Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Vierzehntes Buch: Corinnas Geschichte.

Viertes Kapitel

»Als ich Englands Küste aus den Augen verlor, kamen mir wohl bange Gedanken; da ich aber kein mir zugehöriges Herz zurückließ, fühlte ich mich in Livorno bald durch den mich rings umfangenden Zauber Italiens getröstet. Wie ich es meiner Stiefmutter versprochen hatte, sagte ich Niemand meinen wahren Namen, und nannte mich einfach Corinna, welches der Name einer griechischen Dichterin, der Freundin Pindars ist, deren Geschichte ihn mir theuer gemacht hatte.[1] Da mein, durch die verflossenen Jahre noch mehr entwickeltes Aeußere recht verändert war, ich auch in Florenz früher sehr zurückgezogen gelebt hatte, durfte ich darauf rechnen, was eingetroffen ist, daß Niemand mich erkannte, und man in Rom nicht erfahren hat, wer ich bin. In Northumberland verbreitete meine Stiefmutter das Gerücht von meinem plötzlichen Tode, der wahrend der Ueberfahrt nach Italien, welchen Aufenthalt die Aerzte mir verordnet hätten, erfolgt sei. Sie meldete mir dies in einem Briefe, ohne irgend welch anderes Wort hinzuzufügen. Mit größester Sorgfalt ließ sie mir mein ganzes, sehr bedeutendes Vermögen verabfolgen; dann hat sie mir nie wieder geschrieben. Fünf Jahre liegen zwischen damals und dem Augenblicke, wo ich Sie sah, fünf Jahre voll mannigfaltigen Glückes. Ich nahm meinen Aufenthalt in Rom; mein Ruf verbreitete sich schnell, obwohl mir durch Literatur und Kunst noch mehr einsame Freuden als selbst öffentliche Erfolge zu Theil geworden sind; und bis ich Sie kannte, wußte ich nichts von der Gewalt eines großen, allmächtigen Gefühls. Zuweilen verleitete mich meine Einbildungskraft zu farbenreichen Illusionen, indeß entfärbten sich diese auch wieder, ohne daß es mir sonderlich Schmerz bereitet hätte. Noch keine Neigung hatte mich erfaßt, die mich beherrschte: Bewunderung, Ehrfurcht und Liebe, sie spannten nicht alle meine seelischen Fähigkeiten an. Selbst da, wo ich liebte, konnte ich mir mehr große Eigenschaften, mehr Adel vorstellen, als ich in Wirklichkeit nachher vorfand; kurz, ich stand immer über meinen eigenen Eindrücken, statt ganz von ihnen unterjocht zu werden.

»Verlangen Sie nicht, daß ich ausführlicher erzähle, wie vor Ihnen zwei Männer, deren Leidenschaft für mich nur zu bekannt geworden ist, mein Leben beschäftigt haben, ohne es zu erfüllen. Nur mit Anrufung meiner innersten Rechtlichkeit vermag ich mich zu überzeugen, daß ein Anderer als Sie mich hat interessiren können, und ich empfinde darüber jetzt Reue und Schmerz. Sie wissen es wohl durch meine Freunde: die Unabhängigkeit war mir so theuer, daß ich nach langen Schwankungen, nach traurigen Auftritten, zweimal Verhältnisse abgebrochen habe, welche die Sehnsucht, zu lieben, mich eingehen ließ, und die unauflöslich zu machen ich mich doch nicht entschließen konnte. Ein Deutscher aus großem Geschlecht wollte mich als Gemahlin in seine Heimat führen, an welche ihn, neben seiner Vorliebe für dieselbe, auch Stand und Besitz fesselten. Und ein italienischer Fürst bot mir die glänzendste Stellung in Rom selber an. Der Erstere hatte mir eine außerordentliche Hochschätzung einzuflößen gewußt, doch bemerkte ich mit der Zeit, daß er keinen weitreichenden Geist besaß. Wenn wir allein waren, mußte ich mir viel Mühe geben, um das Gespräch im Gange zu erhalten und ihm mit Sorgfalt zu verbergen, was ihm mangelte. Ich wagte nicht, mein ganzes Geistesvermögen vor ihm zu entfalten, aus Furcht, ihm Unbehagen zu verursachen, und ich sah voraus, daß nothwendigerweise sein Gefühl für mich an dem Tage abnehmen werde, wo ich aufhörte, ihn zu schonen; es ist aber schwer, für Menschen, die man schonen muß, Begeisterung zu fühlen. Die Rücksicht einer Frau für einen ihr untergeordneten Mann verräth mehr Mitleid als Liebe; und die Art von Berechnung und Ueberlegung, welche jene Rücksicht verlangt, läßt die himmlische Blüthe eines unwillkürlichen Gefühls verdorren. Der Italiener hatte einen schöpferischen und anmuthigen Geist; auch wollte er in Rom bleiben, denn wir hatten gleiche Neigungen, und er liebte meine Weise zu leben. Allein bei einer sehr wichtigen Gelegenheit bemerkte ich, daß es ihm an Kraft der Seele gebräche, und daß in schwierigen Lebensverhältnissen nicht er, sondern ich für uns Beide Stütze und Halt sein müßte. Damit war es um alle Liebe geschehen, denn die Frauen bedürfen des Schutzes, und nichts erkältet sie wohl mehr, als wenn sie ihn gewähren müssen. So bin ich also nicht durch Unglück, nicht durch menschliches Fehlen, sondern durch meinen beobachtenden Geist, der mir aufdeckte, was die Einbildungskraft mir verbarg, zweimal in meinen Gefühlen enttäuscht worden.

