Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores

Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein

Zweite Abteilung.

Reichtum.

Fünfzehntes Kapitel

Geschichte des Mohrenjungen

            Pripert war ein mächt'ger Herzog
            Von dem großen Volk der Pirpen,
            Saß auf einem hohen Schlosse
            Bei dem dunklen Karpfenteiche,
            Wo die braunen Frösche hüpfen;
            Seine Schwester hieß Fikette,
            Fidibus sein schlankes Weibchen.
            Als die Schwester in den Jahren,
            Wo sie könnte sich vermählen,
            Denn verliebt war sie schon lange,
            Fordert er von seinen Ständen
            Ihre Ausstattung ganz schleunig,
            Samt und Seide wie gewöhnlich,
            Und die Stände bringen beides.
            Doch nachdem er es befühlet,
            Scheint ihm beides also köstlich,
            Daß er es gern selbst behielte,
            Um sich einen neuen Schlafrock
            Statt des alten, der zerrissen,
            Zu der Cour daraus zu schneidern;
            Und die schöne junge Schwester
            Sendet er nun als Äbtissin
            Nach dem großen Fräuleinstifte,
            Daß sie es nicht fordern könne.
            »Samt und Seide sind jetzt teuer«,
            Sagte ihr der gute Bruder;
            »Kommen gar viel fremde Prinzen,
            Wie es bei der Werbung möglich,
            Geht mehr Hafer, Weißbrot, Kuchen
            Auf an einem einz'gen Tage,
            Als du ißt im ganzen Jahre;
            Auch die alten Livereien
            Sind dann nötig umzuwenden,
            Mancher Knopf geht da verloren,
            Mancher Flecken kommt beim Essen:
            Darum ist es mehr geraten,
            Daß du bleibest unvermählet.«
            Traurig fährt Prinzeß Fikette
            Nach dem alten Fräuleinstifte,
            Doch gedenkt sie, da zu finden
            Holde liebliche Freundinnen,
            Denen sie sich kann vertrauen;
            Ach was findet sie für alte
            Ausgedürrte, ausgeschriene,
            Gelbe Tabaksschnupferinnen,
            Die im ewigen Gezänke
            Ihr das Blau im Aug abstreiten;
            Alle fluchten wie die Landsknecht,
            Kommen stets zu spät zum Singen;
            Keine wollte Brot anschneiden,
            Keine das Gebet hersagen.
            Wenn sie dann in ihren Nöten
            Zu dem tapfern Stiftshauptmann
            Hat gesendet ihre Diener,
            Da begann erst recht die Fehde,
            Und der Hauptmann war noch fröhlich,
            Wenn er ohne Nägelmale
            Zu der Tür hinaus geflüchtet;
            Sicher fand er Reihen Zähne
            In dem Rocke fest verbissen,
            Ziegenhaarige Perücken,
            Lappen Flor in seinen Händen;
            Ach es sind zu alte Sünder,
            Um sich jemals noch zu bessern!
            Zählt zusammen ihre Jahre,
            Steigen sie zu vielen Tausend,
            Bis zu Medern und Assyrern,
            Und Methusalem dagegen
            Ist ein elend junges Bürschchen.
            Also war der Stamm beschaffen,
            Also war ihr reines Leben;
            Denn unheil'ger ist wohl nimmer
            Auf der Erd ein Stift gewesen,
            Und geplagter war auch keines.
            »Sagt, was spotten denn die Männer
            Über uns, die alten Jungfern,
            Also frech von allen Seiten,
            Ist es nicht die Schuld der Männer,
            Unser Wille war es nimmer!«
            Also seufzte manches Fräulein,
            Das recht tückisch war genecket,
            Wenn die Knaben aus dem Städtchen
            Mit den flinken Blaseröhren
            Ihren Kater niederschossen,
            Der zum Nachbarhaus geschlichen,
            Auf den Dächern kühnlich irrte.
            Gab es Schnee, so standen morgens
            Weiße Männer vor dem Fenster;
            Jeder Baum, der in der Nähe,
            Ward bezeichnet mit Skandalen,
            Und die Früchte weggestohlen;
            Und für so viel stete Leiden
            Was war die Entschädigung?
            Keine reichen Nadelgelder,
            Keine Leckerein beim Schmause,
            Gleiche Kost an jedem Tage,
            Täglich Ziegenfleisch und Erbsen,
            Damit war das Stift dotieret: –
            Schwere Kost für alte Magen!
            Darum suchte jedes Fräulein
            Ihre mächt'gen Portionen
            Heimlich solchen zu verkaufen,
            Die dafür was Leckres brachten;
            Darum schlichen viele Leute
            Abends durch des Stiftes Garten,
            Um zu tauschen, um zu kaufen
            Ziegenfleisch und gelbe Erbsen,
            Heimlich, daß doch die Äbtissin
            Nichts von dem Erwerbe wisse.

