Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Sechzehntes Buch: Trennung und Abwesenheit.

Erstes Kapitel

Sobald die Kunde von Corinnens Ankunft sich in Venedig verbreitet hatte, war Alles begierig, sie kennen zu lernen. Wenn sie ein Cafe des Marcusplatzes besuchte, so drängte man sich dicht unter die Gallerien desselben, um sie einen Augenblick zu sehen. Auch von der höhern Gesellschaft Venedigs wurde sie auf das Eifrigste gesucht. Früher war es ihr wohl werth und lieb, daß sie überall, wo sie erschien, mit so viel Glanz empfangen wurde, und stets hatte sie es mit schlichter Aufrichtigkeit zugegeben, wie empfänglich sie sei für die Bewunderung der Welt. Das Genie bedingt auch wirklich ein Bedürfniß nach Ruhm, wie es denn überhaupt wohl kein Gut auf Erden geben mag, nach welchem die, welche es zu erwerben die Mittel haben, nicht auch Verlangen trügen. – In ihrer gegenwärtigen Lage aber fürchtete Corinna Alles, was mit den Lord Nelvil so theuren Gewohnheiten des häuslichen Lebens nicht vereinbar war, oder doch nicht vereinbar zu sein schien.

Um ihres Glückes willen war es schade, daß Corinna sich so leidenschaftlich an einen Mann fesseln mußte, der mit ihrer idealischen Lebensweise im Widerspruche sich befand, der ihre hohen Gaben eher beschränken mochte, als sie entfalten half. Es läßt sich aber begreifen, wenn eine Frau, die sich viel mit Kunst und Wissenschaft beschäftigte, grade solchen Mann durch ihre Liebe bevorzugt, dessen Geschmacksrichtung und Eigenschaften von den ihrigen ganz abweichen. Hier und da werden wir unserer selbst wohl einmal überdrüssig; dann vermag uns das, was uns ähnlich ist, nicht anzuziehn. Es bedarf der Uebereinstimmung der Gefühle und des Gegensatzes der Charaktere, auf daß aus Sympathie und Verschiedenheit die Liebe erzeugt werde. Lord Nelvil besaß diese doppelte Anziehung im höchsten Grade: durch seine bequemen, schmiegsamen Umgangsformen lebte es sich leicht mit ihm, und doch verhinderte sein düstres, reizbares Gemüth, daß man der Anmuth seines Wesens recht sicher gewohnt wurde. Obgleich die Tiefe und Ausdehnung seines Verstandesvermögens ihn zu Allem befähigt hatten, flößten seine politischen Ueberzeugungen und ein lebhafter Hang zum Militärstand ihm doch mehr Neigung für eine praktische, als eine wissenschaftliche Laufbahn ein, und mit Bezug darauf pflegte er zu sagen: »Thaten seien immer noch poetischer, als selbst die Poesie«. Er fühlte, daß er über den Erfolgen seines Geistes stand, und sprach von diesen mit großer Gleichgültigkeit.

Um ihm zu gefallen, suchte Corinna ihn in dieser Hinsicht nachzuahmen; sie fing an, ihre eigenen literarischen Verdienste gering zu achten, um jenen bescheidenen und zurückgezogenen Frauen ähnlicher zu werden, von welchen Oswalds Heimat die Vorbilder liefert.

Inzwischen machten die Huldigungen, welche Corinna in Venedig erfuhr, auf Oswald nur angenehmen Eindruck, es war so viel Wohlwollen in dem Empfang der Venetianer, sie drückten mit so viel feuriger Grazie das Vergnügen aus, welches sie in Corinnens Unterhaltung fanden, daß Oswald sich wohl glücklich fühlen mußte, von einer so hinreißenden und allgemein verehrten Frau geliebt zu sein. Er war auf ihren Ruhm nicht mehr eifersüchtig, seit er ihres Vorzuges so gewiß sein konnte, und seine Liebe schien durch Alles, was er rings um sich her über sie vernahm, nur noch gesteigert. Ja, weniger, als bisher, gedachte er seines schwerfälligen Englands und nahm etwas von der italienischen Sorglosigkeit über die Zukunft an. Corinna gewahrte diese Veränderung, und ihr voreiliges Herz erfreute sich derselben, – als ob sie hätte dauern können!

Die italienische ist die einzige Sprache Europa's, deren verschiedene Dialekte jeder einen Geist für sich haben. In jedem derselben, auch in denen, welche mehr oder weniger von dem klassischen Italienisch abweichen, kann man Verse machen und Bücher schreiben. Aber nur dem Neapolitanischen, dem Sicilianischen und Venetianischen unter den verschiedenen Dialekten der einzelnen Staaten ertheilt man die Ehre, als vollgültig angesehen zu werden; unter diesen dreien endlich wird nun wieder das Venetianische für das anmuthigste und originalste gehalten. Corinna sprach es mit bezaubernder Weichheit; die Art, wie sie einige Barcarolen heiteren Genre's vortrug, ließ voraussetzen, daß sie im Lustspiel ebenso vortrefflich als in der Tragödie sein müsse. Sie wurde vielfach gebeten, in einer komischen Oper, welche man in geschlossenem Kreise aufzuführen gedachte, eine Rolle zu übernehmen. Corinna hatte Oswald niemals mit dieser Seite ihres Talents bekannt machen wollen; seit sie ihn liebte, war sie sich des Mangels an dazu erforderlichem Frohsinn nur zu bewußt gewesen; zuweilen auch hatte sie sich scheu gesagt, es könne ihr Unglück bringen, wollte sie sich so ganz dem heitersten Muthwillen überlassen. Jetzt aber willigte sie mit seltsamer Zuversicht ein, zumal Oswald selbst sie dringend darum gebeten hatte. Es wurde demnach beschlossen, daß sie in dem zur Aufführung gewählten Stück »Die Tochter der Luft« die Titelrolle übernehmen werde.

Dieses Lustspiel bestand, wie die meisten von Gozzi, aus den übernatürlichsten, ebenso originalen als heitern Zauberpossen. Truffaldin und Pantalon erscheinen in diesen Burlesken oft neben den größesten Königen der Erde. Das Wunderbare dient hier dem Scherz, aber so, daß dessen Komik durch eben dieses Wunderbare, welches an sich niemals gemein oder niedrig sein kann, veredelt wird. Die »Tochter der Luft« oder »Semiramis in ihrer Jugend« ist eine von Himmel und, Hölle mit der Macht, die Welt zu unterjochen, begabte Coquette. Gleich einer Wilden in felsiger Höhle erzogen, gewandt wie eine Zauberin, gebieterisch gleich einer Königin, vereint sie natürliche Lebhaftigkeit mit überlegter Anmuth, kriegerischen Muth mit weiblicher Leichtfertigkeit und Ehrgeiz mit Unbesonnenheit. Diese Rolle verlangt viel fantasievolle und fröhliche Schlagfertigkeit, wie nur der Augenblick sie eingeben kann, und die ganze Gesellschaft erwartete mit gutem Grund, daß Corinna die Aufgabe auf das Glänzendste lösen werde.

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