Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores
Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein
Zweite Abteilung.
Reichtum.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Tod der Frau Waller und Wallers vergebliches Verlöbnis
Der Morgen des folgenden Tages wurde jammervoll erweckt; Waller hatte seine Frau, als er sie zum Frühstücke erwecken wollte, tot gefunden, und lag seitdem in einer wunderbaren Raserei an ihrer Seite auf dem Bette. Der Graf scheute sich erst, seinem tiefen Schmerze zu begegnen, nur die Zeit vermag für jeden wirklichen Verlust zu trösten; bald wurde er aber von den schönen Elegien angezogen, die den Lippen des Unglücklichen entströmten; da fehlte keine Silbe in den Versen, trotz der schreckenvollen Erscheinungen, die sie ausdrückten. Leicht ließ er sich überreden, was er vorher durchaus nicht zugeben wollte, daß der entseelte Körper in ein andres Zimmer gebracht würde, nachdem der Graf ihm versichert, daß die Ausdünstung der Toten die Lebenden nachzöge. Noch bestrich er dreimal eine Warze über seinem Auge mit der kalten Hand der Toten, daß sie ihm noch einen Liebesdienst erweise; dann überließ er sie den fremden Gewalten, und erbat zu ihrer Einsetzung den Prediger Frank als den nächsten evangelischen Geistlichen zu sich. Nun wurde er selbst in ein andres Zimmer des Schlosses getragen, denn er glaubte sich zu schwach zum Gehen. Die Kinder blieben in fürchterlichem Weinen bei dem Grafen, der in die angefangene Zeichnung der Gegend schaute, die halb von der Verstorbenen ausgewischt war; die Semmelkrumen lagen noch umher. Es war ihm heilig, dieses Bild, als der letzte Lichtfunken eines schönen Malertalentes; er ließ alles an derselben Stelle liegen, und führte die beiden Kinder in seinen Garten. Nichts war im Stande, sie zu trösten, der Strom der Tränen schien seine lindernde Kraft an ihnen nicht auszuüben, kein Geschenk sie zu erfreuen; endlich fiel der Graf auf den guten Gedanken sie zu einer Angelbank zu führen. Dies Geschäft war ihnen ganz neu; das Suchen der Regenwürmer, das Aufstecken, das Warten auf die Bewegung des schwimmenden Federkieles, zerstreute sie in wenigen Minuten so ganz und gar, daß sie ausgelassen lustig wurden – wie leicht trösten sich Kinder um ihre Eltern. In dieser Beschäftigung erhielt er sie den Vormittag, dann ging er mit ihnen zurück, ohne daß sich ihre gute Laune gemindert hätte. Der Graf trat in das Zimmer, wo Waller auf dem Bette lag; der Prediger Frank und drei schöne Landmädchen, die Töchter eines sehr reichen Amtmanns in der Nähe, standen umher und hörten mit Tränen seinen Schwärmereien zu. Waller begrüßte die drei Mädchen in recht anmutigen Versen als die drei Grazien, die gekommen wären, ihn für den Verlust der Geliebten zu trösten. Sehr lebendig malte er sein verlorenes Glück, beschrieb seine künftige Einsamkeit, seine verlassenen Kinder; dann glaubte er die Stimme seiner verstorbenen Frau zu hören, er wiederholte schauerlich ihre einzelnen gebrochenen Worte, die ihm geboten, die Hand der Schönsten von den drei Mädchen zu ergreifen und seinen Trauring daran zu stecken, sie könne, sie würde ihn trösten; ihr zeichnete er ein reizendes Künstlerleben vor. Der Graf glaubte, es sei schon etwas Entschiednes zwischen beiden vor dem Tode der Frau gewesen, um so mehr staunte er, als die drei Mädchen ganz bleich das Zimmer verließen und die Erwählte den Grafen ängstlich