Eisenmenger, der Zweite

von Saul Ascher (1767-1822)

II.

Ohnfehlbar kann man die Gegner der Juden in Europa, in zwei Klassen theilen, in religiöse und politische. In frühern Zeiten, wo jeder Staat darauf ausging, der Religion zu huldigen, wurden Juden, ihres Glaubens wegen, verfolgt. Als man späterhin anfing, das Interesse des Staats von der Religion zu trennen, ward man zugleich auf die Grundsätze der Anhänger des Judenthums aufmerksamer. Der Geist des Zeitalters verleitete die mehrsten denkende Köpfe, sie nicht bloß für tolle Pharisäer, sondern, auch für abscheuliche Antropophagen zu halten. – In den neuesten Zeiten, wo man für die Prinzipien einer guten Staatsverfassung, eine anderweitige Stütze aufzusuchen begann, war es endlich nur die politisch schlechte Seite, die man an den Juden zu rügen wußte.

Die politischen Gegner der Juden, sind nun diejenigen, die in neuern Zeiten ihre Stimme erhoben und gegen sie geeifert. Sie sind aber nicht alle von einem Prinzip ausgegangen, sie theilten sich in zwei Parteien.

Die eine Partei behauptet: die Juden könnten nicht politisch besser werden, weil sie ihre politische Lage nicht verbessern können. Die andere behauptet, sie können es nicht, weil sie ihre politische Lage nicht verbessern wollen. Dort wird dem Juden Dummheit, Trägheit des Geistes zur Last gelegt, hier wird er als boshaft, eigennutzig dargestellt. Nach jener Partei kennt er nicht das Bessere, nach dieser will er es nicht.

Indeß man aber gesucht, und noch immer sich bemüht, diese Gegner durch Thatsachen und durch das unzureichende Faktum, das ihren Urtheilen zu Grunde liegt, vom Gegentheile zu überzeugen, indeß ein jeder Vernünftige oder Edeldenkende sich berechtigt hält, und vielleicht mehr als berechtigt hält zu glauben: daß der Jude politisch besser werden kann und will, indeß diese Fakte dem Beobachter nicht entgehen können; entwickelt sich vor unsere Augen, eine ganz neue Gattungj von Gegner, die mit furchtbaren Waffen als ihre Vorgänger versehen, deren Grundsätze erst im Aufkeimen begriffen sind, und die, so weit ich absehen kann, mit dem Verfasser jener Aeußerungen über das Judenthum und die Juden, in enger Verbindung zu stehen scheinen; die ihn vielleicht gar veranlaßt haben, solche Ausfälle, auf eine Nation und ihren Glauben zu thun, die man in frühern Zeiten zu lesen gewohnt war.

Wenn irgend die neuesten Begebenheiten in der Philosophie Verehrer haben, so bin ich stolz darauf mich dazu zählen zu können. Ich verkenne ganz und gar nicht den Werth, den der Geist der kritischen Philosophie, für unser schwärmendes Zeitalter hat, ich verkenne ihn insofern nicht, als er die Anmaßungen des despotischen und anarchiichen Denkens gelichtet, und den gegenseitigen jUngrund der Behauptungen der verschiedenen kämpfenden Parteien uns näher vor Augen gerückt. Aber was soll ich davon denken, wenn die, welche sich für die Apostel einer solchen Philosophie ausgeben, welche sich vom Geiste derselben belebt glauben, wenn diese Männer verblendet genug sind, dem Geiste dieser Philosophie einen gewissen Zweck unterzuschieben, den ich gar nicht, bei ihrem großen Lehrer zu vermuthen, wünschen wollte.

So viel man auch schon über die erforderliche und exoterische Philosophie der Alten ausgemacht, so glaube ich doch, daß man gemeinhin den eigentlichen Gesichtspunkt ihres Zwecks verfehlt. Schon die Alten, vermuthe ich, haben es eingesehen, daß gewisse Aussichten in der spekulativen Welt, gar keine Anwendung auf die wirkliche haben und daß vielmehr Nachtheil und unsäglicher Streit, als Ordnung und besserer Zustand der Dinge, daruch veranlaßt werden könnte. Sie haben daher die Gegenstände der esoterischen Philosophie nie allgemein, populär, d. h. auf das menschliche Leben und auf gewisse Begebenheiten, die ihr einen solchen Uebergang verschaffen, anzuwenden gesucht, sondern haben sie als Monumente, abgesondert stehen lassen, an welchen diejenigen ihre Geisteskräfte üben sollten, die in sich einen Beruf fühlten, zum wenigsten so denken zu können, wie sei zu handeln wünschten.

