Geschichte des Lützowschen Freikorps

von Johann Friedrich Gottfried Eiselen

Die Errichtung des Freicorps

Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist’s Preußenland? ist’s Schwabenland?
Ist’s wo am Rhein die Rebe glüht?
Ist’s, wo am Belt die Möwe zieht?
O nein, o nein, o nein!
Sein Vaterland muß größer sein.

Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist’s Baierland? ist’s Steierland?
Ist’s wo des Marsen Rind sich streckt?
Ist’s, wo der Märker Eisen reckt?
O nein, o nein, o nein!
Sein Vaterland muß größer sein.

Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist’s Pommerland, Westphalenland?
Ist’s, wo der Sand der Dünen weht?
Ist’s, wo die Donau brausend geht?
O nein, o nein, o nein!
Sein Vaterland muß größer sein.

Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Ist’s Land der Schweizer, ist’s Tyrol?
Das Land und Volk gefiel mir wohl?
O nein, o nein, o nein!
Sein Vaterland muß größer sein.

Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Gewiß ist es das Oestreich,
An Siegen und an Ehren reich?
O nein, o nein, o nein!
Sein Vaterland muß größer sein.

Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Ist’s, was der Fürsten Trug zerklaubt?
Vom Kaiser und vom Reich geraubt?
O nein, o nein, o nein!
Sein Vaterland muß größer sein.

Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne endlich mir das Land!
So weit die deutsche Zunge klingt,
Und Gott im Himmel Lieder singt!
Das soll es sein,
Das wackrer Deutscher soll es sein!

Das ist des Deutschen Vaterland,
Wo Eide schwört der Druck der Hand,
Wo Treue hell vom Auge blitzt,
Und Liebe warm im Herzen ist,
Das soll es sein,
Das wackrer Deutscher soll es sein.

Das ist des Deutschen Vaterland,
Wo Zorn vertilgt den wälschen Tand,
Wo jeder Frevler heißet Feind,
Wo jeder Edle heißt Freund.
Das soll es sein,
Das ganze Deutschland soll es sein!

Das ganze Deutschland soll es sein,
O Gott vom Himmel, sieh darein,
Und gieb uns ächten, deutschen Muth,
Das wir es lieben treu und gut.
Das soll es sein,
Das ganze Deutschland soll es sein!

Als das Jahr 1812 zu Ende ging, war im ganzen deutschen Vaterlande kaum ein erheblicher Landstrich, der nicht das Geklirr französischer Säbel und Bajonette gehört, nicht die feindlichen Spürer umherschleichen gesehen hätte. Mitten im Lande thronte sogar ein Bruder des mächtigen Korsen. Waren auch aus manchen deutschen Fürsten Bundesgenossen des alten Nationalfeindes gewonnen, hatte dieser ihnen auch manchen Länderlappen zugeworfen, wenn er die Reiche zerschnitt und zerriß, die Völker hatten des keinen Gewinn. Ihre Jünglinge und Männer schleppte er bis an den Tajo und bis an die Düna. Tausende von ihnen haben mit ihrem Blute die fremde Erde gedüngt. Glaubt ihr es nicht, die ihr heute genießt; so wird euch der Obelisk in München belehren, der zum Andenken der 30,000 Baiern errichtet ist, die für Frankreichs Ruhm, ihren Fürsten gehorsam, auf den Feldern Rußlands fielen. Die deutschen Regierungen häuften Schulden auf Schulden, Gewerbe und Handel lagen darnieder, der Lebensmuth war dahin! Die Völker seufzten und bissen in ihre Ketten; und mancher sprach: O schönes deutsches Land! wie groß und geehrt könntest du sein, wenn du ewig wärst! Aber er sprach es in der Stille. Nur als die Flamme von Moskau zum Himmel empor schlug, da ward die Rede lauter! Immer mächtiger erwachte die Sehnsucht nach Deutschlands Einheit, und errichtete ihre Altäre in den Herzen der Jugend und aller derer, die jugendlich frisch fühlten, und nichts wußten von all den hundert und tausend Hindernissen, die jeden Schritt zur Einheit erschwerten und hemmten. Redeten die Deutschen nicht eine Sprache? belebte sie nicht eine Gesinnung? Was bedurfte es mehr, um die Jugend zu überzeugen, daß nichts die Einheit Deutschland hindere, daß nur böser Wille oder Engherzigkeit die Möglichkeit einer solchen Einheit leugnen könne?

