Vorrede

1795.

Dem Andenken meines Vaters gewiedmet.
Zum Beßten einer von ihm gestifteten Spinnschule herausgegeben.

Der Herausgeber an Karl Viktor v. Bonstetten.

Dir, mein geliebter Bonstetten, weihe ich diese Gedichte unserer gemeinschaftlichen Freundin, deren Zusammenstellung mir alle diejenigen gewiß danken werden, welche das wütende Geschrei des Parteigeistes und betäubende Geräusch [VI≡]der Waffen, noch nicht gänzlich von den Musen und ihren menschenfreundlichen Künsten entfernt hat.
Bei der Auswahl verfuhr ich nach eben den Gesetzen, wie bei der Herausgabe der Gedichte unsers Salis; d. h. mit freundschaftlicher Strenge, und nahm nichts auf, als was mir der Dichterin würdig zu seyn schien. Der literarische Ruf derer die wir lieben, darf uns nicht weniger heilig seyn, als ihr guter Name in der sittlichen Welt.
Viele dieser Lieder werden den Frühling des Jahres 1791, in deine Seele zurückrufen, wo sie [VII≡]im Schooße der Alpen gesungen wurden, und wir mit der Verfasserin, an den Ufern des Genfersees, den schönen Freundschaftsbund schlossen, der bis zum Tode bestehen wird.
Uebrigens weist du, mit allen denen, welche die Dichterin genauer kennen, daß die Gabe, reizende Lieder zu singen, ihr kleinstes Verdienst ausmacht, und der Ruhm, dem Staate thätige und edle Beförderer des Guten erzogen und die Pflichten im häuslichen Kreise mit gewissenhafter Pünktlichkeit erfüllt zu haben, in ihren Augen das Höchste; die Uebung [VIII≡]der Musenkünste hingegen nichts weiter als Erholung in Stunden der Ruhe, wie Musik und Lektüre, und folglich nur sehr wenig ist.

FRIEDRICH MATTHISSON.


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