Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores
Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein
Vierte Abteilung.
Buße.
Sechstes Kapitel
Ritter Brülar. Die Päpstin Johanna. Johannes. Deutschland
Der gute alte Bediente blieb, so lange er lebte, der Schutzgeist dieser Kinder, die alle, wie es in kräftigen Familien gewöhnlich, in großer Eigentümlichkeit, in wechselnder Leidenschaft und Feindschaft zu einander, eine kleine Welt in sich begründeten. Das fremdartigste Kind unter allen war der kleine Johannes, der schon vor seiner Geburt so gewaltsame Verwirrung in seiner Welt gestiftet hatte; er war durch jenes Ereignis beiden Eltern, was sie sich nicht eingestehen wollten, eine unangenehme Erinnerung geworden; sie ließen es ihn nie fühlen, aber Kinder fühlen die innere Gesinnung der Menschen gegen sie sehr leicht, sobald sie nicht absichtlich hintergangen werden. Wenn die Gräfin von allen andern Kindern sich umklettern ließ, und ihnen die Freude machte zu sagen, jetzt tue es ihr hier oder da weh, und die Kinder eifrig streichelten, gleich endete sie das Spiel, wenn der kleine Johannes es den andern nachmachen wollte; ich führe nur den einen Fall an, aber es gab unzählige dieser Art, während in allen bedeutenderen ein völlig gerechtes, gleiches Verhältnis zwischen den Kindern beobachtet wurde. Wir wissen, der alte Bediente starb; der Graf war nach allen Seiten beschäftigt, und die älteren Kinder in einem Alter von acht und sieben Jahren, bedurften nach dem Urteile Kleliens und des Grafen einer eignen Aufsicht, eines männlichen ernsten Unterrichts. Der Krieg hatte die Wege nach Deutschland gesperrt, es mußte daher ein Fremder gewählt werden: man schwankte zwischen verschiedenen Sizilianern; endlich machte auf dem Schlosse ein französischer Ausgewanderter, der Ritter Brülar, durch Empfehlung der Obristin aus Palermo, seine Aufwartung, und erbot sich zum Hofmeister. Die Obristin wußte nichts von den Leuten, als was sie ihr von sich erzählten, und wie sie sich ihr gefällig zu machen wußten, durch Lustigkeit und gesellige Unterhaltung. Lustig war der Ritter nur in seinem Äußeren, aber das unterschied sie nicht; sein Inneres war von der Zeit fürchterlich zerrissen, die ihn mit Anlagen, Kenntnissen und Geschicklichkeiten, welche zu den ersten Stellen führen konnten, plötzlich arm gemacht und in Länder verbannt hatte, deren Sprache er nicht einmal hören, vielweniger lernen mochte, von deren Treiben er gar keinen Begriff hatte, und sie darum in sich verspottete, während er sich der Leute durch Artigkeit zu bemächtigen wußte. Seiner politischen Meinung hing er mit ganzer Seele an; man lobte sie, aber nirgend sah er sie mit Ernst durchgeführt, obgleich manche den Schein davon annahmen; aus Überdruß und um davon zu leben, überließ er sich der Bekanntschaft reicher Frauen, doch eben der Überdruß, und endlich die Erschöpfung trieben ihn auch hievon zurück; er wollte ein Philosoph sein und heißen, und dieses Spekulieren brachte ihn wieder ganz in die Gewalt seines politischen Elements. Da er nirgend seine Gedanken in Ausübung bringen konnte, was er den Fürsten und Regierungen sehr übel deutete, so machte er sich, unabhängig von allen bestehenden Staaten, eine eigene politische Einwirkung und Verbindung; Völker hatte er nie geachtet, nur Systeme und Grundsätze; er vertraute sich so wenig wie möglich, er wollte die Menschen ohne ihr Mitwissen zum Glücke hinbetrügen. Seine Pläne waren weit aussehend: zuerst mußte er den Menschen die Künste verleiden, damit sie sich der Verzweifelung ganz hingeben, und dem blinden Wirken; zu diesem Zwecke stiftete er unter andern mit seinen Gleichgesinnten kritische Blätter, die jedem aufstrebenden Talente dreist in die Augen sagen mußten, es vermöge nichts; es sei überhaupt jetzt die Zeit nicht für Kunst; insbesondere suchte er sich aber die Kinder anzueignen. Zu seinen entscheidensten Unternehmungen suchte er die ausgezeichneten Kinder zu entführen; auch war ihm das schon mit mehreren gelungen, die er in einem sardinischen Kloster untergebracht hatte. Wir können nur aus Gerüchten über diese seine Verhandlungen sprechen, seine Sache ist in der Untersuchung wegen der vielen bedeutenden Menschen, die darin verwickelt waren, ganz unterdrückt worden; wir wissen nur bestimmt von ihm seit seinem Eintritte in das befreundete Haus des Grafen. Er wußte den Grafen durch seinen Ernst, durch seinen Anstand und seine Geschicklichkeiten zu gewinnen; er focht herrlich, war der beste Schwimmer, ritt wie ein Zentaur; durch seine Art des Absprechens, das meistens aus tieferer Kenntnis zu kommen schien, imponierte er ihm sogar. Dem Grafen waren die leeren Hülfsmittel des Streits ganz unbekannt; er konnte sich nicht denken, daß ein Mensch über etwas reden könne, ohne das Streben zu haben es recht eigentlich zu erfassen oder um darüber aus innerer Lustigkeit zu scherzen; wo er daher den Brülar nicht begriff, da dachte er sich eine höhere Verbindung in ihn hinein. Brülar wurde als Hofmeister der älteren Kinder angenommen; Vater und Mutter geboten den beiden Knaben unbeschränkte Folgsamkeit gegen ihren Führer. Diese Ermahnung war überflüssig; in jedem edlen Gemüte ist eine Ergebenheit gegen ausgezeichnete Menschen, die leicht gefährlich werden kann; wirklich war der Ritter in allem, was sie verstanden, ausgezeichnet: beide überließen sich ihm ganz; insbesondere schwebte aber Johannes an seinem Blicke, auch er zeichnete den Kleinen durch Härte und Güte aus. Es wurde ihm zuweilen ein leiser Vorwurf von den Eltern gemacht, daß sich dieses Kind gar nicht mehr um sie bekümmere, aber eigentlich war es beiden