Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores
Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein
Vierte Abteilung.
Buße.
Sechzehntes Kapitel
Schluß der Geschichte
Der Ring
Ein Gedankenspiel
Gartenplatz vor einem Landhause. Morgen
1.
MUTTER: Hab Dank für deinen guten Morgengruß
Geliebte Sonne in den schwülen Lüften,
Von dir allein kommt mir noch Liebesgruß,
Von dir allein mag ich ihn gern verstehen;
Dich klares Licht, versteht die ganze Welt,
Die rätselhafte Welt, die trübe, dunkle,
Es ahndet schon der Schlaf dein froh Erhellen,
Und atmet deine ersten Strahlen ein,
Und säumet sein Gewand mit hellen Träumen,
Und zieht dann schnell die dunkle Hand hinweg,
Die er noch über die Geschenke breitet
Der neuen Welt, die aus dem Osten strahlet!
Zum heitern Morgen dringt ein schnell Erwachen.
Sie beschaut die Blumenbeete umher.
Die Blumen stehen frisch, die Luft ist schwül,
Der Luft verzeih ichs, daß sie sich so drängt,
Den neuen Segen taumelnd zu empfangen
Und zittert doch davor in süßer Lust,
Das ist das Fürchterlichste, was wir lieben.
Ach warum lieben wir, was furchtbar ist!
Sie setzt sich auf eine Bank und lehnt das Haupt auf die Hand.
So bin ich, kaum erwacht, schon wieder müde!
Wo endet Schlaf? Wann gehet auf das Sehen?
Wie wird es Tag? Wann löschen aus die Sterne?
Was grünt zuerst, wo steigt der erste Klang?
Unendlich tief ist Schlaf, unendlich weit der Morgen!
Ich schlaf im Wachen und ich wach im Schlafe,
So ist das Gestern auch zum Heut geworden,
Dem Auge fern, dem Geiste gegenwärtig;
Hier saß ich gestern Abend, schrieb im Sande
Und fuhr erschrocken auf, was ich geschrieben,
Das, weiß ich, hatt ich nimmermehr gewollt.
Was da mein Stäbchen spielend hingezeichnet,
Der Morgenwind hats sorglich ausgewehet,
Weils unvereinbar ist mit meiner Ruhe.
Sie sieht zum Himmel.
Die graue Wolke steigt im Sonnenschein
So hellbesegelt wie ein Schiff im Blau,
Der trübe Dunst wird Licht im Sonnen Auge:
Der Sonne Malerblick weiß alles zu verschmelzen,
Aus Meer und Wolken zieht sie helle Strahlen,
In träger Nacht die Geisterwelt zu malen;
Ganz unbemerkt entfaltet sich das Schöne,
Unendlich ward ein Frühling allen Sinnen.
Die Tage sind jetzt liebliche Geschwister,
Die Jüngern stets dem Mutterherzen lieber;
Sie sprechen nach, was jene ältern fragen,
Sie haben noch was süßeres zu sagen,
Ein schöner Morgen ist des Frühlings Frühling,
Es wacht da alles auf, was je gelebt,
Und wärs im tiefsten Herzen fest verschlossen.
Sie geht unruhig umher.
O Sonne, Mutter zahllos lieber Kinder,
Warum bin Mutter ich und ohne Kind?
O Sonne, einen Augenblick zum Beten!
Du willst es nicht, die Augen gehn mir über.
Sie hat in Gedanken Blumen gebrochen, und sie ins Gesicht gedrückt.
Wie verlieren sich die Blätter
Wunderbar in Flammenlicht,
Drinnen haucht ein kühlend Wetter,
Drück ich sie ins Angesicht;
Alle die Blumen sind ohne Harm
Nur die rote Rose nicht,
Sie sticht!
Sticht, wie die liebe Sonne so warm,
Mai ist ohne die Rose nur arm,
Mai ist ohne die Rose nur Qual –
Ihr stillen Gründe, du einsam Tal.
Sie vertieft sich allmählich abgehend mit dem Gesange in dem Garten.
2.
Vater und Kind, beide in Kriegskleidern, das Kind sieht sich um und läßt den Vater oft allein, daß er vor sich sprechen kann, ohne von ihm gehört zu werden.
VATER: So ist des Unglücks und der Klugheit Fluch,
Daß sie uns unterwerfen leerer Furcht!
Wie schaudernd hemmt der Boden meine Eile,
Ein Schritt, ein Druck der Hand, ein Wort, wie leicht,
Wie schwer, wenn unser Schicksal daran hänget;
Der Überraschung Wunder sind die größten.
KIND: Es wird so schwül, wir gehen doch nicht weiter?
VATER: Nein, lieber Sohn! – Wir sind schon allzuweit –
Vielleicht zu weit, um leicht zurück zu kehren.
Zum Ufer wallt, vom Ufer sinkt die Woge,
Was zog mich her, was weist mich nun zurück?
Mich stößt zurück, was lange mich gezogen.
O Sie war schön, ich find für sie kein Bild.
Nach Ihr möcht ich die ganze Welt mir bilden,
Die ohne Sie ein wüstes Chaos blieb.
Ich soll Sie wiedersehn, wie meine Jugend!
Wie rätselhaft, was unsre Jugend füllt
Und wie so deutlich, was das Alter schwächt,
Es will vergüten, was die Jugend fehlte.
Ach Jugend macht die Jugend einzig gut!
O meine Jugend, wie bist du entschwunden
In steter Arbeit, wie ein trüber Nebel,
Der unter sich das frohe Grün ertötet,
Er will es nicht, doch so ist seine Liebe.
Nach einer Pause.
Es ist zu viel! Die tiefe Not ich trug,
Und schwindle, da mich trägt ein neues Glück,
Ein bessrer Lebensmut und reiner Wille!
Ich steh im Vaterland, vor meiner Schwelle,
Hier eingewiegt, als Knabe eingespielet,
Mit Todesmut als Jüngling eingeschworen,
Mit Liebesglut auf ewig eingebrannt,
Wo Liebe noch mich eingewurzelt hält,
Der ersten Liebe gleich durchwachsne Rosen,
Dies ewge Band aus Lust und Schmerz gewoben,
Wie wird mir hier so wohl und auch so weh.
Ha, wo das Herz der Liebe Haus erbaut,
Da haust es ewig, läßt sich nimmer bannen;
Hier lebte ich und war ich fern und ferner,
Hier wachte ich, an dieser heilgen Schwelle,
Wie Traum bewacht der heilgen Unschuld Schlaf,
Und träumend kehr ich heim zu Jugendfreuden.
Sags frei heraus mein Mund, was lang gedacht,
Sich doch in des Gehirnes Falten decket,
Was meine Jugend füllt war unerschöpflich,
Doch nun ich alt, da seh ich bald den Grund
Und halt zusammen, was ich sonst verschwendet.