Dieser Gedanke einer möglichen Einheit der deutschen Völker, einer innigen Zusammenwirkung gegen das Franzosenthum war es, der damals in so vielen Erscheinungen sich kund gab, und auch das Lützowsche Freicorps ins Leben rief. Schreckt ihr zurück vor diesem Gedanken? Er war kein gefährlicher Gedanke! Er forderte nicht das Aufgeben des besondern Vaterlandes; er war mit der innigen Liebe zu ihm sehr wohl verträglich. Die Brudervölker wollte er nur mit einem innigen Bande umschlungen sehen; er wollte, daß sie den Zwist aus dem Vaterlande verbannten, um gegen den äußern Feind einig und mächtig zu sein. In dem Lützowschen Corps sollte jeder eine Stätte finden, wo er diesem Gedanken leben könnte; hier sollte er sich bewußt werden, ein Deutscher zu sein, um als Baier, als Schwabe, als Sachse, frei sein zu können. Ob in den Stiftern des Corps dieser Gedanke lebendig war, weiß ich nicht zu sagen, aber er war es in manchen, die ihnen nahe standen, und durch diese vielleicht, wenn auch geschwächt. In ihnen. Will man sich nüchtern über die Bestimmung des Freicorps erklären, so wird man mit Ad. S. S. 3 sagen können: Als Preußen im Jahre 1813 alle seine Kräfte zu dem Kriege gegen Frankreich aufbot, schien es den Verhältnissen angemessen, auch diejenigen Mittel in Anspruch zu nehmen, welche die übrigen deutschen Länder zur Bekämpfung des Feindes darboten. Der Major von Lützow entschloß sich, zu diesem Zwecke ein Freicorps zu errichten, in dasselbe, außer Eingeborenen, vorzüglich Ausländer aufgenommen, und es zu Unternehmungen auf dem Flanken und im Rücken des feindlichen Heeres anzuwenden.

Wir dürfen sogar behaupten, daß ohne jenen Gedanken die Stiftung des Corps ein Unrecht gewesen sein würde. Das eine große deutsche Vaterland mußte gerettet werden, um die einzelnen deutschen Länder zu retten! Es war ein Moment eingetreten, wo sich jeder an das Allgemeine hingeben mußte, um sich selbst wieder zu gewinnen. Außerdem würde man nicht befugt gewesen sein, das Corps als einen Vereinigungspunkt für alle Deutsche aufzustellen; denn man würde ehrlicher Weise zu ihnen haben sagen müssen: Nur Preußens Rettung ist unser Zweck, aber ihr andern, die ihr Deutschland angehört, ihr seid uns liebe Freunde, wenn ihr uns diesen Zweck erreichen helft! Kommt, schließt euch an uns an! Und ist nicht eben jener Gedanke zu wiederholten Malen in den Proclamationen der kriegsführenden Mächte und ihren Feldherren ausgesprochen worden?!

Wir können also mit Recht sagen: in dem Lützowschen Freicorps sollte der Gedanke der Einheit Deutschlands in einem Bilde Wirklichkeit erhalten. — Daß dies aber der Fall war, gab dem Corps seinen eigenthümlichen Charakter, seine hohe Bedeutung. Ohne ihn würde es die Rolle eines gewöhnlichen Parteigängers gespielt haben und von der Geschichte bald vergessen werden sein. Thaten konnten dem Corps zwar Glanz geben, aber seine Hauptthat blieb seine Schöpfung in jenem Gedanken.

Aber wie sehr auch die Entstehung des Corps durch die Umstände geboten war; so traf doch auch vieles zusammen, wodurch es verhindert wurde, eine äußere Wichtigkeit zu erlangen. Dies konnte von Anfang an dem unbefangenen Urtheile nicht entgehen, und wenn sich viele und selbst solche darüber täuschten, welche bei der Errichtung des Corps vorzugsweise thätig waren; so läßt sich das nur aus der Macht erklären, welche der Wunsch so häufig über die bessere Einsicht des Menschen ausübt. Daß aber solche Täuschungen auch unter denen bestanden, die durch ihre Theilnahme an der Bildung des Corps den Schwierigkeiten, womit dieses zu kämpfen haben mußte, weit näher als andere standen, geht schon daraus hervor, daß der Verfasser sich sehr bestimmt erinnert, einen derselben sagen gehört zu haben: wenn wir nur erst 30,000 Mann stark sein werden.

