Maria Müller
von Charlotte von Ahlefeld.
Siebzehntes Kapitel
Josephine wünschte ihren Gemahl zu begleiten, da er Anstalt machte, im September auf seine andern Guter zu gehn, und er konnte diese billige Bitte, die sie mit so viel Zärtlichkeit an ihn that, nicht abschlagen, wiewohl er diesmal gern allein gegangen wäre, da der Zweck seiner Reise war, Marien, die so innig darum bat, wieder zu sehn. Vier lange Monate waren verflossen, seit er sich von ihr getrennt hatte, und laut klopfte sein Herz den Fluren entgegen, die sie bewohnte. Er beschloß, seine Gemahlin in Wodmarshausen (so hieß das Schloß, wo er Marien durch eine Scheinheirath betrogen hatte) zu lassen, einen Ritt nach Nesselfeld zu machen, sie zu sehn und zu umarmen.
Als sie sich Wodmarshausen näherten, war es Abend, und der Vollmond streute sein magisches Silber auf die schlummernden Fluren. Eine unendliche Sehnsucht ergriff den Grafen. Er lehnte sein glühendes Gesicht mit Heftigkeit an Josephinens Wange, betheuerte ihr seine Liebe, und kleidete seine zärtlich- stürmischen Gefühle, die Marien entgegen strebten, in Worte, die Josephinen geweiht waren, um seinem Herzen Luft zu machen. – So fühlen die Männer oft, was sie der einen versichern, für eine andre. Josephine war entzückt über die Versicherungen, die er ihr gab; sie hatte ihn noch nie so gesehn, und erwiederte seine Betheurungen mit der ganzen Innigkeit ihrer Liebe.
Am andern Tag sagte Wodmar zu Josephinen, um sie vorzubereiten: – Ich habe noch ein Gut in dieser Gegend, das ich ohngeachtet seiner unangenehmen, fast traurigen Lage dennoch liebe, und zuweilen besuche. Es liegt nur sechs Meilen von hier, in einer flachen öden Gegend; und ich zeigte es Ihnen gern, wenn seine Wohnung eingerichtet wäre, mehr als eine Person aufzunehmen, und wenn ich Ihnen von einem Aufenthalt dort etwas anders als Unbequemlichkeit versprechen könnte. Indessen will ich doch hinreiten, da ich diese nicht achte, um den Castellan einmal wieder zu sehn, der sich immer so herzlich freut, wenn ich ihr besuche.
Die Gräfin hatte keinen Argwohn, und ließ ihren Gemahl ruhig von sich, der die Reise zur Geliebten wie im Fluge endete.
Er traf Marien am Klavier an, aber sie spielte nicht mehr, sondern schlug nur mit der einen Hand zuweilen einen schwermüthigen Ton an, indeß ihr Auge mit dem reinsten Ausdruck des Verlangens auf dem Bilde ihres Karls verweilte, das ihr gegenüber hing. Ein einziges Licht erhellte sparsam das Zimmer – sie hatte es so gestellt, daß nur die Züge ihres Wodmars von seinem matten Schimmer beschienen wurden, und alle übrigen Gegenstände in einer holden Dämmerung schwammen. Leise hatte er die Thür geöffnet, leise sich unter dem heftigen Klopfen seiner Brust ihr nahe geschlichen, und nun, da er sie so tief mit sich beschäftigt sah, konnte er sich nicht länger halten, und schloß sie mit dem Ausruf: Liebste, beste Marie! fest in seine bebenden Arme.
Marien nahm der Schrecken die Sprache. Aber ihr Schrecken war süß, wie die Umarmung, in der sie ihn verbarg. Karl! mein Wodmar! stammelte sie an seinem Halse, und die beiden Glücklichen schwiegen im wonnevollen Rausche des Wiedersehns, der ihre Zunge fesselte. –
Zwei glückliche Tage brachten sie mit einander zu. Da mußte Karl wieder scheiden. Und warum schon jetzt? fragte traurig Marie. Ich muß! war seine Antwort, die ein Seufzer begleitete: – mein Vater ist in Wodmarshausen, und würde Verdacht schöpfen, wenn ich länger bliebe. – Marie glaubte unbedingt seinen Worten, und sie trennten sich mit dem Vorsatz, sich bald und länger wieder zu sehn.
