Das Reisetagebuch der Antoinette von Massow

vom Herbst 1801

Den 24. August verließen wir das angenehme Poganitz und kamen sehr gut in Stolp an, setzten den lieben Hans Pirch im Kadettenhause ab und fuhren im Hotel zu Paris vor; fanden dort eine zahlreiche Gesellschaft, aus Reisenden bestehend, nahmen mit dieser ein wohlschmeckendes Mittag ein und amüsierten uns prächtig; als Eingang zu diesem Vergnügen machten wir die Bekanntschaft des Kriegsraths Schock, der mit lebhafter Freude unseres lieben Bruders Ferdinand gedachte, nach seinem Wohl sich erkundigte und die herzlichsten Empfehlungen an ihn uns auftrug. Dann wurde die Unterhaltung allgemeiner; die liebe Schwester Dörtchen wurde durch einen Umstand veranlasst, etwas von den freien Manieren der Franzosen zu erzählen, auf deren Leichtigkeit und Gesprächigkeit sie einige satyrische Ausfälle machte, und am Ende erwies es sich, daß die Gesellschaft größtenteils aus dieser Nation bestand, und daß d i e nur gut wegkamen, die gar nichts von der deutschen Sprache verstanden; übrigens hatte dies für die Erzählerin keinen nachteiligen Einfluss, man hörte ihr ferner mit Wohlgefallen zu .

Um 6 Uhr langten wir in Schlawe an, fanden durch Paul vorbereitet, ein wohlarrangiertes Logis und einen gut besetzten Tisch, an dem ich mich aufs Schleunigste hinzusetzen durch den Hunger gezwungen ward und die Fortsetzung bis zum Mittagsquartier lasse, nämlich meiner Erzählung.

Nemitz, den 25.

Hier kamen wir bei schönstem Wetter sehr vergnügt und glücklich an; sobald das Mittag eingeleitet ist, schreibe ich zur ferneren Aufzeichnung unserer gestrigen Begebenheiten, unter denen sich eine Bekanntschaft, die wir noch im Negligee machten, vorteilhaft auszeichnete; es erschien ein junger Mann von Adel, dessen Mutter eine alte Bekannte meines Massow war; diese ließ ihn durch ihren Sohn begrüßen.
Als er eintrat, saßen wir gerade beim Abendessen, luden ihn deshalb mit dazu, welches er annahm, und - wie die Folge zeigen wird - viel zu unserem Agrement beitrug. Erst fragte ihn mein Mann, ob er nicht gedient habe oder wenigstens einen Trieb fühle, dem Staat als Militär zu nützen, worauf er versicherte, er habe schon seinen Abschied genommen und zwar sei er als Cadett außer Dienst gegangen, wo ich mich des komischen Gedanken nicht erwehren konnte, daß man ihm für diese mühevolle Zeit die Erlaubnis hätte geben können, fernerhin die Uniform zu tragen.
Wir rühmten das niedliche Städtchen Schlawe und adressierten ihm hierüber das Wort, worauf er mit dem lächerlichsten Selbstgefühl erwiderte: "Für jemand, der die Lebhaftigkeit haben will, ist es ein äusserst sehr trauriger Ort, aber für einen, der nach dem Grabe hin will, ist es ein äusserst sehr schöner Ort."
Dies sagte er mit dem Bewußtsein, wie schade er fürs Grab, also auch für Schlawe sei.
Zu einiger Aufmunterung reichten wir ihm saure Gurken zum Braten, welche er nicht nahm und dabei beteuerte, so gerne er sie speise, täte er es doch nie, denn sie blähten ihn entsetzlich.
Die liebe Schwester Dörtchen versicherte ihm hierauf trocken, sie könne sich so nicht überwinden, würde aber bei jeder daraus entstehenden Wirkung seiner gedenken.
Am Ende wünschte er meinem Manne Glück, daß er die Reise mit zwei so lustigen Damen machen könne; nun ging er mit vielen Komplimenten zum Hause hinaus und wir ohne diese ins Bett.
Hier in Nemitz fanden wir eine betrübte Wirtin, denn in der Nacht hatte man ihr eine Kuh gestohlen. Mann und Sohn schwangen sich eben aufs Ross, der lieben flüchtigen nachzuhetzen; wir aber erwarten indess sehnlich eine Schüssel Erdtoffeln und grillierten Putenbraten, welchen Eva präpariert.

Cöslin, den 27. des Abends um 7 Uhr.

Wir setzten unsere Reise bis Cöslin vergnügt fort, stiegen in Zanow ab, ließen uns Kaffee machen und wurden von einem Manne, der meist angenehm erzählte, sorgfältig unterhalten. Er war ein Schlesier und zog mir seinem Prinzipal umher, kleine Pferde, Dromedare und Affen zu zeigen. Wie wir hinlänglich gelabt waren, gings den langweiligen Gollenberg hinan, den wir größtenteils zu Fuß erstiegen, sowie den Berg mit der Fahne, von dem wir die See in Augenschein nahmen, welche in einem dichten Nebel wie die Zukunft unserm Blick erschien. Mein geliebter Hans legte hier seinen Namen mit kleinen Stückchen Kieselsteinen; gern hätte ich diesen, für mich höchst angenehmen Platz auf der Retour wieder besucht, allein es war schon ziemlich spät und wir mußten eilen.

In Cöslin fanden wir die gute Tante, unserer sehnlich harrend, zärtlich und freundlich, wie sie immer ist; den folgenden Mittag machten wir am Regierungsrath Bonin (unserem Herrn Vetter) eine sehr interessante Bekanntschaft.

Hier langten wir ohne Unglücksfälle an, fanden den Gasthof sehr besetzt; unter anderen Fremden befand sich auch der Musikdirektor Sarti aus Petersburg mit seiner ganzen Familie hier. Sie sind geborene Italiener, haben sich mit uns schon vor der Tür, wo wir uns trafen, französisch unterhalten; er ist krank und geht in sein fruchtbares, warmes Vaterland zurück, dort die Übel zu beheben, welche er sich in dem rauhen Klima zugezogen hat. Es ist derselbe, dessen der Poet Kotzebue in dem merkwürdigsten Jahre seines Lebens ruhmvoll gedenkt.

Neugasthof, den 28. August

Hier holten uns die Petersburger ein, und während der Danziger Fuhrmann, der sie bis Berlin bringt, seine Pferde tränkte, unterhielten wir uns mit diesem, dem Scheine nach sehr gutmütigen Menschen; sie baten uns aber, uns in Berlin besuchen zu dürfen, wo sie sich 14 Tage aufhalten wollen.

Rannow, den 28. abends
Hier aßen wir ein prächtiges Abendbrot und werden auf einer Streu schlafen, wo wir herzlich froh sind, daß Geisler nicht von der Parthie ist, denn sonst würde er uns wahrscheinlich auf die Ohren treten, und zwar mit mehr Bequemlichkeit, wie ehemals seiner Dame beim Tanz.


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