Corinna oder Italien
von Anna Louise Germaine de Staël
Vierzehntes Buch: Corinnas Geschichte.
Drittes Kapitel
»Dennoch würde ich mein ganzes Leben in dieser jammervollen Bedrängniß verbracht haben, wenn mir der Vater erhalten worden wäre. Eine plötzliche Krankheit raffte ihn hinweg. Mit ihm verlor ich meinen Beschützer, meinen Freund, das einzige Herz, welches mich in dieser Einöde verstand; meine Verzweiflung war grenzenlos. Mit zwanzig Jahren sah ich mich ohne jedes Band, ohne jede andere Stütze auf Erden, als meine Stiefmutter, der ich nach fünf Jahren unausgesetzten Nebeneinanderlebens nicht näher gekommen war, als ich ihr am ersten Tage unseres Begegnens stand. Sie sprach mir in lästigen Wiederholungen von Herrn Maclinson, und wenn sie auch kein Recht hatte, mich zu dieser Ehe zu zwingen, so empfing sie doch nur ihn in ihrem Hause, und erklärte mir rund heraus, daß sie keine andere Heirath begünstigen werde. Nicht weil sie Herrn Maclinson sehr liebte, nicht aus beleidigtem Verwandtschaftsgefühl machte sie gemeinschaftliche Sache mit ihm, sondern weil sie es hochmüthig von mir fand, ihn abzulehnen, weil sie die Mittelmäßigkeit vertheidigen wollte.
»Mit jedem Tage wurde meine Lage unerträglicher, vollends als das Heimweh mich ergriff. Das Exil mit seinem nagenden, heimlichen Leid ist für empfindungsvolle Menschen oft grausamer als der Tod: in kranker Einbildung hadern wir mit unserer Umgebung, mit dem Klima, der Gegend, der Sprache, den Sitten, mit dem öffentlichen, wie mit dem Privatleben; jeder Augenblick hat seinen Schmerz, jede Situation ihr Unbehagen, denn das Vaterland gewährt uns tausend fortdauernde Freuden, deren wir uns nicht bewußt werden, bis wir sie verloren haben.
L'aria, i tronchi, il terren, la mura, i sassi.[1]
»Es ist schon eine große Entbehrung, die Stätte nicht mehr zu sehen, wo man seine Kindheit verlebte; mit wunderbarem Zauber verjüngen die Erinnerungen dieses Alters das Herz, und versüßen doch zugleich den Gedanken an den Tod. Wenn das Grab nicht fern dem Orte liegt, wo einst die Wiege stand, ist's, als berge sich das ganze Leben unter ein und demselben Schatten, während die auf fremdem Boden verbrachten Jahre gleich Zweigen ohne Wurzeln sind. Dort sah die ältere Generation uns nicht geboren werden sehen, sie ist uns kein Schutz, wir finden in ihr nicht die Altersgenossen unserer Väter. Für tausend Interessen, die wir mit unsern Landsleuten gemein haben, fehlt dem Fremden jedes Verständnis; man muß Alles erklären, Alles auseinandersetzen, Alles sagen, statt jenes leichten Gedankenverkehrs, jener warmen Ergießungen, die mit dem Augenblick beginnen, wo man wieder unter Mitbürgern ist. Ich konnte nicht ohne Rührung der holden Ausdrucksweise meiner Heimat gedenken: flüsterte ich zuweilen, wenn ich spazieren ging, in mich hinein, und unwillkürlich verglich ich diese herzliche Begrüßung mit dem Empfang, der mir hier meist zu Theil wurde.
»Täglich irrte ich in den Feldern umher, wo allein das Gekrächz der Raben durch die grauen Wolken schnitt, während ich in Italien den harmonischen Gesang reiner, klarer Menschenstimmen allabendlich über die Gefilde ziehen hörte. Statt der schönen Sonne, statt der lauen Lüfte meiner Heimat, nichts als Nebel! Die Früchte reiften kaum, ich sah keine Trauben, selbst die Blumen blühten matt und in weiten Zwischenräumen von einander; das ganze Jahr hindurch bedeckte das dunkle Kleid der Tannen die Berge. Ein altes Gebäude, ein Gemälde, nur ein einziges schönes Gemälde, würden meine Seele erhoben haben; aber umsonst hätte ich im Umkreis von dreißig Meilen darnach gesucht. Alles war düster und wie erloschen um mich her, und was von Menschen und ihren Wohnungen da war, diente höchstens dazu, die Einsamkeit jenes poetischen Entsetzens zu berauben, welches die Seele in beinahe wohlthuenden Schauern erbeben läßt. Rings herum gab es Wohlhabenheit, etwas Handel und Ackerbau, kurz, was nöthig ist, damit man uns sagen könne: »Du mußt zufrieden sein, es fehlt Dir nichts.« Allein das ist ein albernes, auf des Lebens Aeußerlichkeiten zielendes Wort, wenn der Brennpunkt des Glücks und des Leides in dem innersten, verborgensten Heiligthum unseres Wesens liegt!
