Corinna oder Italien
von Anna Louise Germaine de Staël
Zwanzigstes Buch: Schluß
Viertes Kapitel
Lord Nelvils Brief an Corinna.
»Wenn Sie nicht die großmüthigste Frau in der Welt wären, was könnte ich Ihnen dann noch zu sagen haben? Sie können mich mit Ihren Vorwürfen überhäufen, und, was noch viel entsetzlicher ist, mir durch Ihren Schmerz das Herz zerreißen. Bin ich denn ein Ungeheuer, Corinna, da ich dem, was ich liebte, so viel Schmerz bereitet? Ach, ich selbst leide so viel, daß ich mich nicht für ganz gewissenlos halten kann. Als ich Sie kennen lernte, Sie wissen es, lastete auf mir ein Kummer, der mir ins Grab folgen wird. Ich hoffte nicht mehr auf Glück. Lange kämpfte ich gegen Ihren Zauber an, und als er mich endlich besiegte, habe ich im Herzen auch stets ein Gefühl der Trauer – die Vorahnung eines unglücklichen Schicksals – mit mir herumgetragen. Bald glaubte ich, der Vater habe Sie mir gesendet, weil er im Himmel über mir wache, und es wolle, daß ich auf Erden noch einmal geliebt sei, wie er mich liebte; bald wieder fürchtete ich seinem Willen ungehorsam zu sein, wenn ich eine Ausländerin zur Gattin wählte, wenn ich von der mir durch Pflicht und Verhältnisse vorgeschriebenen Bahn abwiche. Diese letzte Ueberzeugung blieb die herrschende, als ich nach England zurückkehrte, und dort erfuhr, daß meine Liebe für Sie schon im Voraus von meinem Vater verurtheilt worden war. Hätte er gelebt, so würde ich mich berechtigt gehalten haben, in dieser Sache gegen seine väterliche Autorität zu handeln; die Todten aber hören uns nicht mehr, und ihr Wille wird uns nur theurer und heiliger dadurch, daß sie ihn nicht mehr behaupten können. Ich fand mich wieder gefesselt von den Banden und Gewohnheiten der Heimat, und begegnete nun Ihrer Schwester, die mein Vater mir bestimmt hatte, und welche dem Bedürfniß nach Ruhe, der Sehnsucht nach häuslicher Regelmäßigkeit so sehr zu entsprechen schien. In meinem Charakter liegt eine gewisse Schwäche, die mich vor Allem, was das Leben heftig erregt, zurückscheuen läßt. Mein Geist ist zwar durch neue Hoffnungen zu verleiten; aber ich habe so viel gelitten, daß meine kranke Seele Alles fürchtet, was sie starken Erschütterungen aussetzen könnte, was sie zu Entschließungen führen könnte, um derentwillen meine Erinnerungen und die mir angeborenen Neigungen verletzt werden müßten. Und doch, Corinna, wenn ich Sie in England gewußt hätte, würde ich mich niemals von Ihnen haben losreißen können; dieser wundervolle Beweis von Liebe hätte über mein ungewisses Herz entschieden. Ach! was nützt es, zu sagen, was ich gethan haben würde? Wären wir glücklich geworden? Bin ich fähig, es zu sein? Schwankend, wie ich bin, hätte ich ein noch so schönes Loos wählen können, ohne reuevoll auf ein anderes zu blicken?