bat, als er sie zum Hause hinaus begleitete, er möchte ihm den Ring zustellen, und ihm sagen, daß sie ihn sehr hochachte, daß sie ihn aber unmöglich heiraten könne, denn dazu gehöre doch mehr; daß sie von je, seit er in diesem Hause gewohnt, seine unglückliche Frau bedauert, die er mit seinem Unsinn zu Tode gequält, und daß sie jedem Mädchen von einer Heirat mit ihm abraten würde. Mit diesen Worten verließen die entschlossenen Landmädchen das Haus und der Prediger Frank, der neben dem Grafen stand, lachte aus vollem Halse. »Ich bin in Geschäften hier, Herr Graf«, sagte er, »also nicht gegen Ihren Befehl, aber ich hätte nicht erwartet, mein Geschäft so reichlich bezahlt zu sehen.« – Der Graf bat ihn um Entschuldigung jener Beleidigungen am Hochzeitabend, die sein beleidigter Dichterstolz aus ihm gesprochen. »Heute«, fuhr Frank fort, »sollen Sie noch ganz andre Erfahrungen über den Dichtercharakter machen; bringen Sie nur in aller Ruhe Herrn Waller den Gruß der Mädchen.« – Der Graf trat ein und berichtete mit möglicher Vorsorge in vollkommener Treue. Waller schien wie aus einem Traume zu erwachen, er fragte die anwesende Gräfin, was er getan; er verwunderte sich, als ihm die Verlobung erzählt wurde, lächelte, sagte, es sei eine schöne milde Täuschung seiner Sinne gewesen; sprang frisch und gesund vom Bette und schrieb laut lesend:
Willst du nicht den Ring bewahren,
Den die Freundin lange trug,
Der geschmückt mit ihren Haaren;
Nahmst du ihn aus bloßem Trug?
Schickest ihn mit klaren Sinnen
Und mit ernstem Wort zurück!
Kann ich mich doch nicht besinnen,
Was ich dacht in deinem Blick,
Tröstend ist es mir gewesen,
Was ich damals zu dir sprach,
Denn ich bin davon genesen
Und ich war vorher so schwach.
Warum willst du nicht behalten,
Was ich gern im Traum verlor,
Kann ich doch nichts fester halten,
Denn ich bin und bleib ein Tor.
Nimm statt eines, beide Ringe,
Daß ich nicht mein Unglück seh,
Halt mich nicht so ganz geringe,
Daß ich dich mit List umgeh.
Alles Glück hab ich empfunden,
Mit der Liebsten schwand es hin.
Immer bluten meine Wunden,
Bis ich ganz verblutet bin.
Glück soll dir die Hände bieten,
Unglück brächte meine Hand,
Denn gefallen sind die Blüten,
Und ich bin vom Schmerz verbrannt.
Diesem Briefe legte er beide Trauringe bei, und bat den Grafen dringend sie fortzusenden; dann legte er sich wieder aufs Bette und schnarchte so lächerlich, daß alle sich auf die Lippen beißen und das Zimmer verlassen mußten.
Im Vorzimmer fing sich eine lange Untersuchung über den wunderlichen Menschen an. Den Grafen hatte diese Geschichte von ihm zurückgeschreckt; die Gräfin fand darin viel Rührendes und Prediger Frank hatte sie schon zu seiner Menschenkenntnis anatomiert und alles Fehlerhafte sauber eingeschlagen, um es in dem ewigen Spiritus seines unverwüstlichen Gedächtnisses aufzubewahren. – FRANK: »Ich glaube, wir lesen die ganze Geschichte bald gedruckt; ein Dichter von der Art wie Waller erlebt selten etwas, wovon sein Buchhändler nicht auch Vorteil oder Schaden hätte.« GRÄFIN: »Ich fürchte immer noch, er tut sich ein Leides an; sein Zustand war nicht natürlich, er war heftig und schrecklich, mehr als ein Mensch ertragen mag.« FRANK: »Haben Sie nicht sein Gesicht gesehen, wie viel wunderliche Falten auf der Backe, über den Augen; ich kenne Wallern; in einer Tragödie, die er liest, macht er zehnfach ärgere Gesichter noch, als er heute um seine Frau angelegt, ob er gleich mit jedem, der ins Zimmer trat, noch eine Falte aufzog, noch ein Stück Holz in sein Trauerfeuer legte.