Das Reisetagebuch der Antoinette von Massow

vom Herbst 1801

Freienwalde, den 8. September.

Glücklich kamen wir hier gegen Abend an und gingen bei heiterem Wetter zweimal über die Oder. Es schickte gleich die Frau von Hill und ließ sich nach Dörtchen erkundigen; auch befahl die theure Königin, den folgenden Abend den Thee bei ihr einzunehmen; es wurde also des morgens erst von allen Seiten komplimentiert; Lakaien und Bediente gingen hin und her, Erkundigungen einzuziehen, wie die Nacht verbracht war. Dann wurde befohlen, Hans sollte präsentiert werden und auch wir vorgestellt werden; mit dem Schlage 6 Uhr gings im feierlichen Zuge nach dem Palais; voraus die liebe Dörtchen, im Bewußtsein des besten Ausganges und gewohnt des schlüpfrigen Weges; hinter ihr her zog ich, das Bild der Demut und Reue; denn ich fühlte ein unbekanntes Herzklopfen, welches nicht bloß von der Blödigkeit erzeugt war, denn so schlägt es nur, wenn es wahrhaft angegriffen wird; neben mir mein Hans, unbefangen und heiter, wie es einem Knaben geziemt, dem die grausen Gefahren und Verführungen fremd sind, wie die Laufbahn, die er betreten soll, deren bloße Vorstellung schon mein Herzblut so schnell fließen machten. Dann folgte mein Massow mit ruhigem Gesicht und gewissen festen Schritten, wie das lebendige Sprichwort: "Fürchte Gott und scheue niemand!"

So betraten wir zuerst das schöne, freundliche Zimmer der Frau von Hill, die bald darauf erschien; sie gefiel uns gleich erstaunend, auch äußerte sie sich so beruhigend über alles, daß wenn ich nur halb so gerührt und halb so dumm gewesen wäre, ich darauf sehr vieles hätte antworten können.

Jetzt kamen aber bloß einzelne kleine Bruchstücke zum Vorschein als Lohn, Gottes Segen, Dankbarkeit, Gefühl usw. Diese Fragmente sammelte die gute, aufmerksame Doris sorgfältig und brachte sie in ein schönes Ganze. Wir konnten ohngefähr eine Viertelstunde oben zugebracht haben, als wir beschieden wurden, herunter zu eilen. Die würdige Königin empfing Dörtchen mit Mutterliebe und uns mit unendlicher Herablassung und Huld. Unser lieber Hans benahm sich wie ein Engel, mit einnehmendem Anstand und Unbefangenheit. Wie die Königin ihn fragte, ob er gern zu ihr gekommen sei, antwortete er freimüthig, es hätte ihn sehr glücklich gemacht. Uns dankte die Königin, ihr das liebe Kind so jung anvertraut zu haben, welches sie durch mütterliche Sorgfalt und Pflege zu verdienen und zu belohnen suchen werde. Ich war so gerührt, daß - statt zu antworten - ich ans Fenster treten und mir die heißen Tränen trocknen mußte; ein Glück, daß die treffliche Königin mehr auf Gefühl als auf Worte sieht, sonst wäre ich schlecht gefahren. Minister Haudwitz machte meiner Rührung und Verlegenheit ein Ende, denn der erschien; nach ihm Graf Goltz.

Nach einigen Stunden ging die liebe Königin in ihr Gemach und wir zerstreuten uns. Den folgenden Tag wurden wir wieder zum Thee geladen, da hatte mein Blut sich schon etwas besänftigt. Den dritten Abend, wie wir bei Frau von Hill waren, ehe wir die Königin sahen, sprachen wir viel über Hans'chens Lage. Frau von Hill äußerte herzliche und religiöse Grundsätze und sagte ein gleiches von der würdigen Königin; ich sagte ihr, daß es unser dringendes Bemühen gewesen sei, sein junges Herz für Frömmigkeit und Tugend zu öffnen und daß es unser heißer Wunsch wäre, ihn hierhin befestigt zu sehen; diese ernsthafte Unterredung beruhigte uns unendlich und ich sah heiter in die Zukunft.
Wie wir nachher zu der Königin gerufen und aufs Gnädigste empfangen wurden, beschenkte sie uns beide Schwestern und die Hofdame; jede mit einer charmanten Haube, welche Graf Fouquet verteilte. Dann wurden Proverbe aufgeführt, uns zu amüsieren, die sehr hübsch ausfielen und uns viel Vergnügen machten. Gegen 11 Uhr wurden wir entlassen. Als wir zu meinem guten Massow kamen, der dieses Mal nicht mitgegangen war, erfreuten wir erst sein Herz wegen der gehabten Unterredung wegen Hans'chen und dann führten wir das eine Proverb auf; Dörtchen war ein Witwer und hatte Hans' Überrock an, dessen alten Filz auf und sah abscheulich aus.

