Corinna oder Italien
von Anna Louise Germaine de Staël
Eilfstes Buch: Neapel und die Einsiedelei von St. Salvador.
Erstes Kapitel
Stolz führte Oswald die Freundin hinweg; er, der sich seine Freuden so oft durch Trübsinn und Traurigkeit verkümmerte, er litt dieses Mal von keinerlei Ungewißheit. Nicht daß er nun endlich zu einem Entschlusse gelangt war; nein, doch er strebte auch nicht weiter nach einem solchen und ließ sich durch die Ereignisse tragen in der Hoffnung, sie würden ihn an das gewünschte Ziel bringen. Sie durchschnitten die Gegend von Albano, wo man noch das angebliche Grab der Horatier und Curiatier zeigt.[1] Dann kamen sie an den See von Nemi und den ihn umgebenden heiligen Wäldern vorüber. Man sagt, Diana habe an dieser Stätte den Hippolyt wieder auferstehen lassen; sie erlaubte nicht, daß Pferde sie betraten, und durch dieses Verbot verewigte sie die Sage von dem Unglück ihres jungen Lieblings. So treten uns Poesie und Geschichte in Italien fast bei jedem Schritte entgegen, und die reizenden Gegenden, denen ihre Spuren aufgeprägt sind, mildern das Gefühl der Schwermuth, mit welchem man sonst in die Vergangenheit zurückschaut, und scheinen ihr eine ewige Jugend zu erhalten.
Oswald und Corinna mußten nun durch die pontinischen Sümpfe, ein zugleich ergiebiger und höchst ungesunder Landstrich, in welchem man, obgleich die Natur so fruchtbar erscheint, ringsum nicht Eine menschliche Wohnung erblickt. Einige Leute von krankem Aussehen schirren dem Reisenden die Pferde an, und rathen ihm, während der Fahrt doch ja nicht einzuschlafen; denn der Schlaf ist hier der Vorläufer des Todes. Büffelochsen mit niedriger und wilder Physiognomie schleppen den Pflug, den unvorsichtige Ackerbauer noch zuweilen in diese gemiedene Erde senken, auf welche aber doch die herrlichste Sonne ihre Strahlen hinabsendet. Im Norden sind die sumpfigen und verpesteten Gegenden meist durch ihren abschreckenden Anblick gekennzeichnet, wahrend im Süden, auch in den schädlichsten Landstrichen, die Natur noch eine Heiterkeit zeigt, deren betrügerische Anmuth den Fremden zu täuschen pflegt. Wenn es wahr ist, daß es sehr gefährlich sei, auf der Fahrt durch die pontinischen Sümpfe einzuschlafen, dann ist die kaum zu besiegende Neigung zum Schlaf, welche die Reisenden während der Hitze überkommt, noch eine ihrer tückischen Eigenschaften mehr. Lord Nelvil wachte beständig über Corinna; zuweilen neigte sie das Haupt auf die Schulter Theresinens, die sie begleitete, und schloß, von der drückenden Atmosphäre überwältigt, die Augen. Dann suchte Oswald mit unsäglicher Angst ihr gänzliches Einschlummern zu verhindern, und er, der sonst so Schweigsame, war jetzt unerschöpflich an reichem und geistreichem Gespräch. Ach, man sollte den Frauen die herzzerreißenden Klagen verzeihen, mit denen sie der Tage gedenken, als sie geliebt wurden, während welcher ihr Dasein dem eines Anderen nothwendig war, und sie sich in jedem Augenblick von dem Geliebten geschützt, getragen wußten. In welcher Oede bleiben sie zurück, nach solch einer seligen Zeit; und wie glücklich sind diejenigen, die durch das Band der Ehe sanft von der Liebe zur Freundschaft geleitet wurden, ohne daß ihr Leben über den furchtbaren Riß einer verlorenen Liebe hinwegzukommen hatte!
Nachdem sie den Weg durch die pontinischen Sümpfe gut zurückgelegt, erreichten sie das am Meeresufer gelegene Terracina. Hier an der Grenze des Königreichs Neapel fängt erst der eigentliche Süden an, hier begrüßt er den Fremden mit seiner ganzen Herrlichkeit. Diese neapolitanische Erde, dies beglückte Land ist durch das umgebende Meer und durch Sumpfgegenden von dem übrigen Europa wie abgeschnitten. Man könnte wähnen, die Natur habe dieses entzückende Heiligthum für sich behalten, habe seinen Zugang wenigstens erschweren wollen. Rom ist noch nicht der Süden; dort ahnt man wohl seine Süßigkeit, aber sein ganzer Zauber umfängt uns erst auf neapolitanischer Erde. Unweit Terracina liegt das Vorgebirge, welches die Dichter für den Wohnsitz der Circe hielten, und hinter der Stadt erhebt sich der Berg Auxur, von Theodorich, dem Könige der Gothen, durch eine jener festen Burgen gekrönt, mit welchen er und seine nordischen Krieger das Land bedeckten. In Italien sind sonst nur wenig Spuren von dem Einbruch der Barbaren zurückgeblieben, und da, wo sie sich finden, bedeuten sie weiter nichts mehr, als ein Bild der zerstörenden Zeit; es hat von den abendländischen Völkern nicht jenes kriegerische Gepräge empfangen, wie es Deutschland bis auf den heutigen Tag noch besitzt. Es scheint, als habe der weiche Boden Ausoniens die Burgen und Festungen nicht tragen wollen, die in den nordischen Ländern noch stolz und starr emporsteigen. Selten nur findet man hier ein gothisches Bauwerk oder ein altes Ritterschloß, und allein die Erinnerungen der großen Römer herrschen, den Völkern zum Trotz, von denen sie besiegt wurden, durch die Jahrhunderte auf uns herab.