Gesteh dir alles ein, mein fester Sinn:
Dort stehet noch das alte Storchennest
Hoch übern Schornstein künstlich frei erhöht,
Das unserm Hause ehlich Glück sollt bringen,
Jetzt bringt es mir so manche Nachgedanken.
Es ist dasselbe Nest, ists auch der Storch?
Ist nicht der alte Storch noch müd und ferne,
Ein Jüngerer hat ihm das Nest geraubet?
Was hülfs dem Storch, wenn er das Nest nun findet
Und findet es erwärmt von andrer Lust,
Und fänd ers kalt und könnt es nicht erwärmen?
O welche Glut ist noch in meinem Mute,
Und doch, ich fühl mich kalt, indem ich glühe,
Denn zu viel Möglichkeiten sind in mir.
KIND: Du sprichst vor dir und schauest dich nicht um,
Es ist mir hier, als wär ich hier zu Hause;
Hier find ich Milch und Frucht, darf ich wohl essen?
Vater Genieß mit Freuden, Milch und Frucht sind dein,
Und wunderlich erschöpft ein nächtlich Wandern. –
Wo hat mich Frucht von müheschweren Jahren,
Wo hat die Milch der Hoffnung mich erquickt,
Wo hat die Freude mich zum Tanz beflügelt,
Was ist Gesundheit eines öden Sinnes?
Nur in dem Kind allein, wie es sich nährt,
Bewußtlos in die Welt so herzhaft fühlt,
Da hol ich nach, was ich versäumte trotzend
Ich seh ihm gerne zu, wie er sich macht,
Und wie er reift, sich selber zu erkennen;
Ich hatte viel in diesem edlen Kinde,
Ein lebend Bild von der verlaßnen Frau,
Ich bin ihr nah, es will mir ganz genügen;
Mich fühlen ganz und froh, ich kanns nicht fassen.
Mir ists, als wär ich für mein Glück zu schwach,
Was hilft ein volles Mahl im Hungertode,
Der Eltern Segen Liebesterbenden.
KIND Du klagst ja Vater, kann ich dir nicht helfen?
VATER: Ich klage nicht, ich freue mich nur anders;
Wer sich nicht arm stellt, kriegt vom Glücke nichts,
Ganz heimlich sammle ich den Schatz der Not.
Doch helfen kannst du mir. Bist du noch müde?
KIND: Ich bin bereit, ich springe ja schon weiter.
VATER: Wo willst du hin? Hast du es schon vernommen.
KIND: Ich dacht, wir müßten eilend weiter ziehen.
VATER: Noch nicht; was willst du denn schon fort von hier,
Wie, sollte das mir gar ein Zeichen sein?
Hör zu, du sollst mir etwas Wertes holen:
Du siehst den Duft belegten Wiesenplan,
Die Sonne atmet in die Welt so warm,
Das helle Meer läuft zitternd himmelan,
Und scheinet mit dem Himmel schon zu leben.
Und ferne heben sich die Wolkenfelsen,
Als wollten sie sogleich darauf gewittern;
Bist du nicht bang allein dahin zu gehen?
KIND: In freier Luft hab ich mich nie gefürchtet.
VATER: Kömmst du hinaus nun über jene Wiesen,
So geh zum vögelklingenden Gehölze,
Dann findest du dich bald am weißen Felsen,
Der jähe wie vom Meer zurückgeschreckt,
Halb zweifelnd ob er sich hinein soll stürzen,
Das Ende einer Welt bezeichnen mag;
Zerstörung nagt darin in Wind und Wettern.
KIND: Du warst wohl lange hier, daß du den Ort
Mir also deutlich stellest vor die Augen,
Als hätt ich ihn in alter Zeit gesehen.
VATER: Wohl war ich hier! jetzt höre mit Bedacht
Auf diesem Abhang steht ein Mirtenstrauch;
Erst war er klein, nun ist er sicher groß,
Den reiße aus mit allen seinen Wurzeln,
Denn unten liegt ein Schatz, den bringe mir.
KIND: Kaum halt ich mich! Ich hob schon manchen Schatz,
Der in der Erde neidisch war versteckt.
VATER: Viel alte Scherben, die du heilig ehrtest.
KIND: Du weißt es nicht, wie ich sie angesehen.
VATER: So halte heilig, was du dort gefunden;
Du Leichtsinn weißt doch noch den Ort zu finden?
KIND: Wohl weiß ich Wiese, Busch, den Fels, die Mitte.
VATER: Du kannst nicht fehlen, ferne wirst du hören
Ein schwärmerisch entsetzlich Klagen von den Vögeln,
Die schwarzen baden sich im Meer, um weiß zu werden,
Die weißen baden sich darin, um sich zu schwärzen,
Vergebens, schwarz wird schwärzer, weiß wird weißer,
Die höre ja nicht an, sieh auch nicht nieder.
Der Boden wölbt sich, daß du überm Meere
Ganz ohne Rettung hoch zu schweben scheinest,
Und von dem Luftstrom eingezogen wirst,
Da siehe ja nicht hin, verricht dein Wesen,
Denn mit geheimer Sehnsucht füllet sich das Herz
Der Jugend nach des Meeres blauen Hügeln,
Und jede Welle glänzt im Waffenschmuck besonnet
Den jungen Führer huldgend zu begrüßen.
KIND: O Vater, wo du bist, da ist mein Hoffen.
VATER: Recht gut mein Kind, doch hör mich jetzt auch aus.
KIND: Ich weiß schon alles, alles bring ich dir. ab.
VATER: Fort ist er. Wie er leicht den Boden rührt,
Es ist, als wär er nicht von dieser Welt,
Und noch so kindisch ist sein ganzes Wesen,
Doch immer wie in einem andern Sinn.
Der Blumenstrauß von seiner Hand gebrochen,
Er ordnet sich geheimnisvoll in Farben,
Recht wie ein Regenbogen andrer Art,
Darob die Leute staunend sich erfreuen
Und wissen nicht, was sie so tief entzückt.
Ich will es nicht und muß ihn oftmals kränken,
Er sagt es nicht und darum muß er leiden;
Mich treibts zu oft, das Schmerzliche zu fühlen,
Das Bittere zu sagen, weil das Stumme,
Das Stumpfe mich viel bittrer quälen kann;
So fühl ich mich ganz hingerissen jetzt,
Ganz lebhaft jener Vögel Ton zu denken,
Viel widriger als irgend Scharren, Reißen;
Es ist der Mißlaut, der zum Leben worden,
Verruchte Wollust, Lachen nicht, kein Klagen,
Jetzt mußt du weichen, du verruchter Mißlaut.
