Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.
von Charlotte von Ahlefeld.
Zehnter Brief
Basel, den 20. Juli Nachmittag
4 Uhr.
Im Begriff weiter zu reisen, will ich Dir geschwind aufzeichnen, was ich hier gesehen habe. Nachdem wir uns ein wenig mit der Stadt bekannt gemacht hatten, ließen wir uns in den Garten des Bandfabrikanten Furchart Weiß führen, den unser Lohnlaquai uns als sehr sehenswert schilderte. Freilich fanden wir ihn nicht so, denn er ist weder groß noch schön, aber doch heiter und zierlich. Durch duftende Blumenbeete und kleine Rasenplätze führte uns ein sanft gewinnender Weg zu einer einsamen Stelle, wo, von Trauerweiden beschattet, uns ein Grabmahl entgegen schimmerte. Es ist einer madam Furchart gewidmet, und in einem simplen, edlen Styl, wie alle Grabmähler seyn sollten, denn Prunk und Zierrathen gehören nur für das Gewühl des Lebens, nicht für das Andenken der Todten. Eine schöne weibliche Figur richtet sich mit dem Ausdruck besiegter Schmerzen und froher Hoffnung von ihrem Sarge auf – das ist die ganze Idee. Da aber die Ausführung sehr gelungen ist, so findet man den einfachen Gedankden hinreichend, um die stille Rührung zu erwecken, mit der man jedes Monument betrachten sollte.
Von dem Mnsterplatze, oder der sogenannten Pfalz, sieht man hinunter auf den Rhein, der in Krümmungen dahin eilt. Prächtige blaue Berge, dämmern in der Ferne empor und dienen der Gegend zum Hintergrund. Der Münster umschließt die Gebeine des berühmten Erasmus, der im Jahr 1467 in Rotterdam gebohren wurde, und 1536 hier starb. Weniger merkwürdig für die Welt, als er, aber meinen Herzen theurer, ist das Andenken seines Vaters durch sein Unglück, und die unaussprechlich treue, innige Liebe, die es begründete. Die Strenge seiner Eltern nämlich verwehrte ihm eine rechtmäßige Verbindung mit der Mutter seines Sohns. Man entfernte ihn nach Rom, wo er studieren sollte, und täuschte ihn bald darauf durch die Nachricht, daß seine Geliebte an den Folgen ihrer Niederkunft gestorben sey. Obgleich ohne eine tröstliche Hoffnung ihres künftigen Besitzes war doch an sie allein aller Reiz geknüpft, den die Welt für ihn hatte, und er trat, sobald er die Kunde ihres vermeintlichen Todes vernahm, in einen geistlichen Orden, um in öden Klostermauern seine Verzweiflung zu verbergen. Durch ein unauflösliches Gelübde nun gebunden erfuhr er, daß sienoch lebte, und als sie späterhin wirklich an der Pest starb, folgte er ihr, von tiefen Gram verzehrt, bald nach, und vertraute seinen vierjährigen Sohn, dem er sein ganzes Vermögen hinterließ, drei ausgesucht würdigen Männern, die er mit rührender Sorgfalt und Zärtlichkeit für seine Pflege und Erziehung verantwortlich machte.
Die große Promenade ist unbedeutend, da sie erst seit kurzem angelegt, und daher noch ohne Schatten ist.