Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Fünfzehntes Kapitel

tiefe Betrachtungen verloren, setzte der Graf seinen Weg fort, und oft wandte er sein Auge zurück, um noch einmal den Ort zu erblicken, wo er so unvergeßlich glücklich gewesen war. Er fühlte sich sonderbar erschüttert von den Empfindungen des Abschieds, – die Thränen waren ihm so nahe, das Herz so weich und so geneigt zur Wehmuth, wie noch nie in seinem Leben. – O, Marie! sagte er zu sich selbst, wärst Du wirklich mein durch rechtmäßige Verbindung, die ich laut bekennen dürfte, wie Du jetzt im Stillen mein bist, durch Dein unverdientes Vertrauen in meine Redlichkeit, – wie gern wollte ich dem eiteln Schimmer entsagen, der mir sonst so wichtig dünkte, um ganz für Dich und die häuslichen Freuden zu leben, die Du mich erst kennen lehrtest!

Er kam auf dem Landgut an, wo er Josephinen verlassen hatte. Sie empfing ihn freudig und zärtlich. Die Schwermuth ihrer unglücklichen Liebe hatte sich in der Einsamkeit selbst aufgezehrt, da sie keine Nahrung fand, und es war ihr nichts mehr davon übrig geblieben, als ihrem Auge ein freundlich-umwölkter Blick, und ihrem Herzen eine Narbe und ein süßes Andenken der Vergangenheit, das sie noch oft beschäftigte, ohne ihr mehr weh zu thun. Sie war schöner und blühender geworden, als sie Wodmar je gesehen hatte, und die nahe Aussicht, Mutter zu werden, die sie ihm erst jetzt mit einem süßen Erröthen gestand, webte um beide das innige Band einer gegenseitigen Achtung, durch Dankbarkeit und Zärtlichkeit erhöht. Wodmar war ernster, stiller und einfacher geworden. Dies brachte ihn Josephinen näher, die ihn nun wirklich anfing zu lieben, und das Bild ihrer frühern Leidenschaft immer mehr in den Hintergrund ihrer Seele stellte.

Die Erinnerung an Marien riß jedoch eine brennende Wunde in sein Herz. Es war ihm unmöglich, Josephinens, nur durch eine kleine Zurückhaltung gemäßigte Zärtlichkeit so innig zu erwiedern, als sie verdiente. Der Gedanke, nicht allein Marien betrogen, sondern auch gegen das tugendhafteste Weib unedel gehandelt zu haben, trat wie ein böser Dämon immer vor ihn und verbitterte seine Freuden. Die Hoffnung, Vater zu werden, erfüllte ihn mit Dank und innigem Antheil gegen Josephinen, aber sein Aufenthalt bei ihr war ihm peinlich, da er sich von ihr geliebt sah, und sein Herz ihm sagte, wie unwerth er ihrer Anhänglichkeit sey, und wie unfähig, sie durch Gegenliebe zu vergelten.

Er war ganz verändert. Den Ausdruck und die Heftigkeit seiner sonst so stürmischen Gefühle brach jetzt eine stille Sanftheit, die unwiderstehlich an brausenden Menschen ist, und ihm in den Augen seiner sanften Gemahlin noch ein Interesse mehr gab. Seine Sehnsucht nach Marien stieg bis zur Schwärmerey. Mit Blicken der Liebe sah er jede Wolke an und dachte: vielleicht hat sie über der Gegend geschwebt, wo sie wohnt, und um mich trauert! und auch in der Ferne that ihm die Ueberzeugung wohl, der Gegenstand ihrer Liebe und ihres Verlangens zu seyn.