Als Sie mir meine Freiheit wiedergaben, war ich gegen Sie erzürnt, und wendete mich den Ansichten zu, die gewöhnliche Menschen Ihnen gegenüber zu behaupten pflegen. Ich sagte mir, daß eine so überlegene Frau mich leicht entbehren könne. Corinna! ich weiß es, ich habe Ihnen das Herz gebrochen; damals aber wähnte ich, nur mich aufzuopfern. Ich glaubte untröstlicher zu sein, als Sie; glaubte, Sie würden mich vergessen haben, wenn ich Ihnen immer noch nachhängen würde; kurz – die Verhältnisse umstrickten mich. Auch darf ich es nicht läugnen, daß Lucile nicht nur die Gefühle, welche sie mir einflößt, sondern noch viel mehr verdient. Dennoch aber: seit ich Ihren Aufenthalt in England und Ihr Elend erfuhr, an dem ich schuldig bin, seitdem war mein Leben nur ein fortdauernder Schmerz. Vier Jahre hindurch suchte ich den Tod auf dem Schlachtfelde, überzeugt, Sie würden mich entsühnt halten, wenn Sie erführen, ich sei nicht mehr. Zwar haben Sie mir ja sicherlich ein Leben voller Qual und Schmerzen entgegenzusetzen, haben die edelste Treue einem Undankbaren, der sie nicht verdiente, bewahrt; aber bedenken Sie, daß das Leben der Männer sich nach tausend verschiedenen Richtungen hin ausgiebt, welche alle die Beständigkeit des Herzens nicht unterstützen. Wenn es indessen wahr ist, daß ich das Glück weder geben, noch finden konnte; wenn es wahr ist, daß ich allein bin, seit ich Sie verließ, daß ich nie aus Herzensgrund reden kann, daß die Mutter meines Kindes, die so viel Ansprüche an meine Liebe hat, meinem geheimsten Innern, wie meinen Gedanken fremd bleibt; wenn es wahr ist, daß eine immerwährende Traurigkeit mich in jene Krankheit zurückfallen ließ, welcher Ihre Sorgfalt, Corinna, mich einst entzogen; wenn ich nach Italien kam, nicht um mich zu heilen – Sie glauben nicht, daß ich das Leben liebe –, sondern kam, um Ihnen Lebewohl zu sagen: wenn das Alles so ist, und es ist so, werden Sie es mir verweigern, Sie noch einmal zu sehen, ein einziges Mal? Ich wünsche es, weil ich glaube, es würde Ihnen wohlthun. Nicht an mein eigenes Elend denke ich dabei. Was liegt daran, daß ich zerschmettert bin? Was liegt daran, daß eine furchtbare Last für immer auf meinem Herzen lagern wird, falls ich von hier fortgehn muß, ohne Sie gesprochen, ohne meine Verzeihung von Ihnen erhalten zu haben! Ich muß unglücklich sein, – ich muß! und gewiß, ich werde es sein. Aber mich dünkt, Ihr Herz werde sich leichter fühlen, wenn Sie an mich wie an Ihren Freund denken könnten; wenn Sie sehen würden, wie theuer Sie mir sind; es errathen würden aus den Blicken, aus der Stimme dieses Oswald, dieses Schuldbelasteten, dessen Schicksal mehr Veränderung erlitt, als sein Herz.
Ich ehre meine Fesseln, und liebe Ihre Schwester; aber das Menschenherz, wunderlich und inconsequent, wie es nun einmal ist, vermag diese Neigung und die, welche ich für Sie fühle, gleichzeitig zu umfassen. Ich habe Ihnen nichts von mir zu sagen, das sich schreiben ließe; alles, was ich zu erklären hätte, verurtheilt mich. Aber wenn Sie mich zu Ihren Füßen sähen, würden Sie über all mein Unrecht, über all meine Pflichten hinweg es erkennen, was Sie mir noch sind, und diese Unterredung würde Ihnen ein versöhntes Andenken zurücklassen. Ach, Beide haben wir keine sichere Gesundheit, und ich glaube nicht, daß der Himmel uns ein langes Leben bestimmt; daß der, welcher dem Andern vorangeht, sich von dem Freunde, den er auf dieser Welt zurückläßt, beweint, geliebt wisse! Dem Schuldlosen allein sollte dieses Glück zu Theil werden; aber bewilligen Sie es auch dem Schuldigen!
»Corinna, hehre Freundin! Sie, die Sie in dem Herzen lesen können, errathen Sie, was ich nicht sagen darf; verstehen Sie mich, wie Sie mich einst verstanden! Gewähren Sie's mir, Sie zu sehen; gewähren Sie, daß meine blassen Lippen Ihre müden Hände küssen. Ach! nicht ich allein habe dieses Wehe angerichtet: ein und dasselbe Gefühl hat uns Beide verzehrt: das Verhängniß ist's, das zwei Menschen schlug, die sich liebten; aber den Einen von ihnen hat es zum Frevler gemacht, und dieser, Corinna, ist vielleicht nicht am wenigsten zu beklagen!«