« GRAF: »Sie haben recht, das ist mir ganz verhaßt, daß er mit keinem ein daurendes wahres Verhältnis ungestört durch die Gegenwart anderer bewahrt; aber während er noch vertraulich mitteilend mit einem im Augenblicke sprach, ward dieselbe Sache ihm gleich zum Spotte, wenn z.B. meine Frau hereintrat.« FRANK: »Sehen Sie, Herr Graf, das ist eine Eigentümlichkeit des Künstlercharakters, vieles Traurige und Lustige, Ernst und Spaß wie eine Schimäre zusammen zu denken. Die Frauen sind zufrieden, wenn man ihnen nur etwas zu tun macht, sie mit Hülfe und Mitleid anstrengt.« GRÄFIN: »Nicht zu allgemein.« FRANK: »Das Pflegen eines ausgezeichneten Menschen, der sich leidend stellt, setzt die Frauen in eine gewisse Autorität gegen ihn.« GRÄFIN: »Ich kann keinen Kranken pflegen und wär er mein eigener Mann. Nicht wahr, Karl, das hast du erfahren, als du ein paar Tage nicht wohl warst? Schon die eingeschlossene Zimmerluft ist mir verhaßt.« GRAF: »Du hast recht. Ich mag mich auch von keiner Frau pflegen lassen.« FRANK: »Und doch waren Sie so allseitig um den großen Dichter beschäftigt; es ist unglaublich, wie ein großer Name wirkt; denn aufrichtig gesprochen, haben Sie etwas anders von ihm vernommen als Unsinn?« GRAF: »Nein, mein Herr Prediger, viel Schönes hat er uns vorgetragen, aber freilich in einer Art, die sich unter einander vernichtet, wie jene zwei Löwen, die sich so lange bissen, daß endlich nichts als die beiden Schwänze übrig blieben.« FRANK: »Sehr wahr, und das ist wieder Künstlercharakter; dieses Hetzen in sich, dieses ewige Kritisieren, das in aller Berührung mit der Welt durchaus tötet und nie belebt, jedes Spiel verdirbt, jeden frohen Gesang ängstiget, ob er auch an seiner Stelle. So wirkt die frische Literatur, wie die frischen Zeitungen gar böse auf die Augen; ein junger Dichter glaubt es seine Schuldigkeit, einer ganzen Gesellschaft alle eigenen gewohnten Straßen der Fröhlichkeit mit seinen gezwungenen Verrenkungen sogenannter Laune, Phantasie, Humors, Witzes und Genies zu verleiden, indem er sich wie ein Fallsüchtiger quer drein legt.« GRAF: »Da müssen wir ja die Künstler absondern von aller Gesellschaft, wie der ägyptische König die dreißig Kinder in eine Wüste verpflanzte, damit sie die Ursprache erfänden.« FRANK: »Ja wohl, lieber Graf, wie die Bildhauer von dem Staube leicht die Schwindsucht, die Maler vom Farbendunste die Malerkolik bekommen, Tonkünstler leicht taub werden, und mit diesen Krankheiten alle die anstecken, die in ihren Werkstätten hausen, so teilen die Dichter ihren Dichtersparren gar leicht den Menschen mit, die sie sich zu ihrer Werkstatt erlesen, und dazu ersehen sie in ihrer Torheit die ganze Welt und denken nicht daran, daß ihnen nachher keine Leser übrig bleiben.« GRÄFIN: »Sie wissen, ich sage meine Meinung. Sie sind ein Verstandesmensch, Sie wissen nicht, was Begeisterung sei, wie ein Mensch darin im Augenblick über alle erhaben die Welt überschaut, wo sie uns verschlossen mit Bergen und Wolken; muß er da nicht hart sein gegen die, welche ihn nicht verstehen und seiner Gaben sich nicht erfreuen?« FRANK: »Haben Sie nie Verse gemacht oder sonst in Worten etwas dargestellt?« GRÄFIN: »Nein, ich wagte es nie, die Worte waren mir immer entfernter als Musik und Zeichnung.