Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Zehntes Buch: Die Charwoche.

Sechstes Kapitel

Das Osterfest war vorüber, und Corinna erwähnte der Erfüllung ihres Versprechens, Lord Nelvil nun endlich ihre Geschichte zu erzählen, mit keinem Wort. Durch dieses Stillschweigen verletzt, sprach er eines Tages von den vielgerühmten Schönheiten Neapels, das zu besuchen er halb entschlossen sei. Corinna durchschaute sogleich, was in ihm vorging, und machte deshalb den Vorschlag, ihn zu begleiten. Sie schmeichelte sich, die verlangten Geständnisse noch hinausschieben zu können, wenn sie ihm einen Beweis von Liebe gäbe, der ihn doch befriedigen mußte. Und weiter noch glaubte sie, daß, wenn er sie jetzt mit sich nähme, hiemit auch zugleich die Zukunft ausgesprochen sei. Sie erwartete also mit sichtbarer Bangigkeit seine Antwort; ihre liebevollen, fast flehenden Blicke baten um eine günstige. Oswald konnte ihnen nicht widerstehen; das Anerbieten, und die Einfachheit, mit welcher es gemacht wurde, hatten ihn zuerst überrascht; er zögerte, es anzunehmen. Doch als er die Spannung der Freundin, ihre tiefe Bewegung, ihre thränenerfüllten Augen sah, willigte er in die gemeinschaftliche Reise, ohne sich selbst von der Wichtigkeit eines solchen Entschlusses Rechenschaft zu geben. Und Corinna war auf der Höhe des Glücks, denn sie verließ sich nun ganz auf Oswalds Liebe.

Der Tag war festgesetzt, und vor der süßen Aussicht des Zusammen-Reisens verschwand jede andere Ueberlegung. Sie unterhielten sich mit den erforderlichen Vorbereitungen, die ihnen manchen Anlaß zu fröhlicher Geschäftigkeit gaben. O, glückselige Stimmung, wenn alle Unternehmungen des Lebens einen besonderen Reiz haben, weil alle sie sich an eine Hoffnung des Herzens knüpfen! Der Augenblick kommt nur zu bald, wo uns das Dasein als Ganzes, wie in jeder seiner Stunden, nur Druck und Mühe ist; wo jeder Morgen, jedes Erwachen schon begleitet ist von dem Gefühl der Anstrengung, deren es bedarf, um den Tag zu Ende zu bringen.

Als Lord Nelvil Corinna eben verlassen hatte, um Alles für die Abreise noch ferner Nothwendige anzuordnen, kam Graf d'Erfeuil. Mit großer Mißbilligung vernahm er den plötzlichen Entschluß der Beiden. »Woran denken Sie?« rief er. »Wie! Sie wollen sich mit Lord Nelvil auf Reisen begeben, ohne daß er Ihr Gatte ist, ohne daß er verspricht, es zu werden? Und was wird aus Ihnen, wenn er Sie verläßt?« – »Was aus mir wird? Was in jedem Lebensverhältniß aus mir würde, wenn er aufhörte mich zu lieben: das unglückseligste Weib auf Erden.« – »Nun ja; aber wenn Sie dabei nichts Sie Kompromittirendes thaten, bleiben Sie doch wenigstens, was Sie sind.« – »Ich? Was ich bin, – wenn das tiefste Gefühl meines Lebens zertreten, wenn mein Herz gebrochen wäre!« – »Das Publikum würde es nicht erfahren, und Sie würden, wenn Sie vorsichtig sind, sich dann mindestens in der öffentlichen Meinung nicht schaden.« – »Und weshalb die Meinung Anderer berücksichtigen« ,erwiderte Corinna, »wenn es nicht etwa geschieht, um in den Augen des Geliebten einen Reiz mehr zu haben?« – »Man hört auf zu lieben«, sagte Graf d'Erfeuil, »aber man kann nicht aufhören, in der Gesellschaft zu leben, und ihrer zu bedürfen.« – »Ach, wenn ich es nur denken könnte, daß ein Tag kommen werde, wo Oswalds Liebe nicht die Welt für mich ist, wenn ich es nur denken könnte, dann liebte ich ihn ja schon nicht mehr! Was ist denn das für eine Liebe, die vorauszusehen, die den Augenblick ihres Aufhörens vorherzuberechnen vermöchte? Wenn Religion in diesem Gefühle liegt, so ist's, weil es alle andern, alle selbstischen Interessen auslöscht und, wie die Anbetung, in der völligen Hinopferung des eigenen Ich sein Glück findet.« – »O, was Sie mir da erzählen!« rief Graf d'Erfeuil, »kann eine geistreiche Frau, wie Sie, sich derartige Thorheiten in den Kopf setzen? Es gereicht uns Männern zum Vortheil, wenn die Frauen so denken, wir haben dann viel größere Gewalt über sie. Ihre Superiorität aber darf nicht verlorengehen, Corinna; die muß Ihnen doch noch ferner nützen!« – »Mir nützen?« sagte Corinna, »ach, ich danke ihr viel, wenn sie mir hilft den ganzen Adel von Lord Nelvils Charakter zu erkennen.«

