Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.

von Charlotte von Ahlefeld.

Vierter Brief

Frankfurt am Main, den 9. Juli

Wir verließen unser gestriges Nachtquartier sehr früh, und erlangten dadurch den Vortheil, noch bei guter Zeit des Morgens hier in Frankfurt anzukommen. Die Station von Friedberg hierher ist eben nicht besonders interessant, denn fruchtbar, aber keinerswegs mahlerisch dehnt sich eine weite Ebene rings umher aus, ohne dem Auge bedeutende Ruhepunkte zu bieten, auf denen es verweilen möchte. Ein eigenes Gefühl der Trauer und der Beklommenheit ergriff mich, als ich mich nun innerhalb der Mauern dieser alten, merkwürdigen Stadt sah, deren lang bewahrte, ehrwürdige Rechte der Geist der Zeit verlöscht hat.

Nachmittags setzten wir uns schon wieder in Wagen, um die umliegende Gegend zu besehn. Wir fuhren durch Bergen, bekannt durch eine entscheidende Schlacht, die einst hier geliefert wurde, und sehenswerth durch den weiten Kreis blühend angebauter Felder, Dörfer und Flecken, die, von Obstpflanzungen umringt, das Thal erfüllen und nicht mehr an die Drangsale späterer Kriege erinnern, welche dieses Land erlitten hat. Wir fuhren dann durch Fechenheim an den Main, wo wir uns nach Offenbach übersetzen ließen.

Ich hatte mir, nach den entzückten Beschreibungen vieler, die mit Enthusiasmus von Offenbach sprachen, diesen Ort wie das Ideal eines kleinen Städtchens gedacht, und es in Gedanken mit allem Zauber ländlich einfacher Architektur, und seine Umgebungen mit allem Reizen einer üppigen Natur geschmückt — aber das, was so viele magnetisch an Offenbach anzieht, muß wohl in dem Genuß einer ausgesuchten Gesellschaft und in den Annehmlichkeiten liegen, die ein gebildeter, liebenswürdiger Hof dem Ton dort giebt. Wenigstens in den äußeren Gegenständen kann ich es nicht finden, und auch die Gegend ist nur mäßig angenehm. Zwar fließt der Main dicht vorbei: aber seine Ufer sind flach und wenigstens nicht ausgezeichnet, wenn man sie auch für freundlich gelten lassen will.

Wir stiegen bei dem Banquier M. aus Frankfurt ab, der dort eine allerliebste Sommerwohnung mit einem äußerst geschmackvollen Garten, und in demselben ein Badehaus in der Form eines Tempels besitzt, das an Lieblichkeit und Anmuth alles in sich vereinigt, was nur die eingensinnigste Foderung begehren könnte. Nachdem wir hier einige Stunden zugebracht hatten, fuhren wir zwischen artigen Gärten und Gartenhäusern über die Mainbrücke nach Frankfurt zurück.

Heute früh um vier Uhr machten wir uns schon wieder auf den Weg, um von einer andern Seite einen Theil der Frankfurter Umgebungen kennen zu lernen. Mein Herz schlug voll froher Erwartung, denn zum erstenmal sollte ich den Rhein sehen, der unter allen Flüssen Deutschlands immer am meisten mit einer geheimnisvollen Gewalt mich an seine Ufer lockte. Wir fuhren zuerst über Höchst an dem ehemals prächtigen, jetzt verödeten Schlosse vorbei nach Biebrich, der Residenz des Herzogs von Nassau Usingen. Wiesbaden blieb uns rechter Hand ganz nahe liegen. —