Die Nachfolger machten das zum Zweck, was ihre große Lehrer als mittel gebrauchten, um Weisheit zu verbreiten. Ihre Schüler mußten erst so handeln, wie sie zu denken wünschten, und daraus entstanden die absurdesten Handlungen und Meinungen, die mir in der Geschichte des philosophirenden Verstandes der Alten vorfinden.

Wenn Kant nun, dieser große Denker, in der Auflösung gewisser Probleme der Philosophie mehr gewisse Unrisse für die denkende Köpfe aufgestellt, vermittelst welcher er eine gewisse Philosophie beabsichtigt, die dem Bedürffnisse der Spekulation mehr ein Vorgenuß, als ein festes unüberwindliches Gebäude sein sollte: so wünschte ich, daß auch seine Absicht keinesweges wäre, seine Ideen in der wirklichen Welt, wie diese uns jetzt nach ihren Bestimmungsgründen erscheinet, realisirt zu sehen.

Seine Anhänger scheinen aber, einen solchen heilsamen Zweck der Philosophie zu verkennen. Indem sie daher den Resultaten seiner Philosophie die größte Verehrung angedeihen lassen, wollen sie, daß auch die ganze Welt ihnen die größte Gerechtigkeit widerfahren lassen soll. – Sagt man: daß ihre
Stimme nicht zureichend wäre, so versuchen sie neue Deductionen. Sucht man diese neue Deductionen zu beleucten, und zu entkräften: so ist man in ihren Augen unbiegsamen Geistes genug, sich einer neuen Ideenreihe nicht aufschmiegen zu können.

Ich muß hievon sprechen, weil ich auch hier mit den Anhängern der kantischen Philosophie rechten muß. Ich würde dieses alles nicht erwähnt haben, wenn ich mich nicht auf Fakta berufen könnte, die einem jeden vor Augen liegen.

»Denn ich weiß, daß man vor gewissen gelehrten Tribunalen eher die ganze Sittlichkeit und ihr heiligstes Produkt, die Religion, angreifen darf, als die – Kantianer.«

Ohne Rücksicht zu nehmen, daß der streitigste Punkt der kantischen Philosophie in praktischer Rücksicht, worauf beinahe das ganze Gebäude fußt, worauf es bei den großen Aufwand von zusammengebrachten Materialien abgesehen war, nicht aufs Reine gebracht ist, – ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß das ganze System der Sittlichkeit, noch den größten Anfällen ausgesetzt ist, denen es vielleicht in Ewigkeit keinen Wall entgegensetzen wird, – ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß die ewige Kollision des Sittengesetzes mit dem Willen, nie die Freiheit, auf der einen Seite, von den Fesseln der Nothwendigkeit, und auf der andern, von den Meckereien der Sittenlosigkeit, befreien kann – und troz der feinen und treflichen Spekulationen eines Reinhold, nochj um keinen Schritt auf’s Reinere gebracht ist, – ohne Rücksicht auf dieses alles zu nehmen, sehen wir die verblendende Anhänglichkeit den alten Pythagoräer von neuem, in vielen Kantianern, aufleben, die mit ihrem lieben άντός έφα so genügsam in der Welt herumtummeln, und alles nach einer Kritik lichten, deren Formeln sie bloß ihrem Gegenstande anzupassen suchen.

In allen Reichen der menschlichen Erkenntniß sieht man sie beschäftigt, alles nieder zu reissen, um es ihren Prinzipien gemäß umzuschaffen. Doch nirgend wo sieht man sie rüstiger zu Werke gehen, als bei den Gegenständen, welche unmittelbar mit ihrer praktischen Philiosophie in Kollision kommen. Ohne Rücksicht zu nehmen, daß das Prinzip, das der praktischen Vernunft zur Basis dient, noch ncit seine völlige Gewißheit erlangt hat, seiht man sie die Geschichte, die Politik, das Recht der Natur, die Religion und so gar – die Offenbarung, aburtheln mit einer Anmaßung – immer den Parteigängern einer jeden Schule eigen war.