            Arme, arme Fürstentochter!
            Die in ihren frühen Jahren
            Mit so manchem schönen Pagen
            Ein Versteckens oft gespielet,
            Und nach ihrem frohen Sinne
            Sie genecket und geküsset.
            Ach noch denkt sie an den einen,
            Der so oft am gläsern Wagen
            Neben ihrem Sitz gehangen
            Und mit seiner heißen Liebe
            Ihr das Spiegelglas behauchte,
            Bis er ihr darin verschwunden!
            Ach er ist nicht ganz verschwunden!
            Seit er ist herangewachsen,
            Reitet er nach der Parade
            Täglich bei dem Stift vorüber,
            Als ein prächtiger Dragoner
            Mit dem Degen an der Seite,
            Mit der Feder auf dem Hute,
            Mit den schönen blanken Stiefeln,
            Mit der weißen Kraus am Hemde,
            Mit der hohen schwarzen Binde,
            Mit dem Rock Vergißmeinnicht,
            Mit den Wangen Milch und Blut,
            Mit dem schwarzen Knebelbarte;
            Kommt geritten, sie begrüßend,

            Seinem Pferd hat er gelehret,
            Sich zu bäumen und zu wiehern,
            Daß der Puder weit aufflieget,
            Hat er ab den Hut genommen –
            Also weicht er von dem Stifte
            Wie ein schönes Wolkenbild.
            Alle Nächte denkt sie seiner,
            Wenn das Dunkel Frieden stiftet,
            Und kein Blick sie mehr belauschet,
            Wenn sie wandelt in dem Garten,
            Süßes Schmachten in dem Herzen,
            Holde Töne auf den Lippen,
            Denen sie sich gern vertrauet,
            Weil sie nicht als Zeugen dienen,
            Sondern alsogleich versinken
            Wie der Traum, der sie geschaffen.
            Leise singt sie ihre Lieder,
            Wie die Quellen zu den Veilchen,
            Und im Hauche dieser Veilchen
            Scheint der Liebling ihr zu nahen,
            Mit dem Degen, mit dem Hute,
            Mit der Krause, mit den Spornen,
            Mit dem Zopfe, mit dem Puder;
            Und mit ausgespannten Armen,
            Wie mit Segeln zu dem Hafen,
            Stürzt sie in den Arm des Teuren:
            Und da sind es leere Lüfte,
            Eine Hand, die faßt die andre;
            Traurig singt sie leise flüsternd:

 

Gesang der Äbtissin

            Soll ich's mir wie Strahlen denken,
            Wie die Veilchen ferne düften
           Und den Lüften
            Doch die nahe Wollust schenken?
            Will der Wind sie zu mir lenken,
            Muß ich denken
            Meiner Lieb in allen Sinnen,
            Träumend ihn in Liebe grüßen;
            Ihn zu küssen
            Mein' ich und mich einzuspinnen
            In des Vielgeliebten Armen;
            Süß Erwarmen!

            Seine Lippen Hyazinthen
            In dem frischen runden Schnitte,
            Und die Mitte
            Ist ein Kelch, den zu ergründen
            Tausend schöne Worte dienen!
            Welch Erkühnen!
            Alle möchte ich ergreifen,
            Ihn zu finden unter allen;
            Ich muß fallen
            In ein wüstes leeres Schweifen!
            Wiederum ein Jahr vergangen
            Im Verlangen!

