Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Achtzehntes Kapitel

Es war ein lauer schöner Nachmittag, als Josephine vor Nesselfelds einsamen Gebäude abstieg. Marie saß unter den Kastanien in ihrem Hofraum und arbeitete. Als sie das hier so seltne Geräusch eines Wagens hörte, sprang sie fröhlich auf, in der Meinung, es sey ihr Geliebter, und trat heraus auf den Rasenplatz vor ihrer Thür, ihn zu bewillkommen. Aber wie groß war ihr Erstaunen, als sie eine junge, schöne Frau mit weiblicher Begleitung und einem holden Knaben, der in den Armen seiner Amme schlummerte, auf sich zugehen sah. Befremdet und bestürzt wich sie einen Schritt zurück, und konnte sich das Räthsel nicht erklären.

Auch Josephine konnte ihre Verwunderung nicht bergen, ein Mädchen von so seltner Schönheit, und so sorgfältig gekleidet, an diesem abgelegenen Orte zu finden. Marie trug ein einfaches aber seines weißes Kleid, dessen reizender Faltenwurf die ganze Anmuth ihrer schönen Gestalt verrieth, und ihre dunkeln, seidenen Locken leicht und kunstlos, wie von den Händen der Grazien geordnet, waren der ganze Schmuck ihres Hauptes. An ihrer Brust trug sie eine späte Rose – vielleicht die einzige, die die Kunst in diesen öden Fluren hervorgebracht hatte, und an ihrer Hand den goldnen Ring der Treue, der ihr endlich Muth gab, der schönen Unbekannten entgegen zu gehn.

Josephine war sanft und gütig gegen jedermann. Aber die öftern Besuche ihres Mannes in Nesselfeld, die ihr einfielen, und die außerordentlich interessante Bildung Mariens, die sie für die Tochter des Castellans hielt, erfüllten sie plötzlich mit einer geheimen Regung von Eifersucht, die der Art, mit der sie Marien entgegen sah, mehr Stolz und Kälte gab, als ihr gut stand.

Marie näherte sich ihr bescheiden, aber doch ohne die Würde zu vergessen, die sie ihrem neuen Stande schuldig zu seyn glaubte, und frug Josephinen, welcher Zufall sie hierher bringe, da man sonst hier gar nicht gewohnt sey, Fremde zu sehn.

Josephine antwortete kurz: Ich glaube hier in meinem eignen Hause zu seyn, und komme nicht durch einen Zufall, sondern in der Absicht hierher, meinen Gemahl zu erwarten. – Wollen Sie wohl so gütig seyn, mein Kind, und mir ein Zimmer anweisen? –

Mariens Wangen fingen an zu glühen. In Ihrem eignen Hause? sagte sie, ein wenig beleidigt durch den stolzen Ton, in dem die Gräfin sprach. Mir dünkt, diese Wohnung gehört dem Grafen von Wodmar.

Ganz recht, versetzte Josephine, und da ich mit diesem verheirathet bin, so habe ich aller Wahrscheinlichkeit nach eben so viel Recht hier zu seyn, wie Sie, meine Liebe! ob Sie gleich andrer Meinung zu seyn scheinen. Darum bitte ich Sie noch einmal um ein Zimmer, denn ich bin ermüdet. –

Marie hielt Josephinen für eine Verwandtin des Grafen, die dieses Mährchen behaupten wollte, um sich desto mehr Gewicht zu geben. – Mein Zimmer steht zu Ihren Diensten, sagte sie ein wenig unwillig, wiewohl ich viel zu gut weiß, daß Sie nicht die Gemahlin des Grafen sind. Er wird es nicht wenig schmeichelhaft finden, daß Sie so bestimmt behaupten, mit ihm verheirathet zu seyn.

Wie? ist er schon hier? – rief Josephine.

Noch nicht, erwiederte Marie, aber ich erwarte ihn morgen.

Sie erwarten ihn, sagte Josephine empfindlich. – Das ist doch sonderbar! Wer sind Sie denn, Mamsell, daß Sie ein Recht haben, ihn zu erwarten? Sind Sie die Tochter des Castellans, oder die Haushälterin? – oder stehen Sie in besondern Verhältnissen mit dem Grafen – sind vielleicht gar der Magnet, der ihn so oft nach Nesselfeld zieht. Beinah sollt' ich es aus Ihrem entschiedenen Tone schließen.