Doch es hat nicht den mindesten praktischen Einfluß, wenn die spekulativen Denker auf dem Kampfplatz, den ihnen ihre transcendentale Formeln anweisen, ihren Streit schlichten. Wenn sie aber die Schranken durchbrechen, unter das Publikum mit ihren Waffen umherlaufen, überall in einer Kraftsprache ihr Recht durchsetzen wollen; so ist es Pflicht eines jeden Mannes, zum wenigsten seine Bedenklichkeiten unparteiisch vorzubringen. Von der Art ist nun die Richtung, welche der Ideengang der Kantianer, in Rücksicht der Religion, nimmt.

Als die kantische Philosophie ihren Schauplatz eröffente, riefen ihre Gegner: Atheismus, Skepticismus, Materialismus, Vernichtung aller Moral und Religion! Unter diesem Schreien und Rufen, spielte das Drama fort. Es ward endlich alles ruhiger. Die Gegner sahen sich getäuscht, das Publikum, das keine Partei nahm., sah‘ sich getäuscht. Denn ganz wider Erwarten erschien zum Beschluß, – eine Kritik aller Offenbarung.

Die Kritik aller Offenbarung wollte, die Vernunftmäßigkeit des Begriffs Offenbarung überhaupt, darstellen. Man sollte hier glauben, welche terram incognitam der Verfasser bereisen, und auf welche neue und unerwartete Eroberungen er ausgehen will, wenn man ihn einen solchen vorrath von Utensilien zusammen bringen sieht, die ihm auf den ungebahnten Wegen durchkommen helfen sollen. Aber im Grunde muß es einen jedem Leser ein Lächenabzwingen, wenn man den Verfasser, mit solchen anmaßenden Tone, sein werk beschließen seiht, das, wenn man den ihm eigenen Vortrag, der uns die Gegenstände etwas anders darzustellen scheint, abrechnet, nicht den mindestenj Anspruch machen kann, uns eine neue Aussicht eröffnet zu haben.

Im Grunde heißt: die Vernunftmäßigkeitdes Begriffs Offenbarung darthun, so viel; ich will, daß die Offenbarung – nicht bloß den Vernunftsprinzipien nicht widersprechen soll, denn das hat man schon viel eher versucht, sondern – durch die Vernunftprinzipien, Allgemeingültigkeit erhalte. Was ist hier anzufangen? Man muß den Weg nehmen, den alle Verkündiger des Heils gehen. Man muß die Menschen auf derjenigen Seite einzunehmen suchen, wo sie sich am wenigsten festzusetzen vermögen.

Das hat unser Verfasser sehr wohl verstanden. – In unserm an Begriffen reichen Zeitalter, wo man die Worte so zu sublimiren weiß, daß man ihnen, ohne Rücksicht auf ihren Ursprung, nach einem willkührlich festgesetzten Prinzip, eine jede Bedeutung unterschieben kann, sehen wir unsern Verfasser die Offenbarung selbst, ungestraft in einen Begriff verwandeln, d.h. sie nach solchen Gesetzen bestimmen, welche in einem der praktischen Vernunft untergeschobenen Prinzip gegründet sind.

Allein wenn der Verfasser will, daß der Begriff der Offenbarung dem Sittengesetze entsprechen müsse; so kann er daraus nicht schließen, daß eine jede Offenbarung, die diesen Gesetzen widerspricht, keine Offenbarung sei. Doch das wollte er auch nicht.

Er wollte bloß zeigen: daß eine Offenbarung, die dem Sittengesetze entspricht, nur eine solche sei, die der Mensch wollen kann. Was hat er nun in dieser Rücksicht ausgemacht?

Daß eine jede Offenbarung, die dem Sittengesetze widerspricht, keine Offenbarung im eigentlichen Sinne sei? – Hier setzt er aber erstens das Sittengesetz unbedingt voraus, zweitens verwechselt er Offenbarung mit dem, nach Verhältniß des Fortschritts unserer Bildung, wieder modificirten Begriffe davon.

Ich frage den Verfasser blos: ist Offenbarung ein faktum? Ist davon ein Begriff ohne vorhergegangene Wahrnehmung denkbar? Das räumt der Verfasser ein. – Nun wohl! Denn ist er auch nicht berechtigt, die Vollständigkeit aller Offenbarung in seinem Begriffe aufzusuchen. Will er die Vollständigkeit aus dem Sittengesetze hypostasiren; so muß er erst das Prinzip der Sittlichkeit, von welchem er ausgeht, gegen alle Anfälle der Gegener rechtfertigen.

