dies wurde von ihr auch allgemein anerkannt, und jeder ihrer Einwohner hing mit der höchsten Werthschätzung, mit der innigsten, herzlichsten Liebe und Dankbarkeit an ihm. Wie eifrigst er aber auch für das Beste seiner Stadt und seines Staats mit echtem Preußensinn zu wirken stets beflissen war, so blieb er doch besonnen genug, bei der so gefährlichen Lage von Kyritz im Besitze der Franzosen, durchaus nichts zu thun, was unmittelbar gegen das Interesse dieser Feinde war, und feine Stadt gefährden konnte.

Als Kämmerer hatte er zunächst die Geld- und Cassenangelegenheiten, als Stellvertreter des aller Geschäffte enthobenen achtzigjährigen Bürgermeisters Steiniger namentlich auch das Einquartirungswesen derselben zu besorgen. Wir haben aber schon gesehen, daß er jetzt weder bei der Wegnahme der Montirungsstücke in Metke's, noch bei dem Raube des französischen Geldes in Kerstens Hause einzu schreiten und thätig zu sein veranlasst war, und veranlasst werden konnte. Bei beiden Vorgängen, wie bald er sie auch erfahren haben mag, musste er ganz unthätig sein und bleiben. Es haftet also auch nicht der leiseste Schein selbst nur des geringsten Verdachts auf ihm, als habe er auf irgend eine Art versucht, den Preußen zu und bei ihrem Raube behülflich zu werden oder zu sein. Lächerlich müsste man den Unsinn der jämmerlichen Verleumdung der Franzosen nennen, den diese in der damaligen Zeit, um doch ihrem grässlichen Morde einen Schein der Entschuldigung zu geben, zu verbreiten beflissen waren, Schulz habe in verrätherischer Correspondenz mit preußischen Behörden oder einzelnen Personen gestanden, wenn ihr Bluturtheil nicht so beweinenswerth wäre. Und doch erlaubt sich noch im Jahre 1843 ein Correspondent der Aachener Zeitung (in deren Nr. 262.), diesen Unsinn, den er selbst eine bloße Sage nennen muß, ohne ein Wort der Widerlegung zu wiederholen, indem er schreibt:

»Schulz soll über die Stärke und über die Bewegungen der französischen Truppen den preußischen Befehlshabern briefliche Mittheilungen gemacht haben, und dies von dem franzöfischen Gouvernement entdeckt worden sein.«

Die ganze Welt wusste es ja, alle Zeitungen sprachen es aus, daß damals alle französischen Armeen nach Preußen gezogen waren, daß es in der Mark Brandenburg wohl französische Nach- und Durchzügler genug, aber fast gar keine eigentlichen Truppen, keine Corps, selbst nicht einmal in Berlin, und daß es also über deren Stärke und Bewegungen auch nichts zu berichten gab. Welcher preußische Befehlshaber kannte den unbekannten Kämmerer Schulz im unbekannten Kyritz, und welchen kannte er? Was konnte er berichten, der in Kyritz von den Franzo sen nichts sah und hörte und wissen konnte? In Kyritz, in der ganzen Prignitz gab es kaum Franzosen, viel weniger französische Truppen. Und wie hätte er berichten gesollt, wenn er etwas zu berichten gehabt hätte? Sollte er Estafetten durch die von den Franzosen besetzten Provinzen hin nach Preußen schicken? Sollte er seine Berichte der Post anvertrauen, die mit aller ihrer Correspondenz von den Feinden beaufsichtigt wurde, und gar nicht einmal Briefe an die marschirenden Truppen und deren Befehlshaber zu besorgen im Stande war? Und konnte er im Tollhäuslersinn wähnen, die Preußen, die, selbst vereinigt mit den Russen, an der Gränze des Staats sich kaum gegen die Feinde zu vertheidigen vermochten, würden und könnten auf seinen Bericht Armeen in die Mark, oder gar nach Kyritz zurückschicken?

Und solche verrückten Sagen der Dummheit, Bosheit und Lüge tischt man uns noch i. J. 1843 in einer preußischen Zeitung unweit des Rheins auf! O, du armer Schulz, so wirst du in deinem lieben Preußen noch ein Menschenalter nach deinem Tode verlästert!

Was nun den fernern historischen Verlauf der so trauervollen Begebenheit betrifft, so kamen in Folge der vom Generalgouverneur Clarke angeordneten sogenannten militärischen Untersuchungscommission bereits Sonntag, den 5. April, die französischen Executionstruppen von Berlin in Kyritz an, und zwar nach fast allen Stimmen der Einwohnerschaft 30 französische Dragoner und 36 Mann Infanterie vom Regiment Nassau-Usingen unter dem Hauptmann Kergefroid (,obgleich andre Nachrichten, z.B. die schon erwähnte Chronik der Stadt Kyritz, von 50 Dragonern und 50 Mann Infanterie sprechen); doch marschirten die selben fast alle bloß durch die Stadt, indem sie durch Boten sich nach dem Dorfe Dreven und der Umgegend führen ließen, wo sie Nachtquartier machten. Nur wenige Dragoner blieben in der Stadt.

Am folgenden Tage, Montag den 6. April, fuhr schon am Morgen die Militärcommiffion selbft (auf drei Wagen mit Extrapost) in Kyritz ein, und stieg vorm Posthause ab, in das sie sich einquartierte. Bald darauf schickte die selbe den genannten Truppen in Dreven u.s.w. Befehl zu, in die Stadt einzurücken. Ehe dies geschah, ließ der Director Schrader den Kaufmann Kersten (durch den Gerichtsdiener Veit) zu sich entbieten. Als die Truppen eingerückt, und vor der Post aufmarschirt waren (etwa um 11 Uhr Vormittags), wurden Posten von immer drei Mann (der Infanterie) aufgerufen, abgesondert und befehligt, den Director Schrader, den sich bei diesem schon befindenden Kaufmann Kersten, und eben so in ihren Häusern den Bürgermeister Krüger und den Kämmerer Schulz zu arretiren, und aufs Rathhaus zu führen, so daß jeder von diesen durch drei Mann Wache dahin gebracht wurde. Der Bürgermeister Steiniger bekam nur Wache in seiner Wohnung, die den strengsten Befehl hatte, weder ihn heraus-, noch irgend jemanden zu ihm hineinzulassen. Darauf wurden die drei Thore mit Wache belegt und geschlossen. So war die Stadt bis zur Hinrichtung der beiden Opfer gesperrt, indem niemand herein- oder hinaus. gelassen wurde ohne specielle Erlaubniß des Präsidenten der Militärcommission le Preur (der zwar sowohl von der erwähnten Chronik als von den Kyritzern General genannt, von den Franzosen selbst aber in ihrem Untersuchungsprotokoll nur als Adjutant-Commandant aufgeführt wird. Doch nennt der französische Commissar Bignon in einem officiellen Anschreiben an unsern preußischen Großcanzler von Goldbeck, den Chef der Kriegs- und Domainenkammer, und dieser selbst in noch vorhandenen Actensticken denselben auch Adjudant général. Dies hat man denn wohl mit General verwechselt). Indeß konnte es nicht verhindert werden, daß mehrere Einwohner, besonders die an der Stadtmauer wohnten, über diese hinüber Kletterten, und so aus der Stadt kamen. Dies geschah von einigen auch in der Unglücksstunde der Hinrichtung, so daß die selben wenigstens von fern Augen- und Ohrenzeugen der Unthat wurden. Namentlich benutzten dies Hülfsmittel zwei Kyritzer, Fischer und Treu, zu ihrer Rettung, die im Regiment Beeren gedient, nach ihrer Gefangennehmung durch die Franzosen sich selbst ranzionirt hatten, und nach Kyritz zurückgekehrt waren, jetzt aber aus nur zu begründeter Furcht in der Nacht vom 7. zum 8. April sich aus der Stadt flüchteten. Es wurden übrigens die französischen Truppen bei den Einwohnern einquartirt, mussten aber unausgesetzt Tag und Nacht auf den Straßen patrouilliren, und alles Zusammenstehen mehrerer Personen, selbst weniger Frauen, mit Androhung von Gewalt verhindern.

