Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Vierzehntes Buch: Corinnas Geschichte.

Zweites Kapitel

»Ich hatte kein anderes Vergnügen, als die Erziehung meiner kleinen Schwester; meine Stiefmutter wollte nicht, daß sie musikalisch gebildet werde, doch gestattete sie mir, Lucile im Zeichnen und im Italienischen zu unterrichten, und ich bin überzeugt, sie wird Beides nicht vergessen haben, denn sie bewies damals große Fähigkeiten. Oswald! Oswald! und wenn ich mir alle diese Mühe zur Verschönerung Ihres Glückes mit einer Andern gegeben haben sollte, so freue ich mich doch, so will ich mich dessen noch im Grabe freun!

»Ich war fast zwanzig Jahre alt; man wollte mich verheirathen, und jetzt begann das Verhängnißvolle meines Geschickes Gestalt anzunehmen. Wein Vater war mit dem Ihren innig befreundet, und Sie, Oswald, Sie hatte er für mich als Gatten erwählt. Hätten wir uns damals gekannt, hätten Sie mich geliebt, wäre unser Schicksal ein wolkenloses gewesen! Ich hatte von Ihnen sehr viel Auszeichnendes gehört, und war es nun Vorgefühl, war es Stolz: die Hoffnung, mich Ihnen zu vermählen, schmeichelte meinem Herzen, wie meinem Geschmacke. Sie waren zu jung für mich, da ich um ein und ein halbes Jahr älter bin, als Sie; doch Ihr Geist, hieß es, Ihre ernste wissenschaftliche Richtung seien weit über Ihre Jahre hinaus. Ich machte mir von dem Zusammenleben mit einem Manne, wie man Sie schilderte, die beglückendsten Vorstellungen; es war ein hoffnungsvolles, reichgefärbtes Bild, das all meine Vorurtheile gegen die Lebensweise der englischen Frauen verdrängt hatte. Ueberdies wußte ich, daß Sie Ihren Aufenthalt in Edinburg oder London zu nehmen gedachten, und ich durfte sicher sein, in beiden Städten die gewählteste Gesellschaft zu finden. Ich sah damals ein, was ich noch heute für richtig halte, daß nämlich all das Unglückliche meiner Situation aus dem kleinstädtischen, vom großen Weltgetriebe abgeschnittenen Leben entsprang. Denn allein in großen Städten finden ursprüngliche, aus der Alltäglichkeit heraustretende Persönlichkeiten einen ihnen zusagenden Boden, immer vorausgesetzt, daß sie in der Gesellschaft zu leben wünschen. In der großen Stadt ist das Leben mannigfaltig, und deshalb gefällt dort das Neue und Ungewohnte, wie etwas Gewohntes; wogegen man an kleinen Orten, wo die Einförmigkeit ein bequemes Herkommen geworden, unmöglich wünschen kann, sich einmal zu amüsiren, weil man darüber die gefährliche Entdeckung machen könnte, daß man sich alle Tage langweilt.

»Ich wiederhole es so gern, Oswald: obgleich ich Sie nie gesehen hatte, erwartete ich mit wahrer Herzensangst Ihren Vater, der den meinigen auf acht Tage zu besuchen dachte; jenes Gefühl ließ sich damals durch nichts Haltbares begründen, es war eben die Vorahnung meines Geschicks. Als Lord Nelvil anlangte, wünschte ich ihm zu gefallen; vielleicht wünschte ich es zu sehr, denn ich wendete viel mehr Mühe auf das Gelingen, als erforderlich gewesen wäre. Ich entfaltete all meine Talente, sang, tanzte, improvisirte für ihn, und mein so lange in die engsten Schranken gewiesener Geist brach vielleicht zu eifrig seine Fesseln. Seit sieben Jahren hat mich Erfahrung Mäßigung gelehrt; es liegt mir weniger daran, mich zu zeigen, ich bin meiner selbst gewohnter und kann jetzt warten. Vielleicht habe ich weniger Vertrauen in Anderer Wohlwollen, aber dafür frage ich auch nicht mehr so viel nach ihrem Beifall – kurz, es ist wohl möglich, daß in meinem Wesen damals etwas Wunderliches lag. Man hat in der ersten Jugend so viel Feuer, so viel Unvorsichtigkeit! Man wirft sich dem Leben mit so viel Lebenskraft entgegen! Geist, auch der reichbegabteste, ersetzt nie die mangelnden Jahre, und wiewohl man mit diesem Geist über Menschen und Dinge zu sprechen weiß, als ob man sie erkennte und verstände, handelt man nicht nach solchen selbst gemachten Beobachtungen; in der jungen Geistesthätigkeit arbeitet ein unerklärliches Fieber, welches oft verhindert, das Betragen folgerecht dem eigenen Besserwissen anzupassen.