Gesetzt nun, das Prinzip der Sittlichkeit steht fest, dann hat er bloß gezeigt, welche Offenbarung der Mensch nach dem Sittengesetze wollen kann. Nun fragte ich: welchen Zweck hatte der Verfasser bei dieser Entscheidung. Soll eine solche Offenbarung bei ihren Anhängern die Stelle des Sittengesetzes, ihres sittlichen Werths wegen, ursprünglich vertreten haben: so muß sie nach dem Prinzip der Sittlichkeit erkannt worden seyn, d.h. im Grunde, es war eine Offenbarung ehe noch eine war; welches ein offenbarer Widerspruch ist. Soll sie aber jetzt nach ihren sittlichen Werth gewürdigt werden, so ist es doch wahrlich ein eitles Gepräge, unsern höhern Zweck in bloßen Worten ver leugnen zu wollen.

Der Verfasser der Kritik aller Offenbarung hat daher seinen Gegenstand unzureichend und zwecklos bearbeitet. Unzureichend: er setzt einen Begriff von Offenbarung vooraus, den er auf ein Prinzip der Sittlichkeit gründet, welches noch vielen Einwürfen ausgesetzt und noch lande nicht so feststehend ist, als seine Anhänger glauben. Zwecklos: denn giebt man ihm das Prinzip zu, so ist die Frage: für wen soll Ofenbarung?

So zwecklos die Kritik aller Offenbarung in spekulativer Rücksicht auch im Grunde zu seyn scheint, haben doch die Anhänger derjenigen Schule, nach deren Prinzipien sie behandelt worden, nicht ermangelt, in ihr einen gewissen Zweck aufzufinden, nehmlich: inwiefern mit völliger Gewißheit daraus zu entscheiden ist, welche Offenbarung göttlichen Ursprungs seyn könne, um an sie »ohne alle Furcht irgend einer Störung glauben zu können.«

Wenn die Sache nun bloß nach Prinzipien einer Philosophie, sei es welcher es wolle, abgethan werden soll; so muß, nachdem gezeigt worden, wie Offenbarung überhaupt möglich sei, billigerweise die Frage aufgeworfen werden: wie muß das Wesen[1] einer Offenbarung beschaffen seyn, um einen Zweck daraus zu bestimmen, der allgemeingültig für alle Menschen seyn soll? – Es versteht sich, daß die Beantwortung einer solchen Frage auf eine der vorhandenen wirklichen Offenbarungen, nicht vollkommen wird angewendet werden können, und daß bei einer vor allen andern erschlichen, oder für alle gleich aufgefunden seyn wird.

Denn nimmt man an, daß in Rücksicht einer Frage etwas Allgemeines bestimmt wird: so werden auch alle ihm untergeordnete oder entsprechende Objekte darauf bezogen werden können. Das mehr oder weniger darf hier nicht entscheiden, genug der Gegenstand wird zur Gattung gerechnet. Eine jede Offenbarung wird daher, in der aufgefundenen allgemeingültigen, ihren Ort finden.

Bei einer solchen Deduction kann keine der wirklichen Offenbarungen Sitz und Stimme verlieren. Denn alle müssen sich aus den, nach theoretischen Prinzipien aufgefundenen, Wesen einer Offenbarung erklären lassen, um eines allgemeingültigen Zweckes theilhaftig zu werden.

Schränkt men jene Frage bloß darauf ein, zu bestimmen: welchen Zweck eine allgemeingültige Offenbarung überhaupt haben muß, dann setzt man ein Prinzip fest, aus welchem sich erst eine Offenbarung entwickeln soll. Es versteht sich von selbst, da einer jeden wirklichen Offenbarun ein besonderer Zweck untergeschoben werden kann, daß von allen nur diejenige den Vorzug erhalten wird, welcherman den Zweck der allgemeingültigen unterzuschieben würdigt.

Die Frage über den bloßen Zweck einer Offenbarung, ohne auf ihr Wesen Rücksicht zu nehmen, beruht aber im Grunde auf einer Täuschung. Eine jede Offenbarung, die ein jedes denkendes Wesen annehmen muß, hat ihren Zweck in der Existenz der Menschheit selbst, d. h. Wahrheit und Offenbarung fallen hier in einander. Es muß daher immer etwas Täuschendes Statt finden, wenn ich den Zweck einer wirklichen Offenbarung nach einem allgemeingültigen bestimme, weil eben der Mangel an Allgemeingültigkeit ihr eigen seyn muß.