In dieser Stimmung verlebte er die Sommermonate. – Im Anfang Augusts wurde Josephine von einem Knaben entbunden, und mit wehmüthiger Freude drückte er den Sohn ans Herz, und dankte der Mutter für das kostbare Geschenk ihrer Liebe. Ein liebliches Roth stieg auf Josephinens vorher blasse Wange. Ich schenke Ihnen mehr, als diesen Knaben, liebster Wodmar, sagte sie mit schwacher und gerührter Stimme, ich schenke Ihnen mein Herz, das von nun an ganz und auf ewig das Ihrige ist. Ungern gab ich Ihnen meine Hand, und die Grundsätze, die Sie im Anfang unserer Verbindung äußerten, stimmten so wenig mit den meinigen überein, daß ich kälter gegen Sie war, als ich es vielleicht hätte seyn sollen. Aber ich fühle mich jetzt, nicht allein durch dieses Kind, auf das wir gemeinschaftliche Rechte haben, sondern auch durch eine freiwillige, zärtliche Neigung zu Ihnen hingezogen, mit welcher ich mich bemühen will, Sie so glücklich zu machen, als ich es durch Sie seyn werde. Sie scheinen jetzt die Vorzüge eines häuslichen Lebens vor den Freuden der Stadt einzusehn; – lassen Sie uns, wenn Ihr Herz ihnen entsagen kann, – einen stillen, ländlichen Aufenthalt immer dem Geräusch der großen Welt vorziehn, – oder wenn Ihr muntrer Sinn zuweilen nach Abwechselung verlangt, so genießen Sie allein die Lustbarkeiten, die ich nicht kenne, und nicht kennen mag, weil sie niemals Reiz für mich haben werden, – und mir erlauben Sie, immer so einsam fort zu leben, wie ich es jetzt gewohnt bin. Die Erziehung unsers Sohnes wird meinem Herzen und meinem Geist Beschäftigung geben, und mit alle der Liebe und Achtung, die ich für Sie empfinde, werde ich Sie empfangen, bester Gemahl! wenn Sie müde des Herumschwärmens zurückkehren, in meinen Armen auszuruhn.

Mit einem liebevollen Lächeln reichte sie ihm ihre Hand, und mit der andern drückte sie den Säugling fest an ihre mütterliche Brust, indem ihr Auge einen ganzen Strom von Liebe über den schönen Mann ausgoß, der an ihrem Bette knieete, und Thränen der Beschämung und der Rührung weinte. Ihre ehemalige Gleichgültigkeit wäre ihm lieber gewesen, als diese liebevolle Milde, die sein Inneres verwundete, denn sie hätte ihm eher den Schein eines Rechts gegeben, seine leidenschaftliche Anhänglichkeit an Marien zu entschuldigen und fortzusetzen.

Ja, meine Josephine! nahm er endlich das Wort, die große Welt hat keine Reize mehr für den, der die stillern Freuden der Häuslichkeit in ihrem ganzen, schönen Umfang gekostet hat. Ich strebe nicht mehr nach den lächerlichen Thorheiten eines falschen Genusses, die mir sonst so süß dünkten; Ihrer werth zu seyn, sey fortan das Ziel meiner Mühe. O, wenn ich auch noch nicht ganz diese Liebe verdiene, die Sie mir eben bewiesen haben, so dulden, ertragen Sie mich mit Ihrer gewöhnlichen Sanftmuth und Nachsicht, und seyn Sie versichert, daß mein Herz durch seinen eignen Kummer sich für jede Handlung selbst bestraft, die es mißbilligen muß.

Er entfernte sich hier schnell, das Tuch vor den Augen. – Josephine sah ihm verwundert nach. Schon längst hatte sie einen gewissen Trübsinn an ihm bemerkt, der ihr zwar besser gefiel, als der gaukelnde, eitle Leichtsinn seines ehemaligen Betragens, der sie aber zu gleicher Zeit, und nicht mit Unrecht, auf einen heimlichen Gram schließen ließ, der an seinem Innern nagte. Da er aber nicht geneigt schien, sich zu entdecken, so wagte sie nicht, um die Ursache desselben in ihn zu dringen, denn der Schmerz, der sich selbst aufopfert, indem er sich verbirgt, war ihr heilig.

