Abendlandschaft von der Bellevüe am Genfersee, vor dem Gervaisthore
Spiegelnd ruht
Hier die Flut.
Kreiselnd seh’ ich Fischlein blinken,
Aus dem Busche steigen Finkena.
Still im Thau
Ruht die Au.
Süsse Dämmrung hüllt die Wipfel,
Deckt der runden Hügel Gipfel.
Veilchenduft
Füllt die Luft;
Grünlich knospen junge Bäume,
Und der Hain treibt braune Keime.
Purpurn blinkt,
Traulich sinkt
Dort am Jura hin die Sonne,
Und im Thal lacht Abendwonne.
Hoch verschwebt,
Gold umbebt,
Ragt weit in des Aethers Grenzen,
Weisser Berg[1]! dein reines Glänzen.
Nächtlich schwer,
Um mich her,Stehn
Savoiens Felsenmauern[2]
Ueberwallt mit Nebelsschauern.
Weit und breit,
Blaß verstreut,
Starren Zacken, Häupter, Trümmer[3];
Nur den Dom[4] kränzt Rosenschimmer.
Stets zurück
Kehrt mein Blick.
Süsser Anblick! O ich sehe
Tief im See die Strahlenhöhe[5].
Ruhig wallt
Mild umstralt
Jezt der Mond am Azurhimmel;
Um ihn her das Sterngewimmel.
[1] Mont-Blanc. In der deutschen Schweiz der Weisse Berg vom Volke, und vor Alters allgemein so genannt.
[2] Die nahe um Genf aufsteigenden Felsen des Saleve, des Pithon, der Voirons, u. a. m.
[3] Die aufragenden Spitzen der höchsten Schneeberge, Aiguilles in Savoien, Dents in Wallis, und Horn in der deutschen Schweiz genannt; als Schreckhorn, Wetterhorn, u. s. f.
[4] Der höchste unter den drei Gipfeln des Mont-Blanc.
[5] Dieser entzückende Anblick wird bei jedem heitern Sonnenuntergange an den Ufern des Sees erneut. Ich entlehne die 37. Strophe aus dem bekannten Gedichte: Der Genfersee von Matthisson, um diese der höchsten Naturschönheit entzauberte Szene darzustellen. Mit höhrer Lust sieht auf des Lemans Flut, Wenn Thal und Hügel schon in Dämmrung sinken, Der hohen Eiswelt reine Purpurglut, Mein Aug’ aus dunkler Klarheit wiederblinken.