Hieraus erhellt also, daß wenn der Begriff Offenbarung überhaupt nicht verloren gehen, d. h. wenn er nicht bloß in Wahrheit übergehen soll, daß man eine, nach theoretischen und praktischen Prinzipien allgemeingültige, Offenbarung auffinden muß, welche nur für den Denker Gültigkeit haben, aus welcher eine jede Offenbarung ihre Deduction erhalten kann.

Der Denker wird aber jene allgemeingültige Offenbarung der menschlichen Denkart nur angemessen finden, insofern er die Angemessenheit einer jeden wirklichen Offenbarung, nach Wesen und Zweck daraus deduciren wird; fällt die etztere hinweg, so wird er auch jene aufgeben.

Wenn die Kritik aller Offenbarung also darauf hinausgeht, ohne Rücksicht auf das Wesen der Offenbarung, uns bloß dem Zwecke nach eine Offenbarung zu bestimmen, beißt das nicht den Glauben an eine Offenbarung ohne Offenbarung fixiren? Und kann daraus bestimmt werden, daß das Wesen einer Offenbarung jenen Zweck bestimme?

Also vorher den Zweck der Offenbarung fixiren, den sie haben soll, heißt die Offenbarung aufheben. Dem Inhalt einer Offenbarung aber den Vorzug geben, aus ihr einen Zweck fixiren, würde den unsäglichen Streit veranlassen: welchen Zweck Offenbarung überhaupt habe.

Die Auffindung einer Offenbarung, in deren Glauben wir nie gestört werden sollen, ist daher ein wahrer Widerspruch. Die Deduction, als auch das Resultat der Kritik aller Offenbarung, ruht daher weder auf festen Prinzipien, noch hat sie eine scharfe Linie in Rücksicht der Data gezogen.

Nun wäre es aber nicht der erste Versuch, den ein philosophischer Kopf gewagt, eine gewisse Idee so auseinander zu setzen, daß sie, wo nicht völlig angewendet, zum wenigsten ein Muster werde, aus welchem die Menschen überhaupt gewisse Züge, nach Bedürfniß zu realisiren suchen. Wenn der Verfasser dies beabsichtigt hätte, so wäre es bloß ein Versuch: Die Uebereinstimmung des Glaubens überhaupt mit der Vernunft zu veranlassen, und ich hätte, als Gegner, meine Pflicht gethan bloß zu zeigen: daß Offenbarung als solchen und als Gegenstand des Glaubens, nie mit der Vernunft übereinstimmend gedacht werden kann.

Allein, die Absicht des Verfassers geht dahin, eine gewisse wirkliche Offenbarung als göttlich anzuerkennen, weil sie am nächsten seinen Kriterien der Offenbarung entsprechen soll, und daher am ersten mit der Vernunft in Uebereinstimmung gebracht werden kann. Und diese Offenbarung ist – die christliche.

Ich hätte dieses nie vermuthet, daß nach einer Kritik aller Offenbarung die christliche einzig und allein feststehend bleiben sollte. Im ganzen Buche wird auch auf keine Offenbarung bestimmt hingedeutet.

Mit dem Verfasser der Kritik aller Offenbarung, geht es mir aber, wie mit jenem Verfasser des Beitrages zur Berichtigung etc. Dieser verräth durch das einzige Wort, »Kopfabschneiden,« daß die auf dem Titelblatte erwähnte französische Revolution (deren übriges im ganzen buche nicht Erwähnung geschieht) doch einige Beziehung auf sein Raisonnement habe. Jener entdeckt mir am Ziele seiner Untersuchungen, durch die Bemerkung: wie seine Grundsätze uns einen Weg eröffnen, »den offenbar auch das Christenthum vorschriebt,« daß seine Kritik aller Offenbarung, mit dem Christenthume (dessen er im ganzen Buche übrigens keine Erwähnung thut) in guter Verbindung steht.

Der Schüler wollte aber doch nicht klüger wie der lehrer seyn. Die Anwendung der Grundsätze einer Kritik aller Offenbarung hat der Verfasser weislich seinem Lehrer überlassen. Ich und alle diejenigen, welche einiges Interesse für echte Wissenschaft zu besitzen glauben, hatten also Gelegenheit, aus einer eigenmächtigen Quelle die Data zu einer unserm Zeitalter ganz eigenen, Entdeckung zu schöpfen: daß der christliche Offenbarung gegründet wäre.[2]

Dem Himmel sei Dank! die Kontroverspredigten hat man von den Kanzeln verdammt, unsere Philosophen führen sie wieder auf dihren Kathedern ein. Und doch klagt man über den bösartigen Einfluß der Aufklärung.