Von den vier Gefangenen wurde jeder in ein eignes Zimmer gesetzt, (Kersten in den sogenannten Bürgergehorsam,) und bekam eine Wache in das selbe; doch wurde den Ihrigen der Einlaß zu ihnen nicht versagt. So sagen die Ehefrau und Schwester des Kaufmanns Kersten aus, daß eine um die andre von ihnen zuerst am Montage Mittagbrod aufs Rathhaus gebracht haben, wobei er gesagt habe, er begreife nicht, warum er gefangen gesetzt sei; nur sei es sein Trost, daß sie ja alle zu sammen auf dem Rathhause wären; dann wieder Abendbrod, wobei derselbe eben so ganz unbefangen und unbesorgt gewesen sei; beim Morgenkaffe am Dinstage habe er erzählt, die Franzosen wollten das dem Hirsch abgenommene Geld wieder haben; beim Mittagbrod sei der selbe auch noch ohne alle Ahnung der leisesten Gefahr gewesen, und habe gemeint, Abendbrod brauche man ihm nicht mehr zu schicken, er werde gewiß am Nachmittage frei gelassen werden. Als dies aber nicht geschah, und die Schwester ihm deswegen Abendbrod brachte, rief diese, erzählt dieselbe, der Kämmerer Schulz, als sie vor dessen Thür vorbeiging, um zu ihres Bruders Stube (dem Bürgergehorsam) zu gelangen, in sein Zimmer hinein, und sagte ihr, sie möge nur bei ihm warten, ihr Bruder sei noch im Verhör. Darauf unterhielt sich der Kämmerer ganz unbefangen, ja scherzhaft mit dem Nassau-Usinger, der als Wache in seinem Zimmer war, nahm dessen Tornister, hielt und wog ihn in der Hand, sagte: Ihr habt doch schwer zu tragen, und ließ sich eine Patrone geben, bei welcher die Kugel auf dem Pulver saß, was er sich genau besah. (Ach, es mag eine von denen gewesen sein, die ihn nach wenigen Stunden gemordet haben!) Als Kersten nachher aus dem Verhör kam, und seine Schwester zu ihm ging, und ihm sagte, sie bringe ihm Abendbrod, antwortete er wieder in der vollkommensten Seelenruhe: geh nur! ich komme gleich nach Hause.

Statt dessen aber wurden nun Schrader, Schulz und Kersten in die Wachstube gebracht, und Krügerals frei entlassen. Ihr Schicksal war entschieden, ohne daß irgend einer von ihnen auch nur die leiseste Ahnung davon hatte. Da Kersten nicht nach Hause kam, ging seine Frau noch einmal Abends 10 Uhr nach dem Rathhause, blieb aber auf der Straße vor der Wachstube am Fenster stehen; Schulz und Kersten traten an's Fenster, und Schulz sprach scherzend zu ihr: Frau Gevatterinn, das kann an's Augenverbinden gehen! worauf sie eben so scherzend antwortete: nun, dann kann ich Ihnen wohl gleich meinen Kopftuch (, den Tuch, den sie sich um den Kopf geschlagen hatte,) dazu hier lassen! er aber: nun sieh einmal, wie keck die Frau noch ist! Ihr Mann sagte ihr zum dritten mal, er werde gewiß bald kommen, sie möge nur ruhig nach Hause gehn, und sich schlafen legen. Ohne Besorgniß ging sie nach Hause, und legte sich wirklich, da er doch nicht kam, um 1 Uhr nach Mitternacht ruhig zu Bett. Geweckt wurde sie ─ ─ ─ durch die Schüsse, die ihren Mann mordeten!

Aus dieser so höchst einfachen, und doch so wahrhaft rührenden Erzählung der beiden Frauen ergiebt es sich recht augenscheinlich, mit welchem tückischen, scheuslichen Schweigen, Verhüllen und Verschweigen die Commission ihr greuliches sogenanntes Verhören und Urtheil sprechen geführt haben muß. Es ist aufs höchste zu bedauern und zu beklagen, daß sie ihre Protokolle vielleicht gleich an sich behalten, und niemandem mitgetheilt, den (französisch) abgefassten (ge schriebenen) Urtheilsspruch aber, den sie dem Magistrate übergeben hatte, sich wieder (, ohne daß leider! jemand eine Abschrift davon genommen hat,) ausliefern gelassen, und dagegen einen andern später abgefassten und gedruckten eingereicht hat.

Sie hat es auf diese Art unmöglich gemacht, ihr ganzes Verfahren nach seiner vollen Schändlichkeit hell und deutlich an's Licht zu stellen. Ganz gewiß haben diese unglückseligen Lügner und Heuchler sich selbst gar bald geschämt, und das Bekanntwerden dieser Nichtswürdigkeit deswegen nach aller Möglichkeit zu verhüten und zu unterdrücken gesucht. Darum haben sie die Auslieferung der Originalurkunde ihres Mordurtheils erzwungen, und dagegen ein falsches dafür untergeschoben. Obgleich alle damaligen Magistratsglieder jetzt schon gestorben sind, so ist es doch die ganz allgemeine Übereinstimmung aller ältern Einwohner der Stadt, wogegen auch nicht eine einzige Stimme sich je hören gelassen hat, daß dieser freche Betrug und Zwang wirklich statt gefunden hat. Da nun aber auch dieses von ihnen später eingereichte Urtheil, das wir zum Schlusse unsrer Erzählung mittheilen werden, noch immer so ganz erbärmlich einfältig, unzu sammenhangend, und der Sache, den Gründen nach wahrhaft durchaus nichts sagend ist, und die Richter als völlig nichtswürdig darstellt; wie scheuslich, wie sie verdammend mag, ja muß das Originalurtheil gewesen sein! Die erwähnte Chronik giebt an, das geschriebene Originalurtheil sei im Namen des Generals Clarke auf den Grund seiner Ordre vom 4. April abgefasst gewesen, und habe den Kämmerer nur der Nichterfüllung seiner Amtspflicht zur Verhinderung des Raubes, den Kaufmann Kersten (allein) aber des Einverständnisses mit den Räubern beschuldigt. Dagegen ist das willkührlich fabricirte gedruckte Urtheil im Namen des Kaisers, in Folge französischer Strafgesetze, und zwar auch gegen den Kämmerer wegen Einverständnisses mit den Räubern abgefasst, dessen er doch bei allen Verhören nie auch nur mit einem einzigen Worte beschuldigt worden ist.