Als wir nun den folgenden Morgen wieder bei der Königin waren, erzählten wir den Scherz, worauf sie befahl, der Rock solle geholt werden und wir uns in Tätigkeit setzen. Dies geschah, und wir agierten vor den Augen der lieben Königin mit einer lobenswerten Dreistigkeit - uns nicht zu rühmen. Vorher hatten wir in demselben Zimmer dejeuniert, und nach demselben Hauterdtoffeln gegessen mit Salz und Butter.

Hans'chen mußte diesen Morgen der Königin Schokolade präsentieren, worauf sie ihm auch viel Kuchen und Schokolade reichen ließ. Er benahm sich bei allem unverbesserlich; ich sage dies mit Überzeugung, ohne von der mütterlichen Eitelkeit irregeleitet zu werden. Die Königin sagte auch deshalb einigemal, "das Kind hat eine sehr gute Erziehung." Ich dachte, wenn Du wüßtest, wie er ungezogen sein kann, dankte aber Gott, daß er sich hier so prächtig benahm.

Den 10. September früh fuhren wir nach Berlin und erreichten es um 5 Uhr nachmittags. Eva, Hans, Friedrich und ich freuten uns wechselweise über den herrlichen Anblick; doch bei jedem äußerten sich die Gefühle besonders; Hans wollte im Wagen auffliegen, drehte sich bald das Genick um, damit er nur von beiden Seiten sehen konnte, schrie auch wohl laut auf vor Jubel.
Eva saß da mit ihrer gewöhnlich ernsthaften Miene, dies setzte den Hans außer sich selbst, er rief hintereinander: "Eva, Eva, wundert sie sich nicht? Sehe sie doch die prächtigen Häuser!" wo diese denn empfindlich antwortete: "Ich habe ja Augen, ich sehe ja wohl!"

Friedrich blickte mit dem Phlegma, welches seine Schmerzen erzeugt, ruhig von der unteren Etage bis zur vierten, er sagte dann freundlich und wundersam: "Das ist a'schön Stadt."

Ich duchflog nach alter Art Häuser und Straßen, sah die Vorübergehenden, fand Ähnlichkeiten und freute mich kindisch, in Berlin zu sein; gleich denselben Abend besuchten wir den Hofmarschall Massow, fanden sein Bein auf einer Bank in Betten verpackt, und an ihm übrigens einen angenehmen Gesellschafter, der es sehr bedauerte, uns jetzt nicht logieren zu können, da er selbst elend und ohne Frau sei, welche sich mit den 5 Knaben in Steinhöfel aufhielt; er habe aber für ein gutes Quartier gesorgt, und zwar in der Sonne, wo wir charmant wohnen; nur sie schmilzt alles Metall in der Schatulle, und die Pfandbriefe verbrennt sie; doch dieses gewöhnliche Naturereignis macht auf den Hofmann, welcher von Sonne und Mond gleich wohltätig beschienen wird, keinen weiteren Eindruck.

Denselben Abend gingen wir noch unter die Linden, wo die Erleuchtung in den Straßen einen herrlichen Effekt macht und welches die Eva entzückte, die immer hinter uns her zog und äußerst gesprächig wurde, doch ein Umstand machte ihre Zunge stocken, denn ein Chapeau zog sie am Rocke, worauf sie Dörtchens Kleid ergriff - welches ihr am nächsten war - es so fest hielt, wie sie noch bis jetzt festzuhalten ihren guten Ruf ist bemüht gewesen.

Heute als den 11. haben wir mit Putzmachern, Schneidern, Kaufleuten und Friseur zu tun gehabt, welches die Geldbeutel empfinden; dann machten wir Visite bei Gräfin Wartensleben, diese begleitete uns zu Minister Massows, welche wir nicht zu Hause fanden; dann bei Major Frankenbergs, wo wir die liebe Dörtchen absetzten, weil sie den Abend bei einer Freundin passierte, und ich meinem guten Massow, der nicht wohl ist, Gesellschaft leisten will.
Gestern konnte ich nicht einschlafen, denn das beständige Fahren war mir, als wenn in Bischofswerda ein starkes Gewitter in der Ferne tobt; heute früh im Negligee besuchten wir den Wilhelmsplatz; die Statuen machten mir viel Vergnügen; ich sah im Geiste den lieben Ferdinand einst auf Schwerins, und den lieben Fritz auf Seydlitz' Stelle. Die Bildsäule des alten Ziethen gefiel mir am meisten; sie ist so nach dem Leben ausgehauen, daß man vor Liebe und Ehrfurcht ihm die Hand drücken möchte, und dann staunt, daß es nur Stein ist, dem die Kunst diesen Feuerblick, diese Schönheit in Stellung und Kleidung gab.


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