Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Zwanzigstes Buch: Schluß

Achtes Kapitel

»Empfanget meinen feierlichen Gruß, o meine Mitbürger! Schon drängt sich die Nacht vor meine Blicke, aber ist denn der Himmel nicht schöner in der Nacht? Dann schmücken ihn tausend Sterne, während er Tags doch nur eine Wüste ist. So auch offenbaren uns die Schatten der Ewigkeit zahllose Gedanken, die im Glanze des Wohlergehens vergessen lagen. Doch die Stimme, die sie nun verkünden sollte, ermattet nach und nach; die Seele zieht sich in sich selbst zurück und sucht ihre letzte Glut zusammen zu schüren.

Schon in den Tagen meiner frühesten Jugend gelobte ich mir, den Namen einer Römerin zu ehren, bei dem das Herz noch heute höher schlägt. Du freigebiges Volk, das mir den Ruhm vergönnte, aus dessen Tempeln du die Frauen nicht verbannest, das die unsterbliche Begabung nicht einer vorübergehenden Eifersucht opfert, das dem Aufschwunge des Genius stets seinen Beifall schenkt! Des Genius, der ein Sieger ist ohne Ueberwundene, ein Eroberer ohne Beute, der aus der Ewigkeit schöpft, um das Zeitliche zu bereichern!

Mit welchem Vertrauen beseelten mich früher die Natur und das Leben! Alles Unglück', glaubte ich, entstehe nur aus zu wenigem Denken, aus zu mattem Fühlen; ich glaubte, man könne schon auf Erden eine himmlische Glückseligkeit sich schaffen, die doch nichts weiter ist, als Ausdauer in der Begeisterung, und Beständigkeit in der Liebe.

Und ich bereue sie nicht, diese großherzige Schwärmerei! Nein, nicht sie hat mich die Thränen vergießen lassen, von denen der Staub getränkt ist, der mich aufnimmt. Ich hätte meine Bestimmung erfüllt, ich wäre der Wohlthaten des Himmels würdig gewesen, wenn ich meine weithin tönende Leyer nur dem Preise der göttlichen Güte geweiht hatte, die im großen All sich offenbart.

Du verwirfst nicht, o mein Gott, den Tribut des Talents. Die Huldigung der Dichtkunst ist andachtsvoll und auf den Flügeln des Gedankens kann man sich dir nahn.

In der Religion giebt es nichts Beschränktes, nichts Knechtisches, nichts Endliches. Sie ist grenzenlos-unendlich – ewig; und fern davon, daß Geist und Einbildungskraft von ihr abwendig machten, tragen sie uns in hohem Flug über die Schranken des Lebens hinaus, und das Erhabene in jeder Richtung ist nur der Abglanz der Gottheit.

Ach, hätte ich nur sie allein geliebt, hätte ich meine Gedanken im Himmel geborgen, dem Schutz vor irdischer Leidenschaft, dann würde ich nicht vor der Zeit geknickt worden sein, Würden sich nicht schreckliche Gesichte an die Stelle meiner goldenen Traumbilder gedrängt haben. Ich Unglückselige! Mein Genius, wenn er noch vorhanden, ist nur aus der Gewalt meines Schmerzes zu ahnen, nur unter den Zügen dieser feindlichen Macht ist er noch erkennbar.

So lebe denn wohl, o meine Heimat; lebe wohl, du Stätte, wo ich das Licht erblickte. Erinnerungen meiner Kindheit, lebt wohl! Was habt ihr mit dem Tode zu schaffen? Und Ihr, die Ihr in meinen Schriften Gedanken antrafet, die den Euren antworteten, Ihr, meine Freunde, lebt wohl, wo Ihr auch sein mögt. Nicht für eine unwürdige Sache hat Corinna so viel gelitten; sie hat ihr Anrecht auf Euer Mitleid nicht verwirkt.

Schönes Italien! umsonst verheißest Du mir Deinen ganzen Zauber! Was vermagst Du über ein verlassenes Herz? Möchtest Du mir neues Wünschen erregen, um neue Schmerzen wieder zu erwecken? Möchtest Du mich an das Glück erinnern, auf daß ich mich gegen mein Schicksal empöre?

