Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Achtzehntes Buch: Das Leben in Florenz.

Das Leben in Florenz.

Fünftes Kapitel

Einiges aus Corinnens Gedanken.

»Mein Talent ist dahin! Das thut mir weh. Ich hätte gewünscht, daß wenigstens der Ruhm meines Namens einst zu ihm dringe, hätte gewollt, daß er, wenn er meine Schriften läse, die Sympathie in ihnen wiederfände, die uns einst zu einander zog.

»Ich irrte, als ich hoffte, er werde nach der Rückkehr in seine Heimat, zu seinen alten Gewohnheiten sich noch die Anschauungen und die Denkweise bewahren, welche allein uns vereinigen konnten. Es läßt sich gegen eine Frau, wie ich es bin, so viel einwenden! Und auf alles das giebt es nur die eine Antwort: mein Geist und meine Seele! Aber was gilt den meisten Menschen diese Antwort?

»Man hat indessen unrecht, die Ueberlegenheit des Geistes und der Seele zu fürchten: sie ist äußerst sittlich, diese Ueberlegenheit: denn Alles zu verstehen macht sehr nachsichtsvoll, und aus tiefer Empfindungskraft geht große Güte hervor.

»Wie kommt es nur, daß zwei Wesen, die sich ihre innersten Gedanken anvertrauten, die miteinander von Gott, von der Unsterblichkeit der Seele und von ihren Schmerzen geredet, wie kommt es, daß sie jemals einander wieder fremd werden können? Welch unergründliches Geheimniß ist die Liebe! Welch wundervolles Gefühl oder welches Nichts! Heilig wie das Märtyrerthum oder kälter als die kälteste Freundschaft. Es giebt nichts Unfreiwilligeres als sie; aber kommt sie vom Himmel oder stammt sie aus irdischer Leidenschaft? Muß man sich ihr unterwerfen, oder sie bekämpfen? Ach! was für Stürme erschüttern das Menschenherz!

»Das Talent sollte doch Rettung gewähren können. Domenichino, der Freiheit beraubt, malte die herrlichsten Bilder an die Wände seines Gefängnisses; zum Gedächtniß seiner Anwesenheit ließ er Meisterwerke zurück. Er jedoch litt nur durch äußere Verhältnisse; das Uebel lag nicht in der Seele! Ist es dort, dann wird Alles zur Unmöglichkeit, dann ist die Quelle von Allem versiegt.

»Zuweilen prüfe ich mich, als wäre ich mir eine Fremde, und habe dann Mitleid mit mir selber. Ich war geistreich, gut, wahr, großmüthig, gefühlvoll – warum wandelt sich das Alles zu so vielem Schmerz? Ist die Welt denn wirklich böse, und berauben uns gewisse Eigenschaften der Waffen, anstatt uns Kraft zu geben?

»Es ist schade um mich; ich wurde mit einigem Talent geboren und werde, wiewohl ich berühmt bin, sterben, ohne daß man mich kennt. Wäre ich glücklich gewesen, hätte die Fiebergluth der Leidenschaft mich nicht verzehrt, so würde ich mit hohem Sinn das menschliche Schicksal in meine Betrachtung gezogen, und in demselben noch ungekannte Beziehungen zwischen der Natur und dem Himmel entdeckt haben; aber das Unglück hat mich mit eisernem Griff erfaßt! Wie kann ich frei denken, wenn es sich mit jedem Versuch aufzuathmen so schmerzhaft fühlbar macht ?

»Warum zog es ihn denn nicht an, eine Frau glücklich zu machen, deren Inneres er allein erschließen konnte? die nur zu ihm aus Herzensgrund zu reden vermochte? Ach, man kann sich wohl von den gewöhnlichen Frauen trennen, die nach dem Zufall lieben; aber das Weib, dem es Bedürfniß ist, in dem Manne, den es liebt, ein Vollkommenes zu sehen, das sich neben schwärmerischer Einbildungskraft ein scharfsichtiges Urtheil erhielt, für dieses giebt es nur einen Gegenstand im Weltall!

»Ich hatte das Leben aus Dichtern kennen gelernt; es ist nicht also. Die Wirklichkeit hat etwas Zähes, Trockenes, das zu überwinden man vergeblich anstrebt.

