Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Siebentes Kapitel

Langsam und still ging eine ganze Woche vorüber, Wilmuth kam nicht zu seiner Mutter, Josephine war melancholisch. Madam Wilmuth bemerkte es wohl, aber sie glaubte, die ihr angekündigte Verbindung mit einem Mann, von dem sie nichts wußte als den Namen, wäre Ursach genug zur Schwermuth für ein junges Mädchen. Ueberdies rückte die Stunde der Trennung heran, und da Josephine ihrem Herzen fast unentbehrlich geworden war, so that ihr der Gedanke wohl, daß auch diese ungern von ihr scheide. –

Augusts Wegbleiben begrub sein Bild nicht in Vergessenheit bei Josephinen. Ihr Blick durchlief mit heiliger Erinnerung die ganze Vergangenheit, und jede mit ihm verlebte Stunde trat lächelnd vor das Auge ihrer Seele zurück. Seine Gutmüthigkeit, sein sanfter Ernst, sein bescheidnes Wissen, – wie sehr unterschied es ihn von allen Männern ihrer Bekanntschaft. Ach, warum bin ich nicht in der glücklichen Beschränktheit des Mittelstandes geboren, seufzte sie. Er wäre dann mein, und in stiller Häuslichkeit verlebte ich meine Tage in den Armen der Liebe. Oder warum mußten meine Brüder sterben? Ach, daß sie noch lebten, – ich wäre dann nicht mehr das einzige Kind, die einzige Hoffnung meiner Eltern, und wenn ich sie verließe, um den Eingebungen meines glühenden Herzens zu folgen, so ständen sie nicht allein in der Welt, und wohlgerathene Söhne würden sie über den Verlust einer Tochter trösten, die glücklicher in ihrer Armuth wäre, als sie es jemals mit allem ihren Reichthum seyn kann!

Sie malte sich mit allem Zauber ihrer lebhaften Fantasie eine reizende Zukunft an Augusts Seite. In eine einsame, romantische Gegend baute sie im Geist eine Hütte für sich und ihn, mit Epheu bezogen, und mit Gärten umringt, in denen ihre einfache Nahrung wuchs. – Der heiterste Himmel lachte über diesen Aufenthalt des Friedens und der Liebe mit ewiger Klarheit herab, – die Natur breitete ihren schönsten Teppich um ihn aus, und Glück und stille Zufriedenheit war das Loos seiner frohen Bewohner. O wie ist man glücklich, wenn man, noch vom frischen Morgenroth der ersten Jugend umglänzt, sich solchen Träumereien überläßt! Denn nur selten ist es in der wirklichen Welt so, wie es seyn könnte – keine Rose blüht ohne Dornen, kein Abendhauch weht durch die Fluren, der sich nicht mit Seufzern mischte. – Es war einmal eine Zeit, in der ich glaubte, nur die Erinnerung reiche dem Herzen, das die Gegenwart verwundet, ihren lindernden Balsam, aber auch diese Ueberzeugung gehört zu den Irrthümern meiner Jugend. Denn zu den genossenen Freuden, die man sich zurückruft, gesellt sich das herbe Andenken an alles, was man längst verloren, längst betrauert hat. Jede vergoßne Thräne netzt noch einmal das Auge, jeder Seufzer hebt noch einmal die Brust. – Zwar breitet die Erinnerung einen milden Schleier über die Szenen unsers Kummers und unsrer hingeschwundnen Freuden, aber er benimmt nur die erste Schärfe, nicht die langsam verzehrende Bitterkeit, die der Gram uns giebt. Aber in den frohen Augenblicken, in denen man sich in idealische Welten träumt, vergißt man die Leiden der wirklichen, und jeder Wunsch, der im Geräusch verstummt, wird in der Stille laut, weil die bewegte Seele Kraft fühlt ihn zu erreichen, – – obgleich nur im Traum.

Von dem lächelnden Gemälde, das Josephinens Einbildungskraft entwarf, und zu dem Liebe und Schwärmerei ihr die Farben reichten, wandte sie ihr Auge auf die ernsten Bilder der Zukunft, die ihrer wartete. Sie sah sich im Glanz des Hofs, mit ihrem traurigen, unerwiederten Herzen, – an der Seite eines Mannes, dessen Wahl sie aus Konvenienz war, und der sie bei ihrem Rang und Vermögen mit eben so viel Lastern geheirathet hätte, als sie ihm Tugenden zubrachte. Sie fühlte einen heftigen Widerwillen gegen ihn, als den Störer ihrer hier so ruhigen Existenz bei Madam Wilmuth. Sie nahm sich vor, ihm recht verächtlich zu begegnen. Aber, dachte sie dann wieder, – vielleicht ist er so wenig Herr seines Willens, wie ich. Wer weiß, ob nicht die Verbindung mit mir Bande zerreißt, die sein Herz knüpfte, – ob er nicht eben so ungern wie ich an die Zeit denkt, in der er seine Freiheit, und vielleicht eine glückliche Liebe mir opfern muß. Ihr Widerwillen verwandelte sich in Mitleid. Nein, rief die Stimme ihrer angebornen Güte in ihr, ich will ihm die Bürde, die wir gemeinschaftlich tragen müssen, so viel wie möglich versüßen. Ich will es ihm nie fühlen lassen, daß ein Andrer meine Neigung besitzt. Ich will, wenn er gut ist, ihn schätzen, wenn er Fehler hat, sie schonen, ich will alles thun, was ich kann, um meine Pflichten zu erfüllen.

