An Selma Gerstenberg.

(1784).

Selma! Selma! du schläfst im ersten Hauche des
Lenzes.
Schallt dir der freundliche Ruf nicht zum Herzen
empor?
Wecket das Rauschen des Sees am umschatteten Blumen-
gestade,
Wecket der Nachtigall Lied aus dem Schlummer
dich nicht?
Scheuchet der leisere Ton, den sehnende Freundschaft
dir weihet,
Nicht, mit der Liebe vereint, dir vom Auge den
Schlaf?
Ach! erwache Geliebte! daß deiner harmonischen
Stimme
Klage noch einmal ertön’ unter dem[1] Rieseln des Quells.
eugt euch tiefer herab, umschattende Zweige der
Buchen;
Schweige, leisester West! lausche dem lieblichen Ton!
Selma, schweigest du noch? Bleibt noch geschlossen
dein Auge?
Und die Lippe, die sonst Namen der Liebe mir gab,
Ach! sie öffnet sich nicht! es strahlt von der ruhenden
Stirne,
Mir der Friede herab, schwer errungenen Lohns!
Selma! ich störe dich nicht im sanfterquickenden
Schlummer;
Freundlich erwecke dich uns himmlisches Morgen-
roth einst.
Selma! Selma! dann, in den Hütten ewiger Wonne
Tönt dein himmlisches Lied mir am Quelle der Ruh’!



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