Sie erlangte bald ihre verlornen Kräfte wieder, und die Mutterfreuden, die ihr so neu als entzückend waren, beförderten ihre Genesung. Jetzt dachte sie mit einer Empfindung, die ihrer Ruhe nicht mehr gefährlich war, an August, wie man eines Gespielen aus früher Jugend gedenkt, von dem uns das Schicksal trennte, ohne uns mehr von ihm zurück zu lassen, als eine wehmuthsvolle Erinnerung, der aber Zeit und Vernunft jede Bitterkeit nahm. Sie hatte versprochen, ihm zu schreiben, so bald sie sich diese Stimmung zugeeignet haben würde, und jetzt war der Zeitpunkt, wo sie Wort hielt.

Die Sehnsucht nach Ihnen, schrieb sie, die mich zum Schreibtisch hinführt, gehört nicht mehr der Liebe an, und darum bekenne ich sie Ihnen ohne zu erröthen. Ein anderes Gefühl, nicht weniger hehr und heilig wie das erste, hat seine Stelle eingenommen, und in meinem Herzen trage ich das Bild meines Gemahls und meines Freundes in seliger Eintracht. Sie werden mich keines Wankelmuths beschuldigen, Wilmuth! wenn ich Ihnen frey bekenne, daß dem Manne, der den Bund meiner ersten Liebe störte, jetzt meine zweite gehört. Er ist der Vater meines Kindes, und die Allmacht dieses Gedankens würde mich schon zu ihm hinziehn, auch wenn er weniger liebenswürdig wäre. – Ich trat mit großer Abneigung in den Ehestand, aber eben die geringen Erwartungen meines Glücks machten, daß ich nach und nach den Werth meines Mannes und meiner Lage zu fühlen anfing. Ich bemühte mich, jeden Wunsch zu ersticken, der wider meine Pflicht war, und bald gab mir eine höhere Macht den Frieden wieder, der meiner Seele fehlte. Ich bin Mutter, – mit wonnevollen Thränen benetzte ich den Knaben, dem ich Ihren Namen gab, und gelobte ihm und seinem Vater Liebe und Sorgfalt für meine ganze Lebenszeit. Nichts stört mehr das Glück meiner Ehe, als die Besorgniß, noch immer so innig von Ihnen geliebt zu werden, wie sonst. Möchten Sie doch nichts mehr für mich empfinden, als jene feste, unwandelbare, aber ruhige Freundschaft, die Sie mir einst in jener schönen Stunde gelobten. Mein Herz hat alle süßen Erinnerungen der Vergangenheit aufbewahrt, aber sie sind mir zum Traume geworden, von dem mir nur ein flüchtiges Schattenbild bleibt, das ich mit feuchtem, aber heiterm Auge ansehe, – den ich zurück haben möchte, und doch ruhig vorüberfliehn sah. Sind Ihre Empfindungen für mich dieselben, – haben auch bey Ihnen Zeit und Abwesenheit und neue Gegenstände Balsam in die Wunde gegossen, die Ihnen die Liebe schlug, – bin ich Ihrem Herzen noch werth, ohne ihm mehr gefährlich zu seyn, – o, so reichen Sie mir noch einmal die Hand, um den Bund zu erneuern, den wir schlossen, und er dauere bis die Morgenröthe eines zweiten Lebens tagt, und eine zweite Welt unsre festvereinten Seelen aufnimmt.« –

Wodmar begegnete Josephinen mit dem feinsten Zuvorkommen, mit dem leisesten Errathen aller ihrer Wünsche, und da er, je mehr sich ihm die Schönheiten ihres Geistes und ihres Herzens enthüllten, mit immer tieferer Achtung sich an sie anschloß, glaubte sie sich so herzlich geliebt, als er es war. Aber ach, – Marie war eine zu gefährliche Nebenbuhlerin, und Josephine vermochte nicht mit dem zärtlichsten Bemühen, ihm die Trennung von ihr ganz zu ersetzen. Zu tief hatte sich ihr liebenswürdiges Bild in sein Inneres gegraben, und überall wo er hinsah, vermißte er den Zauber, den wahre Liebe über alles verbreitet, was sie umgiebt.


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