lieb, denn sie waren durch diese von ihm ausgehende Entfremdung des Scheins überhoben, als liebten sie ihn den andern Kindern gleich. Klelia hatte ihr Bedenken dagegen; aber sie sah die ausgezeichneten Fortschritte des Kindes, das mit liebevoller Anstrengung aller Kräfte beinahe allen Kindern seines Alters und manchen ältern, auch seinem Bruder überlegen war, und sie teilte mit allen im Schlosse die Achtung gegen den Ritter, der mit seinem ganzen Leben in einer fast schlaflosen Tätigkeit den Kindern anzugehören schien. Er war ungefähr ein Jahr im Schlosse, als die Herzogin mit den Ihren zu einer großen Tragödie eingeladen wurde, die in der Fastnacht in einem Kloster des heiligen Laurentius durch Veranstaltung der Mönche aufgeführt werden sollte. Brülar machte erst einige Einwendungen, ob man Kinder in solche törichte ungeregelte Possen bringen könne; aber die Gräfin verlangte es und er gab nach, wollte aber selbst wegen eines heftigen Kopfschmerzes nicht mitgehen. Die Fahrt war fröhlich; die vornehmen Gäste wurden von dem Prior und den ältesten Mönchen des Klosters mit großer Behaglichkeit empfangen; eine nahrhafte Bewirtung, ein reichliches Trinken war ihnen bereitet. Niemand weiß so zu genießen wie die Mönche, das Essen und Trinken treiben sie wie eine heilige Pflicht. Bald nachher wurden sie in einen großen Eßsaal gebracht, wo das Theater aufgeschlagen war: sie erhielten eigene abgesonderte Sitze; die Volksmenge lärmte unter ihnen; die Kinder hatten noch nie etwas der Art gesehen, und meinten, das sei schon die Komödie. Der Prior entschuldigte sich, daß sein Vorschlag ein neueres gutes italienisches Stück des Metastasio zu spielen nicht hätte durchgesetzt werden können, weil das Volk nach alter Gewohnheit durchaus die »Päpstin Johanna« verlangt habe; der Graf versicherte, das sei ihm auch viel lieber. Unterdessen begann die schlecht zusammengespielte musikalische Vorbelustigung, das Volk sang mit; endlich ging der Vorhang auf. Der Teufel in grimmigster Gestalt, schwarz, mit rotem Mantel, mit dem Pferdefuße, der Hahnenfeder, erscheint in einer wüsten Gegend und beklagt sich schmerzlich, was ihm durch den Papst für Abbruch geschehe; er wird dabei von Oferus unterbrochen, der ihm seine Dienste anbietet weil er dem Mächtigsten zu dienen entschlossen sei, und der Heidenkönig, dem er bis dahin gedient, sich vor dem Teufel gefürchtet habe. Der Teufel nimmt ihn mit Freuden an; er will ihn gleich gegen Rom und gegen den Papst führen, da müssen sie aber bei einem Kreuze vorbei; das will der Teufel umgehen; Oferus merkt's aber, und der Teufel gesteht seine Furcht, gleich sagt ihm Oferus seine Dienste auf, und will diesem Mächtigeren dienen. Vergebens ruft der Teufel: »Den du da siehst, der ist von Stein; da ist nicht Geist, da ist nicht Bein, den hat ein Steinmetz ausgemeißelt, mit roter Farbe ist er gegeißelt.« Oferus antwortete ihm: »Wie mächtig ist der Herre mild, daß er im schlechtesten Abbild dich wilden Teufel kann erschrecken; das muß den Glauben mir erwecken.« – Nach diesen Worten verläßt er ihn, und der Teufel beschließt seinen Plan gegen des Kindes Mutter Maria und gegen das Papsttum auf andere Art durchzuführen; er spricht: »Durch eine andere Jungfrau, die ganz mein, will ich verdunkeln jenes Thrones Schein. Ich zieh durch meinen Diener Spiegelglanz, (er kennt mich nicht, darum ist er mir treu) ein Mädchen auf, als wär's ein Knabe ganz, daß sich's am Wissen leer und eitel freu. Durch eitles Wissen steigt sie auf den Thron, auf dem einst Petrus auch gesessen schon, und spricht dem alten Christen Hohn, und achtet nicht auf Gottes Straf und Lehr, und jenes Papsttum, das in Schimpf vergangen, wird dann nach meinem Geist ganz neu anfangen; dies Kind soll sein der Antichrist, der alles zwingt mit seiner List, und die ihn hassen, selbst verführt, nach seiner Pfeif die Welt regiert, daß sie vergehet im Verderben, so will ich für die Hölle werben.« – Hierauf erzählt er, daß er in Mainz ein Mädchen als einen Knaben aufziehen lasse durch den gelehrten Spiegelglanz; es sei dieses das Kind eines Mönchs und einer Nonne, die mit einander gesündigt hätten, um ungeheuer büßen zu dürfen; er gehe jetzt hin unter der Gestalt eines großen italienischen Philologen Chrysoloras, dem Unterrichte eine feste Richtung zum Bösen zu geben. Das Theater verändert sich in einen Garten mit einem Lusthause; er tritt leise in den Garten, wo Johanna, so hieß das Mädchen, mit einer sehr schweren Arbeit beschäftigt war, die biblische Schöpfungsgeschichte in richtigen Alexandrinern zur Preisbewerbung auf der Klosterschule, deren erster Lehrer Spiegelglanz ist, zu erzählen und aufzuschmücken. Nun hatte sie den Tag über in der Bibel mit großer Freude gelesen und nicht davon kommen können; jede Stunde hatte sie sich der Arbeit erinnert, aber weder die Feder noch die Zeitmessung der deutschen Sprache angerührt, die ihr Spiegelglanz als sein Lieblingsbuch zur Seite hingelegt hatte; noch konnte sie sich entschließen, in dem Reimwörterbuche und in der Poetik zu lesen, die Spiegelglanz ihr besonders empfohlen hatte. Das gefiel dem Teufel gar nicht; er beschloß, durch die Stimmen aller in der Sommerluft schwärmenden, singenden, rauschenden Wesen, die kleine Johanna von der Arbeit zu rufen, die eben wieder aus dem Psalter nach der Schöpfungsgeschichte zurück geblättert hatte, ihre Arbeit endlich ganz ernstlich zu beginnen. – Wir wollen hier ihr ganzes Selbstgespräch mitteilen.
Gartenhaus mit offenen Türen
Johanna an einem Tische mit Büchern und Schriften liest und schreibt abwechselnd, dann liest sie vor:
Und Gott sprach: »Es werde Licht«, und es ward Licht ...