« FRANK: »Nun kann ich es mir erklären, wie Sie Dichter für so ganz besondre Menschen halten. Erst in eigner Übung lernt man bei aller Kunst das Übereinstimmende augenblicklicher Eingebung mit jahrelangem Streben erkennen; wie die Körper nur flüssig auf einander wirken, so bedarf das Geisterreich einer vieljährigen lösenden Wärme, ehe es seine edlen Metalle in einem Geiste niederschlägt und frisch kristallisiert in einem Augenblicke allen zur Bewunderung herstellt. Ob einer unter Büchern, oder auf einsamer Heide, oder in sich verschlossen unter einer Menschenmenge, dieser Sehnsucht seines ganzen Herzens nachhängt, das kommt auf eins: dieses sind die wahren Dichter; jene aber, die, wie Waller, auf halbem Wege stehen bleiben, möchten ohne eine Sehnsucht nach dem Herrlichsten, diese heilige Gabe immerdar empfangen, und so wird jede Torheit, die ihnen durch den Kopf geht, als eine heilige Gabe von ihnen geachtet und ausgeschrieen. Die Welt tauscht diese Torheit mit andrer Torheit ein, so ist es ein ewiges Rühren und Erquicken zwischen der mittelmäßigen Welt und den mittelmäßigen Dichtern.« GRÄFIN: »Denken Sie auch, was Sie mir darin sagen.« FRANK: »Ich darf es sagen, denn Sie denken eigentlich höher und tiefer, aber Ihr guter Glaube, Ihr wohlwollen nimmt Ihnen das ruhige Urteil über Waller.«
Die Gräfin stellte sich ärgerlicher, als sie war; sie ging zu Waller, der gewaltig nieste und etwas zu essen begehrte. Der Schlaf schien den Mann verwandelt zu haben; während er mit großer Begierde aß und trank, ließ er schon seiner ganzen Lustigkeit den Zügel. Die Kinder mußten ihm ein Puppenspiel bringen, das er von einem Freunde, dem Puppenspieler Rubald, zum Geschenke erhalten hatte, nachdem dieser wieder in den Krieg gezogen. »Ein großer wunderlicher Kerl«, so beschrieb ihn Waller, »in allen Weltteilen hatte er schon gefochten und mit Puppen gespielt; er zeigte mir einmal seine Brust, da war jede Schlacht und jedes neue Puppenspiel mit Pulver einpunktiert, die er mitgemacht; keinen andern Orden hatte er bewahrt. Ein Hufeisen trug er wie einen Ringkragen um den Hals, das hatte er dem Hinterfuß vom Pferde seines eignen fliehenden Feldherren, um ihn aufzuhalten, abgerissen, und war dabei mehrere Schritte weit halb tot fortgeschleift worden. Er hatte einen törichten Haß gegen die Juden; vergebens stellte ich ihm oft vor, daß sich die Juden in unsrer Zeit in jeder Tugend, in jedem Talente bewährt hätten; noch sein letztes Stück war zum Teil gegen eine reiche Judenfamilie gerichtet, die sich in der Art, wie sonst reiche adlige Häuser in einer Residenzstadt gegen den verarmten Fürsten aufgelehnt hatte, nachdem sie durch Lieferungen schnell reich geworden.« – Alle baten, er möchte das Stück geben, denn nach aller Beschreibung ginge es auf ihren ehemaligen Fürsten, den in seiner Residenz gleiches Schicksal betroffen. Waller hatte das ganze Stück und war bereit es aufzuführen. Sein Theater wurde hinter einer Türe aufgeschlagen; jeder half dabei, was er konnte, und die meisten standen dabei im Wege. Am Abend, als Licht angezündet wurde, war der geheimnisvolle Vorhang schon vorgezogen und Waller in seinem Zimmer versteckt. Nach einer kurzen Musik, die er mit Händen und Füßen und dem Mundwaldhorne klapperte und brummte, erhob sich der Vorhang, und die Zuschauer sahen den großen Kopf des Waller, der das Theater fast füllte, durch Schminke und Schwärze lächerlich charakterisiert.