Maria Müller

von Charlotte von Ahlefeld.

Sechstes Kapitel

Es ist gefährlich für ein Paar junge, unerfahrene Herzen, die noch nicht ihr Spiel mit den heiligsten Empfindungen des Lebens trieben, deren Unschuld bisher die Stimme der Natur in leise Seufzer erstickte, – sich Blick an Blick, Auge in Auge, Seele in Seele, gegenüber zu sitzen.

Josephine, die sonst ganze Stunden mit August allein gewesen war, ohne im mindesten verlegen zu seyn, ohne eine höhere Röthe auf ihren Wangen, ohne einen lautern Herzensschlag in ihrem Busen zu fühlen, – Josephine sah sich jetzt kaum genöthigt, ihrem Freund unverwandt ins Auge zu schauen, als sie eine süße Beklemmung ergriff, die ihrem Gesicht eine noch nie empfundene Glut, ihrem Blick einen sonderbaren Blitz, – sogar eine Thräne gab. So unbeschäftigt hatte sie noch nie vor ihm gesessen, so war er ihr noch niemals vorgekommen. Sein Auge, sonst sanft und ruhig, schien jetzt von einem Feuer beseelt, das bald auch Josephinens Wesen durchschwärmte, und zuletzt war das Resultat ihres ununterbrochenen Einanderansehns die Bemerkung, die jedes zum ersten Mal machte, daß sie außerordentlich liebenswürdig wären.

Josephine stand auf, und August gab ihr das Bild hin. Es war nur eine flüchtige Skizze, aber mit allem Liebreiz des Originals ausgestattet. Josephine erstaunt über ihre eigne Anmuth, mit der sie noch so wenig bekannt wer, erröthete, und sagte, indem sie es mit gesenktem Blick betrachtete: O, Wilmuth! Sie haben mir geschmeichelt, ich bin nicht so schön.

Ich bin nicht so glücklich gewesen, Sie ganz zu treffen, versetzte August, aber wie wär' es auch möglich, dies schöne Auge, aus dem der Himmel lacht, diese milde, majestätische Stirne, diese süßen, freundlichen Lippen, diese blühenden Wangen, wie vom Morgenroth überzogen, getreu zu schildern. Kein Pinsel wird je Ihre Liebenswürdigkeit ganz erreichen, und ich habe dies zu sehr gefühlt, als daß ich hätte hoffen dürfen, glücklicher zu seyn.

Wollen Sie mich stolz machen, sagte Josephine, oder, welches mir wahrscheinlicher dünkt, über mich spotten?

Keines von beiden, antwortete Wilmuth mit einem tiefen Seufzer, ich will schweigen.

Er entfernte sich mit einer ehrerbietigen Verbeugung, und die junge Gräfin blieb zurück, und sah ihm nachdenkend nach. Diese einzige Stunde hatte auf einmal Licht über das Dunkel ihres Herzens verbreitet. Das Wohlwollen, das sie für August empfand, fühlte sie um vieles erhöht. Es war inniger, zärtlicher geworden, und galt nicht mehr allein seiner Güte und seinem sanften edlen Karakter, sondern auch seiner Gestalt, in der vollen Blüthe der Jugend und Gesundheit. Sie rief sich sein Bild zurück, – sein großes, flammendes Auge, aus dem die erwachende Leidenschaft sprach, – seine angenehmen Züge, durch die Glut seiner Empfindungen doppelt seelenvoll und belebt, den Adel seiner Figur, die Würde seines Ganges, den Ton seiner Stimme. Ihr war, als nähme eine unsichtbare Hand auf einmal den Schleier hinweg, der sie verhindert hatte, seine Anmuth eher zu fühlen und zu sehen. Mit einer unbeschreiblichen Sehnsucht breitete sie ihre Arme aus, und rief August! August! mit bebendem Laut, und umsaßte die leere Luft, als wär' es der geliebte Jüngling. Dann ging sie in ihr Zimmer, und warf sich träumend aufs Sopha. Ach, es giebt eine Schwermuth, in manchem Zeitpunkt des Lebens so süß, – die unzertrennliche Begleiterin der ersten Liebe.

In den goldnen Flittertagen, wo die Kraft zu lieben im Innern der Seele erwacht, wo der Gegenstand schon gefunden ist, der uns die Fühlbarkeit unsers Herzens lehrt, da hält der süße Sturm namenloser Gefühle, die Ungewißheit der Gegenliebe, an die sich die Hoffnung wie ein strahlender Engel anschließt, immer eine Thräne im Auge bereit, die die holde Wehmuth hervorbringt, welche die Tochter der Liebe und des Schmerzes ist. O, man möchte sie nicht vertauschen um alle Freuden, die uns späterhin das Schicksal reicht, diese süße, frohe, wehmuthsvolle Unruh, die die Brust beklemmt, welche bisher nur die Unschuld kannte, und jetzt mit ihr die Liebe verschwistert fühlt.