»Mit einundzwanzig Jahren durfte ich in den Besitz des Vermögens meiner Mutter und auch des mir vom Vater hinterlassenen gelangen. Es tauchte mir damals in meinen einsamen Träumereien der Wunsch auf, nach Italien zurückzukehren, um dort, da ich verwaist und volljährig war, ein unabhängiges, ganz der Kunst geweihtes Leben zu führen. Ich war glückberauscht von dem bloßen Gedanken und faßte anfangs gar nicht die Möglichkeit eines Hindernisses. Als sich jedoch das erste Hoffnungsfieber etwas beruhigte, scheute ich zurück vor einem so unwiderruflichen Schritte; und je mehr ich mir vorstellte, was Alle, die ich kannte, davon denken würden, desto unausführbarer schien mir das anfänglich so Natürliche. Aber mir war das Bild jenes Lebens, umgeben von den Erinnerungen des Alterthums, von Malerei und Musik mit so vielen zauberhaften Einzelheiten vor die Seele getreten, daß ich erneuerten Widerwillen vor meinem langweiligen Dasein empfand.
»Mein Talent, das ich ganz einzubüßen fürchtete, war vielmehr durch meine gründlichen Studien der englischen Sprache noch bereichert worden; die, Euren Dichtern eigene, tiefe Weise des Schauens und Denkens hatte mir Geist und Seele gekräftigt, ohne daß dies auf Kosten jener lebhaften Einbildungskraft geschehen wäre, die allein den Bewohnern unserer Lande anzugehören scheint. Durch die seltene Vereinigung von Umständen also, welche mir eine zwiefache Erziehung und, wenn ich so sagen darf, zwei verschiedene Nationalitäten gegeben, durfte ich mich im Besitze ungewöhnlicher Vortheile glauben. Ich erinnerte mich des Beifalls, welchen in Florenz eine kleine Zahl sachkundiger Richter meinen ersten dichterischen Versuchen gegönnt hatte. Ich schwelgte in zukünftigen Erfolgen, die mir zu Theil werden konnten; kurz, ich erwartete viel von mir: ist das denn nicht die erste und edelste Täuschung der Jugend?
»Mir war, als werde mir an dem Tage, wo ich nicht mehr den verdorrenden Einfluß böswilliger Mittelmäßigkeit fühlen dürfte, die ganze Welt gehören. Aber als es sich um den Entschluß handelte, wirklich abzureisen, heimlich zu entfliehen, da fand ich mich durch das Urtheil der Gesellschaft gefesselt, das mir in England viel mehr, als in Italien imponirte. Denn obwohl ich jene kleine Stadt nicht liebte, achtete ich doch das große Land, von dem sie ein Theil war. Wenn meine Stiefmutter sich herbeigelassen hätte, mich nach London oder Edinburg zu begleiten, wenn sie daran gedacht hätte, mich einem Manne zu vereinigen, der Geist genug besaß, um den meinigen zu würdigen, niemals hätte ich meinem Namen und jener Lebensweise entsagt, selbst nicht um meiner alten Heimat willen. Und wie schwer mir auch die Herrschaft meiner Stiefmutter zu tragen war, ich hätte ohne eine Menge zusammentreffender Umstände, die meinen schwankenden Sinn zur Entscheidung drängten, nie die Kraft zur Aenderung meiner Lage besessen.