Der Morgen war Anfangs sehr trübe — doch verlohr ich nichts dadurch, da die Gegend erst dann anfängt recht schön zu werden, wenn man sich dem Rheine nähert. Die Lage von Bibrich istherrlich. Der Rhein strömt in raschem Lauf nahe am Schloß vorüber. Und eine Lindenalle, eben jetzt mit duftenden Blüthen bedeckt, zieht sich als einer der lieblichsten Spaziergänge an seinen Ufern hin. Links sieht man sehr deutlich die Thürme von Mainz, und himmlisch ist der Blick, den man rechts hinunter auf den Rheingau wirft, den ein zarter Nebel mit einem magischen Dufte verklärte. Kaum waren wir in Biebrich angekommen, so drang die Sonne mild und warm aus dem Schleiergrauer Morgenwolken hervor, und gab der Landschaft das einzige, was ihr noch fehlte, eine vortheilhafte Beleuchtung. Doch gelang es ihr nicht, so kräftig, ja beinahe brennend sich auch ihr Schein gegen Mittag verstärkte, den bläulichen Dunst hinweg zu strahlen, der — ohne durch weite Entfernung hervor gerufen zu seyn — alle scharfen Umrisse der Gegend milderte, und einen leichten Flpr über alle Gegenstände ausbreitete, die dem Auge nicht ganz nahe lagen. Der herzogliche Garten hat einige recht hübsche Parthien, und überall öffnen sich die dunklen Schatten dicht in einander gewachsener Bäume, um dem Blick freue weite Aussichten in die reizende Gegend zu gönnen, die wie ein größerer Park, diesen Garten umschließt.

Wir fuhren hierauf nach Mainz und besahen einige öffentliche Gebäude, und zuletzt die Domkirche, die seit der Belagerung von 1793 als eine halbe Ruine besteht, oder doch immer durch ihr Alter und ihr Unglück interessiert.

Es war gerade die Messe zu Ende, als wir hinein kamen. Einige Frauen lagen noch auf ihren Knieen in stillem Gebet, andere giengen, und eine von ihnen besprengte sich an der Thür mit Weihwasser und machte einer in Stein ausgehauenen Madonna eine so andachtsvolle Verbeugung, daß ich sie noch in diesem Augenblick um den frommen, kindlichen Stauben beneide, der dadurch dem unsichtbaren Wesen, das wir verehren, etwas Wohlgefälliges zu erzeigen meinte. Einige Monumente gefielen mir sehr, aber der Krieg hatte zu rauhe Spuren in diesen geheiligten Mauern hinterlassen, als daß man ungestört in seinem Empfindungen das Schöne und Erhabene hätte auffassen können, das sich hie und da dem Sinne darbot.

Wir hatten den Wagen im Castel gelassen, wo er bei der Douane untersucht worden war. Indessen, da jetzt alles sehr streng in Mainz genommen wird, hätten wir noch viel mehr Weitläufigkeiten gehabt, wenn wir bis in das Innere der Stadt gefahren wären. Daher stiegen wir bei unserer Ankunft an der Rheinbrücke ab, die das Castel von Mainz trennt, und giengen zu Fuß hinüber.

Sie ruht auf einigen vierzig Schiffen, welche in abgemessenen Entfernungen die Bohlen unterstützen, über die man geht. Wunderschön ist von da die Aussicht nach Biebrich hinunter, auf den Rheingau, der wie ein süßes Geheimnis halb errathen seyn will, da der Duft der Ferne ihm einen bläulichen Mantel überwirft, der zwar durchsichtig ist, aber doch keine völlige Gewißheit der Formen verstattet. Wie Ahnung erweckend und lieblich ist nicht diese leise Nebelhülle, die wie der Staub auf den Flügeln des Schmetterlings den leicht verwehenden Zauber einer zarten, unerklärlichen Farbenmischung ausmacht. Lange hätte ich hier bleiben mögen, um den eilenden Wellen nachzuschauen, die so unaufhaltsam dahin strömten, wie Zeiten des Glücks — — — aber die immer glühender werdende Sonnenhitze duldete es nicht. Wir kehrten über Hochheim, berühmt durch seine edlen Reben, wieder nach Frankfurt zurück.


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