Flore und Blanscheflur

Ein episches Gedicht in zwölf Gesängen.

Vierter Gesang.

Du armer Flore! ach, wie wirst du klagen,
So sprach ein Ritter, deine Noth den Steinen!
Wie gute Lehre kann dies Bild uns sagen,
Wenn wir vor Frauen oft vergeblich weinen,
Und nicht sie rühren unsers Herzens Plagen!
Sehn wir sie an, wir sollten freilich meinen,
Daß unters Busen Marmor weiß erhaben
Ein liebend Herze müss' auch seyn begraben.

Und wollt ihr uns, so sprach die Frau, gewinnen,
Wenn ihr mit Tod und Steinen uns vergleicht?
Zu einer Zeit da Lebensadern rinnen,
Ein süßer Geist aus Bach, Baum, Blume steigt,
Die Vögel all' auf neue Lieder sinnen,
Die Blätter flüstern und kein Hälmchen schweigt,
Von warmem Liebes-Odem angefacht:
Wie kalt habt ihr solch Gleichniß ausgedacht.

Bey dieses Grabmals Täuschung denkt mit Beben
Mein Geist an Tristan: durch der Freundin Scherzen
Verlor der Held, der hoffend lag, sein Leben.
Er war erkrankt an langer Trennung Schmerzen
Und fleht' Isalde Beistand ihm zu geben;
Die fühlt sein Weh in ihrem eignen Herzen,
Eilfertig wird Arznei von ihr ergriffen,
Sie ist bereit zu Tristan hin zu schiffen.

Nach seiner Bitte gleich dem weißen Schwane
Sieht man mit Segeln hin das Schifflein zieh'n,
Daß sich Isalde naht auf nasser Bahne
Bedeutet dieß, daß sie noch glüht für ihn,
Doch schwarz ist ihm des bittern Todes Fahne
Und heißt, daß Treu' und Liebe von ihm flieh'n,
Treu liebend hofft er in der Liebe Glauben,
Die Seele schmachtet nach dem Weiß der Tauben.

Zur Gattin spricht er, die am Fenster steht:
Seht ihr noch nicht die weißen Segel fliegen,
Wie sie der Wind an unser Ufer weht?
Sie will aus Schalkheit den Gemahl belügen,
Und spricht: ein schwarzes hat mein Aug' erspäht.
Dem Worte mußte Tristan unterliegen
Durch diesen Wahn im Tode sich entfärben,
Und auch Isalde nach dem Liebling sterben.

Drum müssen wir, so fuhr sie fort, beklagen
Der Täuschung Wort dem Liebenden erklungen;
Des Knaben Herze will im Wahn verzagen,
Die Seele wird vom gift'gen Pfeil durchdrungen,
Weil alle ihm mit falschem Munde sagen
In Grabes Nacht sey Blanscheflur verschlungen;
Wie rieth' er wohl, ihr Tod sey nur erdichtet?
Sein Auge sieht ihr Denkmal aufgerichtet.

Die Meister sollten es mit Fleiß erbauen,
Aus einem feinen weißen Marmelstein,
Auf Erden kann man nichts so kunstreich schauen,
Als all das Bildwerk, so sie in dem Stein
Mit weisen Sinnen wundervoll gehauen,
Es täuscht die Augen mit des Lebens Schein;
Vier ehr'ne Löwen tragen ihn empor
Mit Grimme blickend unterm Rand hervor.

Kein Grabmal sah man je so seltsam zieren
Von manchem Bilde wunderlich umschwebt,
Von sanften Lämmern und von wilden Thieren,
Was nur auf Triften und in Wäldern lebt;
Wie Vögelein den kleinen Fittig rühren,
Als ob die Brust lebend'ger Athem hebt:
Dies wirkten sie aus den vier kostbarn Sachen
Aus denen Künstler trefflich Bildwerk machen.