Der ganze Berg bei Terracina ist mit Pomeranzen und Citronenbäumen bedeckt, die köstlichen Wohlgeruch verbreiten. Nichts in unserem Himmelsstrich gleicht dem südlichen Duft der im Freien blühenden Citronenbäume; er wirkt auf die Fantasie wie schöne Musik, regt eine poetische Stimmung an und berauscht gewissermaßen mit Natur. Die Aloe und der großblättrige Cactus, denen man hier überall begegnet, haben schon viel von den grotesken Formationen der Erzeugnisse Afrika's. Diese seltsamen Pflanzen verursachen eine Art Schrecken; es ist, als gehörten sie einer gewaltthätigen, herrschsüchtigen Natur an. Das ganze Ansehen des Landes hat etwas Fremdartiges; man glaubt sich in einer anderen Welt, einer nur aus den Schilderungen der Dichter des Alterthums gekannten Welt, in deren Schriften Genauigkeit und Einbildungskraft gleichen Schritt halten. Als sie in die Stadt fuhren, wurde Corinnens Wagen von einer überreichen Blumenfülle empfangen, ja ganz überschüttet. Kinderhände hatten sie vom Wegesrand gepflückt oder vom nahen Gebirge geholt und streuten die Blüthen sorglos aus, so sehr durften sie auf ihre freigebige, beständig schaffende Natur rechnen. Die vom Felde heimkehrenden Erntewagen waren mit Rosenzweigen geschmückt, und Kinder bekränzten ihre Trinkschalen mit Blumen; unter einem schönen Himmel nimmt die Einbildungskraft auch des geringen Volkes ja so leicht poetischen Ausdruck an. Neben diesen lachenden Bildern sah und hörte man das Meer gewaltsam-rauschend seine Wogen brechen. Nicht etwa der Sturm regte es so auf, sondern allein dieser ewige, unerschütterliche Widerstand der Uferfelsen war es, über den es sich, in seiner Größe, so erzürnte.
E non udite ancor come risuona
Il roco et alto fremito marino?
»Und hört Ihr noch nicht, wie's fernhin brauset,
Das zürnende, hoch-aufschauernde Meer?«
Diese Bewegung ohne Ziel, diese Kraft ohne Gegenstand, wie sie sich in Ewigkeit erneuern, ohne daß wir ihren Ursprung begreifen, ihr Ende vorhersehen könnten! Wir fühlen uns an das Ufer gezogen, wo dies grause Schauspiel sich den Blicken darbietet, und es kommt uns eine schreckerfüllte Sehnsucht nach diesen Wogen, in denen Vergessenheit und Ruhe zu finden wäre.
Gegen Abend wurde es still. Corinna und Lord Nelvil wandelten mit Entzücken in den blumigen Gefilden Terracina's umher. Nachtigallen rasteten auf blühenden Rosengebüschen; ihr süßer Gesang verschmolz mit der Blüthen Duft; alle Reize der Natur schienen sich gegenseitig anzuziehen. Das Schönste aber, das Unbeschreiblichste von Allem bleibt immer die Luft, die man hier athmet. Will man sich im Norden an einer reichen Natur erfreuen, stört meist irgend ein rauher Luftzug den Genuß; wie ein falscher Ton in gute Musik, so schneidet solch kalter Wind in unsere Bewunderung. In Neapel dagegen fühlt man völligstes Wohlbehagen; die Natur bietet uns ihre ganze Freundschaft an. Nicht etwa, als hätte der Süden nicht auch seine Schwermuth; nirgend fehlt diese, nirgend, wo es Menschen und menschliche Schicksale giebt! Hier aber verliert sie wenigstens ihre Beimischung von Unzufriedenheit, von Angst und Reue. Anderswo ist es das Leben, welches, so wie es dort ist, den Fähigkeiten der Seele nicht genügt; hier dagegen reichen die seelischen Fähigkeiten nicht aus für des Lebens Mannigfaltigkeit. Der Ueberfluß unserer Gefühle strömt in träumerischem Gleichmuth dahin, den wir empfinden, ohne uns davon Rechenschaft zu geben.