Auch August suchte die Einsamkeit, die Freundin und Vertraute liebekranker Herzen, mit Josephinens Bilde auf, an dem seine Blicke voll schwärmerischer Innigkeit hingen. Ach, sie allein vermag diese unendliche Leere zu füllen, rief eine innere Stimme in ihm mit dem zauberischen Tone der Liebe. Er drückte das Bild an sich, und benetzte es mit Thränen. Ach, wenn sie mich wieder liebte – wie unendlich selig wär' ich da! Er verfolgte diese Idee mit dem ganzen Feuer der Leidenschaft, und süße, trügerische Hoffnungen erwachten in ihm. Zwar sah er die Unmöglichkeit sie jemals zu besitzen, aber er setzte die Täuschung fort, die ihm so wohlthätig war, und seine glühende Fantasie führte ihn in die Zaubergefilde einer erträum ten Zukunft, wo Josephine das Geständniß seiner Empfindungen mit einem frohen Erröthen vernahm, und mit dem Bekenntniß ihrer Gegenliebe belohnte. Sie wurde sein, und bei dem Gedanken öffnete sich ihm der Himmel. – Armer August!

Als sie am andern Tag sich wieder sahen, las Wilmuth in dem Antlitz seiner Josephine eine süße Verwirrung. Sie schlug die Augen nieder, wenn sie seinen Blicken begegnete, und betrachtete ihn mit stummen Entzücken, in das sich einige Wehmuth mischte, wenn es unbemerkt geschehen konnte. Endlich waren sie allein. Josephine setzte sich zu ihren Zeichnungen nieder, ihr Herz pochte laut. Sie wünschte und fürchtete eine Erklärung. – Aber Wilmuth schwieg. –

Diese Landschaft, hub sie endlich mit bebender Stimme an, macht mir sehr viel Freude zu zeichnen. Der Hintergrund ist so feyerlich, – die blauen Berge, die sich in die tiefen, einsamen Thäler verlieren, der Strom, der sich tobend vom Gipfel des Felsen hinabstürzt, und schäumend im Thale dahinströmt, – – und hier an der Seite die friedliche Hütte, mit Epheu bezogen, die so ruhig die sanfte Anhöhe hinunter blickt, auf der sie steht, es ist ein so lieblicher Kontrast zwischen den erhabnen Naturschönheiten, und der stillen Häuslichkeit in dieser Landschaft. Meinen Sie nicht auch, Wilmuth? –

O, gewiß, versetzte August, und heftete sein Auge auf das einfache Häuschen, das auf einem waldigen Hügel lag. Es blickt sich schön auf das majestätische Gebirge und auf den tobenden Strom, der herab braust. Aber schöner, fuhr er mit leiser, gerührter Stimme fort, schöner muß sichs dort in der isolirten Hütte wohnen, die aus dem Grünen so freundlich heraus sieht. Ich kann mich von dem Gedanken nicht losreißen, daß irgend eine unglückliche Liebe, die die Welt verdammte, aber die Gott gut hieß, in ihr einen Zufluchtsort gegen die Stürme des Schicksals suchte und fand.

Die die Welt verdammte, aber die Gott gut hieß? wiederholte Josephine kaum hörbar.

Ja, Fräulein! antwortete August, der sich in wehmüthigen Träumen verlor. Gesetzt, daß ein Paar Herzen, aufgefordert durch die Natur und ihre Uebereinstimmung in allen Punkten, sich zu lieben, mit der ganzen Wahrheit jener heiligen Gefühle an einander hingen, und die Konvenienz träte zwischen sie, und die Welt tadelte ihre reine Liebe, – o wie beneidenswerth wären sie dennoch, wenn sie beide den Muth hätten, einander die Verhältnisse zu opfern, die sie trennen wollten! Wenn sie einer Welt entsagten, die so voll von Vorurtheilen ist, und in einer ähnlichen Einsamkeit durch wechselseitige Liebe und Treue einander Alles wären! Glauben Sie nicht, daß Gott eine solche Liebe segnen würde, auch wenn sie Menschen verdammten? Glauben Sie nicht, setzte er lebhafter hinzu, daß eine solche Liebe reichen Lohn für jede Aufopferung in sich selbst hat? – –

Ich weiß es nicht, sagte Josephine, indeß bin ich der Meinung, daß eine solche Liebe, so schön sie auch ist, doch immer denen nur ein Ideal bleiben muß, die höhere Verbindlichkeiten haben.