Gold, Silber, Perlen, edeles Gestein,
Die bilden aller Farben bunter Flimmer,
Worin die Sonne strahlt im Wiederschein,
Und ruft hervor des Regenbogens Schimmer;
Doch alle Zier, wie groß sie möge seyn,
Erreicht den Preis vom höchsten Wunder nimmer
Wovon die Red' ich je vernommen habe:
Zwey Bilder waren's oben auf dem Grabe,

Die lebensgleich die klugen Meister machten,
Weil sie der Fürstin zu gefallen zielten:
Zwey Kinder die in Liebe sich anlachten,
Als ob sie freundlich miteinander spielten,
Und sich in Unschuld zum Geschenke brachten
Die Blumen, so die zarten Hände hielten;
Kein Mangel war an den getriebnen Bildern
Die Floren recht und Blanschefluren schildern.

Das eine Kindlein, welches Floren glich,
Hielt eine Ros' erglüht in Purpur roth,
Aus feinem Gold gewirket meisterlich,
Die er holdseelig seiner Freundin bot,
Und Blanscheflur neigt zu dem Knaben sich,
Als zwänge sie der Minne Herzens-Noth;
Die schlanke Lilie reicht sie ihrem Freund,
Die zwar aus Gold doch weiß wie Silber scheint.

Ihr beider Haupt schmückt einer Krone Glanz,
Mit solcher Pracht war künstlich die geschlagen,
Daß ohne Schmach so goldgeblümten Kranz
Des reichsten Königs Stirne dürfte tragen;
Doch heller strahlten, wie mit Sternen-Glanz
Die Steine so in Florens Krone lagen,
Und ein Karfunkel füllt mit Herrlichkeit
Die Spitze vorn, hinleuchtend weit und breit.

Voll großer Wunder sah man diesen Ort:
Wenn sanft sich rührten laue Sommerwinde
Dann zwang sie so der Meister Zauberwort.
Daß innerlich ihr Athem regt die Kinde,
Und wandelt sich in Menschenstimmen dort.
Wenn Himmelslüfte weh'ten noch so linde,
Alsbald durch Zauberlisten es geschach,
Daß wie beseelt solch schön Geschmeide sprach.

Und Florens Bildniß hauchte Wort' also:
Nun küsse mich, o holdes Mägdlein süße,
Denn nimmer werd' ich doch von Herzen froh,
Als wenn ich deine süßen Lippen küsse.
Was neidet man nur unsre Minne so?
Daß Uebel drum dem Neid geschehen müsse!
Trotz allem Neid bleib ich dir ewig hold.
Dann sprach zurücke gleich das andre Gold:

Und red'st du wahr, so bin ich wahrlich reich
Im Herzen treu lebt ewig mir die Minne,
So sagt das Bildniß, Blanschefluren gleich:
Mag es gescheh'n, daß ich je Heil gewinne,
So kommt das, theurer Flore, nur von euch,
Zu euch gewendet sind mir Herz und Sinne. —
Darnach dann beide lieblich küßten sich
Mit gold'nem Mund der rothen Lippen glich.

So lang des Windes lauer Athem blies,
Durften die Kinder sich in Freuden küssen,
Doch wenn der Wind von seinen Kräften ließ,
So müssen es die schönen Bilder büßen,
Es fehlt am Hauche der sie unterwies'
Wie sie in Liebeshuld sich mögen grüßen,
Dann schauen sie einander an in Ruh
Und jedes lacht dem andern lieblich zu.

Dies Wunderwerk vor eines Münsters Thor
Ward es erhaben, daß sich's jedem zeigt,
Der ein zum Münster geht, und keinem Ohr
Kein Mund die große Herrlichkeit verschweigt
Von diesem Grab, das schnell und kühn hervor
So wunderbar aus grünem Boden steigt;
Was Dichter je von fremden Künsten sangen,
Die sieht man all' an diesem Grabmal prangen.

Auch war der Ort mit Bäumen rings besetzt
Es zu beschatten hoch und wohl umlaubt,
Die nie ein Wind an keinem Zweig verletzt,
Noch je ein Blatt von ihren Wipfeln raubt.
Ein blüh'nder Bisem ward dahin gesetzt
Wo man bezeichnet Blanscheflurens Haupt,
Um dort, sich regend mit den blüh'nden Zweigen
Der Farben Spiel im dunklen Grün zu zeigen.

