Das Reisetagebuch der Antoinette von Massow

vom Herbst 1801

Den 19. September in Potsdam.
Nachdem mein geliebter Hans uns verlassen hatte, packte ich unsere Sachen zusammen und erwartete den guten Massow vom Manöver zurück. Er kam und erzählte mir, daß er den lieben Hans besucht und noch einmal Abschied genommen habe, wo er äußerst freudig gesagt, er hätte schon gelesen und geschrieben, und der Gouverneur sei von Beidem sehr zufrieden gewesen.
Um 12 Uhr hatten wir abgesessen und besuchten dann noch die lieben Graf Lottums und Hofmarschall Massow - und nun gings nach Potsdam; die ganze schöne Chaussee war mit Menschen besät, die teils ritten, teils fuhren, und es nahm sich prächtig aus, wenn man die perspektierische Allee wimmelnd von lebenden Geschöpfen sah.
In Zehlendorf hielten wir ein wenig stille, bei welcher Gelegenheit ich mir ein großes Glas Bier reichen ließ; und wie ich mich mit selbigem so recht in die erste Trinkposition gesetzt habe, fährt pfeilschnell ein Halbwagen vorbei, aus dem sich ein Engelsgesicht bückt - und zwar die liebe Königin mit dem teuren Monarchen zusammen fuhren einfach mit 4 Pferden und einem Diener nach Potsdam.

Hier in Zehlendorf spannten sie aus. General Rellet benutzte diese Gelegenheit und besorgte währenddem das Entretien, welches er selbstgefällig und selbstlachend endigte. Den Cousin Pirch fanden wir sehr wohl, auch hatte er uns ein hübsches Logis ausgemittelt. Wir mußten noch den Abend bei ihm passieren und lernten in seiner Frau ein charmantes, liebes Weib kennen. Sie ist die Schwester des Minister Alvensleben und gleicht zum Verwechseln und Verkennen der Obristin N.....[?].

Wir sollen, wenn wir nicht ausgebeten sind, ihre täglichen Gäste sein, welches ich für meine Person gern annehme, da mein Mann immer in Sanssouci ißt.

Heute gingen Pirchs zu einem lange vorher gebetenen Souper und wir benutzten derweile die kurze Zeit, etwas von den Merkwürdigkeiten zu sehen; zuerst gingen wir nach dem Neuen Garten und in das Marmorpalais am Heiligen See; an demselben sieht man die schöne Stadt, welche sich mit ihren Türmen majestätisch erhebt; dann die Pfaueninsel, vor derselben ebenfalls auf einer Insel zwei schöne Tempel; auf der anderen Seite einen hohen Berg, dessen dickes Gehölz durchgehauen und von schönen, mannigfachen Lustparthien geziert wird; kurz: die Ansicht der herrlichen Natur weist das Herz zur Liebe und Bewunderung für den Schöpfer derselben hin.

Das Marmorpalais ist geschmackvoll und prächtig. Jedes Kaminstück in den Zimmern kostet 24000 Thlr., welcher ungeheure Preis durch das Auslegen von Mosaik veranlaßt ist. Ein kleines Zimmer, welches wie ein türkisches Zelt dekoriert ist, macht meine Aufmerksamkeit rege; es ist ringsumher mit aufgenommenen Gardinen von weißem Atlas behangen. An den in die Höhe gezogenen Seiten sind Roß - Schweife befestigt und der ganze Atlas mit Franzen von Schmelz besetzt. In der Mitte hängt ein Kronleuchter von Crystallperlen, der stellt das türkische Wappen - Sonne, Mond und Sterne - dar. Unten herum sind flache Sitze, mit Atlas überzogen, angebracht. Alle Kommoden und Tische in den Zimmern sind mit den seltesten Marmorplatten belegt; unter anderen eine Platte von zusammengesetzten Stücken Chrosopas.

Herrliche Gemälde der berühmtesten italienischen Künstler sieht man hier; auch hat die Gräfin Lichtenau einige Ansichten von Neapel und Rom machen lassen, die schön sind.

In diesem Palais ist Friedrich Wilhelm II. die mehrste Zeit gewesen, auch da gestorben. In dem Garten, wo dieses Palais steht, sieht man ein prächtiges Gebäude, in welches man durch schöne Colonaden hereintritt.

Hier befindet sich eine herrliche Orangerie; ist man diese zu Ende gegangen, öffnet sich eine große Glastüre, die in den lachendsten Saal führt, dessen Wände mit 96 Vasen von dem schönsten Porzellan geziert, und diese mit den seltesten Blumen, welche erquickende Gerüche verbreiten, angefüllt sind. Am Ende des Saales befindet sich ebenso eine Orangerie, die durch eine ähnliche Glastüre dem Auge und der Nase sich gleich wohltätig zeigt. Bei den Festen, welche der jetzige König so gerne hier feiert, werden der Saal und die beiden Orangerien durch Ananaslampen sanft erleuchtet; und dann soll die Wirkung vortrefflich sein. Nachdem wir alle diese Schönheiten gesehn und die Börse meines Massows etwas erleichtert hatten, gingen wir vergnügt nach Hause.

