Die Meisterproben

Ein Mann hatte drei Söhne. Als sie zu Jahren gekommen waren, schickte er sie in die Lehre zu drei der geschicktesten Meister. Der eine sollte ein Schmied werden, der andere ein Schütz, der dritte ein Heilkünstler. Nach Verlauf der Lehrzeit berief er sie nach Hause, um zu erfahren, ob sie auch rechtschaffene Künstler geworden. Und als er dessen gewiss war nach abgelegten Proben, führte er sie gen Hof zum König und bot ihm ihre Dienste an.

Es war dem Manne aber inzwischen noch ein vierter Knabe geboren worden, ein Nestquak, von schwächlichem Körper, aber, wie sich's später zeigte, von überaus feinem Verstande. Der war der Liebling der Mutter, dem sie alles zusteckte, und wen er eben nichts kriegte, so stahl er's meisterlich.

Als nun die drei Brüder mit dem Vater nach Hofe zogen, bat er die Mutter, sie möchte auch ihn dahin führen, damit er des Königs Staat sehen könne. Das tat die Mutter, ohne Vorwissen des Vaters.

Die drei Brüder wurden vom König gnädig aufgenommen und er gedachte, ihnen sogleich Proben vorzulegen, in denen sie ihre Meisterschaft erweisen könnten. Um ersten sollte der Schmied ein Schwalbennest machen, so künstlich und zugleich natürlich, dass Schwalben darin nisten möchten. Der Schmied verfertigte alsbald das Nest. Und siehe – nach wenigen Tagen saß eine Schwalbe im Neste und brütete über den drei Eilein, die sie gelegt. Darob hatte der König große Freude und er ernannte den Schmied sogleich zu seinem Obersthofmeister.

Nun kam die Reihe an den Schützen und an den Heilkünstler. Diesen gab der König auf, dass jener die drei Eier durchschießen sollte in einem Schuss, und dass dieser die dann verwundeten Küchlein wieder heilen sollte. Sie sagten, sie wollten das tun. Aber der Heilkünstler verlangte, dass die Eier aus dem Neste geholt und dann wieder darein gelegt werden, ohne dass es die Schwalbe, die Mutter, merke. Denn, sagte er, wenn die Mutter aus dem Nest flöge, so würden die Küchlein keine Wärme mehr haben und zugrunde gehen.

Der König ließ also verkünden: Wer die drei Eier aus dem Neste nehmen und sie dann wieder dareinlegen könnte, ohne dass es die Schwalbe, die Mutter, merkte, der sollte vor allen belohnt und geehrt werden. Da trat Hänslein, das Muttersöhnlein, vor den König, und sagte: »Ich will das tun.« Und er kletterte ans Dach hinauf, wo das Schwalbennest hing, und stahl die Eier so meisterlich aus dem Neste, dass die Schwalbe nichts merkte, sondern ruhig sitzen blieb.

Der König legte dann die Eier vor den Schützen hin, doch so, dass das dritte und letzte nicht in gleicher Linie, sondern seitwärts zu liegen kam. Der Schütze schoss von weiter Ferne, und siehe – alle Eier waren mittendurch getroffen von dem spitzen Pfeile, der, vom nächsten Baume zurückprallend, auch das dritte durchbohrte. Darüber war alles Volk erstaunt und der König machte ihn sogleich zu seinem Oberstjägermeister.

Nun machte sich aber der Heilkünstler alsbald daran, die verwundeten Küchlein zu heilen. Und er tat es auf so geschickte Art, dass sich die Küchlein im Ei unruhig bewegten, als wären sie zur Unzeit aus dem Schlafe geweckt worden. Da sprach der König zum Heilkünstler: »Du sollst mein Leibarzt und Geheimer Rat sein auf immerdar.

Jetzt tat sich Hänslein wieder hervor und nahm die Eier und legte sie der Schwalbe, die noch am Orte saß, also meisterlich unter, dass sie nichts merkte, sondern sitzen blieb und fort brütete, als wäre nichts vorgegangen. Ob diesem Stücklein wunderte sich der König noch mehr, als über die andern und er ernannte Hänslein zu seinem Oberstkämmerer und Hausmaier.

Auch hatte er später alle Ursache, mit seiner Wahl zufrieden zu sein. Denn wenn der Schmied ihm das schönste und beste Kriegs- und Hausgeräte verfertigte und der Schütze reichliches und schmackhaftes Wildbret in seine Küche lieferte und der Heilkünstler ihn immer bei gutem Appetit und bei heiler Haut erhielt, so tat Hänslein, der Hausmaier, doch ungleich mehr: Er stahl dem Nachbarn eine Krone nach der andern, so dass sein Herr ein König vieler Reiche wurde. Zuletzt aber schob sich Hänslein selbst eine Krone in die Tasche, und er ward und hieß von nun an: Hans der König.


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