Ist es denn weniger als eine Kontraversprdigt, wenn ein Philosoph, ein transcendentaler Denker, nach seinen fixirten Prinzipien Offenbarung und Religion zu messen sich unterfängt? Er kann die Möglichkeit einer allgemeingültigen Offenbarung, kann den Zweck einer Religion überhaupt bestimmen. Wird er aber mit Fug und Recht aus den Dativ einer Offenbarung behaupten können, daß sie allgemeingültig sei, und daß die darauf gebaute Religion dem Zwecke einer Religion überhaupt entspreche? Wird er das können, wenn man bedenkt: daß diese Data unter den Händen denkender, und nach Umständen gewandter Köpfe, solche Form erhalten, aus welchen man so viele Zwecke heraus suchen kann, als man Belieben trägt, und die für jedes Prinzip, daß man festsetzt, ad libitum, wie Marionetten sich drehen und wenden lassen? – Hat es nun mit den Datis, welche der christliche Glaube aufstellt, eine andere Bewandniß, als mit denen, welche andere Religionen darbieten?

Ich will den Leser erst in die Grundsätze des Verfassers hineinversetzen.

* * *

Religion[3] besteht in der Verehrung Gottes, als der Gesetzgeber aller unsrer Pflichten. Die Gesetze sind entweder statuarische (Befolgung gewisser Vorschriften, ohne auf ihren innern (moralischen) Werth zu sehen) oder reinmoralische. Es sind nur die statuarischen Gesetze, welche einer mannigfaltigen Form fähig sind, in deren Wahl uns bloß eine Offenbarung bestimmen kann; anstatt daß die reinmoralischen durch Vernunft erkannt werden und daher nur einfach (dem Sittengesetze gemäß) seyn können. Jene bilden einen historischen, diese einen reinen Vernunftsglauben.

Insofern sich nun die Menschen unter eine moralische Gesetzgebung, als von Gott gegeben, zu einem gemeinen Wesen vereinigen, entsteht eine Kirche. Sie ist unsichtbar, insofern sie als bloße Idee nicht realisirt werden kann; im Falle aber die Menschen streben, sich dieser Idee zu nähern, und deshalb vereinen, jenen Gedanken zu verbreiten, ist sie sichtbar.

Da die Menschen allgemein aber zu keiner reinen Vernunftreligion reif sind, so entwickelt sich mehrentheils unter ihren eine gottesdienstlicher Glaube. Wie wir aber in diesem göttlichen Staat auf Erden uns als Bürger zu betragen haben, kann nicht durch Vernunft beantwortet werden. Es wird daher eine Kirche gebildet, welche sich auf einen statuarischen, historischen, durch Offenbarung erweckten Glauben gründet, der, im Gegensatz des reinen Religionsglaubens, Kirchenglaube genannt werden kann. Es giebt nur eine (wahre) Religion, auf welche aber vielerlei Arten des Glaubens hinführen können. Man sollte daher nur immer der Glaube der Juden, Mahomedaner und Christen, und nicht die Religion derselben sagen, von welchem ein jeder eine Kirche formirt, deren Glaube an dem reinen Religionsglauben, einen Ausleger hat, welcher um introducirt werden zu können, sich jenes Glaubens bedienen muß.[4]

Ein jeder statuarischer Kirchenglaube wird erhalten durch Schrift, welche den allgemeinen Endzweck eines reinen Religionsglaubens zu begründen fähg seyn wird, jemehr sie den Grundsätzen eines reinen Religionsglaubens näher gebracht werden kann.

In je höheren Grade nun ein stauarischer Kirchenglaube, vermöge der Mittel, die er vor sich hat, (als höhere Erkenntniß eines reinen Religionsglaubens in Vernunftsäußerung, in Aufsuchung derselben in den historischen Monumenten) auf einen allgemeinen Religionsglauben aufmerksam macht, je mehr näher er sich der Allgemeinheit, je mehr kann er wahre Kirche genannt werden, die, in Behauptung ihrer Mittel dazu, triumphirend, und endlich alleinseligmachend werden kann.

 


[1] Unter Wesen der Offenbarung verstehe ich hier den materiellen Inhalt derselben, den wir durch Prinzipien der Natur bestimmen.

[2] Das Resultat in der letzten von Kant erschienen Schrift: die Religion innerhalb den System der Vernunft.

[3] Daselbst S. 139.

[4] Daselbst S. 149.


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