Denkschrift über die Hinrichtung des Kämmerers Carl Friedrich Schulz und des Kaufmanns Carl Friedrich Kersten durch die Franzosen in Kyritz am 8. April 1807

von Heinrich Bauer

Vorwort

Bei dem ununterbrochenen Strome der merkwürdigsten, umfangreichsten, theils erhebenden und hocherfreulichen, theils demüthigenden und tief betrübenden Begebenheiten unsers Jahrhunderts konnte die kleine Stadt Kyritz wohl nicht erwarten, daß die Bekanntmachung einer am Anfange desselben in ihr begangenen Greuelthat französischer Truppen, verübt nach dem Befehl und Sinn des grässlichen Corsen, noch jetzt bei vielen Deutschen, und selbst auch nur Preußen lebendige Theilnahme erregen könnte, wie wehmüthig und schmerzlich auch sie selbst stets derselben eingebenk geblieben ist.

E haben ja durch diesen Attila, diese unglückselige Geißel des Unerforschlichen, unzählige solcher, sogar noch ärgerer Greuelthaten, und in unübersehbar erweitertem Umfange statt gefunden, wodurch Millionen unsrer Menschenbrüder hingemordet, und noch weit mehrere Millionen derselben für ihr ganzes Leben weniger oder mehr oder ganz unglücklich geworden sind (, wobei es wahrlich weder sein Verdienst noch sein Wille war, daß des Heiligen, Allweisen, wunderbare, anbetungswürdige Huld unübersehbare Ärnten des Heils aus diesen bösesten Saaten der Sünde hervorgerufen hat). Und dies alles scheint schon nach einem Vierteljahrhundert so ganz vergessen zu sein[1], daß diesen inhumanen, ungerechten, unsittlichen Selb stsüchtling, der nur sich und seinen wilden Leidenschaften, seiner verdammungswürdigen Ehr- und Herrschsucht fröhnte, auch heut noch nicht nur der größeste Theil seines gallischen Volks aufs höchste preiset, verehrt und bewundert, sondern daß selb st, ach! nur zu viele Deutschen, ─ im innersten Seelen- und Herzensschmerze möchte man blutige Thränen darüber weinen! ─ ihn und sein scheußliches Thun und Treiben nicht genug zu erheben und zu rühmen wissen.

Dennoch aber ist es gerade in den legten Jahren unsrer Stadt, und namentlich deren Magistrate von sehr vielen Seiten her, nicht bloß von Preußen, sondern von Deutschen jeden Stammes, aus Süd- wie aus Norddeutschland, auch öffentlich in Druck-, und besonders durch Zeitschriften und Zeitungen zum Vorwurfe gemacht worden, daß noch immer nicht die schändliche, mörderische Rechts- und Menschlichkeitsverletzung, die bei dem gedachten Vorgange statt gefunden hat, ausführlich zur allgemeinen Kenntniß gebracht ist.

Und Dank und Ehre und Heil denen, die uns diesen Vorwurf machen! Er thut trostvoll dem Herzen wohl, denn er kommt aus echt preußischen, echt deutschen Herzen, und er will, auch durch allgemeine Bekanntwerdung dieses Frevels, zur Erhaltung, Läuterung, Weihe und Erhöhung des echt preußischen, echt deutschen Sinnes so viel beitragen, wie er vermag.

So entschuldigt denn dieser unsrer Stadt gemachte Vorwurf nicht bloß, sondern er rechtfertigt selbst die Herausgabe der gegenwärtigen kleinen Schrift.