Marien verdroß diese Begegnung unbeschreiblich. Sie konnte die Geringschätzung nicht ertragen, die ihr die Gräfin bewies. –

Wer ich bin, weiß ich recht gut, antwortete sie, und wenn Wodmar da wäre, dürften Sie sich vielleicht dieses unartige Betragen nicht erlauben. Ich habe nicht nöthig, über das, was ich bin, zu erröthen, aber vielleicht werden Sie es thun müssen, wenn Sie mich einmal näher kennen lernen, und einsehn, wie wenig ich verdiente, daß Sie mich so behandelten.

Diese Worte, die sie mit einem edlen Stolze sprach, machten Josephinen schweigen. Nun folgte sie ihr ins Zimmer, als ihr aber sogleich das Portrait ihres Gemahls in die Augen fiel, brauseten im Stillen die Wellen der Eifersucht von neuem. Wenn ich Sie anders behandelt habe, als Sie verdienen, sagte sie sanfter als vorher zu Marien, so vergeben Sie mir. Aber Ihr Benehmen gegen mich war gewiß auch nicht ganz, wie es seyn sollte. Ich hoffte, auf die Achtung und Gefälligkeit aller der Leute, die in meinem eignen Hause wohnen, Ansprüche machen zu können. – Sie sind mir aber mit einer Dreistigkeit und Zuversicht begegnet, als ob Sie selbst die Besitzerin dieses Landgutes wären. Sagen Sie mir doch, wer Sie sind, daß wir uns endlich einmal verstehen?

Marie kämpfte mit sich selbst, ob sie sich entdecken sollte oder nicht. Zwar hatte ihr Wodmar die strengste Verschwiegenheit befohlen, und ihre Vernunft billigte seine Gründe. Aber da sie ganz gewiß glaubte, daß er des andern Tages selbst seinem Gaste ihre Verbindung entdecken würde, um sie über ihr stolzes Betragen zu beschämen, so konnte sie sich's nicht versagen, die Gräfin roth zu machen.

Wenn ich Ihnen als die Frau dieses Hauses begegnet bin, versetzte sie Josephinen, so habe ich dadurch nicht mehr scheinen wollen, als was ich wirklich bin. Eine heimliche Heirath, fuhr sie fort, indem sie auf das Bild ihres Karls zeigte, hat mich zur rechtmäßigen Frau dieses Mannes gemacht, von dem Sie mit so viel Zuversicht behaupten, er sey der Ihrige. Meine geringe Herkunft, deren ich mich nicht schäme, hält meinen Gemahl ab, unsre Verbindung bekannt zu machen, so lange sein stolzer Vater lebt, der sie wieder trennen würde; aber wenn ich auch nur im Stillen seinen Namen führe, so weiß ich doch, was ich ihm schuldig bin. Hören Sie morgen von ihm selbst die Bestätigung meiner Worte, und verzeihen Sie meine Aufführung, die sich an Ihrer Haushälterin freilich nicht entschuldigen ließe.

Immer bleicher wurde Josephine, und als Marie schwieg, konnte sie sich nicht mehr aufrecht halten, sondern sank bewußtlos in einen Sessel. Marie hielt in ihrer noch glücklichen Unwissenheit dies Erstarten der Fremden für Schaam und Demüthigung, und suchte sie mit liebevoller Pflege und Sorgfalt zu ermuntern. Es gelang ihr, sie wieder zu sich selbst zu bringen. Josephine schlug ihre Augen auf, die in Thränen der Wehmuth schwammen. Arme Betrogne! rief sie, und faßte mitleidig Mariens Hand, die sie für wahnsinnig zu halten anfing.

Ich bin nicht betrogen, sagte sie so sanft, als man die Meinung eines Kranken zu bestreiten pflegt: zu gleicher Zeit zog sie den Trauring von ihrem Finger, und reichte ihn ihr hin. Sehn Sie hier selbst das Unterpfand seiner treuen, gesetzmäßigen Liebe.