Die Blumen im Fenster
Wir welken im Licht
Begießt du uns nicht,
Wir schließen uns bald,
Es dunkelt im Wald.
Johanna liest weiter: Und Gott sprach: »Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an abgesondertem Orte, daß man das Trockne sehe.« Und Gott sehe, daß es gut war.
Der Röhrbrunnen vor der Türe
Ich laufe über,
Komm her, du Lieber
Und schöpf mich aus,
Sonst lauf ich ins Haus.
Johanna liest weiter: Und Gott machet die Tier auf Erden, ein jeglichs nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art, und allerlei Gewürm auf Erden nach seiner Art. Und Gott sahe, daß es gut war.
Der Vogel auf dem Baume am Fenster
Hör wie die Raupen
Fressen im Laub;
Mußt's nicht erlauben,
Strafe den Raub,
Liebliches Kind,
Hilf mir geschwind.
Johanna liest weiter: Und Gott sprach: »Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei; die da herrschen über die Fische im Meer und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kreucht.«
Die Fliege auf dem Tische
Hör ich deinen Kopf so brummen,
Oder muß ich selbst so summen?
Trank vom allerbesten Wein,
Schlief beim letzten Tropfen ein,
Setz mich nun auf deine Nase,
Daß ich höre, wie sie blase.
Johanna schlägt ungeduldig nach der Fliege und liest weiter: Und Gott der Herr machet den Menschen aus dem Erdenkloß und er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele.
Die Mücken, die zum Fenster hinausfliegen
Hab dich umflogen,
Blutiges Feuer
Glänzt mir im Leibe,
Das ich beim Schreiben
Dir ausgesogen;
Tieferes Feuer
Glänzet im Abend,
Tanz ich im Glanze,
Vergeht es so labend.
Johanna kratzt sich an Händen und Füßen, dann lieset sie weiter: Und Gott der Herr pflanzet einen Garten in Eden und setzet den Menschen drein. Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, lustig anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum des Erkenntnisses vom Guten und Bösen.
Der Baum vor dem Fenster
Über deinem Haupte
Schweben die Sorgen,
Über meinem belaubten
Haupte wie Morgen
Glänzet der Abend;
Kühlend und labend,
Schwebet der Vogel,
Rauschet der Wind.
Liebliches Kind
Steige geschwind
Mir auf die Äste,
Die ich im Weste
Neige und zeige,
Zeig dir ein Nest,
Halte dich fest,
Steige hinein,
Alles ist dein;
Zeige dir Früchte,
Glühend im Lichte,
Kühlend im Mund
Saftig und rund.
Aller der Tage
Arbeit und Plage
Himmlischer Lohn,
Gibt dir mein Thron;
Herrlich ist wohnen
Hier in den Kronen.
Johanna sieht ihn lange an und liest weiter: Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: »Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten; aber von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen, denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.«
Ein Schmetterling, der durch die Fensterscheiben fliegen will
Was gähnst du wieder
Und streckst die Glieder?
Springe mir nach
Heiter und wach;
Noch nimmermehr
Kam ich hieher,
Kann nicht heraus
Hier aus dem Haus,
Habe kein Bangen,
Lasse mich fangen,
Laß mich am Kranz
Spielen im Glanz.
Johanna
Das ist ein Totenvogel gar,
Den such ich schon ein ganzes Jahr,
Er soll mich doch nicht stören,
Ich will ihn gar nicht hören,
Ich bin zwar von der Arbeit müd,
Doch stören soll mich noch kein Lied.
Marienwürmchen
Sieben Punkte trag ich schwer,
Mach doch einen Punkt daher,
Daß die Arbeit schließe;
Bring dir viele Grüße
Von den Nachbarskindern,
Die sind viel geschwinder,
Die sind alle fertig,
Deiner schon gewärtig;
Hast du viel geschrieben?
Kann ja gar nichts finden,
Sag, wo ist's geblieben,
Kann das so verschwinden?
Johanna
Hört mir nur einmal zu, ihr Tierlein, laßt das Singen,
Ich fühl's, die Arbeit wird mir endlich doch gelingen,
Ich war so ganz in Lust und Sonnenglanz versunken;
Vor meinem frohen Blick gestalteten sich Funken,
In wunderbar Gespräch hört ich die Lichtgestalten.
O könnt ich euch nur fest zu meiner Arbeit halten,
Ein schönes Bild so schnell im schönern untergeht,
Kaum weiß ich, wo ich bin, wo mir der Kopf jetzt steht;
Könnt ich bei einer Arbeit nur beständig bleiben,
Doch andres wird mir lieb und andres soll ich treiben.
Nun jetzt bleib ich dabei, bis ich zum Schluß gelange,
Daß ich ein Prämium aus Meisters Hand empfange.
Der Titel ist gemalt und das Papier gefalten,
Mag nun der liebe Gott mit meinem Geiste walten,
Daß all sein Schöpfungswerk, in sieben Tag verrichtet,
An diesem Abend noch in Worten sei berichtet,
Ein jedes Kraut genannt, die Vögel all beschrieben,
Der ganze Frühling zeigt, wo Lücken sind geblieben,
Im Alten Testament, das will ich alles fassen,
Und eh' nicht alles drein, nicht von der Arbeit lassen.
Wie dumm nun geht das Licht, da ich es eben brauche,
Ich las mich schon ganz trüb, als ob's im Zimmer rauche,
So spielt der letzte Strahl und strahlt im Sonnenstaube
Und draußen weht's so kühl in meiner Bohnenlaube;
Die Vögel betten sich lautrauschend in den Hecken,
Wo mag mein Eichhörnlein wohl jetzo wieder stecken.
Heida ihr Tauben bunt, kommt ihr vom Feld zurücke?
Ich öffne euer Haus – nun fliegt ihr fort aus Tücke;
Ins Freie will ich auch, zu fleißig tut kein gut,
Ein kluges Kind stirbt jung, ich kühle meinen Mut.
Der Wiesenplan steht voll von schöner gelberBlume,
Die hau ich all herab zu meinem ew'gen Ruhme,
Als wär's die Heidenbrut im Turban farbig schön,
Sie sollen sich gestreckt vor Christi Kreuze sehn;
Das sei zuerst geschmückt mit frischem Blumenkranz,
Gewißlich macht es Freud dem guten Spiegelglanz,
Im frischen Abendwind verspring ich dann die Füße
Und dann der stillen Nacht zur Arbeit ganz genieße.
