Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.

von Charlotte von Ahlefeld.

Erster Brief

Celle, den 30. Juni 1808.

Es gehört mit zu meinem Leben, nahe aber fern jeden Genuß mit Dir zu theilen, den eine freundliche Laune meines Schicksals mir gönnt. Die Tiefe Deines Gemüths ist der Spiegel, worin ich erst mir selbst klar und deutlich werde, und worin mir das Feudige, was mir begegnet, heller und lebendiger, und ds Traurige leichter und milder erscheint. Wie könnte ich daher aus meiner Einsamkeit heraus treten in das Geräusch der Welt und der Erfüllung eines lang genährten Wunsches entgegen fliegen, ohne durch eine treue Mittheilung alles dessen, was ich sehen werde, mich darüber zu täuschen, daß Du nur im Geist mir folgen kannst in jenes ewige Vaterland der Berge, dem schon in früher Jugend unsere Fantasie auf den Flügeln der Sehnsucht entgegen schwebte.

Ich fange diese Reise mit Gefühlen an, die meinen Herzen lange fremd waren. In der tiefen Abgeschiedenheit meines ländlichen Aufenthalts wurden nach und nach die Bande lockerer, die mich sonst so fest an die Lieblingsbilder einer romantischen Ferne knüpften. Manche Hopffnung, die neugebohren im strahlenden Schimmer naher Gewährung vor meiner Seele stand, schien späterhin aus dem Gebiet der Möglichkeit zu verschwinden, und das Entferntliegende dünkte zuletzt meinem Sinn das Unereichbare zu seyn.

Und jetzt auf einmal, da ich resignirt war und nicht mehr darauf rechnete, öffnet sich mir, wie von einem Zauberstab berührt, die Pforte dieses hohen, sonst so heiß gewünschten Gemasses, und ich soll nun in der Wirklichkeit schauen, was so oft die Einbildungskraft in lebhaften Umrissen vor mir aufstellte! - Ich gestehe Dir, daß mir Anfangs dieses Aussicht wie ein täuschender Traum erschien, und erst, als der rollende Wagen mit mir dahin flog, hob es sich wie eine dichte Nebelwolke von meinem Geiste weg, und es wurde wieder Raum in mir, neue Eindrücke aufzufassen.

Vorgestern Abends segelten wir von Altona nach Haarburg. Die Hitze war unerträglich, als wir uns einschifften, aber kühle Lüfte schwebten, wie der Athem einer segnenden Gottheit über die Elbe, und ihr spielender Hauch, der unsere Seegel blähte, führte uns schnell an die gegenüber liegende Küste. Fruchtbar angebaute Ufer, die den breiten Strom zwischen sich einschließen und mit Landhäusern und freundlichen Gärten an beiden Seiten desselben prangen, wichen wie Erscheinungen in den Hintergrund zurück, um unsere Augen nicht an bleibende Bilder des Wohlstands zu gewöhnen, da die magere Heide unserer wartete.

Der Weg von Haarburg bis hierher gewährte nur wenig heitere Ansichten. Ueberall kämpft der dürre, stiefmütterliche Boden mit den Bemühungen der Landleute, ihn urbar zu machen, und sehr oft ist er Sieger geblieben. Doch fand ich die Kultur dieses öden Stück Landes bedeutend fortgerückt und manche Strecke mit Korn bebaut, die ich sonst mich erinnerte nur mit Moor und Halde bedeckt gesehen zu haben.

Wir ließen uns alles zeigen, was an die unglückliche Königin Caroline Mathilde von Dänemark erinnert, die hier in der Blüthe ihrer Jugend starb. Das Aeußere des Schlosses, das sie bewohnte, ist düster; aber ihre Zimmer sind, obgleich veraltet, doch einer Königin nicht unwürdig, und haben, was mich besonders freute, eine lachende Aussicht auf das frische Grün des Walles, den hohe, herrliche Bäume umgeben, und auf das freundliche Städtchen, wo man noch jetzt mit Liebe und Verehrung ihrer gedenkt.

Mit Rührung betrachtete ich das Cabinet, wo sie sich am liebsten aufhielt, denn jedes Asyl eines Unglücklichen ist mir heilig. Ich verfolgte im Gedanken den Lauf der bitteren Empfindungen, die dort in ihrer Seele wechselten, und sah, wie eine Wüste, die fremdenleere Zukunft voor mir liegen, der sie entgegen gegangen wäre, hätte sich der Tod nicht erbarmt und mit sanfter Hand ihr irdisches Daseyn, und mit ihm jeden trüben Schatzes ihrer Vergangenheit ausgelöscht.

Alsdann schien mir die Kirche, in welcher der Sarg steht, der ihre Ueberreste umschließt. Er ist reich verziert und nicht geschmacklos. In den nämlichen Gewölbe ruht auch die Asche der Gemahlin Georg des Ersten, die beinahe eben so unglücklich, wie Caroline Mathilde war. - Zuletzt besuchten wir den französischen Garten in dessen dunklen Alleen sie oft wandelte, Trost und Erhebung aus dem Genuß der Natur schöpfend, die den Leidenden lächelt wie den Fröhlichen. Ich sah sie im Geist mit gebrochenem Herzen und tief verwundeten Ehrgefühl, jedoch sanft und gütig, wie jeder sie schildert, der sie kannte. Wie oft mag in diesen düstern Gängen das Bild einer noch düstern Vergangenheit vor ihrem Geist geschwebt haben. Wie oft hat sie wohl sehnsuchtsvoll Blick und Gedanken nach Norden gerichtet, wo sie alles zurücklassen mußte, was ihr theuer war. - Denn wenn auch die Verläumdung es wagen durfte, ihren Namen von einer Seite zu verdunkeln, so steht sie doch als Mutter himmlisch rein und treu vor aller Welt, und fodert von jedem Herzen, das Muttergefühle kennt, einen Seufzer des Mitleides bei dem schmerzlichen Entbehren ihrer Kinder, das ihr tiefster Kummer ihrer Zurückgezogenheit war.

Man hatte ihr in diesem Garten ein Denkmahl errichtet. Es schien den Einwohnern von Celle heilig zu seyn, denn noch vor wenig Jahren war es völlig unbeschädigt und mit einem Gitter umgeben, das die Schauenden in ehrerbietiger Entfernung hielt. Jetzt hat der Vandalismus einer durchziehenden, kriegerischen Horde alles dieses Ueberbleibsel sanfterer Erinnerungen an sie verwüstet und entweiht. Das Gitter ist zerbrochen und der Marmor der Statuen war nicht hart genug, der gemeinen Rohheit zu widerstehen, die ihn zertrümmert hat.

Es ist freilich kein aristokratischer Verlust, denn das Talent des Künstlers, der es hervorbrachte, gieng nicht Hand in Hand mit dem frommen Willen derer, die es ihr widmeten. Aber dennoch gehört ein hoher Grad menschlicher Gemeinheit dazu, mit plumpen Uebernuth das Andenken der Todten zu verletzen, das sich an die Momente knüpft, die die Wehmuth und Dankbarkeit der Hinterbliebenen ihnen errichtete.


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