»Ohne es bestimmt erfahren zu haben, glaube ich doch, daß ich Lord Nelvil alle zu lebhaft erschien; denn nach achttägigen Aufenthalt, während dessen er mir jedoch sehr gütig begegnet war, verließ er uns, um darauf meinem Vater zu schreiben, daß er nach reiflicher Ueberlegung seinen Sohn für die beabsichtigte Heirath noch zu jung finde. Oswald! welches Gewicht werden Sie diesem Bekenntnisse beimessen? Ich hätte Ihnen den Umstand verbergen können, – ich thue es nicht. Wäre es denn möglich, daß er mich vor Ihnen verurtheilte? Ich weiß es, ich habe mich seit sieben Jahren gebessert, und würde Ihr Vater meine Liebe, meine begeisterte Anbetung für Sie ohne Rührung gesehen haben? O Oswald, da er Sie liebte, hätten wir uns verstanden!

»Meine Stiefmutter hatte den Plan, mich mit dem Sohne ihres ältesten Bruders zu verheirathen, dessen Grundbesitz in der Nachbarschaft lag. Er war ein Mann von dreißig Jahren, von schöner Gestalt, der vornehmsten Abkunft und sehr ehrenwerthem Charakter, aber mit den seltsamsten Ansichten in Betreff des oberherrlichen Verhältnisses des Gatten zu der Frau. Ein Zweifel über die Bestimmung der Frau zu gänzlicher Unterwürfigkeit und häuslicher Dienstbarkeit würde ihn empört haben, wie wenn man Ehre und Rechtschaffenheit in Frage gestellt hätte. Herr Maclinson (dies war sein Name) hegte viel Neigung für mich, und das kleinstädtische Geschwätz über meine Geistesrichtung und meinen sonderbaren Charakter beunruhigte ihn nicht im Mindesten. In seinem Hause herrschte so viel Ordnung, geschah Alles so pünktlich zu gleicher Stunde und auf gleiche Weise, daß wohl Niemand im Stande gewesen wäre, daran etwas zu ändern. Zwei alte Tanten, welche den Haushalt beaufsichtigten, die Dienerschaft, ja selbst die Pferde hätten es nicht begriffen, daß man eine Sache heute anders als gestern machen könne; und ich glaube, das Hausgeräth selbst, das seit drei Generationen diesem Scheinleben zusah, würde sich von seinem Platze bewegt haben, wenn ihm etwas Neues aufgestoßen wäre. Herr Maclinson hatte also vollkommen Recht, wenn er den Einfluß meiner Gegenwart auf so versteinerte Einrichtungen nicht fürchtete. Das Hergebrachte herrschte dort mit solcher Wucht, daß meine etwaigen kleinen Abweichungen ihn vielleicht auf eine Viertelstunde verstimmt, sonst aber sicherlich keine andern Folgen gehabt haben würden.