 

Den 20. früh ritt mein Massow fort und gegen 9 Uhr ging ich mit der Cousine Pirch, ihrer Stieftochter und Schwager nach dem Berliner Tor, wo wir hinter einer Barriere auf einer Erhöhung alle Regimenter einrücken sahen, unter denen die Gardeducorps und die Gens d'armes sich vorzüglich auszeichneten. Bei dieser Gelegenheit machte ich sehr angenehme Bekanntschaften, auch einige meiner Cousins; dann gingen wir, von einigen guten Freunden begleitet, nach Hause, machten unsere Toilette und aßen Mittag. Nach demselben kamen die sämtlichen Cousins Pirch, die Brüder Dohna und Hindenburg. Mit den drei letzteren fuhren wir in das Schauspiel; es wurde die "Schöne Millerin" gegeben. Das Theater ist sehr hübsch. Ich hatte einen prächtigen Platz; vor mir die liebe Königin mit den Prinzessinnen von Oranien und Radziwill; auf den beiden ersten Bänken die gesamte Generalität. Die Ballets waren sehr schön; vorzüglich zeichnete sich dabei ein Mai - Engel aus.

Den 21. des Morgens um ein viertel vor sieben fuhren wir zu den Manövers hinaus, sahen eine zahllose Menge Menschen zu Wagen, zu Pferde und zu Fuß. Die reitende Artillerie spannte meine ganze Aufmerksamkeit. Am Ende sahen wir alle Truppen in der schönsten Ordnung und in Parade vorbeimarschieren, wo uns die Schönheit der Leute und der Musik sehr auffiel.
Meinen Massow sah ich gar nicht, der war immer bei der Cavallerie und in der Nähe des Königs, wo wir uns nicht hinzufahren getrauten. Nachmittag machte ich Visite bei der Oberhofmeisterin Grfn. Vohs, die mir wie das lebendige Bild der Hof - Etiquette erschien. Sie hat Kopf und Taille so mit Juwelen überladen, wie das Gesicht Schminke. Übrigens ist diese 76 jährige Dame noch sehr lebhaft und geistreich.

Von da fuhr ich zu General Ruchels; sie ist eine sehr hübsche, angenehme Frau, welche mir aber ohne das erküstelte Colorit besser gefallen hätte. Den Abend brachten wir bei dem Cousin Pirch sehr angenehm hin, denn er und seine Tochter, sowie seine Schwägerin, ein Frl. Schmettau, musizierten und sangen charmant.

Den 23. morgens. Es kam gestern alles gesund vom Manöver zurück; mein guter Mann kleidete sich um und ging nach Sanssouci und ich nach alter Gewohnheit zu Pirchs, wo ich das Frl. Schmettau, ein junges, sehr talentvolles Mädchen wiederfand. Nach Tisch kamen Ernst und Christoph Pirch, dann Graf Dohna, ein Leutnant Alvensleben aus Halberstadt, Bessel, Rittmeister Puttkammer und mein lieber Mann. Um 6 Uhr fuhren wir zum Thee und Souper zum General Ruchel, wo wir eine sehr große Gesellschaft fanden, die ich nur zum Theil kennen lernte, denn es waren so viele fremde, unterschiedene Gesichter wie Uniformen. Nach eingenommenem Thee wured eine Parthie Rabuge gespielt; an dem Tisch, wo ich mitspielte, saß Frau von Arnstadt, Rittmeister Puttkammer und Hauptmann Pirch. Ehe wir uns setzten, machte ich noch die Bekanntschaft des General Reinhardt, dem ich in der Geschwindigkeit für alles Gute dankte, was er meinen Brüdern erwiesen, worauf er beteuerte, er hätte eine zärtliche Zuneigung für meine redlichen Eltern und Henry, und er wäre sehr traurig, meinen Wunsch nicht erfüllen und einige Tage in Poganitz, dem Sitz der Ruhe und Glückseligkeit, weilen zu können.

Der Oberst von Misitscheck, den ich schon öfter in Berlin gesehen hatte, kam auch wieder an mich heran, um eine lange interessante Unterhaltung anzuknüpfen. Nun ging es zur Tafel, und ich will diejenigen, welche ich dem Namen nach kennen lernte, hersagen. Ich saß zwischen dem freundlichen und hübschen General Ruchel und dem Oberst Hüster vom Regiment Vohs; sehr viel sprach ersterer von dem seligen Bruder von mir, und versicherte, er hätte ihn wie einen Sohn geliebt. Ich dankte ihm gerührt für alle Wohltaten und sagte, daß meine guten Eltern glauben würde, eine Schuld bezahlt zu haben, wenn sie noch je so glücklich wären, diesen herzlichen Dank ihm sagen zu können.
Mein Nachbar zur Linken war auch ein angenehmer Mann, und so verging das Souper unterhaltend und sättigend zugleich.