Ein schlanker Baum erhob sich zu den Füßen,
Der seinen Balsam noch in Blüten trug,
Der Duft entströmt ihm wie mit Regengüssen,
Den lauer Wind mit seinem Flügel schlug.
Weß Lippen je gekostet von den süßen
Saftschwell'nden Beeren, die als Frucht er trug,
Erprobt in ihnen wunderbare Tugend,
Durch ihre Kräft' blüht er in ew'ger Jugend.

An seiner Seite stand ein Ebanus,
Deß Kraft-Tugend wir also ächt erkennen,
Daß sie im Feuer sich bewähren muß,
Es kann ihn nimmer keine Glut verbrennen.
Wohl fühlt mein Herz im Inn'ren den Verdruß,
Daß ich den Wunderbaum nicht weiß zu nennen
Der hingepflanzet an der linken Hand
Als höchstes Wunder bey dem Grabe stand.

In farb'gen Blumen sprossend und im Gras
Sind seine Blüten, röther, wie die Rosen,
Den ganzen Tag im Thaue glänzend naß;
Wenn Winde auch gelinde mit ihm kosen,
So leise rühren sie ihn küssend, daß
Von keinem Blatte fallen ab die losen
Thauperlen, nein, sein funkelndes Geschmeide
Bewahren sie, behütend ihn vor Leide.

Ein duft'ger Strom aus seinen Blüten drang,
Drin baden sich die bunten Vögelein,
Gelinde schwebend, wirbelnd den Gesang,
In Thauestropfen spiegelt Sonnenschein;
Glanz, Duft und Farben, heller Stimmen Klang,
Des Baumes Rauschen laden zaub'risch ein
Der Minne süßen Balsamwein zu trinken;
In Liebesträumen liebend zu versinken.

Und dies lebendige Blühen, Duften, Rauschen,
Ein Zeichen sollt' es seyn dem bittern Tod,
In diesem Zauberspiel verborgen lauschen
Auf Flore Schrecken, Trauer, Pein und Noth,
Um Elend soll er Liebesglück vertauschen
Weil strenge so des Königs Stolz gebot.
Der ließ dem Stein mit gold'ner Schrift eingraben:
Da drunter liege Blanscheflur begraben.

Die Worte zeigen an, daß sie an Güte
Vor allen Blumen trug den höchsten Preis;
Daß Florens Herz in Minne für sie glühte,
Wie ihre Brust von Liebes-Flammen heiß:
Bis sterbend mußte welken diese Blüte
So die Natur gepflegt mit Lieb' und Fleiß,
Um die nun schmerzlich aller Augen weinen
Da ihre Sternen-Augen nicht mehr scheinen.

In Eile war des Grabes Bau vollendet,
Daß es dem Werk an keiner Zier gebrach;
Als es vollbracht, da ward ein Mann gesendet
Zu Floren, und der König also sprach:
Ein großes Unheil hab' ich abgewendet
Woran der Krone Ehre fast zerbrach;
Wenn Flore kommt, so lieb euch euer Leben
Sollt ihr ihm nicht wahrhafte Nachricht geben.

Es kam der Tag, auszog nun von Montmore
Das holde Kind zum erstenmal erfreut,
Kaum öffnete das Morgenroth die Thore
Ritt schon der frohe Zug; es sprengte weit
Voran durch Thau und Blumen lachend Flore,
Nicht dacht' er mehr an Sorge, Qual und Leid;
Still in sich lächelnd spricht er immer nur:
Bald seh' ich dich, geliebte Blanscheflur.

So freudig und in heißer Sehnsucht Bangen
Tritt nun das Kind zu seinen Eltern ein.
Der Vater hält, die Mutter ihn umfangen:
Befreit mein Herz, spricht er, von aller Pein,
Stillt nun in mir das brünstige Verlangen,
Die Seele schmachtet nach dem Himmelswein,
Den Blanscheflurens Lippen in mich küssen;
Drum laßt mich gehn, mein hold Gespiel begrüßen.

Er kam dahin wo ihre Mutter saß,
Die sehr erschrak als sie erblickt das Kind;
Er sah' es nicht wie ihre Wangen blaß:
Wo Blanscheflur das fragt er nur geschwind.
Der Mutter Auge netzt ein schmerzlich Naß:
Ich weiß es nicht, so sagte sie gelind,
Wir ist so Weh' in meiner Brust geschehn,
Drei Wochen schon hab' ich sie nicht geseh'n.