Als sie nun gefunden, daß es ihr mit den Alexandrinern ziemlich leicht ginge, sprang sie noch leichter zur Türe hinaus, pflückte aus allen Blumenbeeten, die schön geordnet da standen, vorsichtig heraus, daß keines leerer schien, vielmehr seine neuen Knospen freier und wechselnder zum Licht ausstreckte. Der Kranz war schnell geflochten und das Christusbild bekränzt; sie wollte ein kindisches Lied auf ihn anfangen: »Christus meine Puppe, segne heut die Suppe«; als sie über sich selbst lustig auf einen Baum kletterte und lachte und die Äste küßte, die voll Kirschen hingen, und die aß sie langsam und knipste die Kerne zu dem heiligen Bilde, wobei sie sagte: »Bist du von Stein, so kannst du auch Steine essen.« Der Teufel freute sich darüber sehr und funkelte ihr alle versteckten Kirschen entgegen. Sie hatte aber genug, und stieg herunter und machte aus allen Kirschstengeln Knoten und aus den Knoten einen Kranz, den sie Christus aufsetzte zum großen Ärger des Teufels; denn er sah, daß alles in ihr ganz unschuldiges Kinderspiel sei, weder gut noch böse, und daß er ihr also noch nichts anhaben könne. Gleich darauf verglich sie alle Früchte im Garten nach ihren Farben, nach ihren Kernen, nach ihrer Haut, Staub und Wolle, Geschmack und Geruch, und machte sich daraus allerlei Kameraden von verschiednem Charakter, wobei sie einen besondern Haß gegen die schwarzen Aalbeeren und eine Art heiliger Scheu gegen die reine Frische der Erdbeeren empfand; das mißfiel dem Teufel wieder, der die Aalbeeren in seinem Wappen führt. Bald fand sie an einem Pflaumenbaume die durchsichtige weißgelbe Kugel des ergossenen Harzes, sie hielt es für einen großen Schatz und gedachte des Paradiesbaumes, woraus nach der Lehre des Spiegelglanz, das Bdellium, der Bernstein geflossen. Ein blaues und ein grünes Seejüngferlein, die da auf einigen Stauden flatterten, entzogen sie allen andern Gedanken; sie hatte nie so schlanke farbige Leiber, so zierliche schimmernde Flügel gesehen; es erwachte in ihr eine Sehnsucht danach, als wenn es ihre Seele wäre, die ihr entflattern wollte, und wirklich haben diese Tiere einen besondern Anflug geistigen Daseins. Sie sah ihren Lehrer gar nicht, der inzwischen mit seinem Buche in den Garten geschritten. Endlich fing sie beide, und brachte sie ihm triumphierend.
SPIEGELGLANZ. Woher so schnell, du sahst mich kaum, liefst immer zu als wie im Traum.
Johanna aber sprachlos vor Freude, zeigte ihm die beiden Tiere, die sie an den Flügeln hielt und mit den Beinen gegen einander spielen ließ.
SPIEGELGLANZ. Zwei Seejüngferlein sind ein rechter Dreck, geh, mach sie tot, und wirf sie weg.
JOHANNA. Die können wohl so lieblich singen, daß alle Leut ins Wasser springen; hast du mir nicht davon erzählt, wie der Ulysses ward gequält?
SPIEGELGLANZ. Die waren wie Jungfern, du dumme Gans, und hatten nur hinten den Fischschwanz.
JOHANNA. Dir will ich sie alle beide schenken, es ist mir das Liebste ohne Bedenken, du mußt sie nur zusammen bewahren, und ja ihr Futter nicht ersparen.
SPIEGELGLANZ. Ich laß sie frei, ich laß sie los, sie kommen wohl wieder, wenn sie groß.
JOHANNA. Nein, was mir lieb, das laß ich nicht, Ihr stoßt sie fort, das Herz mir bricht, Ihr werdet mich wohl auch frei lassen, und in der weiten Welt verlassen, da weine ich mir die Augen aus, das ist nun heut mein Abendschmaus.
SPIEGELGLANZ. Du bist ein Kind, sieh, Heidelbeeren, die ich im Wald für dich gelesen, laß doch dein Weinen, sieh die Zähren, die fallen drauf, das ist ein Wesen um solche große Wasserfliege. Warst du denn fleißig, zeige her, ich seh ja nichts als krumme Züge, auf dem Papiere kreuz und quer.
JOHANNA. Ich wollte eben recht anfangen, da war die Sonne mir vergangen.
SPIEGELGLANZ. Du Schlingel, muß ich so was sehen, so wirst du nun mit Schand bestehen. Wozu nun meine Mühsamkeit, mit der ich dich gebracht so weit, daß du nun selber kannst was tun, statt dessen magst du lieber ruhn; Herumlottern, Faulenzen, Spielen, das ist so Wasser auf deiner Mühlen.
JOHANNA. Nein lieber Herr, ich war so fleißig, ich machte Pläne mir, wohl dreißig, für jeden Tag des Monats einen, doch heut allein vollführt ich keinen, weil hier ein ewiges Singen war, von einer Käfer- und Fliegenschar, von rauschenden Brunnen, knisternden Dielen, ei da verging mir Schreiben und Spielen.
SPIEGELGLANZ. Du wirst zuweilen ganz unvernünftig, ja sag, was soll aus dir werden nun künftig, denn kannst du zum Studieren nicht taugen, so muß ich dich zur Aufwartung brauchen.
JOHANNA. Dir wart ich auf so herzlich gerne, dir's an den Augen abseh von ferne, was dir bequem und was dir lieb, ach lieber Meister, dich nicht betrüb, ich will mich vor fremden Gedanken hüten, es geht nur nicht hier bei Früchten und Blüten, hier ist mir als lebt ich ganz da drinnen, und kann mich niemals in mir besinnen, daß ich die Feder wirklich führ, bin nirgends weniger als in mir.
SPIEGELGLANZ. Sollst künftig im Zimmer verschlossen bleiben, ich dachte dir fröhlich die Zeit zu vertreiben; doch seh ich, du bist nur für den Zwang.
JOHANNA. Ach lieber Herr, du machst mich bang, von meinen Balsaminen zu lassen, wahrhaftig da kann ich gar nicht spaßen, von meinen Erbsen, die ich gesät, nun eben alles so wohl gerät, von meinen Bohnen, die um die Stangen mit leichtem Grün sich fröhlich schlingen, und erst so schwach aus der Erde drangen, daß ich sie aus der Hülse tät zwingen.
