Briefe auf einer Reise durch Deutschland und der Schweiz im Sommer 1808.

von Charlotte von Ahlefeld.

Dritter Brief

Der schönste Abend hat unsere späte Fahrt begünstigt, und mit schimmernden Mondenschein uns herein geleuchtet in dies kleine Städtchen, von dem ich Dir nur wenig sagen kann, da es im clair obscür der heiteren Nacht blos in undeutlichen Umrissen vor mir lag.

Gestern Mittag verließen wir Cassel. Wir komen aber zu spät nach Jesberg, um die alte, zertrümmerte Burg besuchen zu können, die von einem Berge herab so imponirend, schon, als wir noch weit davon entfernt waren, uns entgegen blickte. Der volle Mond warf sein magisches Licht auf den alten Thurm, der wahrscheinlich schon manches Geschlecht der Menschen hatte kommen und gehen sehn, wie Gras auf dem Felde keimt und verwelkt.

Wir trafen im Posthause einen jungen Menschen an, den wir schon einige Tage früher hatten kennen lernen, und der noch in der ersten Blüthe der Jugend, schon den Wurm der Vernichtung in seiner schwindsüchtigen Brust zu tragen scheint. Er will in einem südlichen Bade Versuche machen, ob seine zerrüttete Gesundheit wieder herzustellen ist.

Es giebt mir immer ein schmerzliches Gefühl, wenn ich den – nicht seltnen – Anblick habe, bei Menschen, die eben erst in die Welt eintreten, die Lebhaftigkeit der leicht empfänglichen, warm fühlenden Jugend nicht in gleichem Verhältniß zu ihren physischen Kräften zu sehn. So auch hier. Mit Wehmuth erfüllte mich seine Erzählung, wie er, hingerissen von den schönen, ihn so ganz neuen Berggegenden bei Münden, aus dem Wagen gesprungen sey, um auch, wie andere Reisende, die steile Anhöhe zu Fuß hinauf zu gehen, und wie er kaum zwanzig Schritte empor gestiegen, als ein Blutauswurf und eine entsetzliche Brustbeklemmung ihn zwangen, stehn zu bleiben, so daß er vor Erschöpfung kaum wieder in den Wagen kommen konnte. Armer junger Mensch – möchte die Reise ins Bad, die dich mit fröhlichen Träumen von Genesung umspielt, deine Hoffnung nicht täuschen. Aber, ach! – so viele tragen den Keim des frühen Vergehens mit sich in ein fremdes Land, und wähnen, dort sei der Anfang ihrer Wiederherstellung zu finden, während es der Tod ist, der sie mit finsterer Stirne erwartet.

Früh um vier Uhr fuhren wir von Jesberg aus, und trafen auf mehreren Stationen noch mit dem armen, kränklichen Reisenden zusammen, den wir alsdenn aber aus den Augen verlohren, da er sich eine kleinere Tagereise vorgenommen hatte, wie wir, weil seine Brust keine lang anhaltenden Erschütterungen verträgt. Schöne Gegenden sind in beständiger Abwechslung an uns vorüber geflogen, und es wäre zu weitläufig, von dem Ganzen ein genaues Bild zu entwerfen – deshalb will ich auch nur einige einzelne Theile desselben berühren, die mein Inneres am meisten angesprochen haben.

Marburg ist eine bergige Stadt, und sehr finster und alt, aber ihre Lage würde mir stets neu bleiben, denn das Schöne veraltet nie. Mit stiller Trauer gedachte ich da meiner verstorbenen Freundin, Sophie B., die die erste, ihr so glücklich scheinende Zeit ihrer Verbindung mit B. in Marburg zubrachte, und mir von dort aus so manchen liebevollen, schriftliche Beweis ihres Andenkens und ihrer Zufriedenheit gab. Jetzt sah ich nun die Kette der Berge wirklich, die sie mir so oft in ihren Briefen, als das Ziel ihrer frohen Wanderungen schilderte; aber, ach! sie, die mit so vielem Gefühl die Reize der Natur zu würdigen wußte – sie selbst sah ich nicht, und nie sehe ich sie wieder, da die kalte Erde sie bedeckt. Auch B. hatte ich die Hoffnung einige Augenblicke zu sprechen, welches mich gefreut hätte, — doch auch sie gieng unerfüllt unter, wie so manches Luftschloß, das die Fantasie in des schwankende Gebiet der Wirklichkeit erbaut. Auch kennst du seine genialische Art, und das Funken sprühende seines Witzes, mit dem er oft selbst dann eine heitere Außenseits erzwingt, wenn sein Gefühl sich zur tiefsten Trauer hinneige. Wer weiß also, ob unser Wiedersehn mir wohltätig gewesen wäre, da die Erinnerung an den Tod seiner Frau mich zu schmerzlich bewegte, als daß ich ihm hätte verzeihen können, wenn ich ihn nicht noch ganz von der Größe seines Verlustes durchdrungen gefunden hätte.

Von Marburg kamen wir nach Gießen. Hinter dieser kleinen und unbedeutenden Stadt wird die Gegend einförmiger und nur durch die schönen Alleen angenehm, welche die Wege größtentheils einfassen. Die Berge treten immer weiter zurück, und wir übersahen am Ende nur noch eine ausgebreitete, mit Korn und Flachs bebaute Fläche, welche das Auge ermüdet.

Als wir hier im Gasthof anlangten, tönte uns eine fröhliche Tanzmusik entgegen. Die Bäckerinnung feiert heute einen festlichen Tag — ich weiß nicht warum — und das dumpfe Geräusch ihrer Munterkeit, das unter unsern Zimmern die ganze Etage des Hauses füllt, droht unsern Schlummer hier oft zu unterbrechen. Es liegt für mich in den Volksfesten etwas sonderbar Anziehendes und Rührendes. Nur bei ihnen scheint die ächte Fröhlichkeit noch zu herrschen, die jetzt ein so feiner Gast auf Erden ist, daß man sie oft in den Prunksälen der Großen vergebens sucht. Der arbeitende Menschenklasse sind Lustbarkeiten nicht täglicher Genuß, sondern nur die Würze des Lebens, und eben darum bleibt ihre Empfänglichkeit dafür immer ungeschwächt in der ersten Kraft einer leicht begeisterten Jugend, und gleich weit entfernt von Ueberdruß und Langeweile.


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