O laßt die Rede, sprach er, treibt nicht Spott!
Wollt doch von meinem Kummer mich belehren.
Die Mutter sagt: Es ist mein Kind bey Gott;
Sie kann den inn'ren Schmerzen nicht mehr wehren,
Ihr bittres Leid, des Herzens große Noth,
Erzwingen aus den Augen heiße Zähren;
Und Flore muß den Tod der Freundin glauben,
Das will ihm Sinn und die Gedanken rauben.

Die Wangen und die Lippen sind erbleicht,
Sein Auge nur starrt noch die Christin an,
Und als sie seufzt und weint und wieder schweigt,
Und recht sein Herz das große Leid gewann,
Wie eine Blume sich zu Boden neigt,
Verwelkt, erbleicht, sich nicht mehr halten kann:
So sinkt er nieder zu der Christin Füßen,
Auf ewig scheint sein Auge sich zu schließen.

Laut schreit die Christin: Jammer, Leid und Klagen
In ew'gen Thränen nun mein Auge schwimme! —
Der König eilt zu ihr, will selber fragen;
Die Kön'gin auch als sie gehört die Stimme.
Sie seh'n den Sohn, da muß ihr Herz verzagen;
Wie auch der König sonst getobt im Grimme,
Sein Herz sich schien den Kindern zu versteinen,
Muß er doch jetzt in bangen Aengsten weinen.

Die Kön'gin küßte ihres Kindes Mund:
Ach Flore! ist es Jammers nicht genug?
Gieb durch ein Zeichen doch dein Leben kund
Der, die dich unter ihrem Herzen trug!
Von scharfen Leiden ward ihr Busen wund,
Bis er die schönen Augen matt aufschlug,
Und weinend bat um diese einz'ge Gabe,
Daß man ihn bringe zu der Freundin Grabe.

Dahin will ihn die Kön'gin selber führen;
Es schmerzt sie tief des zarten Kindes Leiden.
Er will den kalten Grabesstein berühren,
In rechtem Schmerz sein liebend Herz noch waiden.
Die Steine selbst muß wohl der Anblick rühren,
Wie sehr er trauert um der Freundin Scheiden;
Und weher noch dem armen Kind geschah,
Als er das Grab und seine Bilder sah.

Hier fühlt er recht der glühn'den Sehnsucht Schmachten,
Nach seiner holden süßen Blanscheflur,
Als er die Bilder sah die sich anlachten,
Und eines glich der schönen Creatur,
Das and're ihm, wie sie sich Gaben brachten,
Der Liebe Zeichen von der blüh'nden Flur.
Er steht im Sinnen, liest mit lautem Weinen,
Die gold'nen Wort auf kalten Marmorsteinen:

Hier liegt die schöne Blanscheflur, in Güte
Vor allen Blumen trug sie höchsten Preis,
Für die in Liebe Flore zärtlich glühte,
So hegt' ihr Herz die Minne gleicher Weis'. —
Ach wohl! sprach er, warst du die schönste Blüte,
Du schlanke Lilie himmlisch rein und weiß!
Mehr kann er nicht vor bangen Schmerzen sagen
Muß stumm sein Leid im inn'ren Busen tragen.

Man sieht das Kind hin an dem Grabe knien,
Und als er Wort und Rede wieder fand
Da rief er laut: allein wollt'st du entfliehen?
Vergassest du denn unsrer Minne Band?
Zwei Blumen mußten wir zugleich erblühen,
Wie kommt es denn, daß nur dein Stern hinschwand?
Wie eine Stunde Leben gab uns beiden,
So sollten wir in einer auch verscheiden.

Der Himmel hatte mir an dir gegeben
So wonniglicher süßer Wonne viel,
Du leitetest, ein goldner Stern, mein Leben,
Und glänzend schien vor meiner Bahn das Ziel;
In Himmelsgnaden sah' ich hoch dich schweben,
Dem Herrn der Welten glaub' ich selbst gefiel,
Daß er dich schön geformt zur Lust der Erden,
Liebreizend so Gang, Stellung und Geberden.