Die Errichtung des Corps mußte nothwendig die höchste Genehmigung in dem Lande haben, wo sie stattfinden sollte; das Corps trat daher sogleich in eine besondere Beziehung, die ihm seine Selbstständigkeit raubte oder doch wesentlich beschränkte, wie wenig dies auch so scheinen mochte. Aber noch mehr, Preußen, welches seine Errichtung gestattete, durfte ihm öffentlich nicht einmal auf eine bestimmte Weise die Bedeutung beilegen, die es haben sollte. Die deutschen Regierungen, die noch mit Frankreich verbunden waren, mußten geschont werden. Man wollte sie für die große Sache gewinnen, würde sie aber derselben entfremdet haben, wenn man die Bevölkerung ihrer Länder aufgerufen hätte, von Frankreich abzulassen, und in Lützowschen Corps ihren Vereinigungspunkt zu suchen. Nur gegen die Bewohner Westphalens hätte man eine offene Sprache führen dürfen. Aber nicht blos dieser Umstand war dem Corps hinderlich, eine äußere Bewertung zu erlangen; ein anderer lag in der Eigentümlichkeit der Kriegsführung in der neuesten Zeit und in der Beschaffenheit des Kriegsschauplatzes. Wo hunderttausende ins Feld rücken, eilt der Krieg mit Riesenschritten seinem Ziele entgegen und raubt den langsam fortschreitenden Bildungen die Zeit zu ihrer Vollendung. Ein Corps, wie das Lützowsche war aber nicht mit einem Zauberschlage zu schaffen. Es fehlt ihm fast alles, was zur Ausrüstung und zweckmäßigen Organisation einer Kriegsschaar dient. Gesetzt aber auch, es hätte sich mit leichter Mühe in einem gewissen Umfange schaffen lassen; so fehlte es ihm doch an einem geeigneten Schauplatze für seine Bewegung. Nur der Harz und Thüringer Wald boten sich ihm, als ein solcher dar; aber bei der Nähe eines mächtigen Feindes, bei der Cultur, die auch sie nach allen Richtungen mit Straßen durchzogen hat, versprachen sie einen geringen Schutz. — Endlich aber dürfen wir auch nicht übersehen, daß Preußen damals alle Kräfte und Mittel, die es besaß, zur Ausrüstung seiner eigenen Heere verwenden mußte und dem Corps daher nur geringe Unterstützung gewähren konnte, während die Einzelnen, die etwa eine besondere Theilnahme für das Corps zeigten, im allgemeinen anderwertig so sehr in Anspruch genommen waren, daß sich von ihnen nur eine geringe Beisteuer erwarten ließ. Es gehörte daher in der That eine große Beharrlichkeit und ein unermüdlicher Eifer dazu, um im Angesichte der Schwierigkeiten nicht zu ermatten, die sich von allen seiten der Bildung des Corps entgegenstellten.