Auf dem ganzen einsamen Rückwege beschäftigte sich der Graf mit dem Gedanken, wie es sich anfangen ließe, einige Wochen bei Marien zu seyn, ohne Josephinens Argwohn zu erregen, und der Genius der Liebe flüsterte ihm einen Anschlag ins Ohr. Als er zurückkam, sagte er seiner Gemahlin, daß ihn nothwendige Geschäfte in die Stadt riefen. Er würde von da über Nesselfeld reisen, und ohngefähr den zwanzigsten Oktober wieder in Wodmarshausen seyn, um mit ihr den Jahrestag ihrer Verbindung zu feiern. – Josephine war ihm schon im Voraus dankbar für diese Aufmerksamkeit.
Er reiste ab, und nahm den Weg nach der Stadt, so lange man ihn sehen konnte. Dann wendete er um, und seine Rosse flogen mit ihm nach Nesselfeld. Wirklich hatte er einige Geschäfte in der Stadt, aber sie erforderten nur wenige Tage, und er beschloß, sie erst nach seinem Aufenthalte bei Marien zu besorgen.
Sie empfing mit so viel Liebe, als sie ihn entlassen hatte, den Mann ihres Herzens wieder, und die Stunden des Beisammenseyns flogen auf goldnen Fittigen wie lächelnde Engel vorüber. Der Graf, der sonst wie ein Schmetterling, unbeständig geliebt hatte, fühlte mit jedem neuen Wiedersehn, daß sich Mariens Fesseln fester und enger um sein Wesen schlangen. Immer gebildeter fand er ihren Geist, immer reizender ihre Gestalt, immer holdseliger ihr einfaches gefälliges Betragen. Als er sich aufs neue von ihr trennen mußte um in die Stadt zu reisen, beklemmte eine sonderbar schmerzliche Ahndung seine Brust beim letzten Lebewohl. Ihm war bei der Umarmung des Abschieds, als wurde er gewaltsam von ihr losgerissen, als würde er sie niemals wiedersehn! Noch einmal drückte er sie an sich, und eine Thräne fiel aus seinem Auge, die bitterste seines Lebens, – auf ihr umwölktes Gesicht. Ich komme noch zu Dir, Marie! rief er, eh' ich nach Wodmarshausen zurückkehre, ich mache gern diesen Umweg, um Dich noch einen Tag zu sehn. Erwarte mich den neunzehnten bei Dir. – Mariens feuchtes Auge blickte ihn freudig an, als wollt' es ihm für die angenehme Verheißung danken, und mit gelindertem Schmerz sah sie ihn abreisen.
Indessen war es Josephinen einsam in dem großen, prächtigen Schlosse, das sie bewohnte, und sie wünschte die Zurückkunft ihres Gemahls. Wie weit ist es nach Nesselfeld? – frug sie den Schloßverwalter. Nur sechs kleine Meilen, war die Antwort. Schade, daß die Wohnung so eng ist, fuhr die Gräfin fort, ich machte mir sonst das Vergnügen, meinen Gemahl dort zu überraschen, und ihm bis dahin entgegen zu kommen. – Die Wohnung zu eng, Ihro Exzellenz? unterbrach sie das gesprächige Hannchen, die diese Reise wünschte, weil sie wußte, daß sie die Gräfin mitnehmen würde, und weil ihr der Aufenthalt in dem stillen Wodmarshausen misfiel: – wie ich hier gehört habe, sind erst vor einigen Jahren ein paar schöne Zimmer dort zum Bewohnen eingerichtet, und mit allen Bequemlichkeiten, die eine hohe Herrschaft braucht, versehen worden. Ist es nicht so, Herr Schloßverwalter?