Drum war dein Haupt mir eine lichte Sonne,
Es floß dein Haar herab ein goldner Schein:
Dein Auge lacht; Glück, Heil und Herzenswonne
Erblüht sogleich aus diesem Edelstein —
Ach! nicht ein Stein, des Strahlen aus der Sonne,
Darf mir ein Bild von deinen Augen seyn;
Zwei blaue Himmel sind's die so sich schmiegen,
Daß sie im Kelche einer Lilie liegen.

Ja eine Lilie warst du, holde Blume,
Die still ihr Haupt in milden Lüften wiegt,
Wann du dich regtest war's zu deinem Ruhme,
Von deinem Hauch ward jedes Herz besiegt,
Es war ein Wort aus Gottes Heiligthume,
Weh mir! all diese Wonn' im Grabe liegt!
Qual, Pein und Jammer treffen dessen Sinne
Den sonst umstrahlt die Lichter deiner Minne.

Wie drängt sich mir zu meinem Leid und Schmerz
Erinn'rung jeder süßen Stunde ein,
Wie wir getrieben holder Minne Scherz,
Ihn heimlich leise sprechend in Latein;
Oft wagte nicht der Mund so wie das Herz
Zu reden, dann an unser Täfelein
Schrieben wir dreist in wonnesüßen Briefen
Recht alle Worte aus des Herzens Tiefen.

Durch welche That verdient' ich diesen Gram?
Warum nur schlug der Tod mir solche Wunde,
Daß er die weg von meinem Herzen nahm,
Aus deren Augen, wie aus ihrem Munde,
Des ew'gen Lebens Balsam auf mich kam?
Sie brachte stets mir von dem Himmel Kunde;
Der hat mein Herz, so scheint es, nun verstoßen,
Die Himmels-Augen, weh mir! sind geschlossen.

O wehe dir! du unbescheidner Tod!
Du nahmst hinweg das allerschönste Leben.
O wehe mir! zu meiner Herzensnoth
Ward dir an Blanschefluren Macht gegeben,
Warum muß sie sich beugen dem Gebot?
Warum darfst du nach solcher Beute streben?
Da tausend welke Lippen zu dir flehen?
Erloschne Augen sehnend nach dir spähen?

Doch, nein, o Tod! nicht fluch' ich der Gewalt,
Sieh' meine harten Worte mich bereuen,
Ist sie gestorben und ich würde alt?
Und stürbe doch so gern an Herzenstreuen?
Komm Tod zu mir, mir bist du wohlgestalt,
Dein Anblick wird mein krankes Herz erfreuen,
Wie hab' ich erst nur fluchen dir gewollt?
Mein Herz ist dir in rechten Treuen hold.

Stehst du mir bei, wie bald bin ich gesund,
O, Liebster, komm, dies Grab hier ist mein Ziel;
Ja du erneuerst unsrer Liebe Bund,
Und führst mir zu mein holdestes Gespiel,
Die Augen und den allersüß'ten Mund.
Doch warum fleh' ich thöricht dich so viel?
Wenn einer will von Herzen gerne sterben,
Der braucht nicht erst um deine Gunst zu werben.

Hast du an ihr bewiesen deine Macht,
So zwinget, Tod, dich selber nun mein Sinn,
Du hast die Liebste schnöde umgebracht,
Drum bist du selbst mein einziger Gewinn,
Du führst mich sicherlich noch eh' es Nacht
Zu meiner treuen Blanscheflure hin;
Vergeblich ließest du dich sanft beschwören,
Nun zwing' ich dich, nun mußt du mich erhören.

Es schwieg sein Mund, doch gab sein Auge Schein,
Wie er zum Tode trug ein heiß Gelüsten.
Er zog hervor ein goldnes Griffelein,
Und wie das zitternd seine Lippen küßten,
Da brach sein Herz fast in der grimmen Pein,
Bis milde Tropfen ihm sein Leid versüßten,
In Strömen stürzend aus den Augen nieder,
Da fand das Kind auch seine Sprache wieder.

Im Weinen sprach er zu dem lichten Gold:
Nichts blieb mir von der süßesten Freundinne,
Als Herzensleid, und du; du hast gesollt
Ein Zeichen seyn wie treu mir ihre Minne;
Sie sprach dabei: bleib du mir ewig hold,
Es folgen dir mein Herz und meine Sinne,
Mein trauter Freund, und was mir auch geschehe,
Gieb Gott, daß ich nur bald dich wiedersehe!