Er geht unruhig auf und nieder.
Wie alle Lebensalter in mir schwanken,
Und keines kann sich meiner ganz bemeistern,
Ein Kindskopf bin ich oft mit weißen Haaren.
Als ich mein Schwert am Hochzeittag begraben,
Dort unterm Mirtenbaum beim Vogelschreien,
Da freute meine Jugend dieses Schrecken,
Denn das vollendete zum Mann mein Wesen.
Was mich zur sicheren Gestalt umflossen,
Der Lebensquell, den rings die Welt ergossen,
Hat mich umsteinet, daß ich so viel Fremdes
Bewußtlos wie mein Eignes brauchen muß,
Es ist der harte Stein, der mich umschlossen,
Wenn ich bewußtlos einem wehe tue,
Denn wo ichs weiß, da mag ichs gern vergüten.
Hier muß ich viel vergüten und entschuldgen.
Und wenig kann ich Ihr zum Troste sagen,
Wird sie dies Wenige auch wohl beachten?
Sie wird's. Sie wird entschuldgen mich und deuten,
In ihrer Sehnsucht werd ich schuldlos sein;
O wie sie mich geliebt, so liebt doch keine.
Wer kommt da? Pochst du nicht mein ahndend Herz,
Du fühlst wohl nicht genug, bist du so tot!
Was hast du dich denn taglang so gestellet,
Als wenn nichts schönres dir begegnen könne.
Sinds dreizehn Jahre, daß ich sie nicht sah?
Mir ist wie gestern! Langsam gehn die Stunden,
Wenn unser Leben fiebernd stille steht,
Und doch vergeßlich wie der Glocken Töne,
Wenn Lust sie nicht zu Melodien band:
Ein Augenblick umschloß die Ewigkeit,
Und dreizehn Jahre werden Augenblicke!
Wer sieht der Flur wohl an vergangne Jahre,
Wenn sie den Frühling noch am Busen trägt,
Entgegen, entgegen mit offener Brust,
Mit klopfendem Herzen der nahenden Lust.
Hält inne.
Nein, so bezwingen soll mich selbst die Freude nicht,
Erst hör ich was sie mit sich selber spricht.
3.
MUTTER: kommt langsam ohne den Vater zu merken:
Woher der wunderbare Knabe war?
Er grüßte mich und eilte dann vorbei.
Ach Mutterherz, ach wär doch so dein Sohn!
Und ich war so betäubt vom Angedenken,
Daß ich mit keinem Wort ihn hergeladen.
Was trieb mich heute auch zum Mirtenstrauche;
Da war es geistig und erinnernd voll
Von schmerzlich wandernden Gedankenreihen,
Als zög vor mir ein Trauerchor vorüber.
Da war es wo ich mit dem Manne stand,
Wo er in töricht leerer Eifersucht,
Daß ich vor ihm, eh ich ihn jemals kannte,
Schon einen Jüngling herzlich angeblicket,
Sein Schwert ergriff, und mir den Arm verletzte,
Den ich zum Schutze ängstlich vorgehalten,
Wohl seh ich noch die fast verwachsne Narbe.
Als da mein Blut fiel rot auf weißen Stein,
Ergriff ich einen Mirtenstrauch zur Stütze
Und flehete vom Himmel, mein vergessend,
Ein Kind so rot wie Blut, so weiß wie Schnee,
Daß meines Mannes Liebe wieder mein! –
Mir ward Gewährung, doch die Eifersucht
Des harten Mannes raubte es sogleich,
Es ist gestorben, lieget dort begraben;
Ob er es umgebracht, ich glaubs gewiß
Aus mancher Rede zweifelhaftem Sinne,
Auch mit dem Kind wollt er die Lieb nicht teilen:
Ach auch die Liebe wird im Schlechten schlecht,
Und mit Entsetzen schied ich mich vom Manne,
Verzweifelnd ging er in die Welt hinein.
Sie geht zu ihrem Tische.
Ein Wandrer hat das Frühstück mir verzehrt,
Er ahndete, daß mir heut weh ums Herz.
Da steht ein Fremdling, ists der wohl gewesen,
Es ist nicht recht, doch litt er sicher Not.
Hör Wanderer, du scheinest zu erwarten,
Daß ohne Bitten ich dir geben soll,
Weil du schon nahmst, auch ohne anzufragen?
VATER: vor sich:
Sie kennt mich nicht, ihr himmlischen Naturen,
So hat auch Gott die eigne Welt vergessen,
Und dieser Gruß war sicher nicht der rechte:
Dem Elend steht das Unglückshaus sonst offen,
Ha ich will zeigen, daß ich Herr im Hause.
laut. Ja wohl wir sind nur Wanderer auf Erden.
MUTTER: Wie, sprächest Du im Augenblick mit mir?
Wie muß ich doch dabei so weithin denken.
Du kommst zur guten Stunde; willst du bitten,
So bitte, was dir gründlich könnte helfen;
Bedarfst du eines Kleides, bitte frei,
Ein gutes Mahl ist obenein bereit.
VATER: Ich bitte viel, ich bitte dich zurück;
Die Stimme kanntest du, verkenn mich nicht.
MUTTER: Wie ist mir, nehmt ihr Büsche hier Gestalt,
Ist dies ein Seegesicht aus leerem Dunst?
O Gott! kann ich die Stunde überleben,
Bist du der Geist des zornig wilden Mannes.
VATER: Begegne auch dem Geiste liebevoll.
MUTTER: O Nein, du bist es nicht, dein Zorn schlägt Falten
In deiner Stirn, du dürftest ja nicht zürnen.
VATER: Die Falten, die der Zorn sonst stürmte
Vorübereilend auf der glatten Stirn,
Die pflügte später ein des Irrtums Gram,
Daß Weisheit legt darin den reichen Samen.
MUTTER: O Weisheit sprich, wer soll dich denn nun ernten,
Da du so viele Jahr zum Säen brauchst.
VATER: So nimm mich hin du reiche Erntegöttin,
Und heb die Garbe auf zur vollen Brust.
MUTTER: Du rührest mich, wie bist du alt geworden,
Und suchest nun, was du so lang verschmähet.
VATER: Nun bring ich dir die Liebe ungeteilt,
Die einst so reich auch mehreren genügte,
O fänd ich deine Lieb auch ungeteilt.
MUTTER: Du sprachst von Weisheit erst und nun von Liebe.
VATER: Ich glaub an beide, möchte sie vereinen,
So wird mir die vergeßne Freude wieder.
Mutter Nicht unsrer frohen Tage kann ich denken.
Vater Ach ohne sie wär mein Gedächtnis Nacht.