»Er war ein gütiger Mann, unfähig, Andere zu kränken; aber wenn ich ihm von den zahllosen langen Sorgen, die ein mit der Menschheit lebendes, mit ihr empfindendes Gemüth quälen können, hätte sprechen wollen, würde er mir, wie einem überspannten Frauenzimmer, einfach gerathen haben, ein wenig auszureiten, um in der freien Luft auf bessere Gedanken zu kommen. Eben weil er keine Ahnung von einem Leben im Geist und dessen höheren Bedürfnissen hatte, wünschte er mich zu heirathen, denn ich gefiel ihm, ohne daß er mich verstand.

»Hätte er sich Gedanken über das Wesen einer ausgezeichneten Frau gemacht, über die Vortheile, über die Nachtheile, welche ihr Besitz mit sich führen kann, würde er gefürchtet haben, mir nicht liebenswürdig genug zu erscheinen; aber solche Besorgnisse kamen ihm gar nicht in den Sinn. Stellen Sie sich also meinen Widerwillen gegen diese Vermählung vor! Ich lehnte sie auf das Entschiedenste ab. Mein Vater unterstützte mich, doch meine Stiefmutter zeigte mir seitdem die heftigste Abneigung. Nach meinem Urtheil war sie eine durchaus herrschsüchtige Frau, obgleich ihre Schüchternheit sie oft hinderte ihren Willen auszusprechen. Wenn man ihn nicht errieth, war sie übler Laune; widerstand man ihm aber, nachdem sie die Anstrengung gemacht, ihn zu äußern, dann verzieh sie das um so weniger, als es ihr schwer geworden war, aus ihrer gewohnten Zurückhaltung herauszutreten.

»Die ganze Stadt tadelte mich unbedingt: eine so passende Verbindung, ein so großes Vermögen, ein so achtbarer Mann, ein so glänzender Name! Mit Entrüstung zählte man mir all die zurückgewiesenen Vortheile auf. Ich versuchte auseinanderzusetzen, warum diese passende Verbindung mir nicht passe; es war verlorene Mühe. So lange ich sprach, machte ich mich zuweilen verständlich; aber weine Worte ließen keinen bleibenden Eindruck zurück, denn die gewohnten Ideen bemächtigten sich der Köpfe meiner Zuhörer bald wieder, und wurden von diesen als alte Bekannte, die ich einen Augenblick verscheucht hatte, nur um so lieber begrüßt.

»Eine Frau, die viel geistvoller war, als die übrigen, wiewohl sie sich äußerlich völlig in die allgemeine Lebensweise geschickt hatte, nahm mich eines Tages, als ich mit besonderer Lebhaftigkeit gesprochen hatte, auf die Seite, um mir ein paar weise Worte zu sagen, die mir den tiefsten Eindruck zurückgelassen haben. »Sie geben sich viele Mühe für ein Unerreichbares, meine Liebe, und werden natürliche Dinge doch nicht ändern. Eine kleine Stadt im Norden, die keine Beziehung zur übrigen Welt, keinen Sinn für Kunst und Wissenschaft hat, kann eben nicht anders sein, als diese ist. Wenn Sie hier leben müssen, so fügen Sie sich – und gehen Sie fort, wenn Sie können. Sie haben nur unter diesen beiden Entschlüssen zu wählen.« Die Richtigkeit dieses Rathes war nur zu klar, nur zu begründet. Ich empfand für diese Frau viel Verehrung, und setzte größeres Vertrauen in sie, als in mich selbst; denn mit einer Richtung, welche der meinigen sehr verwandt, hatte sie sich einem Loose, das ich nicht ertragen konnte, zu unterwerfen gewußt, und indem sie die Poesie und ihre idealen Freuden liebte, beurtheilte sie die Macht der Verhältnisse, die Verstocktheit der Menschen mit klarer Uebersicht. Ich gab mir viel Mühe, sie häufiger zu sehen, aber das war vergeblich; ihr Geist überflog die Schranken, ihr Leben hatte sie hineingeschlossen, und ich glaube fast, sie fürchtete durch unsere Gespräche ihre angeborene Ueberlegenheit zu wecken. Was hätte sie damit anfangen sollen?«

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