Der Tempel der Freundschaft.

An C. V. von Bonstetten.

 (Genf, im April 1791.)

 

Senke dich sanfter herab im Thaue der lächelnden Frühe,
    Lieblich vom duftendem Hauch knospender Blüten umwallt,
Froher Erinnerung Bild! Süß labend wie Honig der Wiese,
    Hell, wie der Lerche Gesang fern aus dem Aether mir tönt!
Freundschaft singe dein Lied, und mahle mit rosigem Schimmer
    Hlyna’s Tempel mir vor, über den Wogen erhöht!
Sieh’ den Rücken des Jura! Dort trägt er auf furchtbarer Höhe
    Wandelndes Wolkengebirg, schimmernd im sonnigen Strahl!
Sieh’ um des Mächtigen Fuß, wie Heerden, Städte gelagert,
    Und manch friedliches Dorf, winkend im Obsthain versteckt.
Tönend hebet der See am Kieselufer des Vorlands
    Höher die Wogen, und wallt still in die grünende Bucht;
Fernher tanzen die Wellen von Thonons Felsengestade,
    Tragen des Himmels Gebild treulich im spiegelnden Schoos;
Größe mit Anmuth vereint und Ruhe der göttlichen Freiheit
    Schmückten dies himmlische Thal segnend mit Fülle der Frucht,
Aber ihr winket umsonst mir, blütenumduftete Thäler!
    Eilend erklimmet mein Fuß frölich die hallende Burg;
Milder wie Thal und Gebirg im bräutlichen Schmucke des Lenzens[1],
    Lächelt Freundschaft im Blick liebender Gatten mir dort!
Sanfter ruft, wie die Nachtigall lockt, am Ufer des Baches
    Mich die Stimme des Freunds: „Eil’, o Freundinn! uns zu„.


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