»Lord Nelvil ist ein Mann, wie andere Männer«, entgegnete der Graf, »er wird in seine Heimat zurückkehren, dort eine öffentliche Laufbahn verfolgen, kurz, er wird vernünftig sein; während Sie unklug Ihren Ruf auf's Spiel setzen, wenn Sie mit ihm nach Neapel gehen.« – »Ich kenne Lord Nelvils Absichten nicht«, sagte Corinna; »und vielleicht hätte ich besser gethan, darüber nachzudenken, ehe ich ihn liebte; doch jetzt, was kommt es jetzt noch auf ein Opfer mehr an! Hängt denn nicht mein Leben allein von seiner Liebe ab? Ich finde einigen Trost darin, keine Rettung für mich zu sehen: wo das Herz getroffen ist, giebt's auch keine! Die Welt zwar glaubt, es könne sich in solchem Fall noch ein Ausweg finden; ich aber weiß es, und will es auch nicht anders, daß mein Unglück vollkommen wäre, wenn Lord Nelvil sich von mir trennte.« – »Weiß er, bis zu welchem Grade Sie sich für ihn kompromittiren?« fuhr Graf d'Erfeuil fort. »Ich habe ihm das sorgfältig zu verbergen gesucht«, entgegnete Corinna; »da ihm die Sitten unseres Landes noch wenig bekannt sind, konnte ich ihm die Freiheit, welche sie gestatten, wohl ein wenig übertreiben. Ich verlange von Ihnen, daß Sie über diese Angelegenheit auch nicht ein Wort mit ihm reden; ich will, daß er in seinem Verhältniß zu mir frei sei, und immer frei bleibe. Mit keinem Opfer irgend welcher Art soll er mein Glück erkaufen. Das Gefühl, durch das ich so hoch begnadigt bin, ist die Blüthe des Lebens, und weder Güte, noch Zartgefühl vermögen es neu zu erwecken, wenn es verwelken und sterben mußte. Darum beschwöre ich Sie, mein lieber Graf, versuchen Sie nicht, in mein Schicksal einzugreifen. Nichts von Allem, was Sie über die Liebe zu wissen glauben, kann mir genügen. Was Sie sagen, ist verständig, ist ganz richtig, und für alltägliche Menschen und alltägliche Lebensverhältnisse sehr anwendbar. Mir aber würden Sie absichtslos ein großes Leid zufügen, wenn Sie mich mit Ihrem Urtheil in die große Masse einreihen wollten, welche nur fertig zurecht gemachte Grundsätze kennt. Ich dulde, ich genieße, ich fühle auf meine Weise, und mich allein müßte man beobachten, wenn man auf mein Glück Einfluß erlangen wollte.« Die Eigenliebe des Grafen war von der Nutzlosigkeit seiner Rathschläge, und von dem großen Liebesbeweis, welchen Corinna Lord Nelvil zu geben im Begriffe stand, ein wenig verletzt; er wußte wohl, daß er von ihr nicht geliebt sei, er wußte auch, wie Oswald gesiegt hatte, aber es berührte ihn unangenehm, dies Alles so öffentlich bestätigt zu sehen. In dem Erfolg eines Mannes bei einer Frau liegt immer etwas, das selbst seinen besten Freunden mißfällt. »Ich sehe, daß ich hier nichts vermag«, sagte Graf d'Erfeuil; »Sie werden meiner aber gedenken, wenn Sie einst sehr unglücklich sind. Inzwischen verlasse ich ebenfalls Rom; ohne Sie und Lord Nelvil würde ich mich hier tödtlich langweilen. Sicher werde ich Sie Beide in Schottland oder Italien wiedersehen, denn bis mir etwas Besseres zu Theil wird, gefällt mir das Reisen immer noch am besten. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen rathen wollte, schöne Corinna, und rechnen Sie stets auf meine Ergebenheit!« – Corinna dankte ihm, und schied mit einem Gefühl des Bedauerns. Sie hatte ihn zugleich mit Oswald kennen gelernt, und diese Erinnerung war zwischen ihnen ein Band, das sie nicht gern gelöst sah. Im Uebrigen verfuhr sie, wie sie es Graf d'Erfeuil vorhergesagt hatte. Zwar wurde Lord Nelvils Freude, mit welcher er anfangs den Reiseplan aufgenommen hatte, durch einige Besorgniß gedämpft; denn er fürchtete doch, daß dies Unternehmen Corinna in unvortheilhaftem Lichte zeigen möchte, und gern hätte er ihr Geheimniß noch vor der Abreise erfahren, um zu wissen, ob sie nicht durch ein unübersteigliches Hinderniß getrennt seien. Sie jedoch bestand darauf, sich erst in Neapel erklären zu wollen, und täuschte ihn ein wenig über das, was die Welt wohl von diesem Schritte urtheilen könne. Nur allzu gern lieh er ihrer holden Ueberredungskunst sein Ohr; schwache schwankende Charaktere werden nur halb von der Liebe geblendet, nur halb von der Vernunft aufgeklärt, und schließlich entscheidet der Augenblick, welche von beiden den Sieg behalten soll. Lord Nelvil besaß einen umfassenden und durchdringenden Geist; sich selbst beurtheilte er indeß nur in der Vergangenheit richtig. Sein gegenwärtiger Zustand war ihm stets unklar. Zugleich voller Leidenschaft, und Schüchternheit, geneigt sich hinreißen zu lassen, um es nachher zu bereuen, hinderten ihn diese Gegensätze, sich selbst eher zu erkennen, als bis der Ausgang seine inneren Kämpfe entschieden hatte.