Was sich über das sogenannte gerichtliche Verfahren mit Sicherheit sagen lässt, ist nur Folgendes: am Montage, dem sechsten April, nachdem man die vier Unschuldigen als Gefangene auf das (damalige alte, im J. 1825 abgebrannte) Rathhaus gebracht hatte, scheint man ihnen noch kein hartes oder gar drohendes Wort, sondern nur im Allgemeinen gesagt zu haben, sie seien be schuldigt, die Beraubung des Hirsch nicht nachdrücklich genug verhindert zu haben, und überhaupt gegen die preußischen Truppen nicht ernst genug aufgetreten zu sein, was unter sucht werden solle. Darum blieben eben die Gefangenen im Bewusstsein ihrer vollen Unschuld so ganz ruhig und ohne alle Besorgniß. Es kam den Franzosen vor allen Dingen zuerst nur darauf an, sich Geld zu schaffen. Deswegen wurde den Gefangenen angekündigt, die Stadt habe sofort zur Entschädigung des Hirsch und zur Tragung der Untersuchungskosten die Summe von 2400 Rthlrn. zu zahlen; außerdem aber solle man ja dem Präsidenten der Commission (Le Preux) ein gutes Douceur (als Bestechungsgeld) geben (, natürlich aus der Ursach, daß die ganze Sache bald und ganz günstig abgemacht und beseitigt werde). Die Gefangenen mussten sich also zur Zahlung einer Summe von 3000 Rthlrn. willig finden lassen, wobei ihnen indessen bemerkt wurde, Quitung werde ihnen nur über 2400 Rthlr. geleistet werden. Um dies Geld recht bald in die Hände zu bekommen, wurde gedroht, wenn dies nicht in vier Stunden geschehe, solle die ganze Summe executorisch beigetrieben, und deswegen namentlich die Stadtheerde im Wege der Execution weggetrieben werden. Diese und alle spätern Verhandlungen wurden von Seiten der Franzosen französisch geführt; doch hatten dieselben in der Voraussetzung, daß die Kyritzer ihre Sprache nicht verstehen würden, was denn bei den Gefangenen auch wirklich der Fall war, als Dolmetscher den Justizrath Robert, Richter bei der französischen Colonie in Berlin, mitgebracht. Den Gefangenen gesellte sich bei ihren öffentlichen Verhören am folgenden Tage noch ein Kyritzer, Namens Pohle, zu. (Warum mag die Commission in ihrem später gedruckten und der Stadt übergebenen Urtheil dieses Justizraths Robert und seiner Wirksamkeit gar nicht erwähnt haben?)

Um das Geld zu sammen zu bringen, schrieb der Magistrat noch am Montage eine Sammlung freiwilliger und erzwungener Beiträge bei der ganzen Bürger schaft aus, und es hatten sich bereits mehrere derselben aus Liebe zu den Gefangenen und zu ihrer Stadt mit ganz ansehnlichen Summen unterzeichnet; namentlich hatten einige wohlhabendern in Summen von 50 bis 150 Rthlr., über 800 Rthlr. beigesteuert, und die vier Bezirke der Stadt (, damals Quartale genannt,) lieferten am 7. und 8. April noch über 1000 Rthlr. ein. So lange wollten indessen die geldgierigen Franzosen nicht warten. Deswegen schlug der Kämmerer Schulz vor, von bei ihm vor einigen Tagen eingegangenen Geldern (4411 Rthlr.) seiner Freunde, der Banquiers Marburg und Sdulz in Berlin, die er nach Hamburg spediren sollte, die geforderte Summe zu entnehmen, was der Magistrat denn auch mit großem Danke gegen ihn that. So wurden der Commission nach ihrem Befehle 1000 Rthlr. zur Ent schädigung des Juden, 1400 Rthlr. Executionskosten und 600 Rthlr. für die geforderten 2400 Franken als Geschenk an Le Preux am Morgen des 7. Aprils ausgezahlt, ohne daß al so die Beiträge der Bürgerschaft dazu verwandt zu werden brauchten, vielmehr wurden die bereits eingegangenen nach einer darüber aufbewahrten Magistratsrechnung unterm 29. April und 8. Mai wieder zurück gezahlt. (Wie schwelgerisch die Militaircommission übrigens mit ihren Mannschaften gelebt haben muß, beweiset diese Rechnung, indem die selben in den beiden Tagen ihres Aufenthalts der Stadt einen Kostenaufwand von 461 Rthlrn. 3 Gr. verursacht haben, wobei freilich auch Ausgaben für Schuhster-, Schneider-, Sattlerarbeit und Hemdnähen sind.)

Aus Scham oder Furcht vor höherer Untersuchung und Bestrafung wurden der Stadt indessen von den Franzosen zufolge der so eben erwähnten Magistratsrechnung zurück gezahlt bereits am 13. April 400 Rthlr.; und wieder am 17. September 642 Rthlr. 17 Gr., so daß das von den Franzosen und Hirsch behaltene Geld 1957 Rthlr. 7 Gr. beträgt. Die gezahlten 642 Rthlr. 17 Gr. sind übrigens der Ersatz des an le Preux gemachten Geschenks, indem 2400 Franken zu 600 Rthlr., und an Agio noch 42 Rthlr. 17 Gr. gerechnet sind. Man sieht aus dieser Zahlung, daß die Franzosen sich gezwungen fanden, ihre eigne Handlungsweise zu verdammen. Bei der Verurtheilung ihrer beiden unschuldigen Opfer hatten sich mit dem vollsten Rechte der preußische Großcanzler v. Goldbeck und die Kriegs- und Domainenkammer in der tiefsten Indignation und in dem höchsten Ernste auf's eifrigste für dieselben beim General Clarke verwendet; in seiner Sklavenfurcht vor Napoleon wagte dieser aber gar nicht einmal, die Protestirenden zu sprechen, sondern ließ ihnen nur trocken und kalt durch den Commissaire Bignon sagen, er könne auf ihre Verwendung durchaus keine Rücksicht nehmen. Nachdem die Un chuldigen indessen gemordet waren, zeigte er sich stets beflissen, gerecht, billig, ja milde zu erscheinen, bald gar selbst bereit, die Bestechungssumme zurückzuzahlen, und ließ dies durch den Herrn Bignon dem Großcanzler schreiben, wobei derselbe selbst sagen musste, daß Le Preux kein Recht gehabt habe, dies Geld zu fordern und anzunehmen[2].

Der Auszahler des Geldes aber, Lacour, schrieb zur Anweisung: »gut für die Summe von 2400 Francs, zur Last der 37000 Francs, welche Sr. Excellenz dem Herrn General Clarke gehören u. s. w. Diese Summe der 2400 Francs ist von Sr. Excellenz dem Herrn General Clarke der Stadt Kyritz zur Entschädigung für eine gleiche Summe bewilligt, welche sich der verstorbene Herr Generaladjutant Le Preux zur Unzeit (oder Ungebühr, mal à propos) zahlen gelassen hat.« Man steht selbst in dieser einfachen Anweisung ist alles auf Schein und Glanz berechnet. Sieht es nicht aus, als ob Clarke dieses Geld aus seiner Casse der Stadt schenkte?