»Wenn ich mir meine früheren Erfolge zurückrufe, überkommt mich ein Gefühl des Zorns. Weshalb mir sagen, daß ich bezaubernd sei, wenn ich nicht geliebt werden sollte? Wozu mir Vertrauen einflößen, auf daß es noch fürchterlicher sei, enttäuscht zu werden? Wird er bei einer Andern mehr Geist, mehr Verständniß, mehr Zärtlichkeit finden als bei mir? Nein, er wird weniger finden und befriedigt sein, denn er wird sich in Uebereinstimmung mit der Gesellschaft wissen. Welche lügnerischen Freuden, welche eingebildeten Leiden sie giebt!

»Im Angesichte der Sonne und des gestirnten Himmelsgewölbes, da bedarf es nur der Liebe, und daß man sich einander würdig fühle. Aber die Gesellschaft, die Gesellschaft! Wie sie das Herz verhärtet und den Geist verkleinlicht! Wie sie nur auf das hinleben läßt, was man uns nachreden könnte! Wie rein und leicht könnten wir athmen, wenn die Menschen sich eines Tages wiederfänden: jeder vom Einflusse des Andern befreit. Wie viel neue Gedanken, welche wahren Gefühle würden ihnen zuströmen!

»Auch die Natur ist grausam. Mein Angesicht – es wird verwelken, und umsonst empfände ich dann die herzlichste Neigung: in erloschenen Augen kann meine Seele sich nicht mehr malen, nicht mehr könnten sie für mein Flehen erweichen.

»Es wühlen Schmerzen in mir, die ich niemals, auch nicht im Schreiben, werde ausdrücken können; die Kraft fehlt mir dazu; nur die Liebe vermöchte diese Abgründe zu erforschen!«

»Wie glücklich sind die Männer! Sie können in den Krieg gehen, ihr Leben aussetzen, an die Ehre sich fortgeben, der Begeisterung und Gefahr sich überlassen. Doch für die Frauen giebt es im Außenleben nichts, was ihnen Linderung gewährte; vor dem Unglück brechen sie hülflos zusammen und ihr Dasein ist nichts mehr als eine lange Todesqual.

»Musik, wenn ich sie höre, ruft mir zuweilen meine Talente, ruft mir Gesang, Tanz und Dichtkunst zurück, und das Verlangen faßt mich, vom Unglück erlöst zu sein, es mit der Freude nochmals zu versuchen. Aber dann schüttelt mich plötzlich ein innerer Schauder; es ist, als wäre ich ein Schatten, der noch am Leben bleiben möchte, während des Tages anbrechende Strahlen und das Nahen der Lebendigen ihn zu verschwinden zwingt.

»So gern möchte ich für die Zerstreuungen der Welt empfänglich sein; früher liebte ich sie und sie waren mir wohlthätig. Die Beweglichkeit ihrer Eindrücke war meinem Geiste vortheilhaft, weil das einsame Nachdenken mich oft zu sehr ins Weite führte. Jetzt verräth mein starres Auge, daß meine Gedanken erstarrten: Heiterkeit, Anmuth, Einbildungskraft, was ist aus euch geworden? Ach! ich möchte noch einmal hoffen können, noch ein einziges Mal; und wär's auch nur auf einen Augenblick! Doch Alles ist erstorben, die Wüste ist ohne Erbarmen: der Tropfen Wasser ist versiegt, wie die Quelle, und das Glück auch nur eines Tages wird so schwierig wie das Geschick eines ganzen Lebens.

»Ich finde ihn strafbar gegen mich; vergleiche ich ihn aber mit andern Männern, wie erscheinen mir diese dann erbärmlich, beschränkt, unnatürlich! Und Er: ein Engel! Aber ein Engel mit dem feurigen Schwert, der mein Leben vernichtete. Der Geliebte wird zum Rächer der Fehler, die man auf Erden begangen; die Gottheit leiht ihm ihre Macht.

»Nicht die erste Liebe ist unauslöschlich, sie kommt aus dem Bedürfnis zu lieben; wenn man aber das Leben kennen lernte, wenn man auf der Höhe seiner Urtheilskraft steht; und dann dem Geiste, dem Herzen begegnet, das man bis dahin vergeblich gesucht, dann ist das Ideal von der Wirklichkeit bezwungen und man hat ein Recht, unglücklich zu sein.

»Wie unsinnig, werden im Widerspruch damit die meisten Menschen sagen, wie unsinnig: aus Liebe zu sterben. Als ob es nicht tausend andre Weisen gebe, wie sich's leben läßt. Für Den, der sie nicht fühlt, ist jede Art von Begeisterung lächerlich. Poesie, Aufopferung, Liebe und Religion, sie haben denselben Ursprung. Es giebt Menschen, in deren Augen diese Gefühle Thorheit sind. Wenn man will, ist Alles Thorheit, mit Ausnahme der Sorge für die Existenz; in allem Uebrigen kann es Irrthum und Täuschung geben.