Mutter Und doch bist du im Überdruß geschieden,
Kein lebend Band ist zwischen uns geblieben.
VATER: Vielleicht war dies des Himmels klügster Segen,
Der uns das Kind in der Geburt entriß.
Denn damals waren wir noch unvereinbar,
Und Feuer würd in ihm mit Wasser zischen
Und was das Schlimmre sei, das würd sich zeigen.
MUTTER: Laß uns, wie du's gewollt, geschieden bleiben.
VATER: Ich kann nicht, was ich will, ich will nur was
Ich kann – wir sind gesetzlich nie geschieden.
MUTTER: Bereitet bin ich nicht so ernst zu reden,
In weicher Lässigkeit lebt' ich die Zeit,
Mein Anwalt wird dir leichtre Auskunft geben,
Ich sage dir, ich laß mir nicht gebieten,
Wie ich es einst als kindsches Mädchen litt.
VATER: Sei unbesorgt, ich lernte mich nun beugen,
Und beugen oder brechen muß das Herz.
MUTTER: Ich sage dir, ich hab mich sehr verändert,
Mein ganzes Innre hat sich selbst befestigt,
Seit ich mich keinem Menschen hingegeben.
VATER: Ich bin so sanft, daß ich dich fast bewundre.
MUTTER: Doch ist der Trotz dir ins Gesicht geschrieben
Mit deiner Augen ungelöschtem Feuer;
Wer Schiffbruch litt, der trauet nicht dem Meere.
VATER: Der Kluge fährt am liebsten mit dem Strome.
MUTTER: Wie lebtest du, sei dies für mich ein Zeichen.
VATER: Ein traurig Zeichen, denn ich lebte traurig.
MUTTER: Dich zu verstehn, von dir verstanden werden
Es wär mir wert, du würdest dann mich ehren.
VATER: Es ist zu hart, daß du dir Ehre forderst,
Du hättest sonst den Stolz wohl nicht gehabt,
Ich hätte dir den Stolz sonst nicht verziehen,
Und du erhöhst den Preis des Buchs Sybille,
Ich welchem meine Liebe eingetragen,
Nachdem du immer mehr davon verbrannt.
MUTTER: Nach alter Art wirst du unheimlich Freund.
VATER: Erst mache heimisch mich in diesen Wänden,
Ich sehe dieses Haus so wohl erhalten,
Kein Stein ist unersetzt vom Dach gefallen,
Das ist doch sonst der Frauen Sache nicht.
MUTTER: Wie schweifet deine Rede also fern.
VATER: Weil mich die Nähe läßt so unbequem;
Ist hier ein Hausfreund, dem ich Gruß muß bringen,
Der meine Stelle hat bisher verwaltet?
MUTTER: Ich wünschte, jede Sorg wär so zu lösen;
Du hast von aller Lieb mich abgeschreckt,
Auch litt dies nicht die Unabhängigkeit,
Du warst der Einzige, dem ich einst traute.
VATER: Vertraue noch, laß uns das Glück versuchen,
Ob es in diesem Haus sich wieder finde.
MUTTER: Vertrauen läßt sich tauschen, nicht versuchen.
VATER: So tausch erst aus den Argwohn mit der Hoffnung.
Laß uns wie Fremde erst hier wieder hausen,
Die nur Geselligkeit zusammenknüpft.
MUTTER: Die je sich nah, die werden sich nicht fremd.
VATER: O erstes Wort, das schön wie deine Lippen;
Bald wird es heiter um uns sein,
Wo deine Augen hellend hingewendet.
MUTTER: Mein lieber Freund, versprich dir nicht zu viel.
VATER: Dem Schönsten sammelt sich das Schöne gern,
Vor deinem Tempel sinkt der Unruh Fluch,
Die mich wie Furien umhergetrieben,
Und diese Bäume scheinen mir die Schlangen,
Die sich schon schlummernd an die Tür gelegt.
MUTTER: Du fabelst ja wie in der alten Zeit.
VATER: Die Tauben schweben girrend noch zum Giebel,
Dann auf die Linde, die uns auch gewiegt,
Das Meer rauscht noch mit seinem blauen Wasser;
Doch eine nur ist aus dem Meer gestiegen,
Ihr hab ich in der Luft ein Schloß gebaut,
Und find sie nun im eignen Hause wieder;
O dieser schönen Menschlichkeit in Göttern.
Du lächelst meiner künstlich feinen Rede,
Ach wie so modisch neu ist mir die Freude!
MUTTER: Du hast kein freundliches Geschick erfahren,
Doch ist dein Ruhm so groß, dein Einfluß würdig,
Daß viele Frauen mir den Glanz beneiden,
Den mir dein Name aller Orten leiht;
Doch seh ich dich, ich kann es nicht begreifen,
Wie du Millionen Menschen führen magst.
VATER: Ich wirkte auswärts, um mir zu entfliehen,
Regieren war das Schwerste nicht im Leben,
Die eigene Befriedgung fehlte mir:
Ach wem das Beste fehlt, dem fehlts an Allem.
MUTTER: Du sprichst wohl herzlich – doch du bist ein Staatsmann.
VATER: Ein guter Staatsmann sei das Herz vom Staate,
Das gleich verteilt das Leben allen Gliedern,
Und selber in der sichern Mitte thronet.
MUTTER: So warst du in Geschäften gut zu Hause,
Was willst du nun in dieser stillen Hütte.
VATER: Nein ich war nirgends, nirgends mehr zu Hause,
Selbst der Geschäfte Reiz schwand meinem Sehnen,
Das Neue konnte mir nur reizend scheinen,
Die goldene Alltäglichkeit war nichts;
An mich wollt sich Gewohnheit nicht gewöhnen,
Was mir gewöhnlich ward, schien mir zuwider.
MUTTER: Bald würde dich bei mir dasselbe quälen,
Der Überdruß, wie einst in ferner Zeit.
VATER: Warum ist mir denn jenes blaue Zimmer,
In dem wir schliefen stets noch in Gedanken,
Das wir mit manchem Spielzeug angeordnet,
Mit mancher Inschrift, manchem kleinen Bild,
Das rätselhaft den Fremden, uns verständlich,
So daß wir stets geheime Sprache führten;
Oft wähnte ich im fernen Land erwachend,
Vom Traum getäuscht, ich läg in deinem Zimmer,
Ich läg an deiner Seite holde Frau.
MUTTER: O sieh an dieser Glut in meinen Wangen,
Ob ich die gute Zeit nicht ganz gefühlt.
VATER: Was ich seitdem bewohnt, sind wilde Höhlen,
So ganz verhaßt durch einsam wache Nächte,
Ich mochte sie nicht schmücken und nicht ordnen.