Josephine nahm ihn mit bebender Hand. Arme Betrogne! rief sie noch einmal in einem noch schmerzlichern Tone, wie vorher, und zeigte ihr den ihrigen, und das Bild ihres Gemahls, das sie an einer goldnen Kette in ihrem Busen trug. Ein grausamer Betrüger hat Dich mit falschen Hofnungen getäuscht, und Dein Vertrauen in seine Redlichkeit gemißbraucht, um Dich zu verderben. Ich, ich bin Wodmars Frau, und bin es nicht heimlich, sondern im Angesicht seiner Familie und der meinigen geworden. Ihn zu überraschen kam ich hierher, und finde Dich und das Unglück meines Lebens!

Sie verhüllte ihr Gesicht und weinte. Marie stand da wie vernichtet. – Indem trat Hannchen herein, und trug den kleinen August seiner Mutter entgegen. Sieh hier die Züge des Verräthers in diesem unschuldigen Gesicht, rief Josephine mit Heftigkeit, indem sie den Kleinen in ihre Arme schloß. Jetzt schwankten Mariens Kniee, und sie warf sich blaß wie der Tod auf das Sopha.

Frau Köhler kam herein, das ganze Haus lief zusammen, die Gräfin befand sich so krank, daß man sie zu Bette bringen mußte. Marie lag nach einer Stunde noch immer unbeweglich in ihrer vorigen Stellung, weit offen und ohne Thränen ihr starres Auge, vor sich hinblickend, und unvermögend, nur ein Wort zu reden.

Am Bette der Gräfin erfuhr Frau Köhler den ganzen schrecklichen Zusammenhang des Unglücks ihrer Nichte, und nur die Wiederholung der Geschichte der Gräfin vermochte Marien aus ihrem dumpfen Hinbrüten zu wecken. Wild rollte ihr Blick, wie die Verzweiflung, und in ihrer Seele wogte ein Meer von tobendem Schmerz. – Die ganze Verrätherei des Mannes, den sie angebetet hatte, war ihr nun klar, und erfüllte sie mit Abscheu und Verachtung. Aber mit tausend Dolchen durchfuhren diese Gefühle ihr Herz, in dem sein Name mit unauslöschlicher Schrift, von der Hand der Liebe geschrieben, brannte, denn nichts zerreißt das Innere mehr, als wenn Verachtung an die Stelle der Zärtlichkeit tritt.

Sie schwankte zu Josephinen; diese fühlte durch alles, was sie durch Frau Köhler von Marien erfahren hatte, die lebhafteste Achtung für ihre Tugend, und das innigste Mitleid für ihr Unglück. Ich bin nicht strafbar, sagte sie mit leiser gebrochner Stimme, beurtheilen Sie mich nicht so hart, wie mein Schicksal ist. Ach die Wahrheit schien auf seinen Lippen zu wohnen, und mein Herz voll Liebe glaubte ihm nur allzuleicht!

Josephine umarmte sie, und nun vermischten beide ihre Thränen. Es erleichterte Marien ihren Kummer, daß sie endlich weinen konnte. Und nun? – was willst Du thun? frug Frau Köhler. Ihn niemals wieder sehn! versetzte Marie fest und mit Empörung. Ich will gehn, so weit mich meine Füße tragen, – es wird doch irgend ein Winkel in der Welt seyn, wo ich mich und meine unverdiente Schande verbergen kann. Vater in der Ewigkeit! seufzte sie unter hellen Thränen, ich habe die Lehren nicht leichtsinnig vergessen, die du mir auf dem Sterbebette gabst! Tief waren sie in mein Herz geschrieben, aber ein Bösewicht gewann meine Liebe durch Heuchelei, und meine Arglosigkeit riß mich ins Verderben. Aber ich habe nicht mit meinem Willen gesündigt, und der Ewige wird mir vergeben!

Nein, Sie müssen mich nicht verlassen, Marie! sagte Josephine. Bleiben Sie bei mir als meine Freundin, als meine Schwester, als die Gefährtin meines Unglücks und meiner künftigen trüben einsamen Tage.

O gnädige Frau! rief Marie, ich empfinde tief die Größe Ihrer Seele, mit der Sie mich behandeln. Aber kann ich je den Frieden wieder erlangen, um den mich Ihr grausamer Gemahl betrog, so ist es nur fern von allem dem möglich, was mich an ihn erinnern könnte. Lassen Sie mich diesen Ort fliehn, eh' noch die Nacht anbricht, denn morgen – ach morgen hieß er mich ihn erwarten, und ich kann seinen Anblick nicht mehr ertragen!


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