SPIEGELGLANZ. Fort mit den Kasten, die schütte ich aus. Ei das verdirbt mir ja das Haus, zieht Feuchtigkeit in die Fenstermauer.
JOHANNA. Ach Gott, nie hatte ich größere Trauer. Dir hätt ich die Bohnen und die Schoten einst alle zum Geburtstag geboten.
SPIEGELGLANZ. Zum Teufel, mach mir den Kopf nicht heiß, daß ich dich heut nicht schlage und schmeiß, das ist ein Heulen, ein Lamentieren, mit jedem Quark ein Mitleid spüren; da ist kein Winkel dir zu klein, es muß dir zu was noch brauchbar sein, ich glaube, du hättest die ganze Welt mit lauter Spielzeug vollgestellt. Ich will doch endlich auch aufräumen, was klebt mir denn hier an beiden Däumen?
JOHANNA. Das hatte ich dir zum Geschenke bestimmt, nun wirfst du es in den Garten ergrimmt, es ist Bdellium vom Paradies, von einem Baum ich's heut abstieß.
SPIEGELGLANZ. So soll dich ja der Teufel holen, wenn du mich aufziehst mit solchen Sachen, ich muß mir die Finger schmutzig machen, dir muß ich einmal die Hände besohlen.
Als diese Strafe eben vollstreckt werden sollte, trat der Teufel als ein berühmter griechischer Professor Chrysolor herein, verwundert steht er still und lächelt: »Zucht bringt Frucht.« Er grüßte den ergrimmten, selbsterhitzten Lehrer mit spottender Sanftmut; es freute ihn, daß alles Böse in ihm so rasch wie Unkraut aufwachse, er hatte ihn unterweges in anderer Gestalt schon geärgert, indem er ihn, der doch alles zu wissen vermeinte, einer Unwissenheit gezeiht, was eigentlich die ganze Veranlassung seines Ärgers über die kindische Spielerei war, die er selbst oft unterstützt und mitgemacht hatte. Der Teufel begrüßte ihn feierlich, sprach von seinem großen Rufe in der Metrik, der sich selbst bis Athen ausbreite, wo er jetzt das Richtmaß aller Poeten abgebe, und das Vorbild aller Erzieher. Nun erzählte er ihm von seinem Knaben, wie er den im fünften Jahre schon so weit gebracht, daß er den ganzen Plato vorwärts und rückwärts auswendig gewußt, die Verszahl jedes Homerischen Verses angeben konnte, und wie dieses Wunderkind jetzt schon seit einem Jahre nicht mehr schliefe, von Zuckerwasser sich nährte und von der Unsterblichkeit der Seele rede. Spiegelglanz hörte ihm verwundert zu; mit heimlicher Tücke sah er auf die arme Johanna, sagte ihm aber dagegen, daß er den tiefsinnigen Erklärer des Aristoteles beim ersten Blicke in ihm erkannt.
DER TEUFEL. Doch diesem Kind, so muß ich meinen, wird alles dies ein Geringes nur scheinen, in eigner Erziehung, da zeigt sich der Meister, da löset und richtet er alle Geister; in wie viel Sprachen, darf ich fragen, kannst du mir das Vaterunser sagen?
SPIEGELGLANZ. Mein göttlicher Freund verschonen Sie heut, der Knabe ist heut gar sehr zerstreut.
JOHANNA. Nein lieber Herr, ich bete gern, es hilft mir dabei etwas von fern.
SPIEGELGLANZ. Wie werd ich beschämt, wie rett ich den Schein, in einer Sprache weiß sie es allein. –
Aber ein Engel kam über das Kind, und sagte, wie sie da andächtig betete, das Vaterunser in allen Sprachen her, daß Spiegelglanz sich über das heimtückische Kind ärgerte, wie es ihm das bisher verschwiegen, und der Teufel staunte, wohlwissend, eine höhere Kraft wirke darin.
DER TEUFEL. Du bist ein Wunderkind fürwahr, o sag mir, wie viel zählst du Jahr?
JOHANNA. Ich bin acht Jahr erst kürzlich gewesen, und seit dem vierten kann ich schreiben und lesen, kann deklinieren und konjugieren, und weiß, was alle Verba regieren.
DER TEUFEL. So sag mir von welchem Geschlecht du bist.
JOHANNA. Ich bin ja kein Wort, das ist Hinterlist.
DER TEUFEL. Die Frage wirst du gar bald verstehen.
SPIEGELGLANZ. O lassen Sie uns zum Dome gehen, viel Altertümer da drinnen stehen. (Ich möchte schier in Angst vergehen.)
Doch der Teufel entschuldigte sich und eilte fort. Spiegelglanz begleitete ihn vors Tor; sie unterhielten sich von der Erziehung zum Gelehrten, und der Teufel brachte ihm alle Grundsätze bei, die Kinder durch erweckte Eitelkeit, Neid, Habsucht zu schnellem Fortschritte zu bringen. Spiegelglanz kehrte heim, küßte seine Schülerin mit wütender Zärtlichkeit; ihr heimliches Lernen hatte alle seine Erwartungen übertroffen. Er machte ihr kleine Geschenke, Kleider, Zeuge und versprach ihr, wenn sie in ihrem Fleiße fortfahren wolle, so machte er ihr die Preisaufgabe: jene Erzählung der Weltschöpfung in Alexandrinern, die er zum Wettstreite für den Platz in der Schule aufgegeben hatte. Johanna sprang fröhlich darüber in den Garten, da dachte sie aber, wie sie rot werden müßte, wenn sie nun den Preis und den ersten Platz erhielte, und sich schämen; sie sah, wie jede Pflanze ihr Blatt, ihre Frucht bewahrte, ohne mit der schöneren zu tauschen, und schämte sich vor allen. Unschlüssig ging sie im Garten umher. Sie wollte einmal zurückkehren und alles aufsagen und selbst arbeiten, da sang ihr aber der Teufel als Kuckuck vor:
Meine Eier
Leg ich in andrer Nest.
Bin nun freier,
Säß sonst wie andre fest;
Die sie brüten aus,
Sitzen still zu Haus.
Alle Kinder rufen mir,
Kuckuck, Kuckuck ich bin hier.