Daß ich nicht außen fänd, was in mir fehlte;
Erinnerung lag fern und unerreichlich
Und Reue folgte mir, daß ich's verscherzt,
Was meines wahren Lebens Ernst und Sinn;
Für wen ich sorgte, wußt ich nicht zu sagen,
Und was ich tat, das war voraus mir Sorge.
Ich hatte Furcht und sollte Zutraun wecken,
Verantwortung ruht schwer auf dem Gesandten,
Doch schwerer auf dem waltenden Minister,
Vertrauen darf ihn nimmer unterstützen,
Er muß es brauchen, aber nimmer teilen.
MUTTER: Er muß es brauchen, aber nimmer teilen,
Und die Gewohnheit sollte dir nicht bleiben?
VATER: O lehr mich nicht, noch an mir selber zweifeln;
Ich mußte vieles tun, was ich nicht glaubte.
Ja kommt man heim mit Orden, goldnen Dosen,
Da scheint es leicht das schelmische Geschäft,
Im ruhigen Land ein innrer Feind zu sein.
Als Schlange muß Geliebte ich belauschen
Der Liebe Schein auch zwischen drängend nehmen;
Der Freundschaft hingegebne Worte nutzen,
Was ich für mich, beim Himmel, nie getan.
Gesellschaft, die ich haßte, mußt ich wählen,
Und die gemütlich mir, kaum heimlich sehen,
Ein Kartenspiel aus bloßer Ehre suchen,
Die Nacht vergähnen, Morgen zu verlieren,
Und reden, wo ich lieber schweigen mochte.
So wurden beßre Menschen selbst zu Schatten,
Die der Erscheinung regelrechte Stunden halten,
Sonst ließ sich nichts von ihnen weiter fordern,
Und bin ich nicht im Innern ausgestorben,
So wars die Lieb zu Dir, die mich erhielt.
MUTTER: O leugne nicht, da ichs dir leicht verzeihe,
Ich kenne dich und deiner Treue Sinn.
VATER: Du weißt es, liebes Weib, dir log ich nie,
Bedürfnis, Lust, die habe ich befriedigt,
Doch dir blieb stets getreu mein liebend Herz;
Es schweigt das Herz in jenen höhern Kreisen,
Und bleibt sich selber einzige Gesellschaft;
Der Staat allein schließt da des Umgangs Band,
Für ihn ertrug ich selbst Beleidigung,
Damit nicht Streit zur Unzeit ihn verflechte,
Und dieser Staat, oft konnt er mich nicht schützen,
Und was das Liebste mußte ich ihm opfern.
MUTTER: O Gott wie elend müssen sein die Völker,
Daß solche Schande nur ihr Leben fristet.
VATER: Verwirf nicht rasch, was du so wenig kennst,
Denn du verwirfst auch mich, noch wirk ich drin
Wenn gleich mit traurig plagenden Gedanken.
Was gibt dir Sicherheit und Wohlstand hier
Da rings Verheerung, Mord und Brand bei andern Völkern.
Aufopfrung ist was wert! Würd mir wie Menschen,
Wie andern Menschen wohl, nur einmal wohl,
Ich hätte nicht die Kraft mich los zu reißen,
Ich bliebe ruhig, ließ der Welt den Lauf;
Auch meine Unruh muß dem Staate dienen.
MUTTER: Hat nicht die Welt den Lauf nach Gottes Willen,
Ich kanns nicht sagen, was ich innen fühle,
Und weiß doch auch gewiß, ich habe recht;
Nicht Menschenklugheit gibt der Welt den Frieden,
Ihr müßt begeistert sein, es kommt von oben,
Von außen kommt doch nur Vergänglichkeit.
VATER: Ha Du gehörest auch zu jener mystschen Welt,
Die ich in Musenalmanachen merkte.
Mein Kind, was Völker bildet und beherrscht,
Ist nicht was unbestimmt der Mund kaum lallet.
Und wärs das Herrlichste, es ist nicht unser,
Es spricht zur Zukunft erst und bildet sie;
Die gegenwärtge Not will gegenwärtge Kraft,
Die ganz gemeine, die in jedem wohnet,
Sie zu ergreifen ist des Herrschers Geist,
Und sie zu lenken, dient des Staatsmanns Klugheit.
Ist Menschenklugheit denn nicht Gottes Gabe?
Wie sind Sie doch so altklug hier geworden?
Weil sie allein, drum widersprach auch niemand;
Wo blieb das Schweigen, hört ich doch so gern
Die lieben Worte: Ich versteh es nicht.
MUTTER: Und wie so kalt, wie steinern werden Sie!
Wie hatt' ich sonst von Ihrem Geiste Meinung,
Und sprach schon nach, was ich noch kaum vernommen,
Und jetzt verstehen Sie mich gar kein Wort.
VATER: Ach die sich lieben, müssen sich verstehen,
Ist dieses nicht mein Arm, die Stimme mein,
Ich bin derselbe, aber Sie sind anders.
Bei Gott, ich übte doch die höchste Sanftmut,
Was half es mir, ich fand nur Widerspruch,
Kann Mund zum Mund sich finden, wo die Worte,
Wie Pfeile sich in dunkler Nacht durchkreuzen:
Nicht lieben, streiten läßt sich nur darin.
MUTTER: So wollen wir mit Vorsicht weiter reden
Und klug vermeiden, wo uns Meinung scheidet.
VATER: Soll Mann und Frau nicht eine Seele sein,
Die schlimmste Scheidung ist die Scheidung der Gedanken;
Im Staatsamt bin ich klug, da brauch ich Vorsicht,
Hier such ich offne Arme, offnen Sinn.
MUTTER: Jetzt suchen sie, was sie verschmähet haben.
VATER: Laß dir erklären, wie es damals kam,
Daß ich so leicht von Dir mich trennen konnte:
Ha deine Liebe trieb mich aus zur Tat,
Wie köstliche Musik zu einem Tanze,
Worin Musik und Takt dem Ohr verschwindet;
Ich hab gewirkt mit allen meinen Kräften,
Doch Sie sie haben sich in der Musik
Vertieft, die stets aus ihnen strömt mit Lust,
Sie waren, ach zu lang, mit sich allein,
Vernehmen auch kein Wort, was ich hier sage,
Sie sind in eines schweren Zaubers Bann,
Der Eigensinn hat sie so fest umschlungen,
Sie sind die Meine nicht, sie sind nun seine Frau.
MUTTER: Es ist vorbei, ja ganz vorbei auf immer,
Es war doch alles nichts, ich merkt' es gleich.
Ich bin aus Ihrer Sklaverei, ich lieb sie nicht,
Aus meinen Augen fort, sie tun mir weh:
Es ist der letzte Kummer, den ich leide.
VATER: Ja wohl vorbei, ja ganz vorbei auf immer.