Ich unterwerfe mich ihm mit Ergebung. O Ihr, die Ihr mich überlebt, gedenket meiner, wenn der Frühling kommt, gedenket, wie ich seine Schönheit liebte, wie oft ich seine Herrlichkeit besungen! Erinnert Euch zuweilen meiner Verse, sie tragen das Gepräge meiner Seele; doch meine letzten Gesänge wurden von unheilvollen Musen eingegeben, von der Liebe und dem Unglück.

Wenn die Absichten der Vorsehung sich an uns erfüllt haben, dann bereiten Harmonien, die unsere Brust durchziehen, auf das Erscheinen des Todesengels vor. Er ist nicht abschreckend, nicht furchterregend; seine weißen Flügel leuchten durch die Nacht, die ihn umgiebt, und von tausend Vorahnungen wird sein Kommen verkündet.

Im Flüstern des Windes glaubt man seine Stimme zu hören; die langen Schatten, welche der sinkende Tag über das Gefilde breitet, sie scheinen die Falten seines schleppenden Gewandes. Um Mittag, wenn Alle, denen das Leben gehört, nur einen heitern Himmels nur eine gütige Sonne sehen, gewahrt der vom Todesengel Angerufene in der Ferne ein Gewölk, das seinen Augen bald die ganze Natur verdecken wird.

Hoffnung – Jugend – des Herzens Wallen und Wünschen – ihr seid dahin! Doch fern sei mir die trügerische Rückschau. Wenn man mir noch ein paar Thränen gönnt, wenn ich mich noch geliebt glaube, so ist's, weil ich eben gehen will. Wollte ich mich wieder zum Leben wenden, so wendeten sich auch alle seine Dolche wieder gegen mich!

Und Du, o Rom, das meine Asche bewahren wird, das so Vieles hat sterben sehn, vergieb mir, wenn ich mit zagendem Schritt mich Deinen großen Todten zugeselle; vergieb mir, daß ich klage! Gefühle, die vielleicht edle, Gedanken, die vielleicht fruchtbringende gewesen wären, erlöschen mit mir, und von allen seelischen Fähigkeiten, die mir die Natur gegeben, ist die zu leiden die einzige, welche ich in ihrem ganzen Umfange verübt habe.

Was thut's, ich gehorche. Wie es auch sei, das große Geheinmiß des Todes, es muß doch Ruhe bringen. Ihr bürgt mir dafür, ihr schweigenden Gräber! Du bürgst mir dafür, wohlthätige Gottheit! Ich hatte gewählt auf Erden, und mein Herz hatte keine Zuflucht mehr. Du entscheidest für mich; mein Schicksal wird um so viel würdiger sein!«

Hier schloß Corinnens letzter Gesang; durch den Saal zog trauriges, ehrfurchtsvolles Beifallsgeflüster. Lord Nelvil unterlag der Gewalt seiner Erschütterung und verlor gänzlich das Bewußtsein. Corinna sah ihn in diesem Zustande, sie wollte hin zu ihm, aber ihre Kräfte verließen sie in dem Augenblick, als sie sich zu erheben versuchte. Man trug sie nach Hause, und von nun an gab es für ihre Rettung vollends keine Hoffnung mehr.

Sie ließ einen würdigen Geistlichen rufen, zu dem sie großes Vertrauen hegte, und redete lange mit ihm. Auch Lucile ging zu ihr; Oswalds Schmerz hatte sie so bewegt, daß sie die Schwester auf den Knieen beschwor, ihn kommen zu lassen. Corinna versagte es, doch ohne allen Groll. »Ich verzeihe ihm«, sagte sie, »daß er mir das Herz gebrochen; die Männer wissen nicht, was sie Böses thun, und die Gesellschaft unterstützt sie, überredet sie, daß es nur ein Spiel sei, ein Frauenherz mit der höchsten Seligkeit zu erfüllen, und es dann in Verzweiflung zu stürzen. Im Augenblick des Sterbens aber hat Gott mir gnädig Ruhe verliehen, und ich fühle, daß Oswalds Anblick Empfindungen in mir aufstürmen würde, die nicht mit den letzten Todesgedanken zu vereinigen sind. Nur die Religion hat den Schlüssel zu dem furchtbaren Uebergang. Ich verzeihe ihm, den ich so heiß geliebt«, fuhr sie mit schwacher Stimme fort, »er lebe glücklich mit Dir! Aber möge er der armen Corinna gedenken, wenn einst auch seine Todesstunde kommt! Sie wird über ihm wachen, wenn es Gott gefällt. Denn es giebt kein Aufhören für eine Liebe, die stark genug ist, um das Leben zu verzehren.«

Oswald stand auf der Schwelle ihres Gemachs; bald wollte er hinein, trotz Corinnens Verbot, bald brach er zusammen, vernichtet von Schmerz. Lucile ging von Einem zum Andern, ein Engel des Friedens zwischen der Verzweiflung und der Todesqual.

