Eine Phantasie zu Höchst am Main auf meiner Reise nach Bonn im Frühling 1789.

Sei mir gegrüßst, du schönster der Flüsse,
Welche Teutoniens Auen durchströmen!
Wie du so lieblich mir lächelst, so sanft
Hier unten im Thale dich windest.
Sei mir gegrüßst! Mit Wonnegefühl
Ruhet auf mir mein weilender Blick.
Denn du strömest herab vom Orte meine Erzeugung,
Wo du so oft beim kindlichen Spiel´ am Ufer mich sahest,
Wo du im Sommer mich oft mit kühlenden Wellen umschlungest,
Oft im Weidengebüsch´ in süße Träume mich lulltest.

Ach! mein Schicksal trennte mich
Weit vom Vaterlande,
Weit von deinen Ufern,
Holder, sanfter Main!
Wie aus einer Quelle,
Auf dem Fichtelberg´
Du zuerst zum Bache,
Dann zum Strome wirst,
Immer dich erweiterst,
Immer dich vertiefst,
Bis auf deinem Rücken,
Hohe Segel wallen;
Sieh! so war mein Lebenslauf.

Der kleine hüpfende Knabe,
Der einst an deinem Gestade
Mit frohen Gespielen die Muschel
Und schöneren Steine gesammelt,
Wuchs auf, und ward zum Mann,
Ward zuerst sich mühsam durch die dürre Heide
Des Anachoretenlebens fort:
Dann rennt´ er, wie du, durch blühende Städte,
Trug Lasten, wie du, jetzt helle, wie du,
Jetzt trübe, wie du, und schwellend vom Sturm.
Nun eilt er, wie du, zum Rhenus hinab.
Bald wird er auch, wie du, nicht mehr genannt,
Wird von dem Meer der Sterblichkeit verschlungen,
Bedeckt mit ewiger Vergessenheit.
Doch zurücke, Seele, fleugt zurücke
Vom Gedanken der Zernichtung!
Labe vielmehr dich hier am Ueberflusse der Schöpfung,
Betrachte des Anlitz der schönen Natur,
Die so eben das Haupt vom Schleier des Winters enthüllet,
Und bräutlich sich schmücket dem kommenden Lenz.
Siehst du dort den Tannenhain
Dem stillen Denker gewidmet?
Und dort die Wiese mit werdenden Blumen?
Hier das Traubengebürg mit einsamen Hütten besäet,
Und dort oben die zu den Wolken ragende Halle[1]?
Ha! wie stolz sich ihre Thürme heben!
Wie sie zurücke werfen den Stral der scheidenden Sonne!
Sie baut´ ein Fremdling aus Italien:
Er kam, nach jenes Landes Sitte,
Das deutsche Geld uns abzunehmen,
Und gab uns Staub dafür.

So kamen einst gepurperte Spionen,
Und hochgeweihte Strassenräuber,
Thuiskons Erbe auszuplündern,
Vom Vatikan gesandt.

Da sogen sie den Deutschen Mark,
Und gaben Ablaß ihm dafür,
Und Aeser, die er fassen sollte,
Mit Perlen und Rubinen.

Nicht länger wuerden wir sie fassen
Mit Perlen und Rubinen,
Die Aeser, die der Römer schickt:
Nicht länger werden wir ihn kaufen,
Den Ablaß, den er biethet.

Dort unten thront ein deutscher Fürst:
Der schlägt entzwei die Kette Roms:
Der löschet aus den Blitz des Vatikans,
Der giebt dir deine Freiheit wieder,
Thuiskons Heldenblut!


[1] Die Tobaksfabrick des Herrn Bolingari.


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