Dies waren ihre lieben letzten Worte,
Sie gab dich mir, so ende du mein Jammern,
Und öffne mir die schwarze Todespforte,
Ein gold'ner Schlüssel zu den dunkeln Kammern,
Wo sie mein harrt am einsam stillen Orte,
Sie mag mein Weh' in Thränen wohl bejammern!
Sie gab dich mir als Zeichen wie sie liebe,
Drum eine du auf's neue uns're Liebe.

Die Königin sah' all sein Thun und Leiden,
Sie war bei ihm, dem Kinde unbewußt,
Und mußte jede Pein mit ihm erleiden.
Den Griffel riß sie von des Knaben Brust,
Eh' er sich konnte von dem Leben scheiden;
Bekämpfe, rief sie, frevelhafte Lust.
Schwer duldet er von ihr der Liebe Zwang,
Weil nach dem Tod' sein ganzes Herze rang.

Da schaut er an die Mutteraugen mild,
Das linderte in seiner Brust die Glut,
Die sanft ihr Mund mit Liebesworten stillt:
Mein Kind, sprach sie, du bist mein Herz, mein Blut,
Wie handelst du nun wider mich so wild,
Daß du den Tod erwählst zum höchsten Gut,
Und du dir willst um irren Wahn und Glauben,
So frev'le That an meinem Blut erlauben?

Vernimm mein Wort, mein vielgeliebter Sohn,
Schon oftmals wandte böser Sterne Walten
In Nacht und Tod der Minne süßen Lohn
Durch täuschend Blendwerk wilder Truggestalten:
O höre auf der Mutterliebe Ton!
Wie meine Arme an mein Herz dich halten,
Muß ich dein herbes Leid beweinend sagen:
Um Wahn zerstört dich herzzerreißend Klagen.

Dich trügt dein Schmerz, dich lockt ein falsches Wähnen,
Gedenk' an Thisbe und an Pyramus,
Wie die gequält von inn'ger Liebe Sehnen
Im Herzen schmachtend nach der Minne Gruß;
In stiller Nacht, als glänzend Luna's Thränen
Die Blumen schon befeuchtet, schleicht ihr Fuß
Zu Ninus Grab, um Aug' in Aug' zu blicken,
Und Herz an Herz sich liebend fest zu drücken.

Ausstreut die keusche Göttin ihre Lichter,
Der Mondenglanz rührt Ros' und Lilie an,
Die Blumen heben auf die Angesichter,
Um jede spielt ein liebevoller Wahn;
Der Epheu schlingt sich um die Bäume dichter,
Sein leises Flüstern deutet Sehnsucht an:
Baum, Blume seh'n durch Schatten Thisbe kommen,
Mit Duft und Rauschen rufen sie willkommen.

Heimlich verliebt die Mondes-Strahlen spielen
Mit Baum und Gras: es flüstern alle Blüten,
Auf feuchtem Grund schleicht her zu Liebesspielen
Das holde Weib; die Augen, Wangen glühten,
Sie schaut mit Lust, wie Mondes-Schimmer zielen
Nach Rosen, die wie Liebesträume glühten;
Doch wie sie naht und sie zu brechen denkt,
Sieht sie, daß Blut den grünen Rasen tränkt.

Und ach! des Liebsten Herze war der Bronnen,
Aus dem entsprang die purpurrothe Flut,
Er wähnt getödtet seiner Liehe Wonnen,
Wähnt zu erblicken seiner Thisbe Blut;
So war um Wahn der Minne Heil zerronnen,
In Todes-Nacht verlöscht die inn'ge Glut;
So mußte roth das sanfte Grün sich färben,
Thisbe im Schmerz und er im Wahne sterben.

Daran gedenk' und stille deine Thränen,
Du magst mit milderm Schmerz dich nach dem Gruß
Der Liebe, des holdseeligen Kindes sehnen,
Wie ich es auch in jeder Stunde muß: —
So spricht die Mutter: läßt sein Haupt noch lehnen
An ihrer Brust, drückt einen sanften Kuß
Auf seinen Mund, und fragt mit süßem Ton:
Hörst du mein Wort, mein vielgeliebter Sohn?