Jene heilige Ruhe, die jeden guten Vorsatz begleitet und belohnt, erfüllte ihre Seele, und ward ihr zur Aufmunterung, ihren Entschluß auszuführen. – August beherrschte indeß ihre Gedanken noch immer mit der Zärtlichkeit, die er ihr eingeflößt hatte, und die er so sehr verdiente. Er will mich nicht wieder sehn, sagte sie zu sich selbst, als acht Tage vorüber waren, und er noch immer nicht kam, – er will das Bild der Unglücklichen durch Entfernung aus seinem Herzen bannen, der Unglücklichen, die ihm entsagen muß. – Sie fand sich durch sein Betragen geehrt, er wurde ihr noch werther durch die Delikatesse, mit der er ihre Schwäche behandelte. Den Unwillen, mit dem er von ihr schied, hatte sie ihm längst vergeben, – sie glaubte, und hatte Recht zu glauben, – daß bei einem unparteiischen Nachdenken über sie, selbst die leiseste Spur desselben schon längst verschwunden sey. – Aber Madam Wilmuth bemerkte mit Verwunderung, daß sich August gar nicht mehr sehn ließ. Seine Wohnung war nicht weit von der ihrigen, – sie beschloß, selbst hinzugehen, und ihn zu fragen, was ihn abhielt, zu ihr zu kommen.

Ein wenig blaß, aber ruhig fand sie ihn bei seinen Zeichnungen. Als er seine Mutter gewahr wurde, stand er auf, küßte ihre Hand, und bezeugte ihr seine Freude, sie bei sich zu sehn.

Wie, mein Sohn! sagte Madam Wilmuth verwundert, weder Krankheit noch Geschäfte haben Dich abgehalten, mich zu besuchen? und während ich mich unruhig nach Dir sehnte, sitzest Du ganz phlegmatisch bei Deinen Malereien, da Du doch weißt, wie viel Freude es mir macht, Dich bei mir zu haben?

Seine Wangen färbten sich mit einem schwachen Roth bei den sanften Vorwürfen seiner Mutter. Sein Auge wurde feucht, er sank an die mütterliche Brust, und brach in einen Strom von lang verhaltnen Thränen aus. Was ist Dir, August? rief Madam Wilmuth bestürzt, was hast Du für Kummer? Rede, entdecke Dich mir, – so hab' ich Dich noch nie gesehn!

O, meine Mutter, schluchzte August, und drückte sich fester an sie, ich bin sehr unglücklich!

August, Du erschreckst mich! Was hast Du gemacht? – Ach es muß etwas sehr schlimmes seyn, da Du es nicht wagtest, Dich mir anzuvertrauen, und wie konnte ich so etwas von Dir erwarten.

August gab sich Mühe sich zu sammeln, und stillte seine Thränen. Nein, beste Mutter, sagte er, befürchten Sie nichts. Ich bin unglücklich, aber Ihrer Liebe nicht unwerth. Meiner Ruhe hab' ich das schmerzhafte Opfer gebracht, nicht mehr zu Ihnen zu kommen, wo ich sonst meine glücklichsten Stunden verlebte, aber wenn ich auch schwach bin, so verdiene ich doch gewiß Ihr Mitleid, Ihren Rath, Ihren Trost. –

Mein Herz war immer Ihren Augen offen, aber ach, seine wichtigsten Bewegungen sind Ihnen doch entgangen. Ich liebe, liebe Josephinen mit einer Leidenschaft, die lange in mir schlummerte, da ich sie nur für Achtung hielt, die aber mit aller Heftigkeit meiner lebhaften Gefühle jetzt erwacht ist. – Josephine ist das erste Mädchen, das mir gefallen, das erste, das mein Innerstes gerührt hat. Sie wissen selbst, wie liebenswürdig sie ist, – ach, können Sie mich tadeln, wenn ich den Abgrund fliehe, dem ich so nahe bin?

Madam Wilmuth stand da in ein bitters Erstaunen verloren. Und weiß Josephine um Deine Liebe, rief sie, liebt sie Dich wieder? –

Ich konnte ihr nicht verschweigen, was ich für sie empfand, versetzte August. Die Stimme der Hoffnung, die mich zum Geständniß aufrief, war trügerisch, aber doch lag sie zu tief in mir, als daß ich sie hätte vertilgen können. Josephine liebt mich wieder, – aber mehr als mich, ihren Stand, ihre Verhältnisse, ihre Pflichten. Ich will sie nicht wiedersehn! Meine verweinten Augen sollen sie nicht zu meinem Vortheil bestechen. Zeit und Entfernung von ihr werden mich beruhigen, und vor allen Dingen dann Ihr tröstender Umgang, liebe Mutter! und die Vorstellung, daß Josephine glücklich ist ohne mich. Ach, ich hatte ihr freilich die Opfer nicht ersetzen können, die sie mir hätte bringen müssen, um mich glücklich zu machen. – Ich hätte ihr nichts geben können, als mein Herz voll unbeschreiblicher Liebe, und, – indem er in ihre Arme fiel, und sie unter neuen Thränen umschloß, – eine Mutter, die sie doch in jenem Stande, auf den sie stolz ist, nicht so gut und edel finden wird, wie die, die dann die ihrige geworden wäre.