»Theresina, meine Ihnen bekannte Kammerfrau, war immer noch bei mir; sie ist aus Toskana; und obwohl ihr Geist nicht gebildet ist, weiß sie doch jene edlen, harmonischen Ausdrücke zu brauchen, die den geringsten Worten unseres Volkes so viel Anmuth verleihen. Mit ihr allein konnte ich meine Sprache reden, und dies knüpfte mich eng an sie. Ich sah sie oft traurig, doch wagte ich nicht, sie nach der Ursache zu fragen, denn ich dachte mir wohl, daß sie, wie ich, unserer Heimat nachhänge, und fürchtete, meine Gefühle nicht mehr beherrschen zu können, wenn sie durch die eines Andern noch mehr aufgeregt würden. Es giebt Schmerzen, welche sich in der Mittheilung besänftigen, aber die Krankheiten der Einbildungskraft steigern sich, indem man sie anvertraut; steigern sich mehr noch, wenn man in dem Andern den verwandten Schmerz findet. Das zu erduldende Leid scheint dann unbesiegbar, und man versucht gar nicht mehr, es zu bekämpfen. Meine arme Theresina erkrankte plötzlich sehr ernst, und da ich sie Tag und Nacht seufzen hörte, entschloß ich mich, sie nach der Ursache ihres Kummers zu fragen. Mit welchem Erstaunen vernahm ich Alles das von ihr, was ich selbst empfunden! Sie war sich dessen nicht so klar, wie ich, bewußt, und gab mehr den örtlichen Verhältnissen, den einzelnen Persönlichkeiten die Schuld; aber das Traurige dieser Natur, die Schaalheit der kleinen Stadt, die Kaltherzigkeit ihrer Einwohner und das Gezwungene ihrer Sitten – sie fühlte das Alles, ohne sich Rechenschaft darüber geben zu können. »O, mein Vaterland, werde ich dich denn niemals wiedersehn!« rief sie unaufhörlich, um doch gleich hinzuzufügen, sie wolle mich nicht verlassen, und es dann wieder in bitterem Jammer zu beklagen, daß ihre Anhänglichkeit an mich nicht mit ihrem schönen, italienischen Himmel und den geliebten Tönen ihrer Muttersprache vereinbar sei.
»Nichts hätte mir tieferen Eindruck machen können, als dieser Wiederhall meiner eigenen Gefühle in dem Gemüthe eines ganz alltäglichen Geschöpfes, das jedoch den italienischen Charakter und seine Neigungen in ihrer ganzen Ursprünglichkeit sich bewahrt hatte; ich versprach ihr, sie solle Italien wiedersehn. »Mit Ihnen?« fragte sie. Ich schwieg. Darauf gerieth sie in die maßloseste Bekümmerniß, und schwur, sie wolle sich nie von mir trennen; zwar schien sie beinahe sterbend, als sie mir diese Versicherung gab. In meiner Besorgniß, und nur um sie zu beruhigen, entschlüpfte mir das Versprechen, auch ich würde nach dem Süden zurückkehren; aber sie gab dem unbedachten Wort durch ihre grenzenlose Freude und durch das Vertrauen, mit welchem sie es aufnahm, eine größere, feierlichere Bedeutung. Seit jenem Tage setzte sie sich, ohne mir etwas davon zu sagen, mit einigen Kaufleuten der Stadt in Verbindung und machte mir stets genaue Anzeige, wenn ein nach Genua oder Livorno segelndes Schiff den Hafen verließ. Ich hörte das meist ohne Erwiderung an; sie schwieg dann auch, doch ihre Augen standen immer voll Thränen. Durch das Klima und das innere Leid verschlechterte sich meine Gesundheit täglich mehr. Mein Geist bedarf der Bewegung und Heiterkeit; ich habe es Ihnen schon oft gesagt: der Schmerz vermag mich zu tödten, denn es kämpft in mir zu fürchterlich gegen ihn an; um nicht davon zu sterben, muß man sich ihm unterwerfen.