Er hört die Mutter an, und sanfter weinen
Sieht sie den Sohn; zum Grabe sinkt er nieder,
Er will dem Marmor, scheint es sich vereinen
Im Schmerz bewegt er weder Haupt noch Glieder;
Nur seine Thränen glänzen auf den Steinen,
Dann küßt sein Mund den kalten Marmor wieder;
So stumm beim Grabe läßt das holde Kind
Die Mutter, eilt zum Könige geschwind.

Als sie ihn sieht, kniet sie zu seinen Füßen,
Und schlingt die Arme fest um seine Knie:
Ach! mochtet ihr mich einst in Liebe grüßen,
Wenn mir der Himmel je die Huld verlieh,
So laßt mich, Herr, nicht länger traurend büßen,
Daß nicht der Hauch des Lebens mir entflieh.
So sprach die Königin, von Weh durchdrungen,
Hielt stets ihr Arm des Königs Knie umschlungen.

Er sieht auf sie, und milde wird sein Blick,
Ein Wehmuthslächeln schwebt um seinen Mund,
Vergangenheit ruft ihm sein Herz zurück
Wie er zuerst von ihrer Liebe wund,
Wie ihn belohnt der Minne holdes Glück,
Wie durch ihr Wort sein krankes Herz gesund.
Nun fühlt er neu die herrschenden Gewalten,
Sein Auge kann die Thränen nicht mehr halten.

Er hebt sie auf und spricht mit nassen Wangen:
Mußt du vor mir also im Staube flehen
Wie trug ich dir zu dienen nicht Verlangen,
Nun hat mein Aug' erniedrigt dich gesehen;
An Ehr' und Liebe hab' ich mich vergangen,
Beschämt muß ich vor deinen Blicken stehen.
O! woll' in Liebe mein Vergehn verschonen,
Auf's neu' als Herrin mir im Herzen thronen.

Wie bin ich, Herr, in Glück und Liebe trunken,
So sprach die Frau; neu blüht in eurer Brust,
Was ich schon wähnt' in ew'ge Nacht versunken,
Erhöht mein Glück nun zu des Himmels Lust.
Verzweifelnd ist zum Grabe hingesunken
Mein einig Kind, tief klagend den Verlust
Der treu'sten Liebe, ihm durch Tod entrissen:
Vergönnt dem Sohn sein wahres Leid zu wissen.

Ihr seid mir Herrin, und seid völlig frei,
So sprach der König: thut nach eurem Willen,
Daß ich noch treu dem alten Eide sei,
In Lieb? euch will mein Ritterwort erfüllen,
Das schwör' ich, Holde, heute euch auf's neu! —
So eil' ich erst des Kindes Leid zu stillen
Sprach sie, und dann will ich an Sonnenblicken
Erneuter Liebe meine Brust erquicken.

Sie fand ihr Kind noch stumm am Grabe klagen,
Wangen und Mund vom bittern Leide blaß,
Trostlos will er die Schmerzen nicht mehr sagen,
Die Gräser rings sind von den Thränen naß;
So muß ihr Herz bey seinem Anblick zagen,
Daß sie erschreckend fast den Trost vergaß,
Womit sie heilen wollte seine Wunde,
Aengstlich spricht sie mit lächelnd blassem Munde.

Das kranke Kind hört kaum auf den Bericht,
Giebt sich verloren: in der Herzens-Pein
Hält er der Mutter Rede für Gedicht,
Die ihn zu trösten sinn' auf falschen Schein;
Doch als die Fürstin nun befehlend spricht:
Hinweggenommen sey der Marmorstein;
Und man des Grabmahls Decke aufgehoben,
Daß er nun selbst die Wahrheit kann erproben,

Wer mag mit Worten nur die Freude schmücken,
Die Florens Herze seelig hielt umfangen,
Sie zündet an die Lichter in den Blicken,
Läßt neu erblüh'n die Rosen auf den Wangen;
Er steht am Grab in trunkenem Entzücken,
Mund, Wang' und Aug' in vor'ger Schönheit prangen,
Sein Herz erzittert, Jauchzen, Schreck und Lust
Durchfliegt wie Blitze seine junge Brust.