Ja, seit der nichtswürdigen Hinrichtung der beiden edlen Märtyrer Schulz und Kersten, welche sie erzählt, lag es immer im Wunsche der Wehmuth und Trauer aller Mitbürger derselben, das stete Andenken an diese schuldlosen Opfer der Tyrannei des Unersättlichen, unter dessen blutige Gewalt unser jedem wahren Preußen unaussprechlich theures Vaterland damals zu versinken in Gefahr schien, durch eine öffentliche Bekanntmachung des Mordes dem ganzen Deutschlande an's Herz zu legen; und nur, wie gesagt, die Scheu, daß bei den großen Weltbegebenheiten, bei den furchtbaren Stürmen, welche seit dieser Zeit ganze Staaten und Reiche, und später auch psychisch ganze Völker, ganze Gemeinschaften großer Kirchen erschüttert und durchwühlt haben, und noch erschüttern und umwühlen, diese Erzählung über das Unheil, das zwei einzelne, wenn auch noch so wackere, doch wenig bekannte Männer einer kleinen Stadt betroffen hat, als eine Anmaßung erscheinen dürfte, schien es zu einer Pflicht sich gebührender Bescheidenheit zu machen, jenem Wunsche nicht nachzukommen. Da indessen jetzt die öffentliche Aufforderung dazu schon seit Jahren sich immer öfter und lauter und dringender, und von immer mehreren Seiten her erneuert, so stellt es sich sogar als eine uns unerlässliche Pflicht dar, ihr Genüge zu leisten. Und so erfülle ich denn willig den Wunsch des Kyritzer Magistrats, in den folgenden Blättern diese beweinenswerthe Begebenheit einfach zu erzählen, wie sie sich aus den dar über noch vorhandenen Actenstücken, die der gegenwärtige Bürgermeister sogleich gesammelt hat, und aus den Nachrichten noch lebender Augenzeugen derselben ergiebt. Ich muß nämlich bemerken, was mir zur Entschuldigung dienen möge, wenn ich, bei allem Ernste meiner Bemühung, doch wohl nicht im Stande sein dürfte, den ganzen Zusammenhang und alle einzelnen Umstände des Vorgangs vollständig und vollkommen genau mitzutheilen, daß ich selbst nicht Augenzeuge desselben gewesen bin, sondern damals noch in Potsdam lebte. Dort lernte ich die Franzosen vielleicht von ihren besten Seiten der äußern Bildung und Geschliffenheit, auch der Gutmüthigkeit und Bravheit ihrer altgermanischen Abkunft kennen, indem selbst schon die Klugheit, und bei den Hochgestellten namentlich auch die Staatsklugheit sie veranlasste, sich in dieser Königsresidenz, im Schlosse des Königs, unter den Augen seiner treusten Verehrer, instruirt und beobachtet von ihrem eigenen Herrscher, dem sich eben solche Klugheit nicht absprechen lässt, stets eben von diesen ihren besten Seiten zu zeigen. Tausende dieses Volks lernte ich so als liebens- und lobenswürdig kennen. Dies konnte indessen so wenig mich, wie irgend einen wahren Preußen und Deutschen bestechen, daß ich nicht ein ganz anderes Urtheil über das Ganze, über das ganze Staaten- und Völkerverhältniß fällen gemußt hätte, wie es sich schon während des Laufs der ganzen französischen Revolution gebildet hatte, und wie es sich seitdem immer mehr bewährt, und bis heute unverändert erhalten hat. Und so ist es denn mein ernstester, inbrünstigster, mein frommster Wunsch: möge auch diese kleine Schrift das Wenige, was sie vermag, dazu beitragen, daß wir Preußen, wir Deutsche alle uns nicht zersplittern, auch nicht in unsern politischen Ansichten, Wünschen und Strebungen, auf daß wir nicht dadurch uns selbst und unsre Kraft und Macht schwächen! Mögen wir Preußen, alle wir Deutsche immer mehr ein eigenes, in Weisheit und Kraft, wie in echt frommer Liebe zu Gott, so in geweihter Liebe zum Vaterlande und zu dessen Herrscher wahrhaft starkes Brudervolk werden, sein und bis in die spätesten Jahrhunderte bleiben!

Ach, es waren Deutsche, welche den französischen Befehl zur Ermordung der Kyritzer Schlachtopfer vollzogen!

Kryritz, am 24. Januar 1845.

Dr. Bauer.


[1] Wer gedenkt z.B., um von den unzähligen der Kryrißer ähnlichen Mordthaten nur einige anzuführen, noch der im Königreich Westphalen bei Cassel verübten Erschießung des alten Obersten Emmerich, des Professors Sternberg, und des von Hasserodt, wobei ein französischer Officier, das allgemeine Erwachen des deutschen Sinnes ahnend, bedenklich ausrief: ces gens meurent comme des Césars?


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