Dann war da ein Oberst le Coque aus sächsischen Diensten, nebst Gattin und Bruder; der General Panitz, Oberst Frankenberg, der Mann meiner theuren, lieben Jugendfreundin, Frau von Gravert, eine hübsche interessante Frau, Hptm. v. Ernsthausen, Lt. Weiss von Vohs, Rittm. Harter v. Blücher, weiter geht meine Kenntnis nicht. Die Übrigen blieben mir fremd.

Nach Tisch verzog man sich ohne Abschied und Geräusch. Heute soll bei Pirchs Gesellschaft sein. Ich benutzte den Vormittag auch, weil diese sich erst um 8 Uhr versammelt und ging mit der Tochter des Cousins nach Sanssouci, nach dem Neuen Schloß und besahen dann noch das japanische Palais. Dies alles gewährte mir viel Vergnügen. In dem japanischen Palais sind drei Kabinetts, in denen Friedrich II. sich oft aufhielt; in dem einen steht noch sein Schreibtisch und Schreibzeug, wie er's verlassen hat; und die ältesten Stuhlbehänge sind von den Hunden zerrissen, noch ganz zu erkennen, wie sie mit den Stücken gespielt haben.

In demselben Kabinet ist eine Singe - Uhr, deren großes Gehäuse von Schildkröte ist; dann befindet sich außerhalb des Palais unter den Colonaden ein Gemälde; dieses stellt einen Affen vor, der durch einen Ring springt. Sieht man ihn von der rechten Seite, so macht er seinen Sprung nach dem Palais hin; sieht man ihn von der linken Seite, so springt er mit dem Kopf nach dem Garten zu.

Der Garten von Sanssouci ist vortrefflich. Auf dem langen Gange nach dem Neuen Schloß befindet sich auf beiden Seiten ein liebliches Wäldchen, dann wird der Gang immer von kleinen runden Plätzen durchschnitten, auf denen sich schöne Statuen, aus der Mythologie entlehnt, befinden.

Den 24. morgens. Gleich nach der Promenade, die ich gestern gemacht hatte, zog ich mich an, ging zu den guten Pirchs zu Tisch und um 6 Uhr versammelte sich die Gesellschaft, bestehend: in dem Major Bonin und seiner Frau aus Bütow; dann die Gen. Sackendorf, eine heitere, noch sehr hübsche Frau mit ihrem Mann, beide sehr hübsch, ein Lt. Hildschei v. Unruh, 6 Cousins von uns, die Gebrüder Gf. Dohna, und noch einige Offiziere; da erschien mit einem Mal ein königlicher Lakai und lud zum Ball und Souper die Frau von Massow und Frau von Pirch ein; wenn alles überstanden ist, schreibe ich weiter.

Den 24. morgens. Gleich nach der Promenade, die ich gestern gemacht hatte, zog ich mich an, ging zu den guten Pirchs zu Tisch und um 6 Uhr versammelte sich die Gesellschaft, bestehend: in dem Major Bonin und seiner Frau aus Bütow; dann die Gen. Sackendorf, eine heitere, noch sehr hübsche Frau mit ihrem Mann, beide sehr hübsch, ein Lt. Hildschei v. Unruh, 6 Cousins von uns, die Gebrüder Gf. Dohna, und noch einige Offiziere; da erschien mit einem Mal ein königlicher Lakai und lud zum Ball und Souper die Frau von Massow und Frau von Pirch ein; wenn alles überstanden ist, schreibe ich weiter.

Den 25. Berlin.
Diesen Mittag aßen wir an der table d'hote im Hotel de Russie, wo wir viele alte Bekannte wiederfanden. Gleich nach unserer Ankunft in Berlin hatten wir nach dem lieben Hans geschickt, der dann auch sogleich im besilberten Rock, großem Hut mit Tressen und einer Generalsfeder erschien, froh und heiter über seine Lage. Wir gingen zusammen mit Hptm. Bessel in die Comödie; da ward gegeben »Die bestrafte Eifersucht«, wo Iffland herrlich agierte. Dann ein Nachspiel, »Röschen und Collas«, wo Unzelmann seine Rolle sehr schön ausführte; übrigens war es eine höchst langweilige Operette, in der sich dennoch Mutter Quandt vorteilhaft auszeichnete. Den folgenden Morgen kam der Gouverneur meines Hans, Herr Bona, ein sehr alter Mann mit dem redlichsten Gesicht, feinen Sitten und auffallender Gutmütigkeit. Wir empfahlen ihm mit der Wärme besorgter, zärtlicher Eltern unser Kind; er versprach, alles zu tun, allein seine Kräfte reichten nicht aus, sie könnten mit seinem Willen nicht gleichen Schritt halten. Deshalb stieg manche bange Sorge in uns auf, die jetzt aber unterdrückt werden muß; denn nun können wir das Kind nicht zurücknehmen.

Nachdem wir uns einige Stunden mit dem redlichen Alten unterhalten hatten, schlug die bittere, gefürchtete Scheidestunde.

:


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03