Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Zwanzigstes Buch: Schluß

Fünftes Buch.

Corinnens Antwort.

»Wenn ich Ihnen nur zu verzeihen brauchte, um Sie zu sehen, würde ich es keinen Augenblick versagen. Ich weiß nicht, wie es kommt, daß ich keinen Groll gegen Sie habe, wiewohl der Schmerz, den Sie mir bereiteten, mich vor Entsetzen schaudern macht. Ich muß Sie wohl noch lieben, da ich so ohne allen Haß gegen Sie bin; die Religion allein würde nicht ausreichen, mich also zu entwaffnen. Ich habe Zeiten durchlebt, in denen meine Vernunft zerrüttet war; Zeiten – und diese waren die süßesten – wo ich mit jedem Tage an der Beklemmung, die mir das Herz zerdrückte, zu sterben glaubte; Zeiten auch, wo ich an Allem zweifelte, selbst an der Tugend: denn Sie waren ihr Urbild für mich hienieden, und ich hatte die Richtschnur für mein Fühlen und mein Denken verloren, als derselbe Schlag meine Anbetung und meine Liebe traf.

»Was wäre ohne den Beistand Gottes aus mir geworden? Es giebt nichts auf dieser Welt, das mir durch Ihr Andenken nicht vergiftet wurde. Mir blieb in der Tiefe meiner Seele eine einzige Zufluchtsstätte – Gott hat sie mir gewährt. Die Kräfte des Körpers schwinden hinweg, nicht aber die Begeisterung; sie ist mein Hort. Sich der Unsterblichkeit würdig zu machen, ist der einzige Zweck des Daseins; ich glaube dies mit Freudigkeit. Glück und Leid, sie sind nur die Mittel zu diesem Zweck; und Sie – Sie wurden erwählt, um mein Leben aus der Erde zu entwurzeln – ich hing ihr durch zu starke Bande an.

»Als ich Ihre Ankunft in Italien erfuhr, als ich Ihre Handschrift wieder sah, Sie dort – dort auf der andern Seite des Flusses wußte, habe ich in meiner Seele einen fürchterlichen Aufruhr durchlitten. Um zu bekämpfen, was ich fühlte, mußte ich mir unaufhörlich sagen, daß meine Schwester Ihre Frau sei. Ich will es Ihnen nicht verbergen: Sie wiederzusehen schien mir ein Glück, ein überschwängliches Aufwallen, das mein von Neuem trunkenes Herz Jahrhunderten der Ruhe vorgezogen haben würde. Aber die Vorsehung hat mich in dieser Noth nicht verlassen. Sind Sie nicht der Gatte einer Andern? Was konnte ich Ihnen zu sagen haben? Wäre es mir auch nur vergönnt, in Ihren Armen zu sterben? Und was bliebe mir für mein Gewissen, wenn ich kein Opfer brachte, wenn ich noch einen letzten Tag, noch eine letzte Stunde verlangte? Jetzt werde ich vielleicht vertrauensvoller vor Gott erscheinen, jetzt, da ich habe entsagen können, Sie zu sehen; dieser große Sieg wird meiner Seele Frieden geben. Das Glück, so ein Glück, wie ich's empfand, als Sie mich liebten, ist mit unserer Natur nicht in Uebereinstimmung: es bestürzt, es beunruhiget, es ist so bereit, vorüberzugehen. Aber beständiges Gebet und heilige Andacht, deren Zweck es ist, sich selbst zu veredeln, sich in Allem nach dem Gefühl der Pflicht zu entscheiden, die verhelfen zu wohlthätigem Stillhalten, und ich kann nicht ermessen, welche Empörung in diesem Leben der Ruhe, das ich mir errungen zu haben glaube, allein nur der Ton Ihrer Stimme wieder aufzurufen vermöchte. Es hat mir sehr wehe gethan, daß Sie Ihre Gesundheit so angegriffen nennen. Ach! nicht ich darf Sie pflegen, aber leiden darf ich noch mit Ihnen. Gott segne Ihre Tage, Mylord! Seien Sie glücklich, aber seien Sie es durch die Religion; der innige Verkehr mit dem Göttlichen scheint in uns selbst die Stimme zu erwecken, welche tröstende Antwort auf unsere Bekenntnisse ertheilt; sie bildet zwei Freunde aus der einen Seele. Könnten Sie noch nach dem suchen, was man »Glück« nennt? Ach! werden Sie denn Besseres als meine Liebe finden? Wissen Sie wohl, daß ich noch in den Einöden der neuen Welt mein Loos gesegnet haben würde, wenn Sie mir gewährt hätten, Ihnen dahin zu folgen? Wissen Sie, daß ich Ihnen wie eine Sklavin gedient hätte? Wissen Sie, daß ich vor Ihnen, wie vor einem Abgesandten des Himmels, im Staub gelegen haben würde, wenn Sie mich treu geliebt hätten? Und was haben Sie aus so viel Liebe gemacht? Was haben Sie gemacht aus einer Leidenschaft, die einzig war auf dieser Welt? Ein Unglück, einzig wie sie! Darum streben Sie nicht mehr nach Glück! Beleidigen Sie mich nicht damit, daß Sie es noch zu erlangen suchen! Beten Sie, wie ich, beten Sie, auf daß unsere Gedanken sich im Himmel begegnen.

Wenn ich mich aber meinem Ende ganz nahe fühlen werde, dann verberge ich mich vielleicht an irgend einer Stelle, wo ich Sie kann vorübergehen sehn. Warum sollte ich das nicht thun? Wenn meine Augen brechen, wenn es Nacht wird um mich her, und ich draußen nichts mehr unterscheide, dann werde ich Ihr Bild ja doch im Innern schauen, und wird es dann nicht sprechender sein, wenn ich Sie noch eben erst gesehen? Die Götter der Alten waren bei dem Tode der Menschen nicht gegenwärtig – ich werde Sie von dem meinen fern halten, aber ich wünsche, daß meinem erlöschenden Bewußtsein noch ein frisches Andenken Ihrer Züge vorschwebe. Oswald! Oswald! Was sage ich! Sie sehen, was aus mir wird, wenn ich mich der Erinnerung an Sie hingebe!

Weshalb hat Lucile nicht verlangt, mich zu sehen? Sie ist Ihre Frau, aber sie ist auch meine Schwester. Ich habe ihr innige und selbst hochherzige Worte zu sagen. Und weshalb hat man mir Ihre Tochter nicht gebracht? Darf ich Sie auch nicht sehen, so ist doch Ihre Familie auch die meine. Bin ich denn von ihr verstoßen? Fürchtet man für die kleine Julia meinen traurigen Anblick? Es ist wahr, ich bin nur noch ein Schatten, aber für Ihr Kind werde ich ein Lächeln haben. Leben Sie wohl, Mylord, leben Sie wohl! Meinen Sie, ich würde Sie Bruder nennen können, weil Sie der Gatte meiner Schwester sind? Ach, wenigstens werden Sie ein schwarzes Kleid für mich tragen, wenn ich todt bin, werden als Verwandter meinem Leichenwagen folgen. Meine Asche soll nach Rom gebracht werden; lassen Sie meinen Sarg denselben Weg nehmen, über welchen einst mein Triumphwagen zog, und ruhen Sie, mein gedenkend, an der Stätte aus, wo Sie mir einst den Lorbeer wiedergaben. Nein, Oswald, nein, – das ist Unrecht. Ich will nichts, was Sie betrübt. Ich will nur eine Thräne und einen Blick zum Himmel, in welchem ich Sie erwarten werde.«

Letzte Änderung der Seite: 23. 12. 2024 - 22:12