Sie rief ihm nach, es war finster, die Zeit war vorbei. Spiegelglanz gab ihr seine Arbeit zum Abschreiben. Die Schüler kamen den andern Tag in höchster Erwartung zusammen; da war kein Pochen, kein Stoßen, alles horchte, jeder hoffte der Erste zu werden, jeder hätte sein Leben darum gewagt. Johanna, die Johannes in der Schule hieß, von der keiner es erwartet, erhielt einmütig den Preis; keiner hatte das Silbenmaß so vollkommen beobachtet. Mit Weinen nahm sie den Preis an, der von allen beneidet wurde – es war der Preis ihrer Seele.
Nach diesen Szenen bat der kleine Johannes seinen Vater, er möchte doch mit ihm herausgehen, ihm sei nicht wohl: der Vater erfüllte seine Bitte, ließ ihm etwas Wein reichen, und kam mit ihm zurück. Das Stück ging seinen Gang fort, den wir nur ganz kurz berühren wollen: Als Johanna in der Schule weit heraufgekommen, entwickelt sich ihr Stolz und ihre Eitelkeit immer mehr; sie hat kraft dieser Antriebe auch wirklich so viel gelernt, daß sie ohne ihren Lehrer allen überlegen ist, und jetzt will sie sich auch von seiner lästigen Oberherrschaft frei machen. Spiegelglanz, der das bemerkt, entdeckt ihr nun, was sie bisher in der Absonderung ihres Lebens nicht gewußt hat: daß sie ein Weib sei; mache er dies bekannt, so werde sie schimpflich aus der Schule verstoßen; sie muß sich ihm ganz ergeben, der sie jetzt nicht bloß zu seiner Ehre, sondern auch zum künftigen Genusse aufzieht. Sie gehen zusammen nach Athen, wo mancherlei Abenteuer sich ereignen, endlich auch nach Rom, wo sie alles mit ihren Lehren in Staunen versetzt, und das Ziel ihrer Wünsche, den päpstlichen Stuhl besteigt. Jetzt meint der Teufel alles gewonnen, aber er verspielt durch seinen eignen Diener Spiegelglanz, der jetzt, wo Johanna in Ruhm und Glanz stolziert, sie zu seinem wollüstigen Willen leicht beredet. Sie weiß nichts davon, daß sie ein Kind trage, aber ein Besessener verkündet es ihr; in großer Herzensangst betet sie zur Mutter Maria und diese schickt ihr einen Engel: mit dem Troste, wenn sie durch den Schimpf einer öffentlichen Geburt ihren Stolz abbüßen würde, so sollte sie so wie ihr Kind gleich sterben, aber der ewigen Verdammnis entgehen. Sie ergibt sich darein; vergebens warnt sie Spiegelglanz, sie könne es leicht verbergen; sie will beschimpft sein; sie geht in feierlicher Prozession bei dem Kolisseum vorüber, und wird von einem Kinde entbunden; der Teufel dreht ihr und dem Kinde aus Ärger den Hals um. Ein wahrer Papst wird hierauf mit mehr Vorsicht gewählt.
Jedermann wird eingestehen, daß es eine italienische und besondere sizilische Naivität fordert, um solch ein Stück öffentlich in einem Kloster zu geben; die Gräfin war nicht sehr zufrieden damit, es hatte eine schmerzliche Saite in ihr berührt, den Grafen an seinen lieben Traugott wieder erinnert, und erregte eine Menge neugieriger Fragen der Kinder. Während sich alle zur Abfahrt anschickten, zog der kleine Johannes den Vater wieder beiseite, und dieser führte ihn in den Garten, weil er glaubte, daß er irgend eine körperliche Beschwerde habe; hier verfiel aber das Kind in ein fürchterliches Weinen und Schluchzen, das es nicht zu Worte kommen ließ. Endlich zog der Kleine ein paar Tüten heraus, und übergab sie dem verwunderten Vater, der darin Kaffeebohnen und Zucker entdeckte. Als die ersten gebrochenen Worte erlöst waren, da wurde der Zusammenhang dieser Geschichte bald klar. Brülar hatte den Kleinen überredet, er sei zu einer großen Tat bestimmt, und von seinen Eltern nicht geliebt, ihm müsse er folgen; er liebe ihn allein, er wisse allein seinen Mut; er wolle mit ihm aus Sizilien fliehen. Während der Komödie solle er sich hinausschleichen, er werde seiner vor dem Kloster warten. Wirklich hatte der Kleine sich mit dem Bedürfnisse, das ihm am wohlschmeckendsten, versehen, und so glaubte er sich reisefertig; doch in dem Spiegelglanz glaubte er plötzlich ein wahres Abbild von Brülar zu erkennen; er fing ihn an zu fürchten und zu hassen, und hatte endlich in dem Bekenntnisse der Päpstin eine himmlische Weisung geglaubt, alles dem Vater zu bekennen. – Der Graf hatte Verstand genug, die Sache gegen das Kind nicht mit Härte zu beurteilen; vielmehr drückte er ihn zärtlich an sich wie einen verlornen Sohn, und gebot ihm nur den Abend sich zu beruhigen, morgen solle alles mit der Mutter ausgeglichen werden, zu der er ihn, nachdem er ihm Augen und Nase gewischt, zurückführte. Der Graf ging darauf mit einigen seiner Leute an den von Brülar bestimmten Platz, sie fanden ihn; er merkte, daß er verraten sei, und wehrte sich wie ein Verzweifelter. Der Graf wollte ihn schonen, aber im blinden Fechten warf sich der Unglückliche in den Degen eines Bedienten. Er endete als ein tapferer Mann, wie er sich immer gezeigt hatte; nach seinem Tode entwickelte sich aus einlaufenden Briefen die allgemeine Verbreitung seines Unternehmens. Am nächsten Morgen nach dieser Begebenheit führte der Graf den zitternden Johannes zur Gräfin, erzählte ihr, wie sich der arme Kleine von ihnen für ungeliebt gehalten, und empfahl ihn ihrer Liebe, indem er sein kindisches Unternehmen erzählte und verzieh. Die Gräfin wurde sehr gerührt, der mögliche Verlust erweckte ihre Zärtlichkeit zu dem Kleinen, dem sie und ihr Mann jetzt alle die Liebe zuwandten, die seine zärtliche Natur forderte. Der Graf sagte bei dieser Veranlassung sehr ernst zu seiner Frau: »Unsrer Kinder wegen müssen wir nach Deutschland zurück; die beste Privaterziehung kann nicht ersetzen, was Kinder durch den Mangel einer öffentlichen Schule verlieren.« –
