Epistel über die Dichtkunst

(An einen jungen Dichter.)

Wenn Jeder seine Kräfte fragte,
Bevor er sich ans Dichten wagte,
So würde der Poeten Häuflein klein,
Doch aber auch das auserwählte fein.

Wie mancher hält das wilde Feuer,
Das ihm sein bischen Hirn verbrennt,
Für einen Ruf zu Pindars Leier,
Und schreibt ein Unding, das er Ode nennt!

Ein Jüngling wagt´s den Gram, der ihm das Herz zerfrisst,
In matten Reimen auszurdrücken.
Sein Mädchen liest sie mit Entzücken;
Jetzt denkt er schon: Ich bin ein Elegiist!

Ein Dritter glaubt, die Hirtenflöte sei
Mit seiner Bauernpfeife einerlei:
Er singt nach der Natur, und denkt nicht, daß die Eule
Nach der Natur, wie er, doch unausstehlich heule.

Dem Vierten fällt es ein, von Wunderdingen,
Von Thaten, die er durch das Loos zusammen drängt,
Und deren keine an der andern hängt, Zweitausend Verse abzuringen.
Jetzt theilt er sie in Bücher ein, und spricht; ich gab der Nazion ein episches Gedicht.

Chörill, der Stutzer, wähnet
Für das Theater sei er just der rechte Kopf.
Man spielt sein Stück: er lacht sich einen Kropf,
Indeß das Publikum vor Langeweile gähnet.

Die allerschlimmsten sidn die Gecken,
Die nichts als Sinngedichte hecken:
Sie sammeln Koth, wie Edelstein,
Und fassen ihn mit Perlenwein.

Vor solchen Fehlern wolle dich beweahren
Apollo mit dem Musenchor!
Sei klug, mein Freund, und flieg in deinen Jahren
Nicht allzu weit empor!

Versuche nicht den kühnen Schwung der Ode!
Du kennst Ikarus Geschick:
Drum spiegle dich an seinem Tode,
Wenn dich der Vorwitz reizt, und bleib zurück!

Du suchest Lorbeern? Freund, du findest sie,
Begnügst du dich mit deinen Schäferscenen,
Und mit den süßen Thränen
Der sanften Elegie.

Vor Allem hüte dich die Laune zu erzwingen.
Sie kömmt von selbst, und wird durch Suchen nur verjagt.
Kein komisches Gemälde wird gelingen;
So lange dich der Hypochonder plagt.

Erwarte stäts die Stunde,
In der du froh, und heiter bist:
In einer glücklichen Secunde
Wird mehr gethan, als sonst in Jahresfrist.

Kein Meisterstück gedeiht in allzu großer Eile.
Willst du, mein Freund, gelesen sein;
So sperre dein Gedicht, so sehr dich´s schmerzet, ein,
Und gieb ihm oft die Feile.

Nimm Jüngling, diese Lehren
Von deinem Freunde willig an.
Kann doch ein Stein die Schneidekraft vermehren;
Obschon er selbst nicht schneiden kann.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03