            Etwas muß der Mensch doch lieben,
            Süßer Duft, du mußt vor allen
            Mich umwallen,
            Flieh die Blumen, die betrüben,
            Weil von jenes Frühlings Scherzen
            Zeugen schwärzen;
            Süßer Duft, nimm mein Vertrauen,
            Denn zu hart sind die Gespielen
            Den Gefühlen,
            Daß sie nie die Liebe schauen;
            Lieblos sich dem Himmel geben,
            Ist ihr Leben.

            Alles hab ich dir gegeben,
            Schönes fernes Bild im Herzen,
            Lust und Schmerzen,
            Nahe endlich, nimm mein Leben! –
            Wie die Reben niederhängen
            In den Gängen,
            Die ich sonst um feste Bäume
            Mit der eignen Hand geschlungen!
            Ach umschlungen
            Hab ich oft, o süße Träume,
            Diesen Baum, der dir geweihet,
            Tief erfreuet! –

            Also sang die Frau Äbtissin,
            Glaubt den dunklen Stamm zu fassen,
            Den sie dem Geliebten weihte,
            Doch von ihrer Glut getäuschet
            Hat sie einen Mann umfasset,
            Der da heimlich sich gestellet,
            Als ob er ein Baum gewesen,
            Daß sie ihn nicht möchte sehen.
            Und sie meint, sie täte Wunder
            Und belebte liebend Bäume;
            Das ist Schwärmerei, nicht Sünde,
            Denn sie war sonst sehr moralisch;
            Doch zu groß ist dieses Wunder
            Für die liebekranke Seele!
            Ist der Baum zum Menschen worden,
            Kann sie ihm doch nicht entziehen,
            Was ihm schon als Baum so eigen,
            Ihrer Liebe schönen Glauben;
            Und so sehen wir hier wieder,
            Daß die Phantasie verbunden
            Mit der Wahrheit falschem Bilde
            Sei wie Pulver in der Bombe,
            Die von Unschuld aufgelesen,
            Wie alt Eisen in das Feuer
            Wird geworfen und zersprenget
            Schuld und Unschuld, falsche Wahrheit,
            Wahre Phantasie und falsche.
            Daß der Mann kein Baum gewesen,
            Muß sie endlich doch wohl glauben,
            Daß es aber der Geliebte,
            Prächtig glänzende Offzierer,
            Dem wie Milch und Blut die Wangen,
            Glaubt sie mit demselben Glauben.

            Traurig und verlangend schmachtet
            Die Prinzessin nach zwei Monden,
            Müde ärgerlich sie fühlet,
            Sich in ihrem Stift verschlossen,
            Und in ihrem Innern treibet,
            Was wohl nicht verschlossen bleibet.
            Kühnheit haben schwangre Frauen
            Und Entschluß in den Gefahren;
            Die Prinzessin setzt sich nieder
            An den Schrank von bunten Masern,
            Schneidet eine Pfauenfeder,
            Schreibt dem Herzog, ihrem Bruder.

 

Die Äbtissin an den Herzog

            Bruder, Du hast mich verschlossen
            In dem alten Fräuleinstifte
            Um die Ausstattung zu sparen,
            Samt und Hafer, und das Weißbrot,
            Von den Ständen mir geschenket.
            Sieh, zur Strafe von dem Himmel
            Bist Du ohne Kind geblieben,
            Das er mir zur Straf bescheret;
            Doch es stammt von einem Helden,
            Also wird's ein Held auch werden,
            Darum seid geneigt dem Rate,
            Den ich Euch in Demut gebe.
            Euer Reich fällt heim den Fremden,
            Und mein armes Kind muß sterben,
            Und ich geh in Schand verloren,
            Wenn Ihr diesem Rat nicht folget,
            Nicht mein Kind, in Schuld empfangen,
            Mild zu Eurem Kind annehmet.
            Eure Frau, die Herzoginne
            Muß sich stellen guter Hoffnung,
            Und ich komme dann im Schlosse
            Heimlich nieder: Gott wird helfen!
            Und mein Kindlein wird getragen
            Heimlich zu der Herzoginne,
            Als ob sie es hätt' geboren.
            Denkt darüber nach in Liebe,
            Und dann seid Ihr überzeuget,
            Fühlet recht den Willen Gottes,
            Wie er Böses gut hier mache,
            So verzeihet der Äbtissin.