Als Corinnens Freunde von dem Reiseplan erfuhren, waren sie, und noch besonders Fürst Castel-Forte, höchst bekümmert. Der Fürst litt so davon, daß er beschloß, ihr in kurzer Zeit zu folgen. Es lag sicherlich wenig Eitelkeit darin, sich so neben einen bevorzugten Geliebten zu stellen, aber er fürchtete, die durch der Freundin, Abwesenheit für ihn entstehende Leere nicht ertragen zu können. Er hatte kaum einen Freund, den er nicht bei Corinna antraf, und niemals besuchte er ein anderes Haus, als das ihre. Fehlte sie, so war auch die Gesellschaft aufgelöst, welche sich bei ihr versammelte, und deren Trümmer anderswo zu vereinigen, schien unmöglich. Mit seiner Familie lebte der Fürst im Ganzen wenig; vieles Studium, obgleich er sehr geistvoll war, ermüdete ihn; sein Tag mußte ihm also unerträglich lang werden, wenn er nicht die Morgen- und Abendstunden bei Corinna zubringen konnte. Ging sie fort, was sollte er anfangen? Es blieb ihm kaum Anderes, als ihr zu folgen; zu folgen als anspruchsloser Freund, der erst im Unglück seine rechte Würdigung findet; und solch ein Freund kann sicher sein, daß seine Stunde kommt!