»Ich kam häufig auf den Gedanken an Flucht zurück. Doch meine Liebe zu Lucile, für welche ich mich seit sechs Jahren wie eine Mutter bemühte, und die Befürchtung, solch heimliches Entweichen könne meinen Ruf derartig gefährden, daß selbst der Name meiner Schwester darunter leiden würde, bestimmten mich, noch einige Zeit hindurch meinem Plan zu entsagen. Eines Abends indessen, als ich mich über die Art meiner Beziehungen zu Lady Edgermond und der Gesellschaft grade ganz besonders verstimmt fühlte, speiste ich zufällig mit Jener allein, und nach einer Stunde absoluten Schweigens ergriff mich plötzlich eine solche Ungeduld über ihre unerschütterliche Frostigkeit, daß ich die Klage über das Leben, welches ich führte, zum Gegenstand des Gespräches machte, mehr eigentlich, um sie zum Reden zu zwingen, als weil ich irgend ein für mich günstiges Resultat erwartet hätte. Ich wurde etwas eifrig dabei, und ging so weit, die Möglichkeit, in einer Lage, wie die meinige sei, England auf immer zu verlassen, als sehr naheliegend anzudeuten. Meine Stiefmutter regte sich darüber durchaus nicht auf, und mit einer Gleichgültigkeit und Härte, die ich in meinem Leben nicht vergessen werde, erwiderte sie mir: »Sie sind einundzwanzig Jahr alt, Miß Edgermond, und haben jetzt über das Vermögen Ihrer Mutter, wie über Ihr väterliches Erbtheil, frei zu verfügen. Folglich können Sie sich aufführen, wie es Ihnen beliebt; wenn Sie indessen etwas unternehmen, das Sie in der öffentlichen Meinung entehrt, sind Sie es Ihrer Familie schuldig, den Namen zu wechseln und für todt zu gelten.« Ohne auf diese Worte etwas zu erwidern, stand ich heftig auf und verließ das Zimmer.
»So viel geringschätzige Härte versetzte mich in bebende Entrüstung, und anfangs empfand ich ein mir sonst fremdes Bedürfniß nach Rache; zwar beruhigte sich diese Aufwallung wieder, aber die Ueberzeugung, daß Niemand hier sich um mich kümmere, zerriß auch die letzten Bande, welche mich an das Haus meines todten Vaters knüpften. Allerdings liebte ich Lady Edgermond nicht, aber eine Unempfindlichkeit, wie sie mir solche zeigte, hatte ich nicht für sie; ihre Liebe für Lucile war mir immer rührend gewesen, ich glaubte ihr durch meine Sorgfalt für das Kind einiges Wohlwollen abgewonnen zu haben, und vielleicht hatte im Gegentheil eben diese Sorgfalt ihre Eifersucht erregt; denn je verneinender sie allen andern Dingen gegenüber stand, um so leidenschaftlicher war sie in dieser einzigen Zuneigung, welche sie sich gestattet hatte. Alles, was es an Gluth und Leben im Menschenherzen giebt, und was sie sonst mit kühler Vernunft nach allen Richtungen hin in Schranken hielt, ergoß sich auf diese Tochter.
»Noch während des grollenden Schmerzes, welchen die Unterhaltung mit Lady Edgermond in mir aufgestürmt, meldete Theresina in größester Bewegung, daß im benachbarten Hafen ein von Livorno kommendes Schiff eingelaufen sei, auf welchem sich mehrere ihr bekannte Kaufleute, »die ehrenhaftesten Männer von der Welt«, befänden. »Sie Alle sind Italiener«, erzählte sie weinend, »sie sprechen nur italienisch; in acht Tagen schiffen sie sich wieder nach Livorno ein, und wenn Madame entschieden wäre...« – »Geh mit ihnen, meine gute Theresina«, erwiderte ich ihr. – »Nein, Madame«, rief sie, »lieber sterbe ich hier!« – Und sie verließ mein Zimmer, wo ich in Grübeleien über meine Pflichten gegen Lady Edgermond zurückblieb. Daß sie mich nicht mehr um sich zu haben wünschte, schien mir klar; mein Einfluß auf Lucile mißfiel ihr, sie fürchtete mein Ruf als ein sonderbares, überspanntes Mädchen könne einst ihrer Tochter schaden; auch hatte sie mir ja wirklich ihre verborgenste Gesinnung enthüllt, als sie mir den Wunsch andeutete, daß ich mich für todt ausgeben möge; und dieser bittre Rath, wie sehr er mich anfangs auch empört hatte, schien mir nach einiger Ueberlegung recht brauchbar.
