Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Sechzehntes Buch: Trennung und Abwesenheit.

Zweites Kapitel

Das Schicksal treibt zuweilen ein grausames wunderliches Spiel; es ist, als ob es eine Macht wäre, die Furcht erregen und jede Vertraulichkeit zurückweisen wolle. Wenn man sich am sichersten der Hoffnung hingiebt, und besonders, wenn man den Anschein hat, mit dem Schicksal scherzen und auf Glück rechnen zu wollen, dann wirkt sich meist etwas Furchtbares in das Gewebe unseres Lebens ein, und die verhängnißvollen Schwestern kommen und flechten ihren schwarzen Faden noch dazwischen, um das Werk unserer Hände zu verderben.

Am siebzehnten November, dem Tage der Aufführung erwachte Corinna ahnungslos, und fröhlich unterzog sie sich den letzten Vorbereitungen für den Abend. Im ersten Akt hatte sie in sehr malerischem Kostüm als Wilde zu erscheinen. Ihr Haar, das zwar aufgelöst, dennoch in reizender Sorgfalt geordnet war, sowie ihr duftiges, fantastisch-leichtes Gewand verliehen ihrer edlen Gestalt einen ungewöhnlich anmuthigen Charakter von Coquetterie und schalkhaftem Uebermuth. Sie erreichte den Palast, in welchem die Aufführung stattfinden sollte, als dort bereits Alles versammelt war; Alles, mit Ausnahme Oswalds. Corinna verzögerte den Beginn der Vorstellung, so viel sie es vermochte, und fing schon an sich über seine Abwesenheit sehr zu beunruhigen. In dem Augenblick, als sie auf die Bühne trat, sah sie ihn endlich; verborgen zwar, in einer sehr dunklen Ecke des Saales, aber sie sah ihn doch. Und da dieselbe Angst, in welche das lange Warten sie hinein getrieben, nun auch ihre Freude doppelt aufwallen ließ, wurde sie inspirirt von blitzender Heiterkeit, wie auf dem Kapitol sie getragen ward von der Begeisterung.

Gesang und Worte wechselten miteinander ab; das Stück war auf improvisirten Dialog eingerichtet; dies gewährte Corinna den großen Vortheil, die Handlung zu höherer Lebendigkeit steigern zu können. Beim Singen wußte sie den Geist der italienischen Buffa-Arie mit eigenthümlicher Eleganz zur Geltung zu bringen. Ihre, von Musik begleiteten Bewegungen waren ebenso drollig als vornehm; sie erregte Lachen, ohne daß sie zu imponiren aufhörte, und ihre Rolle wie ihr Talent beherrschten Zuschauer und Schauspieler, indem sie sich anmuthig über die Einen wie über die Andern lustig machte. Ach! wer hätte mit ihrem Siege nicht Mitleid gehabt, wenn er gewußt, daß dies vertrauensvolle Glück schon den Strahl der Vernichtung herabzog, daß diese triumphirende Heiterkeit bald den bittersten Schmerzen Platz machen sollte!

Vielfach und herzlich waren die Beifallsbezeigungen der entzückten Zuschauer; ihre Freude theilte sich Corinna mit. Sie empfand jene Art von Aufschwung, wie ihn das Vergnügenwohl hervorrufen kann, wenn es uns ein gesteigertes Lebensgefühl und Vergessenheit unseres Geschickes giebt und für einen Augenblick den Geist von allen Banden, allen Sorgen befreit. Oswald hatte Corinna den tiefsten Schmerz in einer Zeit darstellen sehen, als er sich schmeicheln durfte, sie glücklich zu machen, und jetzt, wo er soeben eine für sie Beide sehr folgenschwere Nachricht erhalten, mußte er bewundernd vor ihrer vollendeten Schilderung der ungetrübtesten Heiterkeit stehen. Mehrere Male dachte er daran, Corinna von dem verwegenen Spiele hinweg zu ziehen, aber er fand eine traurige Genugthuung darin, noch einmal auf diesem liebenswürdigen Gesichte den leuchtenden Ausdruck des Glücks zu sehen.

Am Ende des Stückes erschien Corinna als Amazone, prächtig und königlich angethan. Sie herrschte, der Rolle entsprechend, über die Menschen, ja fast schon über die Elemente, sie herrschte durch jenes Vertrauen in ihre Reize, das eine schöne Frau wohl empfinden kann – wenn sie nicht liebt. Denn es genügt zu lieben, auf daß keine Gabe der Natur oder der Verhältnisse ihr noch völlige Sicherheit gewährte. Aber diese gekrönte Coquette, diese souveräne Fee, in deren Auffassung und Darstellung Corinna auf das Wundervollste Zorn mit Scherz, Sorglosigkeit mit dem Streben zu gefallen und Anmuth mit Despotismus vereinte, schien über das Schicksal ebenso wie über die Herzen zu siegen, und als sie auf den Thron stieg, gebot sie ihren Unterthanen lächelnd und mit holdem Selbstbewußtsein, sich zu unterwerfen. Alle Zuschauer erhoben sich, um Corinna wie eine ächte Königin zu grüßen. Vielleicht hatte in keinem Augenblick ihres Lebens die Furcht vor dem Schmerz ihr ferner gelegen; da fiel ihr Blick plötzlich auf Oswald, der sich nicht mehr fassen konnte, und den Kopf in die Hände stützend seine Thränen zu verbergen suchte. Sie war betroffen; und noch war der Vorhang nicht gefallen, als sie von dem, jetzt schon unglückbringenden Thron hinabstieg und in das anstoßende Gemach eilte.

Oswald folgte ihr dorthin. Die Todtenblässe seiner Züge entsetzte sie so, daß sie genöthigt war, sich stützesuchend gegen die Wand zu lehnen. »Oswald! o mein Gott! was ist Ihnen?« – fragte sie zitternd. »Ich muß noch diese Nacht nach England abreisen«, sagte er, ohne zu wissen, was er that; denn er hätte der unglücklichen Freundin das für sie so Schreckliche nicht in dieser Form mittheilen dürfen. Sie stürzte außer sich ihm entgegen. »Nein, es kann nicht sein; Sie können mir solches Leid nicht anthun! Was that ich, um es zu verdienen? Sie nehmen mich also wohl mit?« – »Verlassen wir erst diese unerträgliche Menschenmenge«, antwortete Oswald, »komm mit mir, Corinna.« – Sie folgte ihm: schwankend, mit entstelltem Antlitz, nicht mehr begreifend, was man sie fragte, unverständliche Antwort gebend, – ein Jeder glaubte, sie sei plötzlich erkrankt.

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