Corinna brach mit der ihr so theuer gewordenen Lebensweise nicht ohne bange Trauer; sie war der Mittelpunkt aller in Rom lebenden Künstler und erleuchteten Männer. Die vollständige Unabhängigkeit ihrer Gesinnung, ihrer Gewohnheiten verlieh ihrem Leben einen großen Reiz. Was sollte nun mit ihr werden? Bestimmte ihr das Glück Oswald zum Gatten, dann führte er sie nach England. Wie würde man sie dort beurtheilen? Wie würde sie selbst sich in Verhältnisse schicken, welche von denen, die sie seit sechs Jahren umgaben, so abweichend sein mußten? Aber all diese Fragen durcheilten nur flüchtig ihren Geist, und die Liebe zu Oswald verwischte immer wieder ihre leichten Spuren. Ihn nur sah sie, sie hörte nur ihn, nach seiner Gegenwart und Abwesenheit zählte sie die Stunden. Wer möchte mit dem Glücke verhandeln? Wer nimmt es nicht auf, wenn es kommt? Corinna vollends hatte wenig Vorbedacht. Furcht und Hoffnung beunruhigten sie nicht allzu viel; ihr Vertrauen in die Zukunft war verworren, und ihre Einbildungskraft that ihr in dieser Beziehung wenig Gutes und wenig zu leid.

Am Morgen ihrer Abreise kam Fürst Castel-Forte. »Kehren Sie nicht wieder nach Rom zurück?« fragte er mit feuchten Augen. – »O Gott, ja!« erwiderte sie, »in einigen Wochen sind wir wieder hier.« – »Doch wenn Sie sich mit Lord Nelvil vermählen, werden Sie Italien verlassen müssen.« – »Italien verlassen!« sagte Corinna und seufzte. – »Das Land, wo man Ihre Sprache spricht, wo man Sie so gut versteht, so herzlich bewundert! Und Ihre Freunde, Corinna, Ihre Freunde! Wo wird man Sie lieben, wie hier? Wo werden Sie die Kunst finden, die Ihnen genügt? Macht denn dies eine Gefühl das ganze Leben aus? Sind es doch die Sitten und Gewohnheiten, die Sprache vor Allem, aus denen sich die Heimatsliebe bildet, und erzeugt diese nicht wieder das Heimweh, diese schreckliche Qual der Verbannten?« – »Ach, weshalb sagen Sie mir das noch?« entgegnete Corinna, »ist es denn nicht eben dieses Weh, das über mein Schicksal entschied?« – Traurig streifte ihr Blick über das Zimmer und die schmückenden Kunstschätze in demselben, dann über die Fluthen des Tiber unter ihren Fenstern, und dann zum Himmel hinauf, dessen Schönheit sie zum Bleiben einzuladen schien. Doch in diesem Augenblicke sprengte Oswald mit Blitzesschnelle über die Engelsbrücke. »Da ist er!« rief Corinna. Er sprang auch schon vom Pferde. Sie eilte ihm entgegen, und in der Ungeduld, fortzukommen, bestiegen sie bald ihren Wagen. Corinna sagte allerdings dem Fürsten ein herzliches Lebewohl; doch ihre Worte verklangen unter dem Rufen der Postillone, dem Wiehern der Pferde, kurz in all dem Lärm einer Abreise, der zuweilen so traurig, und wieder auch so berauschend sein kann, je nachdem des Schicksals neue Wahrscheinlichkeiten Furcht oder Hoffnung einflößen.

Letzte Änderung der Seite: 23. 12. 2024 - 22:12