Dolores blickte ihn schmerzlich an, aber sie sagte nichts dagegen. Auch er fühlte es, wie schmerzlich es ihm sein müsse, nach so vielen glücklichen Jahren, von denen sich fast nichts sagen ließ, als was er rings geschaffen zur Freude anderer, und was er gelernt in eigner steigender Bildung, was ihm geboren und durch Erziehung noch mehr angeeignet; alles ein Leben ohne Hemmung, unbekümmert über kleine unvermeidliche Beschwerden, nach solchen Jahren zu den empörendsten Erinnerungen zurückzukehren. Dennoch bot sich ihm wenige Tage darauf eine nähere Veranlassung zur Rückreise, die ihn fast bestimmt hätte. Ein Prinz, mit dem er studiert hatte, und der schon damals mit der Fülle seines ernsten zutraulichen Charakters sich ihm angeschlossen, war zur Regierung gelangt, und forderte ihn ganz unerwartet auf, ihm beizustehn mit seinem Rate; alle äußern Verhältnisse, Titel und Gehalt, solle er sich selbst bestimmen. Seiner Dolores mochte er von dem Briefe nichts sagen, der ihn sehr heftig bewegte, und in den heißesten Nachmittagsstunden wach erhielt, wo er sonst mit allen Bewohnern Siziliens zu ruhen pflegte. Er wollte an den Fürsten schreiben; aber trotz der verschlossenen Fenster und der Zuglöcher war es ihm in der Hitze fast unmöglich einen Brief, der so viel Rücksichten beobachten und ausfragen mußte, zu beendigen; ganz ungeduldig, einem Elemente weichen zu müssen, stand er auf und sah in den Nebenzimmern umher; er wollte sich zerstreuen. Da lagen aber Frau und Kinder, wie von einer Pest niedergestreckt; er ging in die Vorzimmer und fand die Diener alle in tiefem Schlaf, wie Tote ausgestreckt. Da er seit Jahren nicht in dieser Stunde aufgewacht war, und umhergegangen, so hatte ihm diese tyrannische Herrschaft der Wärme über den Menschen etwas besonders Schreckliches. »Was ist unsre Kälte«, seufzte er, »gegen diese unabwendbare Not? Wenn die Flüsse bei uns starren, da fließt der Geist fröhlicher durch Stirn und Auge und funkelt heller wie die Sterne; unsre Wälder, der kühle Spielplatz des Sommers, erwärmen den Winter; welch Leben regt sich in diesen Stunden auf allen Feldern Deutschlands; der Erntewagen jagt, die Sicheln klingen, die Binderinnen umspannen die Garben, alles singt. Hier sind selbst die Vögel wie ausgestorben, da ihre Laubdächer fast verdorret sind; nirgends ist frischendes Grün des Bodens, niemand kann sein Eigentum bewahren, die Herrschaft über die Tiere ist verloren, die arbeitsamsten Tiere vermögen nichts mehr, kein Pferd wird aus dem Stalle gezogen, sie träumen an der Krippe und mögen nicht fressen, kein Schornstein raucht gastlich; wie eine schwere Buße ist diese Mittagsstunde des Südens, wo die kalten Schlangen aus den Sümpfen hervorkriechen und sich züngelnd an die Sonne legen, giftige Mücken in der Sonne spielen, die gräßlichen Ungeheuer des Meers, den stinkenden Leib an den Strand legen, und der Ätna seinen Aschenregen über die Insel atmet, daß die Trauben aufspringen, und ihr Blut am Boden versprützen.« – Er stieg bei dieser Erinnerung ganz allein in seinen Keller herunter, um sich dort zu kühlen; aber selbst dahin war die Wärme gedrungen, er entsiegelte eine Flasche echten Rüdesheimer, und nun ward ihm erst wieder leicht, daß er singen konnte:
Grüner Wald im deutschen Lande
Könnte ich dich wiedersehen,
Wiederfühlen dein kühles Wehen
Ohne Schande.
Rhein, du bringst das Gold im Sande,
Spiegelst Sonne an die Trauben,
Füll den Becher mit altem Glauben
Bis zum Rande.
Wein, du kühlest mich im Brande,
Wie die feuerroten Rosen,
Die mit kühlenden Lippen kosen
Meine Schande.
Rosen, die mit kühlem Bande
Hier die heiße Stirne kränzen,
Stächen mich bei den heitern Tänzen
Deutscher Lande.
Deutsches Blut, zerreiß die Bande,
Deutsche Berge stehen feste,
Und der Adler entsteigt dem Neste
Ohne Schande.
Er sprang auf, er wollte nach Deutschland reisen. – Es gibt wohl in allen Menschen solche Augenblicke, wo sie sich weit über alles Erlebte, Gewohnte, Geprüfte und Erkannte hinaussetzen möchten; wären sie Götter, deren Wille gleich Tat würde, wie möchte da der Beste erscheinen; das aber unterscheidet den Guten vom Bösen, daß jener seinen bösen Willen nicht zur Tat werden läßt. Der Graf fühlte bald, daß er seine Dolores zu einer so weiten Reise nicht verlassen könnte, ohne sie tief zu kränken; sie mitzunehmen, das schien wegen der Empfindlichkeit, die sie bei jeder Erinnerung aus Deutschland traurig machte, unmöglich; die Freundschaft zur Herzogin, ihre Liebe zu den Kindern hatte auch ihre Rechte; durch alle diese Verhältnisse glaubte sich der Graf verpflichtet, der Wirksamkeit in Deutschland für jetzt noch zu entsagen, und alles Wohltätige, was er für sein Vaterland träumte, andern und der Zukunft überlassen zu müssen, – so unendlich sind die Folgen des Guten, des Bösen.