In der Nacht durchirrten zahllose Leuchtkäfer die Dunkelheit; es schien, als sprühe der Berg Funken, als ließe die glühende Erde Flämmchen aufsteigen. Durch das Grün schwirrte es leuchtend hin und her; es rastete mitunter auf den Blättern; oder der Wind schaukelte diese kleinen Sterne und spielte mit ihrem ungewiß schimmernden Licht. Im Sande glänzten nach allen Seiten hin Tausende von erzhaltigen Steinchen, gleichsam als habe diese Erde noch die Spuren ihrer glühenden Sonne festgehalten. Es ist in dieser Natur ebenso viel Ruhe als Leben, und deshalb genügt sie gewissermaßen aus dem Vollen den verschiedenen Wünschen der verschiedensten Existenzen.
Corinna genoß freudig den hinreißenden Zauber dieses Abends; Oswald aber konnte seine heftige Erregung kaum beherrschen. In wiederholten Malen preßte er Corinna an sein Herz; er entfernte sich von ihr, kam wieder, und ging von Neuem, um sie, die seines Lebens Gefährtin sein sollte, heilig zu halten. Corinna fühlte sich vollkommen sicher in seiner Nähe; denn so hoch achtete sie ihn, daß sie sein Verlangen nach der Hingabe ihres ganzen Wesens zugleich für das heiligste Ehegelöbniß genommen haben würde. Aber sie war doch erleichtert, da er über sich zu siegen schien; er ehrte sie durch dieses Opfer am höchsten, und in ihrer Seele war nun eine Fülle des Glücks und der Liebe, die keinem anderen Verlangen Raum gestattete. Von dieser inneren Gelassenheit war Oswald sehr entfernt. Corinnens Reize berauschten ihn. Einmal sank er ihr zu Füßen, umfaßte ihren Leib und schien jede Beherrschung seiner Leidenschaft verloren zu haben; sie aber blickte mit so viel schüchterner Sanftmuth zu ihm nieder, und in ihrer stummen Bitte, sie zu schonen, lag so vollständig das Zugeständnis; seiner Macht, daß diese demüthige Abwehr ihm mehr Ehrfurcht abnöthigte, als jede andere Weise es vermocht hätte. Sie bemerkten jetzt auf dem Wasser den Wiederschein einer von unbekannter Hand ans Ufer getragenen Fackel, die sich von dort nach einem nahegelegenen Haufe fortbewegte. »Er geht zu der Geliebten!« sagte Oswald. – »Ja«, erwiderte Corinna. – »Und für mich«, fuhr er fort, »für mich geht das Glück dieses Tages nun zu Ende.« – Corinnens zum Himmel gewendete Augen füllten sich mit Thränen. Oswald fürchtete sie verletzt zu haben, und sank vor ihr nieder, um Verzeihung stehend. »Nein, Oswald«, sagte sie, als sie nun aufstand, ihm die Hand reichte, und zur Heimkehr mahnte, »nein, ich bin es überzeugt, Sie schonen das Weib, das Sie liebt. Sie wissen es, Ihre einfachste Bitte wäre mir ein allmächtiges Geheiß; daher müssen Sie selbst für mich bürgen. Sie selbst würden mich als Ihre Gattin verschmähen, wenn Sie mich unwürdig machten, es zu sein!« – »Nun wohl, Corinna, wenn Sie so an die grausame Herrschaft Ihres Willens über mein Herz glauben, warum denn sind Sie so traurig?« – »Ach!« entgegnete sie, »ich fühlte es eben, daß diese, jetzt mit Ihnen gelebten Augenblicke die glücklichsten meines Lebens waren: und wie ich eben den dankbaren Blick zum Himmel wendete, lebte durch unerklärlichen Zufall ein Aberglaube aus meiner Kindheit wieder in mir auf. Der Mond bedeckte sich mit einer Wolke, und diese schien mir Unheil verkündend. Immer war es mir so, als ob der Himmel einen bald gütigen, bald erzürnten Ausdruck für mich habe, und, ich weiß es, Oswald, heute Abend verurtheilte er unsere Liebe.« – »Theuerste! es giebt keine anderen Weissagungen für eines Menschen Leben, als seine guten oder schlechten Handlungen; und habe ich nicht eben jetzt meine glühendste Sehnsucht der Tugend untergeordnet?« – »Umso besser, wenn Sie in diese Prophezeiung nicht mit einbegriffen sind«, entgegnete Corinna, »und wirtlich, so kann es auch sein: dieser stürmische Himmel droht vielleicht nur mir!«
[1] Anmerkung der Autorin: Herr Elliot, englischer Gesandter, hat zu Neapel auf eben die Art, wie Lord Nelvil, einem alten Manne das Leben gerettet.