Das System der Rechtslehre

von Johann Gottfried Fichte.

Dritter Teil

Zweiter Abschnitt

[Gewaltenteilung: Trennung der gesetzgebenden, richterlichen und ausübenden Gewalt]

Als Einleitung in die beiden Hauptabschnitte vom Eigentums- und Bürgerrechtsvertrag

Ein andres rationales Zwangsmittel durch eine künstliche Verfassung, durch Trennung der gesetzgebenden, richterlichen und ausübenden Gewalt (seit der französischen Revolution) ist unter der Kritik, und es gehört unter die wunderbaren Ereignisse unsrer Zeit, wie auch verständige Deutsche so Etwas in den Mund nehmen konnten. Eine äußerlich souveräne, Alles zwingende, und selbst nicht zu zwingende Gewalt, eine erste Triebfeder des politischen Lebens, müsst Ihr haben, wenn Ihr einen Staat haben wollt. Diese setztet Ihr ursprünglich als die ausübende Gewalt (pouvoir exécutif). Nun lasst Ihr eine zweite Gewalt, die gesetzgebende (pouvoir législatif), Gesetze machen bis ans Ende der Welt: es bleiben scripta, wenn die ausübende Gewalt sie nicht in Tätigkeit setzen will, und Ihr sie nicht dazu zwingen könnt. Oder soll etwa die gesetzgebende Gewalt sie zwingen? So ist diese nicht mehr bloß gesetzgebend, sondern zugleich ausübend, und was Ihr die ausübende Gewalt nennt, ist gar keine erste Gewalt mehr, sondern eine untergeordnete, ohne souveränen Willen; die gesetzgebende Gewalt ist jetzt souverän, und Ihr habt Nichts geschieden. Oder setzet: die ausübende Gewalt nimmt die Gesetze der gesetzgebenden Gewalt freiwillig an, so werden sie erst dadurch Gesetze: sie ist die gesetzgebende zugleich, und jene ist nur eine gesetzvorschlagende, ohne Souveränität. Ein solches Kollegium wird nun der Souverän ohne Zweifel selbst errichten.

Ganz zwecklos ist nun gar die Trennung der richterlichen Gewalt; diese ist ihrer Natur nach unterworfen, so gewiss sie nach einem Gesetze richtet, und sie muss unter einer Aufsicht, und unter einem Zwange stehen, damit sie nach ihm richte. Ist dies nicht, so ist sie zugleich die gesetzgebende. Damit nun ihre Urteile nicht bloße scripta bleiben, so müssen wir ihr zugleich die Gewalt der Exekution geben, mittelbar oder unmittelbar, und nun ist sie der Souverän, und wir haben nicht geteilt.

In Summa: der souveräne Wille muss Alles erzwingen können, ohne gezwungen zu werden. Er muss also das freie Ermessen dessen, was er erzwingen will, in sich haben. Es ist eine Teilung desselben nicht möglich.

Das war eben das Kunststück dieser Konstitutionen, dass sie eine Souveränität haben wollten, und auch nicht haben wollten. Sie sollte nicht sein in irgend einem einzelnen Gliede, wohl aber sollte sie sein im Ganzen. Sie haben eben ein andres Ganze, denn die Allheit der Glieder: und es kann nach ihnen in Allen sein, wenn sie zusammen kommen, was in keinem Einzigen ist. Gleichwie nach ihnen das Leben und der Gedanke auch nur ist das Resultat der Zusammensetzung des Ganzen. Man sieht doch, aus welcher Philosophie solche Staatenschöpfungen hervorgingen.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03