Jener Tag im Kloster, der den kleinen Johannes seines furchtbaren Lehrers beraubt hatte, während er ihm die Liebe seiner Eltern schenkte, hatte sehr tief auf ihn gewirkt; sein ganzes Wesen entwickelte sich vorzeitig schnell und leidenschaftlich; er schloß sich an alle Menschen mit einer Innigkeit, die sich in der Berührung mit gewöhnlicher Kälte leicht in Haß umsetzte. Keinem war er so ganz und unveränderlich ergeben, wie der Mutter; er geizte nach ihren Blicken, lauerte auf ihre Wünsche, und verstand ihre Gedanken; tagelang ließ er kleine Geschenke der Mutter nicht aus den Händen, und bedeckte sie mit unzähligen Küssen. Den andern Kindern war dieses Wesen bloß lächerlich, sie neckten ihn auf alle Art damit; doch die Herzogin sah viele Leiden aus dieser Leidenschaftlichkeit voraus, und suchte vergebens sie zu mäßigen; ein böses Wort der Mutter konnte ihn auf Tage zu allem Lernen unfähig machen; ein günstiger Blick spannte ihn zu so großer Anstrengung, daß er in wenigen Stunden alle übertraf; für Tanz und Musik zeigte er besonders glückliche Anlage. Diese frühe Heftigkeit, diese Anstrengungen bewegten ihn zu gewaltsam; eine ängstliche Besorglichkeit bemächtigte sich seiner oft mitten in der größten Kühnheit; auf den höchsten Bäumen, die er zum Staunen aller erkletterte, beengte ihn dann eine Angst, daß er mit Tränen bat, ihn herunterheben zu lassen; von seinen Büchern, von seinen Schreibereien nahm er jeden Tag feierlichen Abschied, als sähe er sie nicht wieder; während er die wunderlichsten Abhärtungen an seinem Körper versuchte, bebte er vor einem Ohrenklingen, als sei es eine furchtbar nahende Krankheit. Das alles war ein Gegenstand des Spottes der Geschwister, und dieser Spott entfremdete sie von ihm; einsam baute er sich eine Art Festung, in die er niemand einließ, eine Schwester ausgenommen, und von wo aus er allen Vergnügungen der Geschwister zusah, zu denen er, wenn es ihm einfiel, mit gewaltigem Eifer eintrat. Der Graf meinte ihn zum Soldaten bestimmt, und ließ ihm diese frühzeitige Beschäftigung mit Befestigungen und militärischen Schriftstellern; aber der Himmel hatte ihn milder gelenkt. Eines Morgens wurde er vergebens zum Frühstücke gerufen; der Graf ging endlich mit dem Vorsatze ihn zu strafen nach der Festung, und fand ihn nicht, aber statt seiner einen Brief, der durchnäßt von Tränen, und sehr undeutlich geschrieben dem Erschrockenen die Nachricht brachte, daß der Knabe in das Kloster des heiligen Laurentius geflüchtet sei, wo jene Komödie ihn damals zu seinem Besten geführt; er habe sich auf einer großen Sünde überrascht, zu deren Buße er dort als Novizius ein geistliches Leben anfangen wolle. Der Graf ritt zornig zu dem Abte des Klosters, und fragte ihn, wie er es wagen könne, ein Kind ohne Wissen der Eltern aufzunehmen? Hier unterrichtete ihn der Abt, daß er nach seiner Pflicht niemand abweisen dürfe, der sich in den Schutz der Kirche flüchte, am wenigsten aber einen reuigen Sünder, der sein Heil in ihrem Schoße suche. – »Aber welche Sünde kann der Kleine getan haben, von dem wir nie andres als Liebe erfuhren?« – »Diese Liebe«, sagte der Abt, »ist sein Verderben; durch ein heiliges Buch ist sein Gewissen geschärft, er bekennt sich sträflicher Leidenschaft zur eignen Mutter schuldig, er ehrt sie über Gott.« – Vergebens wandte der Graf ein, daß diese kindische Grille eher ein Wahnsinn als eine Schuld zu nennen; er ging zu dem Kleinen, der aber schon das Gelübde des Stillschweigens angenommen, im Gebete versenkt vor dem heiligen Laurentius lag; er hörte ihn, aber er antwortete nicht. Der Graf hoffte, daß die Zeit ihn am besten heilen würde, und überließ ihn einige Zeit dem strengen Leben. Nach vierzehn Tagen kam er wieder, und ermahnte ihn zur Rückkehr ins väterliche Haus; der Kleine hatte Erlaubnis zu sprechen, und beantwortete diesen Zuspruch mit einer abschreckenden Darstellung aller Sorgen der Welt. Als der Graf von den Sorgen seiner Mutter um ihn sprach, da wendete er sich ab, und betete mit unzähligen Tränen. Der Graf war so tief gerührt, daß er ihn gewaltsam dem Kloster entreißen wollte, aber der Abt erinnerte ihn feierlich, warum er ihn seiner Bestimmung gewaltsam entreißen wolle, um ihn vielleicht der Schuld hinzugeben; »jede Schuld«, sagte er, »ist eine verfehlte Bestimmung.« Der Graf dachte hier unwillkürlich an Dolores, und an den Wallfahrtort, und ließ dem Kleinen noch längere Bedenkzeit. Aber die Zuversicht zu dem neuen Leben wuchs immer mehr in ihm; er war ein Vorbild aller im Kloster; sein Wesen erinnerte den Grafen an Traugott, er glaubte, seine religiöse Gesinnung sei eine Vorahndung des Todes, und nahm schmerzlichern Abschied bei jedem neuen Besuche. Die zurückgelassenen Papiere des Johannes sammelte er sorgfältig, und schrieb traurig einige Worte der Erinnerung darauf:
Hatte nicht der frische Morgen
Dich in seinem Arm gewiegt,
Haben dich die müden Sorgen
Vor dem Abend schon besiegt.
Hatte nicht die Sonnenhelle
Dich mit ihrem Strahl umspielt,
Müde liegst du an der Schwelle
Einer Nacht, die alle kühlt.
Hatten nicht des Muts Gedanken
Dich zum heitern Tanz geführt,
Mußten deine Tritte wanken,
Als dein Herz da tief gerührt.
Hatten nicht die frohen Töne
Deine Stirne kühl umkränzt,
Ach wo ist nun alles Schöne,
Wo dein Blick, der uns umglänzt.
Hatte nicht die erste Liebe
Dich mit süßem Wort geweckt;
Ach bald ist's die letzte Liebe,
Die mit Erde dich bedeckt.
So heftig der Graf und die Gräfin von diesem Ereignisse erst zerrissen waren, so mild wußte Klelia sie beide auf die Gnade aufmerksam zu machen, ein geliebtes Kind in so heiliger Bestimmung zu verlieren. Johannes starb auch nicht, vielmehr wuchs er kräftig auf in seinem strengen Leben, und viel Segen kommt von ihm in künftigen Tagen der Leiden über das ganze Haus, nachdem er vorreif in körperlicher und geistiger Entwickelung, vielleicht auch in Hinsicht seines Standes, frühzeitig die Priesterwürde erhalten.