            Als der Herzog dies gelesen,
            Schloß er sich in seinem Zimmer
            Ein mit Ärzten und mit Räten
            Und nach dreien schweren Tagen,
            Wo sie ohne Schlaf verhandelt,
            Ist der kühne Plan gebilligt
            Und mit ihnen angeordnet,
            Wie er leichtlich auszuführen.
            In dem Schlosse, wo er thronet,
            Nach dem Astronomen-Turme
            In der Mitt vom Karpfenteiche,
            Tragen sie den Thron, den weichen,
            Als Geburtsstuhl ihn zu richten;
            Aus dem astronomischen Werkzeug
            Wird die Zange bald geschmiedet,
            Und im Spiegelteleskope
            Sei die Wiege für das Kindlein.
            Als dies alles angeordnet,
            Setzt er sich zum Tisch von Pappe,
            Der mit Goldpapier bezogen,
            Schreibt mit einer Kasuarfeder:

Der Herzog an die Äbtissin

            Pripert Magnus, Herzog aller
            Groß und kleinen Karpfenteiche,
            Euch entbietet Gruß und Gnade! –
            Schwester, seid Ihr ganz des Teufels,
            Doch es sei Euch dies verziehen,
            Möchte Euch nicht gern erschrecken,
            Könnte Eurer Frucht sonst schaden;
            Euer Vorschlag ist genehmigt
            Wegen Eurer klugen Listen,
            Und Ihr sollt ins Kindbett kommen
            Auf dem Astronomen-Turme;
            Heimlich reiset Ihr zur Hauptstadt,
            Als ob Ihr zum Bade reistet
            Wegen eines innern Übels
            Von der schlechten Kost im Stifte;
            Schreiben ist nicht meine Sache,
            Sprechen läßt sich alles besser,
            Ich bin wohl affektionieret.

            Also hat sie ungesäumet
            Sich zur Reise angeschicket.
            Und die Fräuleins alle möchten
            Mit ihr ziehen nach dem Bade,
            Doch sie läßt sie all zurücke.
            Nächtlich kommt sie nach dem Schlosse,
            Wird vom Leibarzt hingeführet
            Nach dem hohen Schmerzensturme.
            Ach wie viele müß'ge Stunden
            Sind ihr nun von tausend Uhren,
            Die im ganzen Hause ticken,
            Vorgerechnet, wo sie müßig
            Legt im Schoß die schönen Hände,
            Und sie will Kalender machen,
            Schauet, kalkuliert und rechnet
            Mit den Ärzten ganze Tage.
            Während sie so eng verschlossen,
            Trägt die Herzogin die Zeichen
            Ihrer guten Hoffnung mühsam:
            Wird begrüßt von allen Ständen,
            Die nach dem Gelusten fragen,
            Was sie wünsche, was sie fordre.
            Äpfel, indian'sche Nester,
            Marzipan und Pfeffernüsse,
            Alles wird herbeigeschaffet,
            Alle Edlen sind in Sorgen,
            Alle Landeskirchen beten
            Um die glückliche Befreiung.
            Doch die Herzogin viel lieber
            Wär befreiet von dem Panzer,
            Den die Ärzte ihr bereitet,
            Ihr den schlanken Wuchs verstellend:
            Denn sie war so zart gewachsen,
            Wie ihr Name es bezeichnet;
            Wie ein Fidibus für Pfeifen
            Schien sie sonst im weißen Kleide,
            Mit den kranken roten Wangen.
            Stolz ging jetzt der dicke Herzog
            Auf und nieder in dem Schlosse,
            Strich sich seine goldne Weste,
            Meinte, daß ein jeder sehe
            Nun auf ihn, weil bald ein Kindlein
            Würde auch nach ihm genennet;
            Denn nach allen Glückwünschungen
            Meinte er sich wirklich Vater,
            Sprach von nichts als von der Ehre,
            Von der Würde eines Vaters,
            Von der Mühe es zu werden;
            Gnädig ließ er sich die Hände
            Küssen von der Herzoginne,
            Tat, als wenn er Vater wäre
            Aller Kinder in dem Reiche.