So unangenehm auch der Madam Wilmuth die ganze Sache war, die für diese Liebe traurige Folgen vorher sah, da sie den festen, stillen, rief empfindenden Karakter ihres Sohns kannte, so entschuldigte doch ihr mütterliches Herz Augusts Unbesonnenheit, mit der er sich Josephinen entdeckt hatte, und sie beschloß, alles mögliche zu thun, um die Flamme zu löschen, die so hell noch in ihm brannte.

August! sagte sie zu ihm, Du hast nicht die rechten Mittel gewählt, Josephinen zu vergessen. Der Weg, den Du betreten hast, bringt Dich ihr immer näher, statt Dich von ihr zu entfernen. Wenn du ihren Anblick noch so sorgfältig meidest, wird sie doch immer vor dem Auge Deiner Fantasie stehn, und am Ende nicht mehr wie ein Mädchen, sondern wie ein Ideal, und deswegen gefährlicher vor Deiner Einbildungskraft schweben. Nein, sieh' Josephinen täglich, – sage Dir immer vor, wenn Dich ihre Liebenswürdigkeit entzückt, daß sie die Braut eines Andern ist, daß Dir die Ehre zum heiligen Gesetz macht, zu schweigen. Nach und nach wird Deine Liebe sich in Freundschaft verwandeln, und diese verbieten Dir Josephinens Verhältnisse nicht. Josephine selbst wird Dir, ihrer Pflichten eingedenk, die Hand zur Rettung aus dem Labyrinth bieten, in das Dich die Liebe führt.

August kämpfte mit sich selber. Er wollte sie vermeiden, und doch sehnte er sich nach ihr, und wenn er ihr Bild, das seine Einsamkeit theilte und schmückte, mit liebevollen Blicken betrachtete, wachten alle seine übertäubten Wünsche, das schöne Original selbst zu sehn, in seiner Seele auf, und es kostete ihm viel, sie zu ersticken. Madam Wilmuth bestritt seine Zweifel, sein Herz war mit im Spiel, er gab nach, und versprach ihr, den andern Tag zu kommen. Ruhiger als Madam Wilmuth wirklich war, schied sie von ihm, und begab sich nachdenkend nach Hause.

Was sie erfahren hatte, war ihr sehr unangenehm, und machte ihr viel Unruh. Sie kannte Josephinens Lage, und hatte sie oft im Stillen bemitleidet. Da sie wußte, daß ihre Bestimmung einst war, die Gattin eines Mannes zu werden, den die Konvenienz ihr erwählte, so hatte sie mit der größten Sorgfalt über Josephinens Herz gewacht, um es frey zu erhalten. Sie wird weniger unglücklich seyn, dachte die gute Frau, wenn sie, ohne die Liebe zu kennen, ihrem künftigen Gemahl ihre Hand giebt. Ein wenig Herzlichkeit von seiner Seite zu der Achtung, die sie gewiß auch dem leichtsinnigsten Libertin einflößt, und jene glückliche Unwissenheit bei ihr, zu ihrem angebornen Wohlwollen, wird vielleicht eine Ehe, die nur Stolz und Eigennutz schlossen, zu einer glücklichen machen. – So dachte Madam Wilmuth, und erhielt Josephinen in einer strengen Eingezogenheit. Ihr Umgang mit August war so unbefangen, und blieb, bis er den unglücklichen Einfall hatte, sie zu malen, so ganz in den Gränzen einer ruhigen, weit von der Liebe entfernten Freundschaft, daß sie nicht das geringste von der Vertraulichkeit fürchtete, die sie unter beiden herrschen sah. Josephinens stille Trauer, die sie der nahen Veränderung ihres Standes und der Trennung zuschrieb, die ihnen in wenig Monaten drohte, ihr Hang zur Einsamkeit, ihre leidende Gestalt; – alles dies erschien ihr jetzt in einem andern Lichte. Sie fühlte sich gekränkt durch Josephinens Heimlichkeit, mit der sie ihr die wahre Ursach ihres Kummers verborgen hatte, und doch lag in ihrem Schweigen wieder etwas Edles, das sie zwang, dem Mädchen zu verzeihen, und es zu achten, das im Stillen litt, und seine Liebe bekämpfte, ohne seinen Schmerz auf andre zu verbreiten, – – denn mußte es der zärtlichen Mutter nicht weh thun, ihren Sohn hoffnungslos lieben zu sehn? –


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