Und da sein Herz die Worte wiederfand,
Vermaß er sich mit tausend, tausend Eiden:
Ist sie geführt durch zwanzig weite Land,
Ich will so lange jede Ruhe meiden,
Zu fest umschlungen von der Minne Band,
Kann selbst der Tod nicht uns're Liebe scheiden,
Mein hold Gespiel, die Freundin zu befrei'n
Will ich im Kampf mit Meer und Stürmen seyn.

Ein Wunder war der Kinder treues Minnen;
Ein Bach der silbern in dem Fels entsprang
Kann lautrer nicht durch grüne Thäler rinnen,
Als Liebes-Strom durch ihre Herzen drang.
Bereit sind gleich die kindisch jungen Sinnen.
Wann nur ein Ton der holden Minn' erklang,
Ihr dienten sie, ihr lebten sie zum Preise;
Sie führt auch jetzt den Jüngling auf die Reise.

Vom Grab hinweg an seiner Mutter Hand
Ging er, und blieb vor seinem Vater stehen:
Wenn Gnad' ich je vor euren Augen fand
So sprach er: laßt, o Herr, mich eilig gehen,
Und nennet mir durch eure Huld das Land
Wo ich die Freundin möge wiedersehen;
Daß ich zu ihr kann meinen Schritt beflügeln,
Denn nicht läßt sich mein sehnend Herz mehr zügeln.

Der König sah in seinem Sohn die Glut,
Die auf den Wangen, in den Augen brannte.
Zur Frau sprach er, gebeugt im trüben Muth:
Weh' mir, daß ich euch weise je erkannte!
Sie zu verkaufen, spracht ihr, wäre gut;
Nun weiß ich nicht, wohin das Schiff sich wandte. —
Wohl, sagt die Königin, gab ich den Rath,
Der euch bewahrte von der schlimmern That.

Fluch, rief der König, der unseel'gen Stunde,
Als jener Pilger nach Hispania kam;
Als ich zu meines eignen Herzens Wunde
Das schwangre Weib mit als Gefang'ne nahm!
Da war ich selber wider mich im Bunde,
Und beugte dem Geschick mich knechtisch zahm.
Die Götter ehrend wollt' ich Ruhm erjagen,
Das zeugte mir die herzzerstör'nden Plagen.

Versucht ward von dem König mit gelinden
Worten, zu beugen seines Knaben Willen.
Viel sprach er ihm von furchtbar grausen Winden
Die keines fleh'nden Kindes Klagen stillen.
Mit Liebe sucht er schlau ihn zu umwinden,
Mit Thränen die aus Mutteraugen quillen,
Von Gram erzeugt, wie sie stets seufzen werde:
Nun kämpft mein Sohn mit Himmel, Meer und Erde.

Dann sprach er noch: viel Schönen ohne Zahl,
Im Mayenglanz der ersten Jugend prangen,
Und jede Blume neigt sich deiner Wahl,
Jedwede wird mit Freuden dich empfangen;
Ein freier Herr sei über Berg und Thal.
Dich locken schön're Lippen, schön're Wangen,
Und edles Blut das dich noch selbst mag adeln,
Daß dein Gemahl kein schnöder Blick darf tadeln.

Doch Flore sprach: nur eine will ich lieben
Der auch mein Herz mein ganzes Leben bleibe,
Zu Blanscheflur sehnsüchtig hin getrieben,
Erring' ich diese einzig mir zum Weibe;
Ihr Blick ist ewig in mein Herz geschrieben,
Darum vergönnt, daß ich nicht länger bleibe.
Mein Herz belebt ein ahndungsvolles Hoffen,
Mein hold Gespiel wird balde angetroffen.

Der König sah', der Schluß war nicht zu wenden;
So sprach er: wohl, zieh' hin aus meinen Reichen
Ich will auf ungewisse Fahrt dich senden,
Doch sollst du nicht dem schnöden Bettler gleichen.
Ein kostbar Gut will ich auf dich verwenden,
Von meiner Huld erwarte jedes Zeichen,
Gewänder, Silber, Steine, rothes Gold;
Und Flore neigt dem Vater, der ihm hold.


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