Zweites Hauptstück

Untersuchung der Lehrsätze der Leibnizischen Partei von den lebendigen Kräften.

§ 24.

Was eine wirkliche Bewegung sei.

Nunmehr mache ich die zweite Anmerkung, die uns die Quellen des berüchtigten Streites entdecken wird, und die vielleicht auch das einzige Mittel darbietet, denselben wieder beizulegen.

Die Vertheidiger von der neuen Schätzung der lebendigen Kräfte sind hierin noch mit den Cartesianern einig, daß die Körper, wenn ihre Bewegung nur im Anfange ist, eine Kraft besitzen, die sich wie ihre bloße Geschwindigkeit verhalte. Allein so bald man die Bewegung wirklich nennen kann, so hat der Körper ihrer Meinung nach das Quadrat der Geschwindigkeit zum Maße.

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Lasset uns nun untersuchen, was eigentlich eine wirkliche Bewegung sei. Denn dieses Wort war die Ursache des Abfalls von Cartesen, allein vielleicht kann sie auch eine Ursache der Wiedervereinigung werden.

Man nennt eine Bewegung alsdann wirklich, wenn sie sich nicht bloß in dem Punkte des Anfangs befindet, sondern wenn, indem sie währt, eine Zeit verflossen ist. Diese verflossene Zeit, die zwischen dem Anfange der Bewegung und dem Augenblicke, darin der Körper wirkt, dazwischen ist, die macht es eigentlich, daß man die Bewegung wirklich nennen kann.

Man merke aber wohl, daß diese Zeit[1] nicht etwa von gesetzter und gemessener Größe sei, sondern daß sie gänzlich undeterminirt ist und nach Belieben kann bestimmt werden. Das heißt: man kann sie annehmen, so klein man will, wenn man sie dazu brauchen soll, eine wirkliche Bewegung damit anzuzeigen. Denn es ist nicht die und die Größe der Zeit, welche die Bewegung eigentlich wirklich macht, nein, die Zeit überhaupt ist es, sie sei so klein, oder so groß, wie sie wolle.


[1] In der Formel des Leibnizischen Kräftenmaßes.

 


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03