            Endlich naht der Tag der Freude,
            Alle Telegraphen spielen,
            Kanonier mit brennenden Lunten,
            Und der Herzog wie ein Puthahn
            Kullernd in dem ganzen Hause,
            Und die Herzogin verlegen,
            Und die Ärzte ängstlich laufend,
            Daß man ihren Weg nicht sehe
            Nach dem Astronomenturme;
            Und die alten Fraun vom Hofe
           Sehr erbittert, daß man ihnen
            Allen Zutritt hat verschlossen;
            Jede hat ein volles Dutzend
            Lieblicher Historien
            Aus dem Rauch dazu genommen,
            Und nun müssen sie einander
            In der Kürze alles sagen,
            Weil es kalt ist auf den Treppen, –
            Der Effekt ist ganz verloren.

            Endlich seht das große Zeichen
            In den tiefen nächt'gen Stunden,
            Und der Marschall mit dem Schnupftuch
            Winket zweimal aus dem Fenster,
            Von den Fackeln wohlbeleuchtet.
            Also ist ein Prinz geboren,
            Und die Kanoniere schießen,
            Daß die Scheiben aus den Fenstern,
            Menschen aus den Türen fliegen;
            Und es gibt ein frohes Jauchzen,
            Daß die Frösche in dem Teiche
            Nicht alleine nächtlich singen.
            Als das Wappen eingebrennet
            Unserm Prinzen an den Hüften,
            Daß man ihn nicht mög vertauschen,
            Merkt man eine eigne Farbe
            In der Haut, die schwer zu nennen;
            Doch das ist gar oft an Kindern,
            Die erst neu zur Welt gekommen,
            Eins ist grün, das andre bläulich,
            Das vergeht in wenig Wochen.
            Als die Glückwünschung empfangen,
            Und die Taufe ist verrichtet,
            Und noch vierzehn Tage später
            Dauert unsers Herzogs Freude.
            Doch da wird der Prinz viel schwärzer
            Als des Herzogs Tintenfinger,
            Den er braucht zum Unterzeichnen,
            Und der Herzog sieht mit Schrecken,
            Daß es sei ein Mohrenjunge,
            Was noch keiner von den Ärzten
            Hat gewagt, ihm zu verkünden.
            Und der Herzog will verzweifeln,
            Beißet sich auf seinen Finger
            Und der schmecket gar nach Tinte;
            Und die Herzogin erboßet,
            Daß ihr guter Ruf könnt leiden,
            Wütet ein auf die Prinzessin, –
            Doch es muß verheimlicht werden.
            Traurend wird des Thrones Erbe
            Bei dem Volke tot gesaget,
            Und ein Affe wird geschlachtet
            Von den beiden flinken Ärzten,
            Wohlrasiert und angezogen,
            Mit dem Myrtenkranz und Degen,
            In ein kleines Sarg geleget,
            Schwach beleuchtet ausgestellet,
            Und mit großem Leichenzuge
            Beigesetzt in der Kapelle.

