[Gedicht]

    Ich wuchs empor, wie Weidenbäume
    Von manchem Nord geschlenkt
    Ihr niedrig Haupt in lichte Wolken heben,
    Wenn nun der Frühling lacht.

    Serge MarshennikovIch kroch empor wie das geschmeide Epheu
    Durch Schutt und Mauern Wege findt,
    An dürren Stäben hält und höher
    Als Sie, zum Schutt an ihren Füßen
    Hinunter sieht.

    Ich flog empor, wie die Rakete
    Verschlossen und vermacht, die Bande
    Zerreißt und schnell, sobald der Funken
    Sie angerührt, gen Himmel steigt.

    Ich kletterte wie junge Gemsen,
    Die nun zuerst die Federkraft
    In Sehn’n und Muskeln fühlen, wenn sie
    Die steile Höh’ erblicken, empor.

    Hier häng ich itzt aus Dunst und Wolken
    Nach dir furchtbare Tiefe, nieder –
    Giebts Engel hier? O komm ein Engel
    Und rette mich!

    O wenn ich diesen Felsengang stürzte,
    Wo wär, ihr Engel Gottes! mein Ende?
    Wo wär ein Ende meiner Thränen
    Um dich, um dich verlorne Demuth?

    Dich der Christen und nur der Christen
    Einziger, allerhöchster Seegen
    Heiliger Balsam! der die Wunden
    Des schwingeversengenden Stolzes heilt.

    Serge MarshennikovEinzige Lindrung edler Gemüther,
    Wenn in der trostlosen, heißen, öden,
    Heißen, öden, verzehrenden Wüste
    Eitler Ehre sie sich verirrt.

    Wann sie schmachteten und nicht fanden
    Wo sie den Durst der Hölle stillten
    Der ihr Gebein verzehrte.

    Wann sie, verzweifelnd um Schatten, wählten
    Wege nach Morgen, nach Mittag, nach Abend
    Und nicht fanden, nicht fanden, nicht fanden
    Wo ein Schatten sie kühlete.

    Wenn sie auf unmitleidigen Sand hin-
    ab sich stürzten und strekten und weinten.
    Ach die Thränen rolleten auf und nieder
    So heiß war der Sand.

    Komm der Christen Erretter und Vater,
    Komm du Gott in verachteter Bildung!
    Komm und zeige der Demuth geheime
    Pfade mir an.

    Führe mich weit und nieder hinunter
    In ihre dunkeln Schattenthale
    Voll lebendiger springender Brunnen,
    Wo die Einsamkeit oder die Freude
    Also lispelt:

    Komm’ gerösteter Laurentius
    Unglükseeliger Sterblicher!
    Ruh’ von deinem Streben nach Unglük,
    Ruhe hier aus.

    Oder wenn von glüklicherm Streben
    Du zu ruhen, Beruf in dir fühlest,
    Wenn deine Flügel sinken,
    Wenn deine Federkraft sich zurüksehnt,
    Du die Gebeine nur fühlst, der Geister
    All entledigt — Gerippe –
    Ruhe hier aus!

    Horch! hier singen die Nachtigallen,
    Auch Geschöpfe, wie du, und beßer,
    Denn ein Gott hat sie singen gelehrt
    Und sie dachten doch nie daran, ob sie
    Beßer sängen als andre.

    Hier, hier Sterblicher! sieh hier rauschen
    Quellen in lieblichen Melodien,
    Jede den ihr bezeichneten Weg hin
    Ohne Gefahr.

    Serge MarshennikovSieh hier blühen die Blumen wie Mädgen
    In ihrer ersten Jugend-Unschuld,
    Unverdorbene Lilien-Mädgen;
    Ja sie blühen und lächeln und buhlen
    Ungesehen und unbewundert
    Mit den Winden der lauen Luft!

    Lerne von ihnen, für wen blühn sie?
    Für den Gott, der sie blühen machte
    All in ihrer unnachahmlichen
    Blumen Naivetät.

    Sieh den Weg an! irrte hier jemals
    Ein animalischer Fuß?
    Blüh’n doch, blühen dem guten Schöpfer
    Der sie gemacht.

    Hier, hier Sterblicher! hier wo Jesus,
    Als er ein Knabe war,
    Hier wo Jesus, dein Jesus geschlummert
    Bis ins dreißigste Jahr.

    Hier wo Er aus dem Getümmel der tollen
    Plumpen Bewundrer sich hergestohlen,
    Hier seinen reinen Athem dem Vater,
    Seufzend über die Thorheit und Mühe
    Menschlicher Grillen, zurükgeschikt hat;

    Hier, hier Sterblicher! hier wo Jesus
    Von seinen Gottesthaten geruht,
    Hier, hier ruhe von den Spielen
    Deiner dir anvertrauten Kindskraft.

Die Demuth


Letzte Änderung der Seite: 18. 04. 2022 - 10:04