Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.

von Charlotte von Ahlefeld.

Fünfzehnter Brief

Chaux de Fond, den 26. Juli.

Könnte ich Dich doch zu mir zaubern, meine Caroline, in dieses enge Thal, das als der merkwürdige Wohnsitz der Industrie und des Fleisses durch zahllose Bergreihen gleichsam wie durch einen Wall von dem Getöse der geschäftlosen und geniessenden Welt geschieden wird, um einem friedlichen Künstlervolke Muße zu den seltsamsten mechanischen und mathematischen Erfindungen zu gewähren. Der Anblick dieser kleinen, thätigen Kolonie, die hier aus tiefer Einsamkeit die bewunderten Werke ihrer Fleißes und ihres Nachdenkens in alle Länder Europas, ja selbst in andere Weltheile sendet, hat mich freudig ergriffen, denn ich liebe diesen geräuschlosen Kunstsinn, mit stiller Bescheidenheit verbunden, und möchte gern den Eindruck mit Dir theilen, den selbst die sonderbare Eigenthümlichkeit der Gegend hier auf mich gemacht hat.

Sehr früh reisten wir gestern von Neufchatel aus, um Locle und Chaux de Fond zu sehen, zwei kleine Orte, die durch die Menge der Uhren und Spitzen interessant sind, die hier verfertigt werden. In lauter Krümmungen wand sich die Straße langsam und beschwerlich auf den Rücken des Jura empor, wo wir nahe bei dem Dorfe Rochefort in einem einsamen Wirthshaus frühstückten, welches la tourme heißt. Die große Reinlichkeit dieses dürftigen Hauses sprach uns alle höchst gefällig an, und ich bedauerte es doppelt, daß die Natur den Bewohnern dieses öden Gipfelds Brunne und Quellen versagt hat, denn nur in weiter Entfernung sind welche zu finden, und man hat allenthalben Röhren angebracht, um das Regenwasser mit der größten Sorgfalt in sichere Behälter zu leiten, da man in Ermangelung des Quellenwassers es braucht. Vor dem Hause sieht man zwischen hohen, aber fernen Bergen den Neufchateler See schimmern, der sich wie ein Spiegel ausbreitet, aus dem das Bild des heitern Himmels zurück strahlte.

Gegen Mittag kamen wir nach Locle, das in einem eng beschränkten Thale liegt. Die Gegend ist überraschend und ganz anders wie die anderen Schweizergegenden, die ich gesehen habe. Die Berge nämlich, die das Thal bilden, senken sich nur allmählich, und in Absätzen, überall mit Rasen von dem hellsten Grün bedeckt, herab, und allenthalben sieht man kleine Gruppen wohlgebauter Häuser auf diesen Absätzen regellos hingestreut. Das blendende Weiß ihrer Wände, die vielen Fenster nd der breite Giebel, der sehr natürlicher Weise ein beinahe plattes Dach formt, giebt ihnen ein sehr freundliches, und gar nicht gemeines Ansehen. Nur wünschte ich, daß man neben den kleinen Kohlgärtchen auch Baumgärten bei jedem Hause hätte; aber sie liegen ohne allen Schatten, und man erblickt kein andern Bäume, als starre Fichten auf dem Gipfeln der Berge. Denn da hier der Winter über sieben Monate dauert, so gedeiht selbst die gewöhnlichsten Bedürfnisse des Lebens nicht in diesem kalten Boden, und mit unsäglicher Mühe müssen de Bewohner Korn und alles, was zum menschlichen Unterhalt gehört, aus fernen, fruchtbaren Gefilden herbei holen.

Wir besahen die Arbeiten eines Uhrmachers und einer Spitzenklöpplerin, und giengen dann eine halbe Stunde weit, um unterirdische Mühlen zu sehn, die in einem Felsen sehr tief unter der Erde eingehauen sind. Der Müller führte mich hinab, aber ich kam nicht bis zu der letzten Treppe, denn fürchterlich und betäubend war das Getöse des mit Wuth sich brechenden Wassers in der nächtlichen Dunkelheit dieser schauerlichsten Gruft, die der matte Schimmer der Lampen nur dürftig erhellte. Ich fand auf der Oberfläche der Erde genug mein Erstaunen und meine Aufmerksamkeit erweckende Gegenstände, um gern auf de Verzicht zu thun, die in ihrer Tiefe in grausenerregender Gestalt mir winkten. Der Bied, ein kleiner Fluß, der durch das Thal von Locle fließt und am Ende von Felsenspalten eingesaugt wird, treibt das Werk dieser Mühlen, die senkrecht unter einander erbaut sind.

Wir fuhren hierauf nach Chaux de Fond, wo wir die Nacht geblieben sind. Der Weg hierher von Locle ist äußerst anmuthig, denn überall sieht man solche kleine Wohnungen, wie ich sie Dir vorher beschrieben habe, bald aus dem Dunkel der oberen Tannenwälder, bald aus der Mitte von grünen Hügeln, bald aus der Tiefe der freundlichen Thäler hervorblicken, die durch mancherlei Winkel der Anhöhen geformt werden. Könnte ich einige dieser kleinen Gebände mit Einwohnern nach meinem Herzen bevölkern, und mir selbst eines derselben wählen, so glaube ich, könnte ich mich entschließen, hier mein Leben zuzubringen. Nur eine frische Quelle und einige Bäume in der Nähe würde ich hinzu wünschen, denn auch hier fängt man das Regenwasser mit einer Sorgfald auf, die das dringende Bedürfniß verräth, und auch hier beschränkt sich die Vegetation blos auf Gras. Alles übrige möchte dann ohne mich und Dich — denn Dir würde ich vor allen Dingen ein Hütchen hier einräumen —seinen närrischen Hang in der Welt weiter gehen.


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