Erst am folgenden Tage, Dinstag den 7. April, fanden, um nun in unsrer Geschichtserzählung fortzufahren, die eigentlichen Verhöre statt, bei denen auch Winung und Hirsch sich anwesend befanden, die dazu mit dem selben Fuhrmann, der sie vorher nach Kyritz, und dann nach Berlin gefahren hatte, von dort hierher zurückgekehrt waren[3]. Es wurden diese Verhöre öffentlich, bei offnen Thüren sowohl Vormittag als Nachmittag, und zuleßt noch am Abende bei erleuchtetem Rathhause abgehalten. Dabei wurden die Gefangenen zuerst einzeln, dann zusammen verhört, und ihre Aussagen zu Protokoll genommen. Wie unvollständig, verstümmelt und verdreht diese Aussagen, die an sich ja nur ihrer aller volle Unschuld beweisen konnten und mussten, protokollirt sein mögen, kann niemand mehr wissen, da, wie gesagt, keine Protokolle mehr darüber vorhanden sind. Zum Abendverhör wurden auch die fünf Gensd'armes vorgefordert, denen im Allgemeinen die selben Vorwürfe wie den Gefangenen gemacht wurden, daß sie sich nicht mit aller Kraft den eingedrungenen Preußen gehörig und erfolgreich widersetzt hätten. Sie vertheidigten sich indessen mit so schlagenden Gründen, daß die Commission, wenn sie ihnen gleich eine ernstliche Verwarnung für die Zukunft gab, sie doch entlassen musste. Desto schändlicher und hinterlistiger benahm sich dieselbe aber gegen die Gefangenen. Da sie indessen wohl gewiß den geheimen Befehl hatte, nur ein Magistratsglied und den Kaufmann Kersten erschießen zu lassen, so entließ sie nach dem Abendverhör auch den Bürgermeister Krüger, der nur den Titel Bürgermeister, aber wie gesagt, mit den eigentlichen Magistratsangelegenheiten gar nichts zu thun hatte.

Die ganze Procedur hatte offenbar nicht den Zweck, über Recht und Unrecht, Schuld und Unschuld zu entscheiden, sondern sollte nur unter der Form und dem Schein eines Gerichts- und Urtheilsspruchs dahin führen, Kersten und ein Magistratsglied für schuldig erklären zu können.

Gelegentlich wurde den Angeklagten die Ordre des Generals Clarke vom 4. April vorgelesen:

daß die schuldigen Magistratspersonen, wenn sie nämlich die Beraubung des Hirsch nicht pflichtmäßig verhindert hätten, und der Kaufmann Kersten, wenn er den Raub begünstigt habe, mit dem Tode be straft werden sollten.

Doch muß die Commission selbst den Gefangenen viele und scheinbar sichere Hoffnung und Aussicht auf einen günstigen Ausgang der Sache gemacht und genährt, und es namentlich bestimmt ausgesprochen haben, sie selbst würde noch gar kein Endurtheil fällen, sondern die Gefangenen nach Perleberg senden, damit dies dort unter Zuziehung des französischen Commandanten und Intendanten geschehe; denn nach der Abführung der drei Gefangenen in die Wachstube behielten diese ihre vollkommenste Seelen- und Herzensruhe, und keinem von ihnen fiel, wie schon gesagt, nur die leiseste Ahnung ein, daß ein Todesurtheil gefällt werden könne. (Einzelne Bürger mochten freilich wohl etwas fürchten und ahnen. So ging in Liebe zu den Gefargenen der Ackerbürger Schäfer am Dinstag zum Präsidenten Le Preux, als dieser gerade am Mittagstische saß, und bat ihn knieend um Freilassung der Gefangenen, erhielt aber eine nichts sagende, ja harte Antwort.) Allgemein wird erzählt, beim Schlussverhör, das am Abende bis gegen 10 Uhr dauerte, habe der edelste und rührendste Wettstreit zwischen dem Director Schrader und Kämmerer Schulz statt gefunden. Nachdem man ihnen erklärt hätte, nur einer von ihnen werde noch ferner in Untersuchung zu gehöriger Verantwortung bleiben, habe der Director Schrader behauptet, das müsse er sein, weil er der Dirigent des Magistrats sei, und deshalb alle Verantwortlichkeit für diesen auf ihm hafte; der Kämmerer habe dagegen angeführt, alle Einquartirungs- und dergleichen Angelegenheiten gehörten zu seinen Geschäfften, so daß der Director sich darum nicht bekümmere, ja fast nichts davon wisse; überdies sei des Directors Anwesenheit und Bleiben in seinem Hause bei seiner Sorge für Frau und Kinder durchaus nothwendig, und er dürfe gerade jetzt um so weniger sich von seiner Familie entfernen, (um namentlich nach Perleberg zur Fort setzung der Untersuchung abgeführt zu werden,) da seine Gattinn ja erst vor kurzer Zeit (, am 23. März) entbunden sei. Er dagegen habe weder Frau noch Kinder, und könne darum mit leichterm Herzen Kyritz verlassen. Dieser Wett streit des Pflicht- und Edelsinns habe dann, behauptet man weiter, die Verurtheilung des Kämmerers und die Freilassuug des Directors zur Folge gehabt. Wie unwisprechlich wahr es aber auch ist, daß beide Männer durchaus edel, auch gegeneinander rein freundschaftlich geinnt waren, so muß dieser Wettstreit doch wohl bezweifelt werden, da ja beider ganzen Angelegenheit und deren Untersuchung durchaus von keiner Einquartirung die Rede war und sein konnte, und die Commission auch wohl nicht gerade zu, und buchstäblich und offen vor Gericht die heimtückische Lüge ausgesprochen haben wird, es solle erst in Perleberg das Urtheil gesprochen werden. Die französischen Truppen kannten ja oder vermutheten doch wenigstens schon während der Untersuchung den Inhalt des ers noch zu fällenden Urtheilspruchs. So hat die Wittwe Ebbmeyer gleich am Unglücksmorgen erzählt, und es ihr ganzes Leben hindurch wiederholt, ein Nassau-Usinger des Commando's, der bei ihr einquartirt gewesen sei, habe am Nachmittage des siebenten Aprils, während er in der Stube in ihrer Anwesenheit sein Gewehr gereinigt, geputzt und in den Stand gesetzt habe, immerfort traurig und betrübt geseufzt, geweint und gejammert, auch von Zeit zu Zeit ausgerufen: ach, die armen Leute! die armen unsduldigen, braven Männer! ohne daß sie indessen gewagt habe, den selben zu fragen, weswegen und über wen er so klage.

Weit natürlicher und wahr scheinlicher lässt sich die nachherige Freisprechung des Directors auf folgende Art motiviren: die Schwester seiner Frau, später Gattinn des nachherigen Bürgermeisters Behrends, jung, schön, geistreich, gebildet und der französischen Sprache vollkommen mächtig, hatte sich, von herzlicher Liebe zu den Ihrigen getrieben, zum Präsidenten Le Preux begeben, und diesen dringend um Erlaubniß gebeten, ihren Schwager im Gefängnisse zu besuchen. Dieser einfache Umstand kann dann durch das Interesse der Unterhaltung bei dem Franzosen, besonders wenn jener, oder doch ein ähnlicher edler Wettstreit unter den vertrauten Amtsgenossen wirklich statt gefunden hat, auf die nachherige Entscheidung sehr leicht vom entscheidendsten Einflusse gewesen sein.