Ich war getäuscht von dieser lieben Hülle,
Bewahrte lang die falsche Münze auf.
Nun ich sie brauchen will, da seh ich erst
Der goldne Überzug zerrieb sich schon,
Ich sehe klar, daß ich damit betrogen,
Und den geliebten Schatz muß ich verwerfen.
Soll ich vernichten, was mich so getäuschet?
Und werf ich ihn mit rascher Hand ins Meer,
Ich könnte später an der Falschheit zweifeln;
Nein ich bewahr Sie, mich zu überzeugen,
Wie hoch mein Glauben überm Leben stand.
MUTTER: Wie stimmen Ihre Reden schlecht zusammen,
Ei wie geziemt sich das bei Ihrer Klugheit,
Die mir vorher so ganz ergeben sprach.
VATER: Das war mein Spott, ich wollte Sie versuchen,
In unserm Alter ist die Liebe Spott.
MUTTER: Das wollte ich; so überwiesen ganz,
So ganz beschämt sollt einst ein Staatsmann,
Vor mir, vor einem Weib in Torheit stehen;
Sie glaubten einen Augenblick mich zärtlich,
Ihr Angedenken ist in mir verflucht.
Getäuscht zu sein ist ihre höchste Strafe,
So hören sie mich jetzt, sie sind getäuscht. –
Ihr holden Blumen, ach verzeiht den Zorn,
Ich fühl mich schlecht in diesem Augenblicke,
Doch ists der letzte, den ich so verbringe,
Und wie der Schall der Worte schnell verrauscht.
Verzeih es Luft du bist schon allzu schwül,
Gewittervoll, daß ich kaum atmen kann,
Und bin ich schuldig, treffe mich der Blitz.
Jetzt hören Sie die letzten Worte an.
Was ihre Absicht war an diesem Tage,
Die sie so weit zu mir hieher geführt,
Ich weiß es nicht, ich kann es nicht erraten.
Es ist vergebens jegliches Bemühen,
Und mit dem Ring, den ich vom Finger nehme
Und werf ihn in die freie weite Welt,
Ist jedes Band gelöst, was noch Erinnerung hielt:
Wir sind geschieden und es sei für immer.
VATER: Wir sind geschieden und es sei für immer,
Vertrauend baut sich an der Mensch in Jahren
Ein kleines Haus zu seines Alters Schutze,
Die Erde bebt, zerstörts im Augenblick,
Auf seinen kahlen Scheitel fällt der Regen,
Doch auch die Sonnenstrahlen, die ihn wärmen.
Ich fühl mich ruhig, ich verliere nichts,
Nur der ist frei, den nichts auf Erden hält.
4.
KIND kommt mit einem Schwerte und einem Mirtenzweige und findet den weggeworfenen Ring:
O Vater, sieh den schönen Ring recht an,
Ich fand ihn in dem Lilienkelche schweben,
Es ist ein Schlänglein, das in Schwanz sich beißt,
Ein roter Stein blitzt herrlich aus den Augen.
Ach daß am Ring kein Anfang und kein Ende,
Sonst würd das schöne Tier wohl auch noch gehen,
So kunstreich ist es durch und durch gebildet,
Und scheint aus ganz lebendgem Gold gedreht.
Du siehst so heftig Vater und du sprichst kein Wort,
Du schiltst doch nicht, daß ich so lang geblieben,
Es war kein Schatz am Mirtenstrauch zu finden,
Ich fand dies Schwert dort, darf ichs tragen?
Ich will das Feindliche der Welt bestreiten.
Ach Vater sag, wer ist denn diese Frau,
Die schöne Frau, wenn sie nur liebreich wäre.
MUTTER: Ist dies Ihr Kind, so sind Sie zu beneiden.
Es ist zu liebreich, nein, Sie sind nur Pfleger.
VATER: leise zur Mutter:
Gedenken sie der Schicklichkeit vor Kindern!
Wär dies nun unser Kind, das früh verstorbene.
MUTTER: Sie wagen es, an jenen Mord zu denken.
VATER: Gedenken sie der Schicklichkeit vor Kindern!
Ich meine fast, der Knab hat ihre Augen.
MUTTER: Wer denkt an alle Schicklichkeit der Welt,
Wenn hier ein Abgrund, dort ein offner Arm.
Ich rufe dich Natur, gib Helferarme,
Bewahre mir, was du mir hast verliehen;
Ist dies mein Kind, was ich gestorben glaubte,
Das Sie aus Eifersucht mir früh entrissen,
Und mir so bald als tot verweigerten?
KIND: Ach ja, ich bins, ich bin gewiß dein Kind,
Ach wüßt ich eine Mutter nur zu lieben.
VATER: Sie leben hier so unabhängig jetzt,
Was brauchen Sie noch andrer Menschen Liebe.
MUTTER: O gib Gewißheit mir, ob es mein Kind,
Ich bin dir dann auf ewig untertänig.
VATER: vor sich:
Wo soll das hin, wer kann die Folgen sehen,
Der Ärger hob die Überlegung auf.
MUTTER: Gewißheit, sieh ich knie vor dir schon lange,
Du schweigest still den Blick von mir gewandt.
O sprich, sonst stürz ich mich in dieses Schwert,
Das mich schon früh in deinem Haß verwundet.
VATER: Es ist dein Sohn; ich wollte ihn dir bringen
Und mit euch leben in Vertraulichkeit;
Jetzt ist das aus, erfreu dich dieses Knaben,
Doch wandern wir noch heute fort von hier.
KIND: O liebe Mutter, liebe süße Mutter,
Dich hab ich gleich erkannt, wie ich dich sah!
MUTTER: O lieber Knabe, meiner Liebe Lust,
Ich ahndete sogleich, du seist mein Sohn.
KIND: Ach Mutter, wie wird dich der Vater lieben,
Er hat so oft die Arme ausgebreitet,
Bang über mir nach dir o Mutter seufzend.
VATER: Das ist vorbei, das ist nun ganz vorbei,
Jetzt macht euch fertig, nehmt den schweren Abschied.
KIND: Ach lieber Vater, bleib doch immer hier,
Ich kann nicht fort von meiner lieben Mutter.
MUTTER: O lasse mir mein Kind nur wenig Stunden,
Ich lieb dich ja in ihm, ich kann nicht mehr.
VATER: vor sich:
Es rühret mich ihr Flehen tief im Innern,
So muß mir denn das Schmerzlichste geschehen.
Muß ohne Liebe sehn die Vielgeliebte,
Und alter Lieb Erinnerung stets in ihr
Wie des Gewissens ewig wacher Zuruf.
MUTTER: Kannst du nicht bleiben, so verläßt mich Gott,
Und wie ein Unrecht scheinet mir mein Unglück.