»Ja wohl«, dachte ich, »wohl kann ich hier für todt gelten, hier, wo mein Dasein nur einem gequälten Schlafe gleicht. Natur, Sonnenschein und Kunst werden mich in der Heimat zu neuem Leben erwecken, und die kalten Buchstaben meines Namens auf einem lügnerischen Grab können in diesem leblosen Aufenthalt meine Stelle so gut, als ich selber, ausfüllen. Dieses Aufstreben meiner Seele nach Licht und Freiheit gab ihr indeß noch nicht den Muth zum letzten Entschlusse. Wir haben Augenblicke, wo wir die Kraft zur Erreichung aller unserer Wünsche in uns fühlen; und andere, wo es uns dünkt, als müsse die herkömmliche Ordnung der uns umgebenden Einrichtungen über alle unsere Gefühle den Sieg davon tragen. In solcher Schwankung befand ich mich, und sie hätte ewig dauern können, weil nichts von Außen an mich Herantretendes mir eine Entscheidung abnöthigte, als ich am Abend des folgenden Sonntags unter meinen Fenstern einen italienischen Gesang anstimmen hörte, der, von der Mannschaft jenes Schiffes ausgeführt, eine Ueberraschung war, welche Theresina mir bereitet hatte. Ich gerieth in unbeschreibliche Bewegung, meine Thränen flossen, und all die theuren Erinnerungen standen auf – denn nichts bringt uns so die Vergangenheit zurück, als Musik. Wenn sie das Gewesene heraufbeschwört, gleicht sie den schwermüthigen, geheimnißvollen Schatten unserer Lieben. Die Italiener sangen Monti's köstliche, im Exil gedichtete Verse:
Pur vi torno à riveder.
Trema in petto e si confonde
L'alma oppressa dal piacer.[2]
»Ich war wie trunken, wie außer mir, und empfand für die Heimat alle Gefühle der Liebe: Sehnsucht, Begeisterung, Schmerz; meine ganze Seele drängte sich nach dem Süden – ich mußte ihn sehen, ihn athmen, ihn hören, jeder Schlag meines Herzens war ein Ruf nach dem schönen, lachenden Vaterlande. Wenn den Todten in ihren Grüften das Leben angeboten würde, sie könnten, den Stein, welcher sie deckt, nicht mit größerer Ungeduld emporheben, als die war, mit der ich meine kalten Leichentücher abwerfen und in den Vollbesitz meines Genius, meiner Begeisterung, meiner wahren Natur zurückkehren wollte. Aber auch auf der Höhe dieser durch die Musik entzündeten Schwärmerei war ich noch weit entfernt, an die Ausführung meines Vorhabens zu denken; es war noch viel zu unklar, viel zu verwirrt, um es zu einem bestimmten Plane festigen zu können. Da aber trat meine Stiefmutter ins Zimmer, und ersuchte mich, den Gesang aufhören zu lassen, weil Musik am Sonntage ein großes Aergerniß sei. Ich machte zögernde Einwendungen: die Italiener wollten morgen schon fort, seit sechs Jahren hätte ich solch ein Vergnügen nicht gehabt, – meine Stiefmutter hörte nicht darauf, und erklärend, daß man vor Allem den Anstand gegen das Land, in welchem man lebe, zu berücksichtigen habe, trat sie ans Fenster und befahl ihrer draußen lauschenden Dienerschaft, meine armen Landsleute fortzuschicken. Sie gingen, und sendeten mir von Zeit zu Zeit aus immer größerer Ferne ein gesungenes Lebewohl zurück, das mir ins Herz schnitt.
»Das Maß meiner Widerwärtigkeiten war voll. Am nächsten Tage sollte jenes Schiff die Anker lichten. Theresina hatte auf's Ungewisse hin, und ohne mich davon in Kenntniß zu setzen, Alles zur Abreise vorbereitet. Lucile war seit acht Tagen bei einer Verwandten ihrer Mutter; die Asche meines Vaters befand sich nicht hier, sondern war, seiner Bestimmung gemäß, nach seinem Gute in Schottland gebracht worden, – kurz, nachdem ich Lady Edgermond brieflich meinen Entschluß mitgetheilt, hatte ich eben nur zu gehen. Ich ging. Es geschah in einem jener Augenblicke, wo man sich gänzlich an das Schicksal hingiebt, wo uns Alles besser scheint, als Abhängigkeit, als schaaler Ueberdruß und ein zielloses Leben, wo die unbedachte Jugend der Zukunft warm vertraut und gläubig den Stern ihres Glückes über sich leuchten sieht.«
[1] Anmerkung des Verlages: Sprache, Sitten, Luft, Bäume, die Erde, die Mauern, das Gestein!
[2] Anmerkung des Verlages: Schönes Italien! Geliebter Strand! So werde ich Euch denn wiedersehen, meine Seele erbebt und erliegt fast dem Uebernaße des Glücks.