Hätte Schrader oder Schulz aber schon jetzt an den Tod gedacht, so würden sie die letzte Nacht im Gefängnisse ganz gewiß nicht so vollkommen ruhig verbracht haben, wie es wirklich geschah. Es gehört zur Charakteristik des Ganzen, daß wir dies hier ausführlich nach dem genauen und zuverlässigen Bericht des Kaufmanns Baldenius erzählen. Nach dem Schlusse des letzten Verhörs vereinigten sich der Kaufmann Schwarz, der Mühlenmeister Mießner (, beide jetzt verstorben,) und der Kaufmann Baldenius, die Nacht hindurch bei den drei Gefangenen in der Wachstube zu bleiben, um zu ihrer Zerstreuung und Aufheiterung beizutragen. Dies wurde ihnen ohne alle Weigerung erlaubt. Der Director Schrader war so erschöpft, daß er sich aus Müdigkeit bald auf die sogenannte Pritsche (, den Kopf auf einem Tornister,) schlafen legte, und ein schlief. Schulz und Kersten aber führten mit ihren Freunden eine höchst unbefangene, freundliche, gemüthliche Unterhaltung über allerlei Gegen stände. Mit ihnen war als Wache ein Nassau-Usinger in der Stube. Als diesen während der ununterbrochenen Unterhaltung Herr Baldenius misstrauisch an sah, da der Kämmerer gesagt hatte: »ich freue mich recht sehr, daß Ihr uns doch besucht, denn mit uns wird schändlich umgegangen!!!.« und der Soldat dabei beständig mit seinem Säbel auf dem steinernen Fußboden klirrte, fuhr der Kämmerer fort: »lassen Sie das gut sein, Freund Baldenius! Dieser gute Bursche ist uns während unsrer Gefangenschaft recht gewogen geworden. Daß er seinen Degen auf dem Fußboden schwenkt, das thut er nur darum, daß ihn der Schlaf nicht überfalle.« Im Laufe des Gesprächs fragte der Kämmerer auch, wie es mit dem (ihm von Berlin geschickten) Fasse Geld geworden sei? und freute sich sehr, als er hörte, es sei alles in Ordnung. Als die Besuchenden sich nicht enthalten konnten, die Frage hinzuwerfen, was aus der ganzen Sache wohl werden würde? Antwortete der Kämmerer: »wahrscheinlich werden sie uns tüchtig auf den Geldbeutel klopfen;« der Kaufmann Kersten aber sagte: »mir sprachen sie heute schon so etwas vom Todtschießen vor." Gewiß aber sprach er das nur so obenhin aus, ohne selbst jedoch die leiseste Spur des Glaubens daran zu haben, vielleicht wohl selbst so scherzweise, wie etwa eine Stunde vorher zu seiner Frau der Kämmerer zum Fenster heraus eben so scherzend vom Augenverbinden geredet hatte.

So nahm es auch der Kämmerer, denn er erwiderte: »so wie mir die Sache scheint, so können sie Kersten am wenigsten ankommen.«

Nachher schwieg Kersten; die Müdigkeit übermannte nach und nach auch ihn, und er schlief ein.

Schulz dagegen blieb stets gleich munter, ja in vollkommen heitrer Gemüthsstimmung, und dem zufolge die stete Unterhaltung höchst gemüthlich. So fing er einmal an: »sollten sie uns wohl gar auf die Festung bringen? Nun, wenn das auch wäre, Freund Mießner hat ja immer so schönen Weizenstuten; davon schickt er uns dann von einer Zeit zur andern etwas.« (Stuten ist ein Provincialismus für Brod, Backwerk aus Brodteig.) Ach, der Ärmste ahnte nicht, daß für ihn kein irdisches Brod mehr gebacken wurde!

Nach Mitternacht schickten die Ehefrauen der Herren Baldenius und Schwarz der Gesellschaft Kaffe mit Esswerk, und dies wurde auch noch von allen mit voller Ruhe genossen. Besonders der Kämmerer war auch dabei noch nicht nur in guter, sondern sogar in der besten Laune, während die Commission bereits alles zum Morde vorbereitete, das sogenannte Urtheil niederschrieb, die Truppen mit allen nöthigen Befehlen versah, und zwei Bürger, den Bäckermeister Balzer und den Ackerbürger Kohse (, die beide jest todt find,) zu Punct drei Uhr des Morgens (des Mittwochs) des achten Aprils mit Wagen und Pferden vors Rathhaus bescheiden ließ, wobei man ihnen sagte, sie würden nach Perleberg fahren müssen. (Doch musste Kohse, als sie mit ihren Wagen kamen, seine Pferde wieder aus-, und auch noch vor Balzers Wagen anspannen, indem man ihnen erklärte, ein Wagen sei zu der ihnen bestimmten Fuhre genug. Kohse selbst musste nachher sich auch auf Balzers Wagen aufsetzen.)

Es hatte sogar schon die Blutcommission den entlassenen Bürgermeister Krüger in der Nacht beordert, dafür zu sorgen, daß die städtischen Nachtwächter Möhring und Kluth, die zugleich Todtengräber waren, zu jeder Stunde disponibel seien.

Mit dem Glockenschlage vier Uhr (der Thurmuhr) trat ein Sergeant der Nassau-Usinger in die Wachstube, und sprach:

»meine Herren, wer nicht hierher gehört, der sei so gefällig abzugehen.«

Die drei Freunde verließen al so die Wachstube, und setzten sich auf die Bank vor des Kaufmanns Schwarz Thür auf dem Marktplatze, dem Rathhause. schräg gegenüber. Der vier spännige Wagen (mit Balzer und Kohse) fuhr vor die Thür des Rathhauses. Die Truppen erschienen; der größefte Theil der Nassau-Usinger bildete ein an einer Seite offenes Quarré, hinter welchem Dragoner hin und her patrouillirten; die übrigen alle durchzogen die ganze Stadt, und hatten den gemessenen Befehl, durchaus niemanden auf der Straße stil stehn zu lassen, sondern nach Möglichkeit jeden Einwohner, der sein Haus verließ, wieder in dasselbe, selbst mit Gewalt zurückzutreiben.

Jetzt trat auch die Militärcommission vor die Rathhausthür, und die Gefangenen, wie immer ungefesselt, wurden herausgeführt. Nun wurde dem Director Schrader angezeigt, er sei frei gesprochen, und könne nach Hause gehen, was er auch that; den beiden übrigen aber wurde ihr Urtheil vorgelesen, jedoch nur in französischer Sprache, von welcher sie nichts, oder doch zu wenig wussten, um den Inhalt dieses Urtheils zu verstehen. Sie blieben daher ganz unbefangen, und setzten sich, als ihnen befohlen wurde, den Wagen zu besteigen, ruhig hinauf, in der festen Meinung, sie sollten, wie ihnen ja schon so vielseitig angedeutet war, zur Fortsetzung und Entscheidung der Anklage nach Perleberg gefahren werden. Daß sie noch keine Ahnung ihrer Verurtheilung hatten, beweiset folgender Zwischenfall: Schon am Abende vorher, nach dem letzten Verhör, hatte der Kämmerer, als er sah, daß er wider Erwarten auch diese Nacht noch im Gefängnisse bleiben sollte, nach Hause geschickt, um sich von seiner Mutter seinen Mantel zu erbitten. Diese hatte ihm denselben auch geschickt, und er war an einen der Wachhabenden abgegeben, der ihn aber an sich behalten, und dem Käminerer also nicht zugestellt hatte. Als diesem nun auf den Wagen zu steigen befohlen wurde, schickte er eiligst noch einmal zu seiner Mutter, um den Mantel zu erhalten. Diese eilte zur Ehefrau des Gensd'arme ( Bäckermeisters) Schäfer, die ihr gerade gegenüber wohnte, damit dieselbe ihres Mannes Mantel ihr für ihren Sohn leihen möge. Das wollte diese auch willigst thun, und sie nahm deswegen ihres Mannes Mantel, und eilte mit der guten Mutter auf den Markt dem Quarré zu. Die Gefangenen saßen bereits auf dem Wagen, und sie drängte sich daher an diesen hinan, und war eben im Begriff, den Mantel auf den Wagen zu werfen, als sie davon mit Gewalt durch einen Soldaten zurückgehalten wurde, der ihr zurief: er wird sehr bald ganz warm bedeckt werden! Das war der letzte, kurze Augenblick, in welchem die treue, nur in ihren Kindern lebende und sich glücklich fühlende Mutter den so innigst geliebten Sohn sah! Auf dem Wagen hatten sich die beiden Unglücklichen rückwärts setzen gemusst; ihnen gegenüber saßen (vorwärts) zwei Nassau-Usinger, ein dritter vorn beim fahrenden Bäckermeister Balzer, und ein vierter hinten beim Ackerbürger Kohse. Der Wagen fuhr nun ab, indem ihm Dragoner folgten, und zwar quer über den Markt in die Hamburger Straße ( enge Brücke genannt) hinein. Bei diesem Einbiegen sah der Kämmerer seine drei nächtlichen Gesellschafter vor Schwarz's ganz nahem Hause, stand auf, nahm den Hut ab, und rief ihnen mit lauter Stimme zu: Kinder, lebt wohl!

