Das System der Rechtslehre
von Johann Gottfried Fichte.
Dritter Teil
Zweiter Abschnitt
[Das Ephorat]
Den Vorschlag eines sehr zusammengesetzten Zwanges habe ich selbst ehemals gegeben, der positiven Staatsgewalt an die Seite zu setzen eine absolut negative (S.207ff.), ein Ephorat, welches, im Falle es glaubt, dass nicht der Wille des Rechts herrsche, auf seine Verantwortlichkeit durch ein Interdikt alle Staatsgewalt aufheben, und das Volk zum Gericht zwischen sich und der Staatsgewalt einberufen sollte. Die Rechtsprinzipien, die dabei zu Grunde liegen, sind ganz richtig. Das Personal der Regierung ist allerdings Jedem verantwortlich darüber, dass sein Wille der Wille des Rechts sei, und es wäre darum recht gut, wenn diese Verantwortlichkeit in der Sinnenwelt sich in einem wirklich gehaltenen Gerichte vollziehen ließe. Es ist ferner ganz Recht, dass der nicht Regent sein könne, über dessen Rechtseinsicht sich eine höhere beim Ephoren oder beim Volke vorfindet. Was aber die Ausführbarkeit, d.i. die Erzwingbarkeit dieses Zwanges selbst anbelangt, so muss ich mich jetzt nach reiferer Überlegung gegen sie entscheiden. Denn 1) wer soll das Ephorat wieder zwingen, dass es nicht auch, wenn das Recht nicht verletzt ist, aus irgend einem Grunde die Revolution beginnt, und nur, wenn das Recht verletzt ist, sie allemal beginnt? Wie viele Reizungen zum Gegenteile lassen sich denken! 2) Die Regierung, die alle Gewalt in Händen hat, wird sich derselben ohne Zweifel bedienen, das Ephorat gleich beim Beginn zu unterdrücken. Das ist das römische Patriziat Zeuge. Sie schlugen die tribunos plebis tot. Die Rechtfertigung, die giftigsten Beschuldigungen werden sich, wenn jene nicht mehr reden können, schon finden. 3) Dass das Urteil des Volks formaliter Recht sei, eben weil es keinen höheren Richter gibt, ist bewiesen. Aber wie materialiter? Es lässt sich zu einer Auswahl der Weisesten immer mehr Vertrauen haben, als zu einer Majorität, die, Gott weiß wie, zu Stande gekommen.
Es ist mir dies auch damals nicht entgangen. Was hier gesagt ist, wird dort (S.221.) zugestanden, und geschlossen: Ein Volk, dessen Ephoren, als die Auswahl seiner Besten, so wenig Tugend haben, um jenen Versuchungen nicht zu widerstehen, das selbst sie nicht zu schützen vermöge, das einen unrichtigen Spruch fälle, verdiene eben keine bessere Verfassung, und sei keiner besseren fähig. Dies ist eben das Wahre an der Sache, und das allgemeine Annehmbare. Die Realisation eines Ephorats, als eines Gliedes der Konstitution, ist ausführbar, weil die Menschen im Ganzen viel zu schlecht sind: bis sie aber im Ganzen besser werden, wird sich wohl eine Verfassung ergeben haben müssen, die keines wirklich aufgestellten Ephorats bedarf.
Nur Ein Umstand ist Allen, die über diese Idee sich befremdet gefunden haben, entgangen; dieser, dass dadurch eine Verfassung ausgesprochen wird, die in der Tat ohne eine besondre künstliche Einrichtung allenthalben, wo ein gebildetes und sich bildendes Publikum ist, sich von selbst macht. Wo das Denken sich entwickelt, entwickelt sich auch ganz von selbst über die Regierung und ihr Betragen beobachtendes Ephorat. Das Ephorat soll Zweierlei tun, es soll zuvörderst den Regenten warnen, und falls dies Nichts hilft, das Volk einberufen. Das Erste, wenn man ihnen nur das Reden nicht verbietet, (und das ist sehr gefährlich:) tut es in der Regel immer, und unvermerkt hört auch die Regierung auf diese Warnung, und folgt ihr. Hinter der Bildung der Nation gar zurückzubleiben, wagt keine Regierung, und darum soll sie eben dieselbe auch in Staats-Rücksichten sich äußern lassen, damit ihr das nicht begegne. Geschieht dies nicht, so erfolgt das Zweite, das Volk wird einberufen. Dies ist zum sichren Beweise, dass es geschehen kann, in unsrem Zeitalter unter unsren Augen geschehen, und das regierende Personal ist darüber zu Grunde gegangen. Es ist aber, so viel man dermalen urteilen kann, auch dem Volke schlecht bekommen; und das nicht etwa durch ein Ungefähr, sondern nach einem notwendigen Gesetze. Denn so lange noch mehrere Schlechte sind als Gute, kann man mit Sicherheit darauf rechnen, dass nicht der Vorschlag des Weisen und Guten, sondern der des Unweisen die Majorität für sich gewinnen wird. Der Weg der Einberufung des Volkes durch das Ephorat, oder der Revolutionen, ist darum, ehe nicht eine gänzliche Umkehrung mit dem Menschengeschlechte vorgeht, mit Sicherheit anzusehen, als der, statt eines Übels ein andres, und gewöhnlich ein noch größeres zu erhalten. Ein größeres: denn die Regierungsmaximen, die durch das Zeitalter angegeben werden, werden sich nicht ändern, aber der Regent einer Nation, die revolutioniert hat, wird seine Macht nur um so fester gründen, damit sie es nicht wiederhole. Das Einzige darum, wovon sich Verbesserung erwarten lässt, ist der Fortschritt der Bildung zu Verstand und Sittlichkeit, und die stille Wirksamkeit des Ephorats bei diesem Fortschritte. So die Sache von der Einen Seite angesehen, dass der Herrscher den gerechten Willen sich verschaffen soll, die uns nirgends Sicherheit verspricht.
