Eisenmenger, der Zweite

von Saul Ascher (1767-1822)

An den Herrn Professor Fichte in Jena

Herr Professor!

Nachfolgende Bemerkungen waren schon dem Drucke übergeben, als mich das Ungefähr im einen Zirkel von aufgeklärten Denkern führte, wo man unter andern, auch über die Rechtmäßigkeit der schriftstellerischen Anonimität, sich einige Bemerkungen zu machen erlaubte.

Einer aus unserm Zirkel behauptete: die Republik der Publicisten gleiche einer Maskerade. Die Schriftsteller, die sich zu ihren Arbeiten bekennen, erscheinen nie wie sie wirklich sind, die, welche ihre Namen verschweigen, schreiben meistens für eine Welt, die sie sich bloß denken, welche aber nicht wirklich vorhanden ist. Zu diesem Ende allegirte er eine Menge Schriftsteller und Schriften, um seine Behauptung durch Beweise zu bekräftigen.

Bei diesem Gespräche bemerkte ich, daß mein Freund einen Anonimen zu erwähnen vergessen, der ein vorzügliches Interesse für mein Gedächtniß haben mußte, da er mich veranlaßt, die folgenden Bemerkungen öffentlich erscheinen zu lassen. Ich meine, den Verfasser des Beitrags zur Berichtigung der Urtheile des Publikums über die französische Revolution. – Kaum hatte ich dieser Schrift mit der Bemerkung Erwähnung gethan; daß ich glaubte, der Verfasser derselben haben so geschrieben, wie man aus Ueberzeugung immer zu schreiben pflege; so entgegnete mir mein Freund, daß dieser Verfasser gar nicht zu den Anonimen gehören wollte, sondern gegen verschiedene Freunde sich mündlich schon zu dieser Schrift bekannt habe. Die Anonimität war entweder wohlüberlegte Vorsicht, um den Jähzorn, welchen die mannigfaltigen Ausfälle auf verschiedene Stände verursachen könnten, in den ersten Augenblicken gegen seine Person erkalten zu lassen; oder Affektation, um unter der Maske des unbekannten, imposante und schneidende Urtheile, in einem Nimbus von Gemeingeist und Kosmopolitismus, als Wahrheit verbreiten zu können.

»Also der Herr Professor Fichte in Jena ist der Verfasser jener Schrift?« – das wiederholte ich mir einigemal, um meine Einbildungskraft zu der Geläufigkeit zu gewöhnen – einen Professor der Philosophie und – einen anmaßenden Schriftsteller – in einer Person mir vorstellen zu können. – Auf der andern Seite war es mir äußerst angenehm, aus der Aehnlichkeit in der Manier, die ich, wie Sie in der Folge bemerken werden, in Ihrer Kritik aller Offenbarung und in Ihrem Beitrag zur Berichtigung etc., bemerkt haben will, so ziemlich die gemeinschaftliche Quelle beider Produkte geahndet zu haben.

Indeß ist die Verlegenheit, in der Sie sich befinden, sich als den Verfasser des Beitrages zur Berichtigung etc. öffentlich ausgestellt zu sehen, lange noch nicht so groß als die meinige. – Ich habe mir es zum Gesetz gemacht: keine Zeile von mir drucken zu lassen, zu welcher ich mich nicht gleich öffentlich bekenne.

Nun bedenken Sie: ich der Autodidaktos, muß nun gegen einen Professor der Philosophie auftreten, welcher doch weit mehr gelten soll, als einer der Sophisten Deutschlands, wie Sie einen Rehberg zu nennen belieben – ich, der ich keinesweges glaube, durch meinen Namen meiner Schrift das Siegel der Vollkommenheit aufzudrucken, wage es nun, den Publikum in meinem Gegner, den Verfasser der Kritik aller Offenbarung zu erkennen zu geben – ich, der ich wähne, daß in meinen Tode nur ein Grashügel meinen Staub bedecken wird, nehme es mit einem Manne auf, der sich erst im Alter oder nach seinem Tode durch das Bekenntniß, der Verfasser des Beitrags zur Berichtigung etc. zu sein, das dauernste Monument zu verschaffen wähnt. – Wenn ich alles das erwäge, so muß ich mich wohl fragen: welches Schicksal hast du zu erwarten?

Ich wollte aber dadurch keinesweges sagen: daß ich, wenn Sie, Herr Professor, der belobten Schrift Ihren Namen vorgesetzt, mich nicht erdreistet hätte, Ihnen einige Gegenbemerkungen zu machen. Ich wollte nur sagen, daß ich dann nicht nöthig gehabt hätte, mich hin und wieder so bitter auszudrücken, und dies nur – weil ich noch so viel Ehrgefühl bei Ihnen erwarte, daß Sie auch alsdenn eine größere Bescheidenheit in Ihren Ausdrücken würden beobachtet haben. – Wenn ich dann so geschrieben, wie ich jetze wirklich gethan, dann hätte ich freilich ein Schicksal in der gelehrten Welt verdient, wie Sie mir jetzt vielleicht wünschen.