Das waren die letzten Worte, die er in seiner Vaterstadt gewiß als den heißesten Wunsch seines Herzens für sie sprach.

Ein Beweis, wie sehr die Franzosen eilten, ihr Werk zu vollenden, ist auch folgender: Diese drei Freunde, sobald ihnen der Scheidende sein Lebewohl zugerufen hatte, wurden nun doch ängstlich besorgt um ihn und sein Schicksal; sie eilten zum ganz nahe wohnenden Director Schrader, um bei ihm nähern Aufschluß zu erhalten, und, wenn möglich, Beruhigung zu gewinnen. Dieser aber, selbst gänzlich erschöpft, zum Tode erschrocken, schmerzlichst betrübt, halb bewusstlos, rief ihnen jammernd zu: ja, ja, es ist wahr, sie sollen erschossen werden! Geht ihnen nach, und bittet für sie! Dazu waren dieselben auch sogleich entschlossen, und sie wollten deshalb dem Zuge nach-, und zum Thore hinauseilen; sie waren indessen noch nicht über den Markt hinübergekommen, so hörten sie schon die tödtlichen Schüsse.

Der Zug war nämlich, als er zum Hamburger Thor hinaus war, und einige hundert Schritte auf der Perleberger Straße zurückgelegt hatte, von der selben abgewichen, und hatte rechts einen Nebenweg zwischen Scheunen hindurch eingeschlagen. Balzer hatte zwar durchaus nicht von der Perleberger Straße ablenken gewollt, indem er behauptete, ihm sei befohlen, nach Perleberg zu fahren, und das wolle er thun; sogleich aber griffen Dragoner den Pferden in die Zügel, und lenkten, während Balzer selbst von einem andern Franzosen einen Hieb über den Kopf erhielt, den Wagen mit Gewalt in den Nebenweg. Hier nun standen schon französische Truppen, die dann dem Wagen folgten; da rief der Kämmerer schmerzlich aus: nun sehe ich unser Schick sal vor Augen! Sehr bald musste auch der Wagen still halten, auf ganz ebnem, freiem Felde, und sonderbar, merkwürdig, ja rührend genug! gerade auf einer Ackerhufe der sogenannten Teichstücke, die einem sehr vertrauten Freunde des Kämmerers, dem Amtmann Edeler, gehörte, der nicht in Kyritz lebte, und die ihm ihrer Lage und Fruchtbarkeit wegen so sehr gefiel, daß er sie aufs lebendigste selbst zu besitzen wünschte, weswegen der Amtmann aus Liebe zu ihm, und um dem theuern Freunde eine recht herzliche Freude zu machen, auch schon mit ihm übereingekommen war, dieselbe ihm abzutreten. Jetzt ist er, dem sie abgetreten werden sollte, seinem irdischen Theile nach ihr abgetreten! Seine Hülle ruht in ihr!

Als der Wagen hielt, mussten die beiden unschuldigen Opfer absteigen; das Executionscommando umschloß sie, und es wurde ihnen noch einmal ihr Urtheil ganz kurz (, etwa in der Länge von 12 Octavblattzeilen) vorgelesen. Sonderbar ist es indessen, daß man nicht einmal weiß, ob ihnen das selbe deutsch oder französisch vorgelesen ist, und wer bei der Execution commandirt hat. Die Kyritzer reden zwar von einem General, meinen aber gewiß den Präsidenten Le Preux, der jedoch nur Adjutant-Commandant war. Und sollte der Präsident wohl militärisch und executiv commandirt haben? Das scheint der Präsidentenwürde, die er bei diesen Todessprüchen übte, nicht angemessen; wahrscheinlicher ist es al so, daß dieser Führer und Anführer des Executionscommando's der nassau-Isingesche Hauptmann Kergefroid gewesen sei, und dieser Hauptmann deutscher Truppen, umgeben von deutschen Truppen, wird dann doch auch wohl in einer deutschen Stadt den unschuldigen Deutschen, die er morden musste, von denen er wusste, daß sie die französische Sprache nicht verstanden, dies ihr Urtheil deutsch vorgelesen, oder vorlesen gelassen haben, um sie nicht noch im ernsten Augenblick des Todes, der hier wahrlich auch dem Mordenden selbst, wenn er Deutschlands nicht ganz unwürdig war, sehr ernst sein musste, nichtswürdig, tückisch zu verhöhnen. Das wird auch dadurch wahrscheinlich, daß nach Ablesung des Urtheils der Bäckermeister Balzer dem Commandirenden sich zu Füßen warf, und sein ganzes Vermögen ( doch mehrere tausend Thaler) darbot, wenn man die beiden Unschuldigen frei lassen wolle, was ihm indessen natürlich unter den stattfindenden Umständen abgeschlagen werden musste. (Die Kyritzer erzählen zwar, der Commandirende habe deutsch geantwortet: nein, mein Herz ist von Stein! Das kann aber nur als eine unbegründete Volkssage betrachtet werden, denn aus Kergefreid’s Munde wäre es eine erbärmliche Rodomontade gewesen, da der simple Hauptmann nichts zu entscheiden hatte, sondern gehorchen musste, und Le Preux, wenn er wirklich anwesend gewesen wäre, hat schwerlich deutsch gesprochen, und in sofern er es gekonnt hätte, würde er durch solche Worte nicht nur ohne Noth, sondern auch lügenhaft, sich selbst verleumdend sich den Schimpf der Grausamkeit verursacht haben, da auch ihm, wie wir wissen, das Begnadigungsrecht wohl gewiß nicht von Clarke anvertraut war.