Eines Abends schien es, als befände Corinna sich besser, und Lucile erlangte von Oswald, daß er sie auf einige Augenblicke zu ihrer Tochter begleite, die sie seit drei Tagen nicht gesehen hatten. Während dieser Zeit wendete sich Corinnens Zustand rasch zum Schlimmsten; sie erfüllte alle Pflichten ihrer Religion. Zu dem Greise, der ihre Beichte entgegennahm, sagte sie: »Mein Vater, Sie kennen jetzt mein trauriges Geschick; richten Sie über mich. Nie habe ich mich für das Leid gerächt, das man mir gethan; nie fand ein wahrer Schmerz mich ohne Mitgefühl; meine Fehler entstanden aus Leidenschaften, die an sich nicht verdammenswerth gewesen wären, wenn Stolz und menschliche Schwachheit ihnen nicht den Irrthum und das Uebermaß zur Begleitung gegeben hätten. Glauben Sie, mein Vater, Sie, den das Leben länger als mich geprüft hat, glauben Sie, daß Gott mir verzeihen werde?« – »Ja, meine Tochter, ich hoffe es«, erwiderte der Greis; »ist Ihr Herz jetzt ganz ihm zugewendet?« – »Ich glaube wohl, ehrwürdiger Vater«, antwortete sie; »nehmen Sie jetzt dieses Portrait hinweg (es war das Oswalds) und legen Sie das Bild des Erlösers auf mein Herz, der nicht für die Mächtigen, nicht für die Geistesgewaltigen auf Erden kam, sondern um der Leidenden und Sterbenden willen, die seiner sehr bedurften.«

Corinna gewahrte jetzt den Fürsten Castel-Forte, der weinend an ihrem Bette stand. »Mein Freund«, sagte sie, und reichte ihm die Hand, »ich lebte, um zu lieben, und ohne Sie stürbe ich allein.« – Und ihre Thronen flossen bei diesen Worten; dann sagte sie noch: »Es bedarf dieser Augenblick auch keines Beistandes, unsere Freunde können uns nur bis zur Schwelle des Lebens begleiten; an dieser beginnen Gedanken, deren Verworrenheit und unergründliche Tiefe man einander nicht anvertrauen kann.« Sie ließ sich auf ihrem Lehnsessel bis an das Fenster bringen, um den Himmel noch einmal zu sehn. Lucile kam jetzt wieder zu ihr, und der unglückliche Oswald, der nun nicht länger zurückzuhalten war, folgte ihr, und sank vor Corinna auf die Kniee. Sie wollte zu ihm reden, und hatte nicht mehr die Kraft dazu; sie hob den Blick gen Himmel, und sah, daß der Mond von dem gleichen Gewölk verhüllt wurde, auf das sie einst gewiesen, als sie mit Oswald am Meeresufer von Terracina stand. Da zeigte sie ihm die Wolke mit ihrer sterbenden Hand, und mit ihrem letzten Seufzer sank diese Hand hinab.

Was wurde aus Oswald? Sein Zustand bedrohte anfangs seine Vernunft und sein Leben. In Rom folgte er dem Grabgepränge Corinnens; dann zog er sich lange nach Tivoli zurück, und wollte nicht, daß seine Frau und Tochter ihn dorthin begleiteten. Endlich führten ihn Pflicht und Neigung diesen wieder zu. Sie kehrten zusammen nach England zurück. Lord Nelvil gab ein Beispiel des tadellosesten und reinsten häuslichen Lebens. Aber verzieh er sich die Vergangenheit? Tröstete ihn die Welt, weil sie ihm ihre Zustimmung gab? Befriedigte ihn ein Alltagsloos nach dem, was er verloren hatte? Ich weiß es nicht, und will ihn weder tadeln, noch freisprechen.

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