Der Schloßverwalter hatte längst gemerkt, daß der lange Besuch im Frühjahr, den der Graf dort abgestattet hatte, seine geheimen Ursachen haben müßte. Da er seiner Wachsamkeit nicht traute, hatte er ihn die wenigen Tage, die er mit Marien in Wodmarshausen zubrachte, unter dem Vorwand einiger Geschäfte entfernt, und die wenigen Menschen, die um sein Geheimniß wissen mußten, durch Bestechungen in sein Interesse gezogen, und ihre Verschwiegenheit erkauft. Den Schloßverwalter, dem man doch nicht alles so gewissenhaft verbarg, wie man sollte, verdroß dieser Mangel an Zutrauen, den ihm der alte Graf nie hatte fühlen lassen, und er glaubte nun eine schickliche Gelegenheit gefunden zu haben, seinem jungen Herrn zu zeigen, daß es besser gewesen wäre, ihn mit um das Geheimniß wissen zu lassen. Da die Verantwortung nicht auf ihn fallen konnte, weil er nicht von des Grafen geheimen Freuden in Nesselfeld unterrichtet war, so nahm er freudig das Wort, und versicherte der Gräfin, daß alles dort im guten Stande, und fähig sey, sie einige Tage recht bequem aufzunehmen. Was würde der Herr Graf für große Augen machen, setzte er schelmisch hinzu, wenn er Ihro Exzellenz so unvermuthet dort anträfe, und sähe, daß Ihnen seine Gesellschaft lieber wäre, als alle Pracht und aller Ueberfluß ohne ihn in Wodmarshausen!
Josephine trug diesen Gedanken mit sich herum, und malte im Geiste mit so lachenden Farben sich das frohe Erstaunen ihres Gemahls, sie in Nesselfeld zu finden, daß sie endlich dem Verlangen nicht widerstehn konnte, ihn zu überraschen.
Es wird ihm ein neuer Beweis meiner Liebe seyn, dachte sie, wenn ich, ohne mich durch die Schilderung abschrecken zu lassen, die er mir von Nesselfeld machte, in seine Arme eile, um ihn einen Tag früher zu sehn. Und wenn ich auch nicht alles in dem Stande finde, wie ich es gewohnt bin; – wie wenig braucht ein volles Herz, das sich der Gegenliebe des liebenswürdigsten Gemahls erfreut? wie wenig braucht eine Mutter, wenn sie den Sohn ihrer Liebe lächeln sieht! –
Der kleine August, ganz das Ebenbild seines Vaters, der mit jedem Tage schöner wurde und werther seiner Mutter, war nebst seiner Wärterin und Hannchen die einzige Begleitung der Gräfin, als sie am achtzehnten Oktober in aller Frühe die Reise nach Nesselfeld antrat. Als sich die öde Gegend wie eine menschen- und freudenleere Wüste um ihren Weg ausdehnte, fühlte sich Josephine, schönerer Gefilde gewohnt, unaussprechlich beklommen. Immer einsamer wurde es um sie her, je weiter sie kam. Kein Baum, kein Strauch, kein Dorf, keine Spur von Menschenleben, so weit sie blickte! Nur an der steinigten Landstraße, die zwei Stunden von Nesselfeld durch die unfruchtbaren Felder führte, und die zuweilen ein einzelner Kärner mit seiner Fracht bezog, grünte eine traurige Fichte, und Josephine, als sie an ihr vorüber fuhr, konnte sich nicht enthalten, ihr verlassenes Schicksal zu beseufzen. – Arme Unglückliche! schenke nicht dem fühllosen Baume, der gesund, wiewohl einsam in diesem dürren Boden wurzelte, Deine Seufzer! Spare sie für Dein eignes Schicksal, das sich Dir in wenig Stunden grausam enthüllen wird!