Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Achtzehntes Buch

Sechstes Kapitel

Fürst Castel Forte trennte sich von Rom und nahm seinen Aufenthalt in Florenz. Corinna war ihm für diesen Beweis seiner Freundschaft sehr dankbar, wenn es sie auch etwas befangen machte, daß sie die Unterhaltung nicht mehr mit all dem Zauber erfüllen konnte, den sie früher hineinzulegen vermochte. Sie war zerstreut und schweigsam; die Abnahme ihrer Gesundheit raubte ihr auch die nöthige Kraft, um selbst nur für einen Augenblick über die Gefühle, welche sie beherrschten, zu siegen. Sie zeigte in ihrer Rede noch jene Theilnahme, welche aus dem Wohlwollen für Andere fließt, aber der Wunsch zu gefallen, belebte sie nicht mehr. Eine unglückliche Liebe erkältet alle anderen Zuneigungen. Man kann es sich selbst kaum verdeutlichen, was in der Seele vorgeht; aber so viel man durch das Glück gewann, so viel verliert man durch das Leid. Das reiche, gesteigerte Lebensgefühl, mit welchem die beglückte Liebe der ganzen Schöpfung froh wird, erstreckt sich auf alle Beziehungen des Lebens und der Gesellschaft, und wenn diese unermeßlich schöne Hoffnung zerstört wurde, ist das Dasein verarmt. Eben deshalb gebietet die Pflicht mit doppelter Strenge den Frauen, und mehr noch den Männern, die Liebesleidenschaft, welche sie einflößen, zu fürchten und hoch zu halten, auf daß Geist und Herz der Betroffenen nicht auf immer zu Grunde gehe.

Mit zarter Sorgfalt suchte Fürst Castel-Forte nur solche Gegenstände in den Kreis ihres Gesprächs zu ziehen, welche Corinna früher von Wichtigkeit waren; aber minutenlang blieb sie die Antwort schuldig, weil sie ihn nicht gleich im ersten Augenblick vernommen hatte; endlich gelangte Ton und Gedanke bis zu ihr, und sie erwiderte dann etwas, das weder die Färbung, noch die Beweglichkeit ihrer sonst so bewunderten Redeweise hatte, das indessen die Unterhaltung doch ein wenig vorrücken ließ und ihr gestattete, von Neuem in Träumerei zu versinken. Schließlich machte sie wohl noch eine wiederholte Anstrengung, um die Güte des Fürsten nicht ganz zu entmuthigen, und dann geschah es oft, daß sie ein Wort mit dem andern verwechselte, oder das Gegentheil von dem äußerte, was sie soeben gesagt, bis sie mitleidig über sich selber lächelte, und den Freund für diese Art von Narrheit, deren sie sich wohl bewußt war, um Verzeihung bat.

Absichtlich hatte der Fürst gewagt, mit ihr von Oswald zu reden, und es schien, als fände sie daran ein trauriges Vergnügen. Aber nach solchem Gespräch gerieth sie stets in einen so leidensvollen Zustand, daß der Freund es für besser, ja für nothwendig erachtete, den Gegenstand unbesprochen zu lassen. Der Fürst besaß ein theilnehmendes Herz; allein wie großmüthig ein Mann auch immer sei: er hat keinen Trost für das Gefühl, das eine Frau einem Andern widmet, zumal wenn er selber von dieser Frau auf's Höchste eingenommen ist. Etwas Eigenliebe von seiner Seite, etwas Schüchternheit von der ihren beeinträchtigten ein unbedingtes Vertrauen; und überdies: wozu hätte es auch nützen sollen? Nur für den Kummer giebt es Hülfe, der auch von selber heilt.

Täglich gingen sie zusammen an den Ufern des Arno spazieren. Der Fürst, in liebenswürdigster Schonung, versuchte es hierbei mit den verschiedensten Unterhaltungsstoffen. Sie dankte ihm oft mit einem Händedruck. Zuweilen wollte sie diese oder jene Frage des Gefühls erörtern; aber schnell füllten sich ihre Augen mit Thränen. Sie litt sehr von ihrer eigenen Fassungslosigkeit, und meist suchte der Fürst sie rasch von solchem Thema abzubringen: es war so schmerzlich ihr Zittern und ihre Blässe zu sehn. Einmal auch fing sie plötzlich mit gewohnter Anmuth zu scherzen an; verwundert blickte ihr der Freund ins Auge, aber da eilte sie auch schon hinweg und zerfloß in Thränen.

»Verzeihen Sie mir, ich wollte liebenswürdig sein«, sagte sie nachher, ihm die Hand reichend; »doch will es nicht gelingen. Seien Sie großmüthig genug, mich zu ertragen, wie ich bin.« – Von dem Zustande ihrer Gesundheit war Fürst Castel-Forte auf das Aeußerste beunruhigt. Zwar drohte ihr noch keine nahe Gefahr, aber unmöglich konnte sie lange leben, wenn nicht irgend ein glücklicher Umstand ihre Kräfte erneuerte. Um diese Zeit erhielt Fürst Castel-Forte einen Brief von Lord Nelvil, und obwohl er in der Sache nichts änderte, da er dessen Vermählung bestätigte, so enthielt dieser Brief doch Worte für Corinna, die sie sehr gerührt haben würden. Der Fürst überlegte lange, ob die Mittheilung derselben Corinna nicht eine nachtheilige Aufregung bereiten möchte; bei ihrer großen Hinfälligkeit war seine Unschlüssigkeit darüber sehr verzeihlich. Während er noch schwankte, traf ein zweiter Brief von Lord Nelvil ein, der ebenfalls voll warmen Gefühls für Corinna war, aber zugleich die Nachricht von Oswalds Abreise nach Amerika enthielt. Nun war der Fürst entschlossen, ihr nichts zu sagen. Vielleicht hatte er hierin Unrecht; denn Corinna's bitterster Schmerz war es eben, daß Lord Nelvil ihr nicht schrieb. Sie wagte nicht, dies Jemand zu gestehen; aber obgleich er auf immer von ihr geschieden war, würde ihr ein Beweis seines Gedenkens, ein Wort von ihm, sehr theuer gewesen sein. Dieses grausame Stillschweigen, das ihr nicht einmal Gelegenheit gab, seinen Namen zu nennen, oder nennen zu hören, dies war ihr fast das Entsetzlichste!

Ein Leid, von dem uns Niemand spricht, ein Leid, das in Tagen, in Jahren nicht die mindeste Veränderung erfährt, und keinem Ereigniß, keinem Wechsel unterworfen ist, das schmerzt viel tiefer noch, als eine ganze Reihe bittrer Erfahrungen. Fürst Castel-Forte folgte dem allgemeinen Grundsatz, nach welchem man auf alle Weise ein Vergessen herbeizuführen suchen muß; die Menschen aber, die mit leidenschaftlicher Treue lieben, für diese giebt es kein Vergessen; für diese ist es immer noch besser, eine Erinnerung unablässig zu erneuern, die Seele durch Thränen zu ermatten, als sie zu zwingen, daß sie sich in sich selbst verschließe.

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