Höhere Verbindlichkeiten? fragte August verwundert.

Ja, erwiederte Josephine. Ich fühle, daß es oft Pflicht seyn kann, das Urtheil der Welt zu verlachen, wenn es unserm wahren Glück im Wege steht. Ich bin fest überzeugt, daß die erste Stimme, der wir folgen müssen, die Stimme unsrer Vernunft und unsers Herzens, nicht die des Publikums seyn muß; aber eben so sehr bin ich auch überzeugt, daß man alles Mögliche thun soll, eine Liebe zu ersticken, die man überhand nehmen sieht, ohne die Hoffnung, sie laut und stolz bekennen zu dürfen. Setzen Sie den Fall, ich liebte, liebte einen Mann unter meinem Stande, der jede liebenswürdige Eigenschaft hätte, nur nicht die kleinen unseligen Vorzüge, die Rang und Reichthum geben und die ein volles Herz gewiß leicht entbehrt, setzen Sie den Fall, ich liebte ihn mit der innigsten Leidenschaft, ich wäre seiner Gegenliebe gewiß, so gewiß ich mit keinem andern glücklich seyn könnte, was, glauben Sie, würde ich thun?

Sie würden ihn glücklich machen, und selbst glücklich seyn! sagte August heftig bewegt, denn ihm war, als entscheide sich jetzt das Schicksal seines ganzen Lebens.

Nein, Wilmuth! antwortete Josephine mit Rührung und einer Thräne im Auge. So lange der Segen meiner Eltern den Bund nicht heiligte, den mein Herz geschlossen hätte, so lange würde mich selbst die zärtlichste Liebe nicht zurückhalten, ihn wieder zu brechen. Die Pflichten eines Kindes gegen seine Eltern sind das heiligste in der Natur, und wehe dem, der sie nicht erfüllt. – Nein, ich werde nie ungehorsam seyn! Schon der Gedanke, meine liebsten Wünsche dem kindlichen Gehorsam aufgeopfert zu haben, würde Trost in meinen Kummer mischen, und indem ich, um ihrem Willen zu folgen, dem meinigen entsagte, würde ich Ersatz in der beruhigenden Ueberzeugung finden, meine Schuldigkeit gethan zu haben.

Liebenswürdiges, edles Mädchen! rief August, ich bewundre Sie, ob ich Ihnen gleich nicht nachahmen könnte. Den sonst so schönen, festen Ton seiner Stimme hatte die Anspruchslosigkeit auf Glück gebrochen, die sein Herz mit Wehmuth füllte. Sein Auge, in das eine helle Thräne trat, schien zu sagen: O warum so viel Edelmuth, und so wenig Liebe!

Josephine hatte ihm wirklich in dem, was sie sagte, ihre wahrsten Gedanken enthüllt. Sie war jetzt überzeugt, daß der warme Antheil, den sie an ihm nahm, das Wohlwollen, das sie für ihn fühlte, und die Achtung, die ihr eine lange Bekanntschaft mit den vielen guten Seiten seines Karakters eingeflößt hatte, durch genaues Nachdenken über alle diese Gefühle zur zärtlichsten Liebe geworden war. Für einige Stunden konnte sie sich mit süßen Hoffnungen täuschen, und o wie selig waren diese Stunden nicht! Sie überließ sich mir dem ganzen Ungestüm eines jungen Herzens, in dem alle Empfindungen im Blühen sind, der Schwärmerei, die sie dahin riß; aber dieser Zustand der Bezauberung dauerte nicht lange, und dann stand mit desto bitterern Farben die wirkliche Welt vor ihr, aus der eine gereizte Fantasie sie entrückt, und in eine idealische versetzt hatte.

Ich liebe ihn, rief ihr ganzes Wesen, aber ich will ihn vergessen, weil ich ihn nie besitzen darf! – Ach, es war so schwer. – Sie sah ihn wieder, und sein Anblick änderte ihren Entschluß. Laut sprachen alle ihre Gefühle in ihr: Das ist der einzige Mann, mit dem Du glücklich seyn kannst, und indem sie sich mit frohem, kurzem Vergessen von der Erinnerung ihrer Verhältnisse hinwegwandte, wünschte sie das Geständniß seiner Liebe, um es mit allem Feuer der ihrigen erwiedern zu können. Als aber August von einer Leidenschaft sprach, von Gott gebilligt, aber von der Welt verdammt, da trat das Andenken ihres Standes wie ein Gespenst der Mitternacht zwischen die klopfenden Herzen, die sich einander nähern wollten, und sie rief alle Kräfte ihrer Seele zusammen, um mit Ruhe und scheinbarer Gelassenheit ihm jede Hoffnung benehmen zu können, die, wie sie wußte, vergeblich gewesen wäre.