Auch über die Art, wie diese Kyritz unvergesslichen Männer ihren Tod erlitten haben, lässt sich sehr wenig mit voller Gewissheit sagen, da der Augenzeugen dabei nur noch eine sehr kleine Zahl, und der Ohrenzeugen auch nicht ein einziger mehr am Leben ist. Ganz entschieden ist es, daß ihrer keiner sich zu einer Bitte erniedrigt, oder durch Murren, Klagen, Jammern sich vor den Mördern entwürdigt hat. Als ihnen angekündigt wurde, ihnen seien nur noch einige Augenblicke übrig, sich zum Tode und auf die Ewigkeit vorzubereiten, küsste der Kämmerer den braven Balzer, und sprach zu ihm mit voller Ruhe und Resignation: diesen Kuß, Bruder, gieb meiner Mutter! Sag mein Lebewohl ihr, meiner Schwester, allen den Meinen, allen Kyritzern! Der arme Kersten aber, in seiner innigen Liebe zu Weib und Kind tiefer erschüttert, sprach trauernd: ach, meine arme Frau und mein Kind! Als Kersten nun sich nach dem Befehl (mit seinem Taschentuche) die Augen verbinden sollte, vermochte er dies nicht zu vollenden, weil ihm die Hände zitterten, so daß der Kämmerer ihm noch Fassung und Muth zu sprach, und Balzer ihm bei diesem traurigen Geschäfft helfen musste. Diesem überreichte er auch zur Abgabe an die Seinigen seine (goldne) Uhr und Geldbörse (nebst Messer und Tabaksdose), und kniete dann auf einem ganz kleinen Sandhügel nieder[4]. Die meisten behaupten, der Kämmerer habe ebenfalls, jedoch mit voller Ruhe, sich die Augen verbunden, und dann niederknien gemusst; doch leugnen dies einige, und sagen, er habe die Schüsse fest stehend, mit entblößter Brust unter dem Rufe: trefft gut! erhalten. Auf jeden Fall ist er mit dem festesten Muth, frei von aller Furcht und Ängstlichkeit gefallen, so daß zu seinem Bruder der Justizrath Robert wenige Tage nachher in Berlin mit voller Wahrheit sagen konnte: er ist wie ein Held gestorben!

Kersten wurde durch die Schüsse sogleich getödtet, und zwar, sagen viele, so furchtbar, daß man nachher noch Theile der Hirnschale ( selbst mit Haaren) in der Nähe des Opferplatzes gefunden hat. Schulz hingegen starb nicht unmittelbar nach den fünf Schüssen, die er empfing, sondern bewegte sich noch, und schlug mit den Händen; da sprang dann ein mitleidiger Nassau-Usinger zu ihm, und schoß ihm ins Herz mit den Worten: aus liebe, du unschuldiges Blut, will ich dir zum Tode helfen!

Im Augenblick, als die Schüsse ertönten, eilten alle Kyritzer, die sie hörten, aus ihren Häusern, nach dem Hamburger Thor hin, und der Mordstelle zu, wobei sie auch nicht mehr aufgehalten wurden. Der Posthalter Toppel nun, wie alle, wissend, welches Unglück die Stadt getroffen hatte, schickte in inniger Liebe zu den Gefallenen augenblicklich einen Wagen ab, um die irdischen Hüllen der Opfer französischer Unmenschlichkeit aufzunehmen, und zur Beerdigung nach dem Kirchhofe zu fahren. Der Wagen kam auch ungehindert bis zur Frevelstäte, und die ihn fahrenden Postillone hatten bereits Kerstens Leichnam auf denselben gelegt, als sie von französischen Dragonern mit Gewalt auf- und abgehalten, und zugleich gezwungen wurden, den Todten wieder auf die Erde niederzulegen, indem ihnen gesagt wurde, es sei Befehl gegeben, die Erschossenen am Orte der Execution selbst zu beerdigen. Es erschienen dann auch sogleich die schon erwähnten Todtengräber, zu deren einem, dem noch lebenden Möhring, gleich nach den Schüssen der Bürgermeister Krüger selbst gekommen war, und ihm befohlen hatte, nebst dem andern mit den nöthigen Werkzeugen nach der Mordstelle zu eilen, und den Todten ihr Grab zu graben. Das thaten sie nun auch), und sie legten die selben (natürlich ohne Sarg) neben einander auf den Rücken hinein, wurden aber in tiefer Betrübniß und Herzensangst dadurch so sehr erschöpft, daß sie nicht mehr im Stande waren, die Grube wieder mit Erde zu füllen, und den Erdhügel darauf zu errichten, sondern dies legte Geschäfft andern überlassen mussten.

Die Truppen zogen nach dieser ihrer grässlichen Heldenthat still wieder in die Stadt zurück, vereinigten sich sogleich mit den übrigen in dieser zurückgebliebenen, und marschirten ohne allen Aufenthalt eben so still nach Berlin ab. (Balzer und Kohse mussten Effecten von ihnen auf ihren Wagen laden; und bis nach Fehrbellin fahren. Auch die ganze Commission folgte ihnen unverzüglich dahin nach. Nur Trauer und Betrübniß, Wehklage und Jammer, Seufzer und Thränen, doch unbemerkt gewiß auch die tiefste Entrüstung, der bitterste Haß und die inbrünstige Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach Bestrafung der Ruchlosigkeit blieben in ihr zurück.

Ja, wie der echt preußisch, echt deutsch gesinnte Geheimrath von Stägemann an des Kämmerers Bruder in Berlin am 2. August 1807 schrieb: »Die Geschichte Ihres unglücklichen Bruders ist ein blutiges Blatt in unsrer Dornenkrone; sie muß im Andenken der Deutschen nicht untergehen, (denn) nur in Deutschland kann der Rächer erwachen« ,so konnte der Schmerz und Jammer der Kyritzer, deren Herzen durch die Dornenstachel der blutigen Geißel der Schergen des Corsen so furchtbar verwundet wurden, nicht ohne Ingrimm, ja selbst nicht ohne Wunsch, ohne Drang bleiben, am eigentlichen Urheber alles dieses, so wie unzähligen andern Unheils gerechte Strafe zu üben. Und als nach kaum zweimal drei Jahren im Urtheilsspruch der ewigen Gerechtigkeit Nemesis so wunderbar, so erschütternd, so erhebend und weihend schaltete und waltete, und der Schnee von Moskau das verschlossene Feuer im Herzen von Millionen gewaltsam entwürdigter Menschen zur hellen, gen Himmel leuchtenden, brennenden Flamme emporlodern ließ: da brachte im geheiligten Eifer auch jeder Kyritzer, der sich regen und bewegen konnte, freudigst Hab und Gut, Leib und Leben der großen Sache der Wiedergeburt und Erhebung Preußens wie Deutschlands zum gebührenden Opfer dar, und in unsrer Kirche prangt auf der ehrenden Gedächtnisstafel ein langes Namensverzeichniß derjenigen braven Kyritzer, die ihr geweihetes Andenken an Schulzund Kersten willig auch mit ihrem Blute besiegelt haben im Tode für König und Vaterland.