Aber sagen Sie mir aufs Gewissen: wie würden Sie verfahren haben, wenn Ihrem Stande irgend jemand so zu nahe getreten wäre, wie Sie mir und einem jeden braven Juden nahe gekommen sind? Sie hätten geschwiegen, das weiß ich, aber nur – wenn der Verfasser mit minder schriftstellerischen Fähigkeiten ausgerüstet wäre, wenn er mit eienm geringern Grade von Scharfsinn seine Prinzipien, sie mögen wahr oder falsch sein, auf jeden beliebigen Gegenstand, der ihm auf seinem Wege aufstößt, antwendete – als Sie, – doch nicht, wenn er, mit einer lebhaften und feurigen Suade, alle Folgerungen gelten zu machen sucht, die er aus Prinzipien deducirt, welche zwar einen hohen Grad von Scharfsinn, aber keinesweges Allgemeingültigkeit verrathen, – nicht, wenn aus diesen Prinzipien ein tiefangelegter Plan hervorleucchtet, der nicht allein einer ganzen Nation, sondern auch der ganzen Menschheit, nachtheilig sein kann, – nicht, wenn die gethanen Ausfälle stricte aus jenen unzureichenden Prinzipien zu folgen scheinen.

Befinde ich mich nun in einem andern Verhältniß gegne Sie? – Wenn ich in jener Schrift Scharfsinn, nachdrücklichen Vortrag, scheinbare Konsequenz u. s. w. vorfinde, wenn ich darin die Arbeit keines gemeinen Kopfes erkenne: so muß mich mein Gewissen um so mehr auffordern, da, wo dieser gute Kopf excentrisch zu sein scheint, ihn, der nachtheiligen Folgen wegen, in seine Bahn zurück zu scheuchen

Die Unbescheidenheit, Ihrer Anonimität den Schleier entrissen zu haben, werde ich nicht mit den besten Gründen entschuldigen können. Indeß kann ich dabei keinesweges gewinnen, wenn ich in Ihnen dem Publikum meinen Gegner anzeige. Denn es braucht nur von einem kleinen Grade von Prädilektion belebt zu sein, so wird es sich leicht den Erfolg eines Schauspiels denken, wo der Zwerg den Riesen zu bekämpfen verspricht – Bloß ein kleiner Grad von Eigenliebe, den ich hier selbst an mir verrathen muß, verleitet mich das Publikum zu überzeugen, daß ich doch nicht mit einem Schatten fechte.

Es wird sich freilich wundern, daß einer von seinen ersten Denkern, auf solchen Abweg gerathen konnte. Mancher Ihrer Verehrer, Herr Professor, wird freilich den Kopf schüttlen, und ausrufen: das geziemt einem Denker, einen Professor der Philosophie nicht! Doch Ihre wahren Verehrer werde ich Ihnen dadurch keinesweges abwendig machen: Sie werden mit diesem Fehlschritte Ihren positiven Werth in ihren Augen behalten. Sie werden immer ein orgineller, spekulativer Kopf bleiben, aber auch nicht der erste Ihrer art sein, der unbeschadet dieser seiner Fähigkeit, sich in seinem Enthusiasmus verleiten läßt, über die Verhältnisse in der wirklichen Welt so imposant zu urtheilen.

Wenn der große Rousseau wie es mir Ihre Worte oft zu verrathen scheinen, Ihr Muster ist: so hätten Sie sich in den Schranken halten sollen, die dieser weise Mann sich vorzeichnete. Er schuf sich eine Welt, welche die allgemeine Glückseligkeit der Menschen begründen sollte. Er zeigte nur immer die Mängel an, die der Menschheit überhaupt nachtheilig wären. Er wollte dem allgemeinen Interesse, das die Gesellschaft daran hatte, einen Stoß versetzen. Er tadelte ihre Denkart, ihre Verfassung, ihre Handlungsweise. Sie mußte gegen ihr eingebildetes Interesse handeln, wenn sie ihm folgen wollte.

Sie aber, Herr Professor, verderben Alles durch eine Inkonsequenz, der Sie sich dadurch schuldig machen, daß sie die Gesellschaft, indem Sie ihr die einzelnen Mängel, welche sie in ihrem jetzigen Zustande von Glückseligkeit stören, mit solchen grellen Farben schildern, in diesen einzelnen Mängeln die Quelle ihres allgemeinen Verderbens zu wähnen, veranlassen. – Hat die Konstitution der Gesellschaft eine schiefe Richtung, so müssen daraus alle einzelnen Mängel eentstehen. Wird jene gehoben, so werden sich auch diese verlieren.

Gift und Dolch, predigen Sie nun gegen die Juden, und vergessen, daß Sie gegen alle bestehende Gesellschaften diese Katachrese gebrauchen. Ist die Möglichkeit vorhanden, daß je eine Gesellschaft nach Ihren spekulativen Plane konstituirt werden kann, und eine bessere Richtung dadurch erhält: so wird der Jude daran Antheil nehmen können und müssen.