KIND: Ach Mutter, ist denn Gott nicht unter uns,
Wir sind ja drei, so sind wir die Gemeine,
Wie sprichst du so, nein, Gott verläßt uns nie,
Wenn wir uns lieben in der ewgen Liebe.
MUTTER: O hör dein Kind, wie es so herrlich spricht;
Der Kinder Stimme ist oft Gottes Wille.
VATER: Ich folg der Stimm', es ist bedacht, es sei.
Es muß das Schmerzlichste von mir geschehen,
Ich opfere mein eignes Leben auf,
Wir leben nun für dieses Kind zusammen;
Nimm Du die linke Hand, ich nehm die Rechte,
Auf daß er lerne lieben und auch fechten.
KIND: O Vater, wenn ich nur genug dich liebe;
O Mutter, wenn ich nur für dich kann fechten.
VATER: Es trägt mich des Entschlusses eigne Kraft,
Mit Übermacht hat Gott den Stolz bezwungen.
MUTTER: Vergebens ist das Scheuen vor dem Leben,
Was menschlich ist, dem sei der Mensch ergeben,
O teurer Freund, ich tat dir heute Unrecht,
Du wolltest mir heut wohltun mit dem Kinde.
Ich folg dir ganz, es kommen andre Zeiten,
Im Herzen dieses Kindes schlägt das meine,
Und deine Klugheit wache über beide.
VATER: Sei dieses liebe Kind uns selbst ein Lehrer,
Wo uns die alte Zeit mit Zorn ergreift,
Gefühl und Klugheit muß sich immer beugen
Vor einer Zukunft, die sie selbst erst zeugen.
KIND: Ihr sagt euch da so ernste ernste Worte
Und mich vergeßt ihr hier wohl zwischen euch.
Ich geb euch alles, was ich hier besitze:
Da hast du Mutter diese Mirtenkrone,
Da hast du Vater das verlorne Schwert,
O laß mir nur den Ring, den vielgeliebten!
VATER: und Mutter Du bist der Ring von zweien Vielbetrübten,
Die neu verbunden, die sich einstmals liebten.
VATER: Wir sind auf ewig wiederum verbunden.
MUTTER: Dein Wille ist der meine nun auch immer.
VATER: Wohl dem, der einmal nur geliebt im Leben,
Das Schicksal will ihm goldne Hochzeit geben,
Mich drückt das Gold, es zittern meine Hände,
Doch fühle ich, daß nie das Leben ende.
KIND: So küsse doch den lieben Vater, Mutter.
VATER: Ich küsse dich, das Kind befiehlt es mir.
MUTTER: Ach was der Ernst und die Vernunft geschieden,
Ein Kinderspiel auf dieser Welt hienieden.
KIND: Hörst du fern im Dorfe singen,
Luft und Düfte zu uns dringen
Aus der tiefen Himmelsstimme.
MUTTER: Ach zu uns im ernsten Grimme.
VATER: Wie so oft war uns zum Spotte
Unsrer Diener Sonntags-Schmücken.
KIND: Ach so hört doch zu, dem Gotte,
Der in seligem Entzücken.
VATER: Wehe nun ist eine Stille!
KIND: Aber dem versöhnten Freunde
Tönt nun höher Gottes Wille
Aus der himmlischen Gemeinde.
KIND: Führt mich, wo die Glocken schlagen.
VATER: Das Gewissen anzusagen.
KIND: Wo die Freuden alle klingen,
Mußt du hin mich heute bringen.
VATER: Ach wie kühlend in der Hitze!
Haben wir denn dort auch Sitze?
MUTTER: Gittersitze wir da haben,
Wo die Eltern sind begraben.
VATER: Denk, wie Sonntags sie versöhnten,
Wann sie sich entzweiet hatten,
Und wir beide, wir verhöhnten
Oft die Lieb der alten Gatten.
MUTTER: Und sie blieben so in Frieden,
Und wir waren lang geschieden;
Eilen wir zur Kirche wieder.
KIND: Gott, der spricht zu uns durch Lieder,
Alle Stimmen er vereinet.
MUTTER: Einsam hab ich lang geweinet.
VATER: In der Kirche klingt die Freude,
Eilen wir aus allem Leide,
Und die leidend Gott gefunden,
Zeigen sich da Gott verbunden.
VATER: und Mutter Seit wir in dem Sohn verbunden,
Haben wir auch Gott gefunden,
Und kein Mensch darf uns mehr scheiden,
Uns die Gott geprüft in Leiden!
Der Minister war während der Vorlesung sehr nachdenklich geworden, beim Schlusse fuhr er heraus: Sagt, wie könnt ihr so manches wissen, was gerade so in meinem Innern gesprochen, bei einer allgemeinen Verfälschung der Geschichte, die mir deutlich beweist, daß ihr nichts davon gewußt, sondern nur herum geraten habt. – Das Menschliche, antwortete der Kammerjunker, woran wir einander kennen und verstehen ist in jeder Brust, das Historische wissen nur Wenige. – Wahrhaftig, meinte der Minister, ich fange an, noch ehe wir aus den Sümpfen kommen, eure Poesie zu glauben; wir sind durch Lebensalter geschieden, wir verstehen uns erst allmählig.
Meinen Lesern, mit denen ich mich auf der gemeinschaftlichen Reise durch diese Geschichte allmählig auch verständigt habe, wird es nicht entgangen sein, wie das Dichten, insbesondre aber das dramatische in das Leben der einzelnen Menschen eingreife. Wir sahen dies in der Geschichte Hollins, des kleinen Johannes, und in den beiden eben mitgeteilten Schauspielen; möge uns dies ein Bild werden, wie ein echtes Volksspiel auf das ganze Leben eines ganzen Volkes einwirken könnte; nur darum, weil unser Schauspiel unserm Volke, seinem Streben und Glauben meist so entfernt ist, geht es der Menge so gleichgültig vorüber, und wird mit dem Augenblicke vergessen; wer sich dem Volke anschließt, empfängt dessen Geist und Erfindung.
