Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores

Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein

Dritte Abteilung.

Schuld.

Zweites Kapitel

Kleliens Verheiratung an den Herzog von A ...

Vierzehn Tage nachher traf Kleliens Danksagungsbrief für die angewiesene Ehrenstelle ein, sie wollte sich nach allen Kräften des Kindes annehmen; zugleich enthielt der Brief die unerwartete Nachricht, wie sie einem spanischen Herzoge von A ..., der auch in Sizilien große Güter besitze, in Palermo vermählt worden. Sie erzählte, wie sie einander bei einer Wasserfahrt begegnet, wie er in der Kathedralkirche an ihrer Seite geknieet, so fromm und bescheiden seine Liebe ihr kund getan; sie rühmte gleich hoch seine Frömmigkeit und seine Talente, die in seiner Schönheit einen herrlichen Tempel gefunden; sie erzählte, wie er ganz Europa durchreist, um den sittlichen Zustand aller Nationen kennen zu lernen; wie er auch ihren Vater gekannt und lieb gewonnen habe, und ihre Muttersprache geläufig rede. – Dolores seufzte in sich bei diesem Briefe; gewiß, dachte sie, wäre ich meinem Wunsch mitzureisen gefolgt, er hätte mich vorgezogen; die weite große Welt stände mir dann offen; schon das Spanische in der Geschichte wäre ihr willkommen gewesen; aber dieser Glanz eines unermeßlich reichen herzoglichen Hauses, in alter und neuer Welt gleich begütert, gleich berühmt, eines Mannes, der in den ersten Stellen seines Hofes Zutrauen genossen, neben dem anständigen, aber mittelmäßigen Geschicke eines wohlhabenden Grafen, dessen höchster Ehrgeiz es war, seinen Bauerknaben auf die kürzeste Art etwas Geschichte und Lesen zu lehren, den Mädchen Kochen und allen eine gesundere und frohere Art zu leben, der das Hofgehen für einen harten Frondienst hielt: dieser Untergang von Licht zu Schatten blendete ihre Augen, daß sie übergingen. Sie blieb den Abend ganz ärgerlich; der Graf aber, der so kleine Empfindlichkeiten schon in ihr als Vorboten großer Zärtlichkeit kennen gelernt hatte, nahm es wieder lachend auf, und belohnte es mit der Zärtlichkeit, die sein ganzes Wesen noch immer wie am ersten Tage ihrer Bekanntschaft bei jeder Berührung ihrer weichen durchsichtigen Hand belebte. Den andern Tag entschädigte sich die Gräfin wenigstens damit bei ihren Bekannten, daß sie erzählte von ihrem Schwager, von seinem Reichtume, seiner Pracht, daß er ihr eigentlich bestimmt gewesen, daß sie sich aber glücklich schätze, nicht in so fremde Gegenden wandern zu müssen.

Ein anderer Brief von Klelien, voll treuer lebendiger Beschreibungen ihrer Güter, der Sizilianer, ihrer Feste, ihrer Lebensweise, enthielt auch die Nachricht, wie der Herzog sie in Angelegenheiten seines Hofes verlassen; die Trennung hatte sie krank gemacht; seitdem sie genesen, ging sie täglich nach dem Garten eines hochliegenden Nonnenklosters, um über das Meer zu sehen, wo ihr Mann gefahren, und eine Schar Mädchen zu unterrichten, die sie auf den Gütern auserwählt, um sie am Tage der Rückkehr ihres Mannes auszustatten; »das alles«, schrieb sie, »kommt nicht aus mir, sondern ist Nachahmung meines lieben Schwagers, dessen Freundschaft mich noch hier zu manchem Guten aufmuntert, worauf ich sonst nicht verfallen wäre.« Der Brief beschämte etwas die Gräfin, die immer auf des Grafen Beschäftigungen mit einem eignen geistreichen Hochmute hingeblickt; sie war ihm den Tag außerordentlich gewogen und wie liebreich sie sein konnte, wenn sie es wollte, das wissen alle Engel, die ihr dann aus den Augen blickten.


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