Josephine stand auf, um sich zu entfernen, weil sie fühlte, daß ein längeres Bleiben ihrem Vorsatz gefährlich war, und daß die angenommene Gleichgültigkeit, mit der sie gesprochen hatte, schon wärmeren Empfindungen zu weichen anfing. – August, in seinen Schmerz verloren, sah sie mit unbeschreiblicher Wehmuth an; in ihr schönes, ernstes Auge, welches lächeln wollte, stieg eine glänzende Thräne, – sein Schicksal spiegelte sich in ihr. Er sank vor ihr nieder, – ein Gefühl ohne Namen beklemmte seine Brust. Die Erklärung einer Liebe entfloh seinen bebenden Lippen, und Josephine, zu schwach, ihr überwallendes Herz zu besiegen, gab ihm in einer langen Umarmung das Bekenntniß der ihrigen hin.

In späten Zeiten noch hing August gern an der Erinnerung dieser Stunde. Das Weh der Hoffnungslosigkeit, das sich in den ersten Kuß der Liebe mischte, milderte das Entzücken sich geliebt zu sehn, und goß Wehmuth in den Jubel der Freude.

O, Wilmuth! rief Josephine, warum haben Sie mich genöthigt, das Schweigen zu brechen, das ich mir gelobte. Ich liebe Sie, aber ich muß, ich will diese Neigung bekämpfen, und sollte ich unterliegen.

Wie, Josephine? Ist das Liebe? – Ich würde um Ihrentwillen die ganze Welt aufopfern, wenn Sie es wollten, und diese heilige Flamme in meiner Brust, die Sie entzündet haben, würde mir eine reiche Belohnung meiner Entsagung seyn, auch wenn mir nichts bliebe, als sie; und Sie wollen das ganze Glück meines Lebens zertrümmern, weil mir das Schicksal keine Ahnen gab? –

Ist Ihr Glück nicht auch das meinige? versetzte Josephine. O August! Sie werden nicht allein unglücklich seyn, wenn ich Ihnen auf ewig entsagen muß. Aber ich kenne meine Eltern. Die leiseste Ahndung unsrer Liebe, und ich wäre verloren. Ach, Wilmuth, ein andrer hat schon von ihnen das Versprechen meiner Hand, – ich kann nichts thun, als gehorchen, und um Sie weinen! Sie verbarg ihr Gesicht in seinen Busen, und ließ ihren Thränen freien Lauf.

Sie könnten nichts thun, als gehorchen, und um mich weinen? sagte August. O, Josephine, Sie können mehr, wenn Sie mich lieben. Hier, er hielt ihr die Landschaft entgegen, und zeigte auf die einsame Hütte: – hier ist ein Zufluchtsort für treue Liebe, und mit allem, was ich bin und habe, will ich Ihnen die Opfer versüßen, die Sie mir bringen.

Haben Sie vergessen, antwortete Josephine mit einem schmerzhaften Lächeln, daß ich Pflichten auf mir habe, denen meine Leidenschaft weichen muß? Dürft' ich meinem Herzen folgen, o wie gern entsagt' ich allen den Vortheilen, die mir das Glück gab, um Ihnen zu beweisen, daß ich es nicht in Glanz und Geräusch suche. Aber ich habe keinen eignen Willen. Graf Wodmar ist für mich bestimmt. Ich kenne ihn nicht, – ich werde ihn niemals lieben, – ach, ich werde vor Schmerz sterben, wenn ich ihn heirathen muß, aber ich werde ihm dennoch meine Hand geben.

O, nein, Sie werden nicht sterben, erwiederte August bitter. Sie werden leben, um zu glänzen, und um bewundert zu werden; und das Herz elend zu sehn, das Sie so unbegränzr liebte, wird Ihrer Eitelkeit nur einen Triumphbogen erbauen, ohne ihrem Auge eine Thräne zu kosten.

Er ging stolz und beleidigt nach der Thüre. Josephine breitete ihre Arme nach ihm aus, aber sie war stumm im Uebermaß ihres Kummers. Hätte er nur einen Blick zurückgeworfen, der Anblick ihres Schmerzes hätte ihn versöhnt, aber er ging, und Josephine verbarg ihre Thränen in ihrem Zimmer.


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