Das Wirthshaus zum Scepter, in welchem auch der bekannte Freiherr von Stein incognito wohnte, war das Hauptquartier des Corps, oder, wenn man will, das Büreau und Werbelokal desselben, und hier war es, wo sich, neben einer großen Thätigkeit Einzelner, von Anfang an jenes seltsame Gemisch von Personen und Gedanken zeigte, welches sich im Corps bis zu seinem Ende wesentlich erhalten hat. Die Majore von Lützow und Petersdorff, der Hauptmann von Helmenstreit, Lange, Jahn, Friesen und eine Menge anderer älterer und jüngerer Personen bewegten sich durch einander. Es fehlte nicht an reiner Begeisterung für die Sache, aber auch nicht an Ehrgeiz, und während dieser in dem Gedanken eines einigen und mächtigen Deutschlands schwelgte, ließen einen andern die Träume des Themistokles nicht schlafen, welche die Siege des Miltiades in seiner Seele geweckt hatten. Wunderlich war in der That der Anblick der sich hier in engen Räumen drängenden Menge, wunderlich die Geschäftigkeit, womit sich alles durch einander bewegte, und einer an den andern mit wichtiger Miene vorüberging. Der eine schrieb, ein anderer las, ein dritter war mit der Prüfung von Waffen beschäftigt, ein vierter hatte mit einem Handwerker einen Handel abzuschließen, ein fünfter bemühte sich einen noch schwankenden jungen Mann das Eintreten in das Corps annehmlich zu machen; kurz es war eine kleine Welt, die sich hier aufthat. Was sich sonst mied, fand sich hier beisammen; aber, was der Zufall vereinigt hatte, das suchte auch mancher als eine kluge, wo nicht als seine kluge Veranstaltung hervortreten zu lassen. — Wie aber seid ihr dazu gekommen, fragte einst ein stiller Beobachter dieser gemischten Gesellschaft, einen von denen, die hier eine wichtige Rolle zu spielen schienen, all diese Leute, die doch in der That die bunteste Musterkarte bilden, um euch zu sammeln und festzuhalten? Und jener erwiederte darauf: Sieh Freund! das will ich dir sagen. Der eine da, mit der wichtigsten Miene, war Secretär (Schreiber) in dem und dem Büreau (Schreibstube), und weiß Bescheid mit allerlei Titulaturen und Redeweisen; er ist uns nützlich, wenn es gilt an eine oder die andre Behörde zu schreiben. Der andere, in seiner Nähe, der sich durch seine Dressur auszeichnet, ist ein gewandter Kerl, der jedem nach dem Munde zu reden weiß, und das Sprüchwort: mit dem hut in der Hand — zu seinem Gesetz gemacht hat; — den gebrauchen wir, wenn es persönlich etwas zu erhandeln oder zu erbitten giebt. Er ist zähe, wie Vogelleim. — Der den du in stiller Selbstgefälligkeit mit dem Säbel spielen siehst, imponirt durch seinen herrlichen Bart; der Bart ist sein Alles. Er wird uns manch stattlichen Burschen anlocken. Der aber, der soeben mit leichtem Fuße hereinschlüpft, war Diener in einer Tuchhandlung; er ist ein lebendiges Rechenexempel und wie zum Handel geschaffen. Er ist für uns Goldes werth. Und so wußte der Befragte jedem seine Stelle anzuweisen, so daß die chaotische Masse sich durch ihn zu einer schönen Mosaik gestaltete. Aber er begieng dabei einen kleinen Fehler, der jedoch bedeutend genug war, die ganze Rechnung umzustoßen. Alle diese, denen er so behende ihre Ämter zugetheilt hatte, wollten nichts weniger, als daß, sein. Wozu sie brauchbar waren: oder für brauchbar gehalten wurden; sie wollten Helden sein, oder doch Helden spielen. So konnte man in der Folge den, welchem die Geheimschreiberrolle zugetheilt war, auf hohem Rosse, mit mächtigen Reiterstiefeln, einem gewaltigen Säbel und einer Knute in der Hand häufig genug einhertraben sehen. Er hieß bisweilen wohl der Großprofos.

Inzwischen wollen wir billig sein Das Corps bedurfte der verschiedenartigen Kräfte, die es zu seinem Hauptquartier festhalten mußte, um davon für sich nach Umständen einen möglichst nützlichen Gebrauch zu machen. Gab dies ihm auch ein auffallendes und selbst komisches Ansehn, so hatte es davon geringen Nachtheil. Ein wirkliches Uebel waren ihm diejenigen, die weit entfernt von der Begeisterung für den Kampf hingerissen zu sein, ihre Dienste dem Corps aufdrangen, um sich möglichst leichtem Kaufs eine Stellung zu verschaffen, die sie anderswo zu erlangen nicht hoffen durften. Sträubte man sich auch oft, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen, so gelang dies doch nicht immer, so daß auf diese Weise mancher Tüchtigere verdrängt wurde, und das Corps sich mit Personen belastete, die ihm mehr schädlich, als nützlich waren. Allerdings ist ein solches Uebel in allen Verhältnissen des Lebens gewöhnlich; aber es fällt nicht immer in die Augen; weil die Untüchtigen sich oft in der Menge der übrigen verlieren, und deshalb auf das Ganze einen geringen Einfluß ausübem.


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