Nach Ihrem Ideengange heißt es aber: der kleine Grad von Glückseligkeit, der einer Gesellschaft, nach dem jetzigen Zustande der Dinge, eigen ist, wird unter andern auch durch den Juden verbittert. Der Jude ist der erste Stein des Anstoßes in einer jeden Gesellschaft; er ist die Hydra, die alles um sich her zerstört; er liegt, dem Cerberus der Hölle gleich, vor den Pforten des Tempels der Glückseligkeit und versperrt allen den Zugang; er, der Jude – doch was würden Sie nicht alles, in dem Augenblicke Ihrer Inkonsequenz, dem Juden aufgebunden haben!

Schon aus diesen beiden Zeilen Nathans beim Lessing:

Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,
Als Mensch?

Muß Ihnen ihre Inkonsequenz hervorleuchten, und Sie sollten mir es verübeln, wenn ich sie beschuldige: daß nicht Ihre Logik, sondern Ihr Herz Sie dazu verleitet? Sollten mir es verübeln, wem ich Sie für den rühmlichsten Nachfolger eines Eisenmengers erkläre?

Der mindeste Aerger, den Sie gegen mich äußern wollen, würde Sie nur in den Augen eines juden biedern Mannes in ein noch gehässigeres Licht setzen. Sie würden Ihrem Karakter die noch einzige Entschuldigung entziehen, daß ein gewisser Anfall von Mysantropie Sie irre geleitet habe. – Auch der Weise hat das Recht, das zu verabscheuen, was er in dem Augenblicke that, wo er nicht Herr seiner selbst war.

Ich glaube schwerlich, daß Sie hiervon Gebrauch machen dürften. Ein solches Mittel ist kein kräftiges Antidot eines Uebels, dessen Wurzel bei Ihnen tiefer liegt, als es gemeinhin der Fall zu sein pflegt. Ich werde Ihnen deutlicher sein, wenn ich Ihnen sage: daß die Prinzipien die Ihr großer Lehrer, Kant, Ihnen vorzeichnete, Ihrem Geiste eine solche Richtung geben mußten, die mit jenen Prinzipien steht und fällt.

Was ich daher gegen Hrn. Kant in folgenden Blättern vorbringe, werde ich keinesweges auf Ihre Rechnung schreiben. Ich wünschte, daß es zu Ihrer Rettung etwas beitragen möchte. Denn entgehen kann es dem Denker nicht, daß Ihr Uebel kein endemisches ist. Daß es bei Ihnen sich aber in solchen auffallenden und schrecklichen Symptomen äußert, dazu muß die Disposition wohl in Ihren selbst vorhanden sein. Sie von aller Zurechnung frei zu sprechen, setzt daher wahrlich nicht bei mir.

Genug werde ich schon bewirkt haben, wenn ich Ihren Lehrer eines Theils überzeugt, wie nachtheilig es selbst für seine gute Absicht ist, einem jedem, ohne vorher seinen Karakter einer strengen Prüfung unterworfen zu haben, die Pforte seines Lyceums zu öffnen, und ihn auf dem Gebiete seiner esoterischen Philosophie oder seiner Meinungen frei umher wandeln zu lassen.

Die einzige Entschuldigung, die man für Hrn. Kant in Rücksicht Ihrer anführen könnte, wäre bloß; daß Sie durch eine Kritik aller Offenbarung – wie? Keinen Wink zu einer Kritik des Judenhasses gegeben?

Daß Sie aber sich zugleich dazu entschließen konnten, diese Idee zu realisiren: da0 Sie so öffentlich die Prolegomena dazu dem Publikum vorlegten; das kann und darf einer Rüge in unserm, zu excentrischen Prinzipien geneigten, Zeitalter nicht entgehen. Ob Sie sich von einer jeden gehässigen Absicht los zu sprechen vermögen werden, zweifele ich sehr. Eben so wenig stehe ich dafür, daß ihr großer Lehrer davon frei gesprochen werden dürfte. Ob durch seine oder Ihre Schuld? das weiß ich wirklich nicht stricte auszumitteln.

Schließlich bitte ich Sie, lieber Hr. Professor, meine in folgenden Blättern geäußerte schriftstellerische Manier, nicht in meinem Karakter aufzusuchen. Sie macht wahrlich nicht die Basis meiner Denkart, vorzüglich gegen Männer von entschiedenen Talenten, aus. Sie können daher glauben, daß auch Ihre schätzbare Seite bei mir ihren Werth behält. Ich wünsche, daß Ihr Scharfsinn Sie von meinen Vorwürfen so befreien mag, wie die Wahrheit und die gute Sache mich und meine Nation, von den Ihrigen retten kann und wird.

Ich erwarte Ihr Stillschwiegen oder Ihre Antwort mit der Gleichmüthigkeit eines Klienten, der seine gute Sache den Händen eines erfahrnen Sachwalters übergeben, und nun von einem unbestechlichen Richter, ein gerechtes Urtheil zu erwarten hat.


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