Es bleibt der zweite erst gesetzte Fall, dass der, welcher den gerechtesten Willen hat, Herrscher werde. Dass sodann die Regierung die beste unter den möglichen sein werde, ist klar. Dies ist darum die wahre Lösung, und jene erste ist ganz zu verwerfen, wenn nur sie selbst gelöst, d.i. die Möglichkeit ihrer Realisation gezeigt werden könnte.
Es ist kein Zweifel, dass beim Fortschritte der Bildung sich Männer zeigen werden, die durchaus sittlich und rechtlich sind, Alles, selbst das Leben, dem Rechte aufopfern, und bei denen diese Sittlichkeit auch zu rechter Erkenntnis durchbricht. (Der rechte Wille erleuchtet sich selbst). Wenn nun aber solche auch da sind, wie sollen sie zu Herrschern werden?
1) Die im Besitz der Herrschaft sind, selbst wenn sie dieselben anerkennten, werden ihnen ihren Platz nicht abtreten: wenn sie selbst schlecht sind, gar nicht; aber auch wenn sie gut sind, nicht. Denn selbst der beste Mensch wird, eben weil er seiner redlichen Absicht sich bewusst ist, die des Andern aber nicht in einem solchen unmittelbaren Bewusstsein fasst, kaum dahin zu bringen sein, in einen Andern mehr Vertrauen zu setzen, als in sich selbst.
2) Die Menge wird ihn auch nicht erwählen, und durch ihre Kraft einsetzen. Denn gesetzt, sie erkennte ihn, - aber nur Gute glauben überhaupt an Gute, und erkennen sich unter einander an: - aber selbst sie erkennen sich nicht, und es könnte unter einer Versammlung der Besten geschehen, dass Jeder, bei der göttlichsten Reinheit, dennoch sich selbst am Meisten traute, und darum, ohne allen Eigennutz, und aus reiner Liebe zum Guten sich als Herrscher wollte. Solange aber die Regierung nicht gut ist, wird die Mehrheit immer schlecht sein; die menschlichen Angelegenheiten sind hier in einem Zirkel befangen. Gute Mehrheit entsteht von guter Regierung, darum nicht die gute Regierung von einer guten Mehrheit.
Also, die Aufgabe, das Recht zu konstituieren, welche jetzt auf die zurückgeführt worden ist, den Gerechtesten seiner Zeit und seiner Nation zum Herrscher derselben zu machen, ist durch menschliche Freiheit nicht zu lösen. Es ist darum eine Aufgabe an die göttliche Weltregierung . Von der Lösung dieser Aufgabe aber hängt überhaupt ab die Gerechtigkeit im Staate; diese ist darum auch eine Aufgabe der göttlichen Weltregierung.
Irgend einmal wird und muss Einer kommen, der als der Gerechteste seines Volkes der Herrscher desselben ist; dieser wird auch das Mittel finden, eine Sukzession der Besten zu erhalten: (das ist dann ziemlich leicht). Bis dahin werden die Regierungen so gut sein, als sie uns Gott gibt. Nur der Fortschritt in Verstand und Sittlichkeit ist das Mittel in den Händen der Nation, die Regierung zu zwingen, auch mit fortzuschreiten. Nur in dieser historischen Rücksicht ist der Ursprung der Oberherrschaft unerforschlich, und wir müssen uns unterwerfen. Nicht blind zwar, denn wir sollen allenthalben hell sehen, und ich habe mich bemüht, Sie auch hierin hell sehend zu machen; sondern weil wir einsehen, dass das Widerstreben den ruhigen Fortgang der Zeiten stört, das Übel, d.i. die Unrechtlichkeit nur gewisser macht, und darum unsittlich ist. Wenn man aus dem strengen Rechte heraus disputiert wird man immer Recht behalten, dass die gebornen Herrscher kein Recht haben zur Herrschaft: denn Recht hätten sie nur, wenn sie nachweisen könnten, dass sie das menschgewordene Recht wären, zu welcher Beweisführung ihnen immer gar viel abgehen wird. Die Blinden gehen hin in ihrer Blindheit, und es geschieht ihnen kein Unrecht, da sie das Unrecht nicht einsehen. Dem Weisen und Tugendhaften, der für seine Person wohl einer besseren Ordnung der Dinge wert wäre, wird dadurch die Pflicht aufgelegt, aus allen Kräften zu arbeiten, um auch alle Andren dieser bessern Ordnung, in der er nur mit ihnen zugleich leben könnte, würdig und empfänglich zu machen: grade dieser Zustand darum ist ihm gesetzt durch seine Pflicht, und dieser muss man sich nicht entziehen wollen. Lebte er in jener bessern Ordnung der Dinge, so wären Alle derselben würdig und fähig, und er hätte diese Pflicht nicht, aber er hätte ganz sicher eine andre. Aber das Leben des rechten Menschen geht auf in seiner Pflicht um der Pflicht willen, und er wählt sich nicht seine Pflichten: ein andres Leben will er nicht, und darum ist jedes Leben ihm recht. -
Dies ist über die Konstitution zu sagen: die Theorie des Eigentums und Staatsbürgervertrages, mithin also auch die Theorie des Rechts ist geschlossen. Realisierung des Rechts überhaupt ist der Staat. Man pflegt der Rechtslehre noch ein Kapitel vom Familienrecht hinzuzufügen. Wir enthalten uns dieser Untersuchung, weil wir in der Sittenlehre darauf zurückkehren. Familien- und Bürgerrecht ist eigentlich Eins; inwiefern der Staat beides durch Gesetze scheiden muss, davon bei der Sittenlehre.