»Ich glaubte, es sei mein Schicksal, nicht mit der vollen Kraft meiner Seele lieben zu dürfen; zuweilen war mir das sehr schmerzlich, aber häufiger noch wünschte ich mir Glück, frei zu sein, denn ich fürchtete beinahe diese Leidensfähigkeit in mir, diese glühende Natur, die mein Glück und mein Leben bedrohte; zwar suchte ich mich stets dadurch zu beruhigen, daß ich mich erinnerte, wie schwer mein Urtheil einzunehmen sei, und wie kaum Jemand der Vorstellung entsprechen werde, die ich mir von dem Charakter und dem Geiste eines Mannes gemacht. Immer, hoffte ich, würde ich an dem Gegenstände meines Gefallens einige Mängel bemerken, und so der Vollgewalt einer großen Leidenschaft entrinnen; ich wußte nicht, daß es Mängel giebt, welche grade durch die Besorgniß, die sie hervorrufen, die Liebe erhöhen. Oswald, Ihre Schwermuth, Ihre Ungewißheit, mit der Sie an Alles zagend herantreten, die Strenge Ihrer Meinungen trüben meine Ruhe, ohne meine Liebe zu erkälten; diese Liebe wird, fürchte ich, mich nicht glücklich machen, aber dann bin ich zu verurtheilen, nicht Sie.

»Nun wissen Sie die Geschichte meines Lebens; das Verlassen Englands, den Wechsel meines Namens, meines Herzens Unbeständigkeit – nichts habe ich Ihnen verschwiegen. Vielleicht werden Sie nun sagen, meine Einbildungskraft habe mich oft auf Irrwege geführt. Aber wenn die Gesellschaft den Frauen nicht so viel Zwang anlegte, von dem die Männer sich frei fühlen, was in meinem Leben gäbe Ihnen ein Hinderniß, mich zu lieben? Habe ich je getäuscht? Jemals Böses gethan? Hat gemeine Selbstsucht je meine Seele erniedrigt? Wird Gott mehr als Aufrichtigkeit, Güte und Selbstachtung von der Waise verlangen, die sich in der weiten Welt allein sah? O, die glücklichen Frauen, welche bei den ersten Schritten ins Leben Dem begegnen, Den sie immer lieben werden! Doch verdiene ich ihn weniger, weil ich ihn später kennen lernte?

»Indessen gestehe ich Ihnen offen, und Sie werden es mir glauben, Mylord: wenn ich mein Leben an Ihrer Seite hinbringen könnte, ohne Ihnen vermählt zu sein, würde ich das eheliche Band kaum wünschen, ohngeachtet ich mir vollkommen bewußt bin, welch großes Glück, welchen Ruhm, – den stolzesten von Allen, – ich dabei aufgebe. Diese Ehe wäre Ihnen vielleicht ein Opfer; vielleicht gedächten Sie einst in Reue meiner Schwester, der schönen Lucile, welcher Ihr Vater Sie bestimmte. Sie ist zwölf Jahre jünger als ich; ihr Name ist fleckenlos, wie die erste Frühlingsblüthe; der meine, welcher in England schon zu den Todten hinabgestiegen ist, müßte dort erst wieder ins Leben gerufen werden. Lucile hat, ich weiß es, eine milde und reine Seele, und durch die Liebe würde sie lernen, Sie zu verstehen. Oswald, Sie sind frei! Sie erhalten Ihren Ring zurück, sobald Sie es wünschen.

