Nach dem Tode meines geliebten Bruders.
1786
»Strahlender Jüngling, woher?» –
– Schwester!
»Bruder du mir? Jüngling im Silbergewand?
»Ach! dieß Auge! der Blick ist sein!«
Ich taucht’ im frölichen Jugendspiel,
Die heissen Glieder im kühlenden Strom,
Da brauste die Woge schwellend empor –
Schwester! ich sank tief in des Stromes Schoos.
Weine nicht, Du, die ich liebte,
Als ich, ein Pilger noch, wallte;
Du, die ich nun inniger liebe!
Leicht, wie Blumenduft,
Fühlt’ ich empor mich gehoben –
Es schwebten Engel über der Flut!
Ach! mehr als Engel – es schwebten
Freund’ um mich!
Wie tönte, gleich Harfengelispel,
Lieblich die zärtliche Stimm’
Unsers Tiresias mir!
»Willkommen, willkommen, Geliebter!
Steig’ empor aus der Endlichkeit Strom,
Unsterblicher Jüngling!
O, labe dich an der Ewigkeit Born«.
O Geliebte! ich trank,
Trank ans der Ewigkeit Strom,
Der silbern hernieder
Sich vom Thron des Erbarmers gießt!
Jeder Schatten entfloh’.
Ach! die Thräne,
Die Thräne der Trennung von Euch,
Sie löste sanft in Entzückung sich auf!
In kindlich schüchterner Unschuld
Schwebte zwischen den Blüten
Ein wonniges Knäblein um uns.
»Siehe der Deinen Einen!«
Rief Tiresias, hob das schimmernde Knäblein,
Und küßte mit dem Kusse des Friedens ihn;
Und glänzender blühten die Rosen
Auf den Wangen des Knäbleins auf.
Du gebahrst ihn, dein Leben!
Traure nicht, Schwester! um uns.
Laß deine Klage seyn
Wie der sanften Laute Nachhall,
Die bald emportönt zum höhern,
Seelenvolleren Lied;
Zum Liede meines Erwachens,
Meines Jubels am Thron!
Jammernde Mutter, die mich gebahr,
Ein winselndes, hülfloses Kindlein,
Mutter! Vater! freuet euch mein,
Und seegnet die Flut, die von Schlacken
Hat gereinigt das Gold!
Schwester ich scheide!
Wenn einst die große Stunde dir kömmt;
Wenn in die Nacht des Todes
Dahinsinkt dein Haupt,
Zum Leben emporstrebt dein Geist,
Siehst du mich wieder!