Ein kleines Abenteuer störte bald unsre Gesellschaft in ihrer gewöhnlichen Unterhaltung. Sie erhielten einige Stationen von Rom, wegen mehrerer an Reisenden verübten Räubereien, einen Husaren zur Bedeckung, der dem Minister und seinen Begleitern sehr auffiel; dem Minister rief er seine eigne Jugend vollständig zurück, die anderen bemerkten wenigstens eine auffallende Ähnlichkeit zwischen Beiden. Sie ließen sich mit ihm in ein Gespräch ein: es war ein Deutscher, der schon lange in französischen Diensten, aber weder sein angeblicher Name Frohreich, noch der angegebene Geburtsort Camin waren der Gesellschaft bekannt. Er sprach viel über seinen Dienst, und versicherte, daß wenn er gleich nur Gemeiner wäre, so könne er doch wohl bei guter Gelegenheit Marschall werden, und die ganze Armee, wie er Lust hätte, rechts und links vor sich vorbei marschieren lassen, auch könnte er sich nicht über Langeweile beklagen; hätten sie nichts mit dem Feinde zu tun, so gäb es desto mehr Streit mit den Kameraden, erst gestern habe er einen zusammen gehauen – dabei rieb er sich ganz vergnügt die Hände. Heute fuhr er fort, gibts gewiß noch was mit den Räubern, ich sah schon vorher so etwas schleichen; an dieser Stelle wurde vor acht Tagen der Schirrmeister einer Post erschossen. – Diese Betrachtung machte die Gesellschaft aufmerksamer. Nach einiger Zeit rief der Postillion einige unverständliche Worte; es war sehr finster, er jagte schnell, die Mamsell drückte sich mit klopfendem Herzen an den Minister. – In dem Augenblicke hielt der Wagen; der Kammerjunker griff nach den Pistolen, der Minister fragte, wer da? Wir sind auf der Station, antwortete der Husar, der zugleich mit mächtigen Stößen gegen die Tür eines Hauses die Ankunft der Reisenden verkündigte. Der Wirt machte fluchend auf; die Reisenden traten in ein Küchenzimmer voll Husaren; sie wünschten zu essen, und der Wirt versprach gleich ein vollständiges Nachtessen. Er nahm zu diesem Behuf ein paar Lebern von einem Haken herunter, hackte, kochte, briet in ihrer Gegenwart; seine Frau sah ganz bequem zu, und befahl nur zuweilen, was er dabei nicht vergessen sollte. In einer Stunde hatte er ein vollständiges Mahl bereitet; Lebersuppe, gekochte Leber, Leberbraten, es schmeckte den Hungrigen recht gut. Der Husar wurde mit zum Essen genötigt; seine Kameraden fingen an, darüber zu reden, daß er nicht bei ihnen geblieben; der Husar antwortete beleidigend und einer von jenen, die viel getrunken hatten, forderte ihn. Alles das verhandelte sich so heftig wie es bei Soldaten geschieht; unsre Gesellschaft, die einmal Partei für den jungen Mann genommen, war so besorgt um ihn, daß sie das Essen stehen ließ. Endlich sprach der Minister, bloß um den Streit abzulenken, indem er unter die Streitenden trat: Nehmt Vernunft an, warum sollte er nicht mit mir essen, es ist mein Sohn. Wenn das ist, sagte der Heftigste, so nehmt nicht übel, was ich gesprochen; ihr hättet das früher sagen sollen, ein Vater, der muß geehrt werden, sonst aber muß einem Husaren die Kameradschaft über alles gehen. – Es wurde augenblicklich Ruhe; alle tranken die Gesundheit des Vaters und der Husar setzte sich zum Minister, sah ihn ernsthaft an, und sprach deutsch: Wenn ich nun wirklich ihr Sohn wäre? – Fast meine ich es selbst, antwortete der Minister. Der Husar Ich war nicht immer, was ich jetzt bin, und habe viel vergessen, aber ihren Namen, den ich vorher hörte, habe ich doch behalten; warum sind sie nach Italien gekommen, sie hatten sich in Deutschland ein kleines Italien erbaut. Der Husar erzählte einen Umstand nach dem andern, endlich die Geschichte, wie er wäre bei der Einweihung des Palastes die Treppe hinuntergefallen, so daß der Minister mit den Worten, bei Gott der Erbprinz, ihm um den Hals fiel. – Still, sagte der Husar, ich bins, hier aber kein Wort davon; wüßten es meine Kameraden, da wäre ich von allen geschoren, wie ich schon jetzt als Ausländer viel auszustehen habe; sprechen wir nicht zuviel in unsrer Sprache, sie möchten Argwohn gegen mich bekommen. – Der Minister suchte ihn zu bereden, ihn zur Mutter nach Sicilien zu begleiten. Der Erbprinz versicherte aber, er könne nicht von diesem Leben lassen, endlich wüßte doch keiner, wozu es ihn führen könne, in einer Zeit, wo jeder von unten auf gedient haben müsse, um oben fest zu stehen. – Hier unterbrach der Eintritt einer braun gebrannten Marketenderin, die ein Fäßchen auf dem Rücken trug, die Unterredung; alle schrieen ihr entgegen, sie wies alle mit derben Worten von sich, dem Husaren warf sie sich um den Hals und biß ihm in die Backe, daß er hellaut aufschrie, sie sprach mit ihm abwechselnd deutsch, französisch und italienisch, rühmte ihn in sehr freien Worten, dabei aß sie stark von dem stehen gebliebenen Abendessen. Hör Furiosa, sagt der Erbprinz, soll ich dir das Genick brechen, du ißt den Herrn alles vor der Nase weg. Sie fluchte und ging hinaus. Der Husar sagte: Ich fürchte mich vor keinem Menschen in der Welt, aber die fürchte ich, sie ist seelengut, was sie verdient, das gibt sie mir, Schläge sind ihr ganz recht, machte ich aber Miene von ihr zu ziehen, ich wäre meines Lebens nicht sicher. Jetzt kam sie wieder ins Zimmer, und die Husaren sangen ihr ein Lied von Mademoiselle Pumpernelle, worüber sie alle ausschimpfte, und von guten Sitten und Leuten von Stande sprach; der Minister hatte unterdessen nach seiner Zeche gefragt, und da ihn der Wirt für seine Lebermahlzeit mehr als für das köstlichste Mittagsmahl bezahlen lassen wollte, so schimpfte sich der Erbprinz mit ihm herum. Es war ein gewaltiges Lärmen; der Minister zahlte aus Überdruß, der Erbprinz und Furiosa begleiteten ihn an den Wagen, wo der Minister noch einmal jenem den Vorschlag wiederholte, den Abschied zu nehmen und ihm nach Sicilien zu folgen, und ihm eine volle Börse einhändigte. Furiosa fing darüber an zu schimpfen, der Erbprinz wurde böse, und schlug wild auf sie ein – mitten in dieser wunderlichen Liebesverwirrung entrollte der Wagen mit unsern Reisenden. Sie kamen glücklich nach Rom, und wollten sich eben recht umsehen, als ein neuer Brief des Schreibers den Minister die Reise zu beschleunigen nötigte. Schon früher hatte er dem Grafen seine Ankunft angezeigt, mit der Bitte, weder den Seinen noch der Fürstin etwas davon bekannt zu machen, bis er einen zweiten Brief von ihm erhalten.