An meine Freundin A. zu S., da ich ihr mein Portrait schickte.

Weil ich von Dir getrennet bin,
O Freundinn meines Herzens!
So nimm dafür mein Bildnis hin,
Zur Linderung Deines Schmerzens.
Dank sei´s der besten Welt! was man
Nicht in natura geben kann,
Das läßt sich doch copiren.

Der  Text ist zwar so ziemlich klar,
Du kannst den Sinn errathen:
Doch könnte Dir ein Commentar
Darüber auch nicht schaden.
Auch möchte ich gern Bedeutungen,
Die eben nicht im Texte stehn,
Heraus exegisiren.

Der Maler ist ein Ehrenmann:
Das zeigt sich an den Haaren:
Sie fangen schon zu grauen an,
Mit zwei und dreißig Jahren.
Auch könnten sie was dichter sein;
Drum fiel´s dem braven Künstler ein,
sie fleißig einzupudern.

Die Stirne ist ein bischen hoch,
Mit Haaren leicht bedecket.
Gefällt sie Dir, so wisse doch,
Daß nicht darunter stecket.
Indeß das muß man übersehn,
Der Casus soll ja oft geschehn,
Man sagt sogar bei Fürsten.

Das Auge kann nicht besser sein:
Du kannst mein ganzes Wesen,
Und meine Sünden groß und klein
Darinn geschrieben lesen.
Der Blick ist offen, kühn, und frei,
Doch, denk´ ich, saget er dabei,
Daß ich die Menschen liebe.

Die Nase steht im besten Licht,
Die Wangen haben Farbe:
Nur fehlt, warum? Das weiß ich nicht,
Die kleine Blatternarbe.
Im großen blauen Bart besteht
Die geistliche Auetorität,
Und die Professorenwürde.

Dagen widersetzet sich
Der Mund, und scheint zu sagen:
Wozu den Ernst? Was kümmert mich
Brevier und Priesterkragen?
Professor her, Professor hin;
Ich weiß, daß ich geschaffen bin
Zum Lachen, wie zum Bethen.

Aus gutem Gründen ließ ich nicht
Im Priesterrock mich malen:
Der riefe mir nur meine Pflicht
Zurück, und meine Qualen:
Auch fiele Dir beim Anblick ein:
»Er wird, wie alle Pfaffen sein,
»Ich mag ihm auch nicht trauen«.

Doch nein! Du bist zu gut dazu,
So etwas nur zu denken:
Trotz meinem Stande wolltest Du
Mir Deine Freundschaft schenken.
Drum will ich auch am fernen Rhein,
Wie einst am Neckar, ewig sein
Dein treuer guter Schneider.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03