»Ehe Sie sich entscheiden, möchten Sie vielleicht wissen, was ich leiden werde, wenn Sie mich verlassen. Ich weiß es nicht; es steigen zuweilen schwere Kämpfe in meiner Seele auf, die stärker sind, als meine Vernunft, und ich wäre nicht strafbar, wenn solche innere Zerrüttungen mir das Dasein unerträglich machten. Dagegen habe ich auch wieder viel Glücksfähigkeit, und ein förmliches Gedankenfieber treibt zuweilen mein Blut in Umlauf. Ich interessire mich für Alles, spreche mit Vergnügen, erfreue mich mit Entzücken an geistreichen Menschen, an ihrer Theilnahme für mich, an den Wundern der Natur, den Werken der Kunst. Aber ob ich leben kann, wenn ich Sie nicht sehe? Das zu beurtheilen ist an Ihnen, Oswald; Sie kennen mich besser, als ich mich kenne; ich bin für das, was ich zu leiden haben würde, nicht verantwortlich. Wer den Dolch führt, muß wissen, ob die Wunde tödtlich ist. Und wenn sie es wäre. Oswald, müßte ich's Ihnen verzeihen.

»Mein Glück hängt ganz und allein von dem Gefühl ab, das Sie mir seit sechs Monaten bewiesen haben. Und wenn Sie die ganze Macht Ihres Willens und Ihres Zartgefühls aufbieten, können Sie mich über die leichteste Veränderung in diesem Gefühl nicht täuschen. Lassen Sie in dieser Beziehung nicht etwas, wie Pflichtgedanken, in sich aufsteigen; in der Liebe giebt es für mich weder Versprechen, noch Bürgschaft. Nur Gott kann eine Blume wieder blühen lassen, wenn der Sturm sie entblätterte. Ein Ton, ein Blick von Ihnen würde mir genügen, um zu erfahren, daß Ihr Herz nicht mehr dasselbe ist, und Alles würde ich verschmähen, was Sie mir als Ersatz für Ihre Liebe, für diese göttliche Offenbarung, diese Himmelsseligkeit, bieten könnten. So sind Sie denn frei, Oswald; an jedem Tage frei; frei noch, selbst wenn Sie mein Gatte würden! Denn wenn Sie mich nicht mehr liebten, würde ich Sie durch meinen Tod von den unauflöslichen Banden befreien, die Sie an mich fesselten.

»Sobald Sie diesen Brief gelesen haben, will ich Sie wiedersehn; meine Ungeduld wird mich zu Ihnen treiben, und mit dem ersten Blick auf Sie werde ich mein Schicksal wissen. Denn das Unglück geht schnell, und das Herz, so schwach es ist, darf sich über die todbringenden Anzeichen eines unabänderlichen Schicksals nicht irren. Leben Sie wohl.«


[1] Anmerkung der Autorin: Den Namen Corinna muß man nicht mit Corilla verwechseln, einer italienischen Improvisatorin, von welcher man viel gesprochen hat. Corinna war eine Griechin, berühmt durch ihre lyrische Poesie; Pindar selber hat ihren Unterricht genossen. S. 358. Eine alte Sage unterstützt Corinna's fantastisches Vorurtheil, daß der Diamant gegen Verrath warne; man findet diese Sage in einem Trauerspiel Calderons erwähnt; die Verse, welche sie erzählen, sind von sehr wunderbarem Charakter. Sie sind dem Prinzen Ferdinand, einem Portugiesen, in den Mund gelegt, und er spricht sie zu dem Könige von Fez, dessen Gefangener er geworden. Dieser Prinz wollte lieber im Kerker sterben, als einem maurischen Könige eine Stadt übergeben, die sein Bruder, König Eduard, als Lösegeld anbot. Durch diese Weigerung aufgebracht, ließ der maurische König den edlen Prinzen auf das Unwürdigste behandeln; dieser erinnert ihn, um ihn zu besänftigen, daß Großmuth und Erbarmen die wahren Eigenschaften der höchsten Macht seien. Er führt ihm Alles, was königlich auf Erden ist, als Beispiel an; unter den Thieren den Löwen, den Delphin, den Adler; dann sucht er unter den Pflanzen und Steinen die natürlichen, auszeichnenden Eigenschaften derer auf, die alle andern zu beherrschen scheinen, und bei dieser Gelegenheit sagt er ihm, daß der Diamant, der dem Eisen zu widerstehen vermag, von selber in Staub zerfällt, um den, welcher ihn trägt, vor einem ihm drohenden Verrath zu warnen. Man kann nicht behaupten, daß diese Weise, die ganze Natur im Zusammenhange mit den Empfindungen und dem Schicksal des Menschen anzusehen, mathematische Richtigkeit habe; so viel ist aber gewiß, daß sie der Fantasie wohlgefällt, und daß die Poesie überhaupt und die spanischen Dichter insbesondere große Schönheiten daraus hernehmen.

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