»Er allein verstand mich. Das besonders macht mein Unglück so schwer; und vielleicht wird er noch einst finden, daß auch ich allein ihn verstand. Ich bin zugleich die anspruchloseste und anspruchvollste Frau; alle wohlwollenden Menschen genügen mir zu vorübergehender Gesellschaft, aber mit innerstem Vertrauen, mit wahrhaftigster Neigung konnte ich auf der Welt nur Oswald lieben. Sein Geist, seine Fantasie, sein Gefühl, welche Vereinigung! Wo in der Welt fände sie sich wieder? Und der Grausame besaß alle diese Eigenschaften, oder wenigstens ihren zauberhaften Schein.

»Was hätte ich den Andern zu sagen? Mit wem noch zu reden? Welcher Zweck, welch Interesse bliebe mir? Ich habe das bitterste Leid, das beseligendste Gefühl erfahren, was kann ich noch fürchten? was hoffen? Die todte Zukunft ist für mich nur das Gespenst der Vergangenheit.

»Warum sind die glücklichen Situationen so vorübergehend? Was ist an ihnen vergänglicher als an den andern? Ist der Schmerz ein Gesetz der Natur? Das Leiden ist für den Körper nur ein Krampf, aber für die Seele ein dauernder Zustand.

Ahi! null altro che pianto al mondo dura.

Ach in der Welt ist dauernd nichts, als Thränen.

»Eine andere Welt! Ein künftiges Leben! Das ist meine Hoffnung. Aber so mächtig ist diese Gegenwart, daß wir unser irdisches Fühlen und Leiden noch im Himmel wieder suchen. Wo beginnt die Schattenwelt, wo ist die Wirklichkeit? Es giebt nichts Gewisses, als den Schmerz; nur er hält unbarmherzig, was er verspricht.

»Ohne Unterlaß sinne ich über die Unsterblichkeit nach; zwar nicht über die, welche uns die Menschen zuerkennen. Nein, jene Kommenden, welche, um mit Dante zu reden, die gegenwärtige Zeit die alte nennen werden, sie beschäftigen mich nicht mehr. Aber an die Vernichtung meines Gefühls will ich nicht glauben. Nein, o mein Gott, ich glaube nicht daran. Es ist für dich, dies Herz, das er nicht wollte, und das du noch gnädig aufnehmen wirst, nachdem ein Sterblicher es verschmäht.

»Ich fühl's, daß ich nicht lange leben werde, und dies giebt mir Geduld. In meinem Zustande ist es süß, allmählig zu ermatten; damit stumpft auch die Fähigkeit zu leiden ab.

»Ich weiß nicht, warum man in der Verwirrung des Schmerzes des Aberglaubens fähiger ist, als der Glaubenskraft. In Allem finde ich eine Vorbedeutung und weiß doch mein Vertrauen in Nichts zu setzen. Ach! wie süß ist die Andacht im Glücke! Wie dankbar gegen das höchste Wesen muß Oswalds Gattin sein!

»Gewiß ist's: der Schmerz bildet den Charakter aus; in Gedanken hält man seine Fehler gegen sein Unglück und glaubt sie in sichtbarer Verbindung mit einander zu finden; allein auch diese heilsame Wirkung sollte ihre Beschränkung haben.

»Ich bedarf vorher noch tiefernster Sammlung, ehe ich den stillen Uebergang zu einem stillern Leben antreten kann:

... ... tranquillo vareo

A più tranqilla vita.

»Wenn ich nur erst völlig krank sein werde, muß doch auch Ruhe über mein Herz kommen. In den Gedanken eines Sterbenden ist oft so viel Unschuld, und die Gefühle, welche dieser Zustand bringt, sind mir eben recht.

»Unbegreifliches Räthsel des Lebens, das weder von der Leidenschaft, noch vom Schmerz, noch vom Genie gelöst zu werden vermag, wirst du dich dem Gebete offenbaren? Vielleicht erklärt eine einzige Idee – die einfachste von allen – diese Mysterien! Vielleicht standen wir in unseren Grübeleien tausendmal dicht vor ihrer Lösung; nur ist der letzte Schritt unmöglich, und unser nach allen Richtungen vergebliches Bemühen ermüdet zuletzt die Seele. Es ist Zeit, daß die meine zur Ruhe gehe.

»Ferinossi al fin il cor che balzò tanto.«

»Still ward das Herz, das einst so heftig schlug.«

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