* * *

Nachträglich sei noch bemerkt, daß ein wackerer alter Bürger, Weferling, dessen Wohnhaus und Grundstück vorm Hamburger Thor lag, in der Stunde der Greuelthat nach deren Schauplatz eilte, noch Augenzeuge der selben wurde, und sehr bald nachher die Grabstäte mit Eichen und Blumen, wenige Tage später auch den ganzen Weg zu ihr von der Gegend des Thores an mit Pappeln bepflanzte. Doch war die französische Behörde in Perleberg so gefühllos, und zugleich so ängstlich bemüht, die Schandthat nach Möglichkeit aller Augen zu verbergen, daß sie diese Pappelbäume wieder abzuhauen befahl, wie sie sogar auch den Familien der Ermordeten das Tragen der Trauerkleidung verbot. Erst nach mehreren Wochen gab sie diesen die Erlaubniß, die Leichen der Opfer ihrer Unmenschlichkeit wieder auszugraben, und auf dem Kirchhofe der Stadt zu beerdigen. Mit vollem Rechte erklärten die selben jedoch: das sei nun zu spät; nach so langer Zeit würde und könne dies Ausgraben nur einen Anblick gewähren, der ihren wie aller Augen und Herzen, Empfindungen und Erinnerungen in jeder Hinsicht widrig, peinlich und quälend werden, sein und bleiben müsse. Dagegen haben des Kämmerers Mutter und Geschwister in ihrem Garten (vorm Holzhauser Thore) ein Denkmal von Sandstein errichtet; auf dessen einer Seite stehen die Worte: »Dem unvergänglichen Andenken des besten Sohnes und Bruders! auf einer andern, ihr gegenüber, ganz einfach bloß: dem 8. April 1807.«

Die Bürger schaft bat übrigens den Magistrat, zum Andenken und Beweise ihrer Verehrung, Liebe und Dankbarkeit gegen diesen ihr so grässlich entrissenen verdienstvollen Beamten seinem Schwager, den schon genannten Herrn Jüterbock zu seinem Nachfolger als Kämmerer zu wählen, was auch sogleich geschah, da der Magistrat mit der Bürgerschaft ganz gleiche Gesinnungen, Gefühle und Ansichten hatte.

Zum Schlusse folge endlich der untergeschobene, unechte Urtheilsspruch der Militärcommission. Er ist auf einer Seite eines großen Bogens abgedruckt, links in französischer, rechts in deutscher Sprache. Es genügt gewiß, wenn wir hier nur den deutschen Abdruck buchstäblich wiedergeben. In Ansehung des Inhalts dieses saubern Machwerks müssen wir, um den Leser nicht durch Wiederholungen zu ermüden und zu ekeln, uns darauf beschränken, von den vielen Irrthümern und Verdrehungen des selben nur zwei noch ganz kurz zu berühren.[5]

Das Ganze, welches den Namen Urtheil schändet, indem es nichts als ein im Voraus bestimmter Mordspruch ist, giebt als einzige Begründung des Todesspruchs das Gesetz an: »Es sollen zum Tode verurtheilt werden alle, welche u.s.w. einen Raub u.s.w. verübt, oder zu verüben gesucht haben. Dieses ist auch auf ihre Gehülfen, Anstifter und Beförderer anwendbar.« Der frechste Hohn ist aber die schändliche Lüge, irgend ein Magistratsglied und Kersten seien Gehülfen, Anstifter oder Beförderer des Raubes des Judengeldes gewesen.

Dabei wird der Kämmerer immer als Bürgermeister aufgeführt. Das ist nicht etwa Unwissenheit oder Leichtsinn, sondern die tückischeste Bosheit und Nichtswürdigkeit. Allen, welche den Zusammenhang der Sache auch gar nicht einmal kannten, musste ja, wäre Schulz als Kämmerer aufgeführt, der Unsinn des Urtheils aufs schreiendste einleuchten, wenn alle Glieder eines Magistrats, zwei Bürgermeister und ein Kämmerer, unter der ganz gleichen Anklage des Mangels an Widerstand gegen die Räuber vor Gericht stehen, denjenigen zum Tode zu verurtheilen, der für sich allein in städtischen Angelegenheiten gerade gar nichts thun gedurft und gekonnt hätte. Wäre es dem Kämmerer auch nur möglich gewesen, selbst wenn er es noch so sehr gewvolt hätte, ohne oder gar wider Befehl des Magistrats, und namentlich seines Directors, unbewaffnete Bürger, die noch dazu die Ankunft von Preußen eigentlich wohl alle gern sehen mussten, zum gewaltthätigen Widerstande gegen eine bewaffnete Schaar zu zwingen? Kannte man denn deren Stärke, Hülfsmittel und Unterstützung? Drohte sie nicht für den Fall der geringsten Widersetzlichkeit die furchtbarste Rache eines allgemein gefürchteten und zugleich geliebten mächtigen Parteigängers? Und war sie nicht auch schon für sich allein stark genug, den ganzen Magistrat und Einwohner nach Belieben zu er schießen, ja die Stadt an allen Seiten in Brand zu stecken? Fürchteten doch die Franzosen selbst diesen Parteigänger und sein Corps so sehr, daß, als wenige Tage nach dem Eindringen der kleinen Schaar der Commandant Lefebre und der Intendant Gaspar mit einer stärkeren Anzahl Nassau-Usinger und den Gensd'armes von Perleleberg, Wittstock und Kyritz ihr nachsetzte, die immer als einige Meilen vor ihnen voraus angegeben wurde, und sie so bis zu dem Städtchen Fürstenberg und zum Müritzsee gekommen waren, diese französischen Helden, wie wir wissen, den Verfolgern umzukehren, und nach Hause zu gehen befahlen, ohne einen Feind gesehn zu haben, bloß weil da in Meklenburg doch wohl mehrere, zu viele Schillianer sein könnten! Doch es bedarf keines Worts weiter. Und Heil uns! die edlen Märtyrer sind gerechtfertigt und entsühnt! Gott hat gerichtet!


[1] Als die Meklenburger, namentlich aus Eifersucht über den damaligen Wohlstand von Kyritz , der besonders eine Folge der sehr bedeutenden Ausfuhr feines guten, starken Biers, Mord und Todtschlag genannt, war , die Stadt, die damals noch eine Festung war, im Jahr 1381, und eben so wies der im Jahr 1411 unter Anführung eines Kriegsobersten von Bassewitz bekriegten, belagerten und plündernd, mordend und brennend eroberten, haben die Kyritzer, ohne militairische Hülfe, in Muth und Gottvertrauen, beide male die Feinde wieder aus der Stadt vertrieben, und zum Frieden gezwungen . Bassewitz fand dabei seinen Tod durch den Rathmann Brunner.

Das Andenken an diese ihre Errettung feiert die Stadt seit 1381 jährlich am Montage nach Invocavit durch ein kirchliches Lob- und Dankfest und Spendung vieler Wohlthaten.

[2] Es fängt Bignons Brief (vom 26. August 1807) buchstäblich so an: Son Excellence Monsr' le Général Clarke ayant reconnu, que feu Mr. Lepreux Adjudant Général avoit reçu en indemnité de la ville de Kyritz une somme de 2400 francs, à la quelle cet officier n'avoit pas droit, s'est engagé, d'en faire effectuer la restitution.

[3] In An sehung ihrer sei noch bemerkt, daß fie bei dieser ihrer Anwesenheit Kerftens Haus nicht wieder betraten, sondern in einem Gasthofe (zum weißen Rosse) wohnten, und nur am Tage nach der Ermordung durch ihren Fuhrmann sich von Kerstens Wittwe die zwei Louisd’ors wieder abfordern ließen, die früher bei der Strohbehandlung als Angeld gezahlt waren.

[4] Nach der Behauptung seiner noch lebenden Schwester soll er kniend den Liedervers gebetet haben:

Ich komme, höchster Gott, zu dir, und lieg auf meinen Knieen.
Ach, willst du denn so ganz von mir, du liebster Vater, fliehen?
Bei den folgenden Worten: ach nicht, ach nicht! habe ihn das tödtliche Geschoß erreicht.

[5] Wir können uns hier der Frage nicht enthalten: ist es wirklich wahr, was alle Kyritzer behaupten, daß Le Preux, der Präsident und Leiter beim (echten) Urtheilsspruch, im furchtbaren Walten der Nemesis schon acht Tage nachher in Berlin im Wahnsinn voll Wuth und Verzweiflung gestorben ist?


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