            Ach du Ärmste der Prinzessen,
            Wie viel Schimpf mußt du ertragen,
            Heimlich wirst du ausgekiffen
            Von der bösen Herzoginne,
            Und du sehnst dich nach dem Stifte.
            Kinderlos bleibt so der Herzog,
            Doch genügte ihm am Ruhme,
            Daß ein Kind von ihm entsprossen;
            Nur zum Schein hat er gescholten
            Die Äbtissin, daß sie frevelnd
            Sich mit Heiden abgegeben.
            Sie beschwört die eigne Unschuld,
            Will doch nicht den Vater nennen,
            Weil sie ihn nicht hat gesehen,
            Weil sein Leben ihr noch teuer,
            Hat er's Kind gleich angeschwärzet.
            Sie erzählt nur, wie im Garten
            Sich belebte jener Nußbaum,
            Meint, daß sie sich hab versehen
            An der Nacht, die gar zu dunkel,
            Oder daß, wie grüne Schale
            Von den Nüssen schwärzt die Finger,
            So auch dieses Kind des Nußbaums
            Sei in seiner Haut geschwärzet,
            Und man hätt' es schwefeln sollen;
            Doch das ist nun viel zu späte; –
            Als sie ganz gesund zur Reise,
            Kehrt sie heim zum Fräuleinstifte,
            Alle Lieb ist ihr vergangen
            Seit sie Sternenkunst getrieben;
            Und sie hält sich zu den andern,
            Schwätzend, spielend, zankend, putzend.

            Bei dem Landvolk aufgezogen,
            Unbewußt, woher er stamme,
            Wächst der kleine Mohrenjunge
            Und durch seine Wundergaben
            Alle Nachbarn fast erschrecket.
            Während noch die andern Kinder
            Mit ihm spielen ihres Gleichen,
            Wer gestohlen, konnt er wissen,
            Wer zu Nachte umgegangen,
            Wer vom Morgen abgepflüget,
            Welcher Schneider in die Hölle
            Hat gepeitschet große Lappen,
            Welche Kühe würden kalben,
            Welche Tauben sich verfliegen,
            Alles wußt er zu erraten,
            Und der Kuckuck war vor allen
            Ihm gewogen mit dem Rufen.
            Wie ein rechtes Meereswunder,
            Wurde dieser schwarze Flecken
            In der Ehre der Prinzessin
            Rings im Lande vorgezeiget;
            Also kam er auch zum Stifte,
            Machte schamrot alle Fräuleins,
            Daß sie ihn ermorden wollten.
            Doch er bittet, eh' er sterbe,
            Daß ihn höre die Äbtissin
            Ganz allein in ihrem Zimmer,
            Was sie endlich ihm gewähret,
            Ahndend, daß es sei ihr Knabe;
            Und da zeigt er ihr sein Wappen,
            Das ihm eingebrannt so frühe
            Und zu löschen ist vergessen,
            Er begrüßet sie als Mutter.
            Und sie frägt ihn freundlich küssend
            Trotz der aufgeworfnen Lippen:
            »Da du alles kannst erraten,
            Sage mir, wer war dein Vater?
            War es nicht der Herr Offzierer,
            Der so oft vorbei geritten
            Mit den Wangen rötlich weißlich;«
            Und der Knabe spricht mit Lächeln:
            »Nimmer nein, es war ein Pauker,
            Cipripor, das war sein Name,
            Bei dem Regiment Dragoner,
            Wovon jener war der Oberst;
            Sicher habt Ihr ihn gesehen,
            War ein Mohr, ein schwarzer Teufel,
            Und der Teufel war im Vater,
            Als er Euch in schönem Dunkel
            Überraschte und besiegte;
            Also teuflisch sind die Kräfte,
            Die er mir damit verliehen:
            Doch weil Ihr in reiner Unschuld
            Seid gefallen von dem Guten,
            Nur von Einbildung befangen,
            Wohl so sind mir alle Kräfte
            Nun zum Guten hingewendet.« –

            Nun erzählt er ihr ausführlich,
            Wie der Vater, wenn es dunkel,
            In des Stiftes Garten kommen,
            Ziegenfleisch und gelbe Erbsen
            Von den Fräuleins einzuhandeln,
            Was zu reichlich war dotieret:
            Und so hab ihn da Frau Mutter,
            In dem Wahnsinn alter Liebe,
            Schmachtend ihn im Kuß umfangen,
            Hab geglaubt, es sei der Oberst.
            Das sei gar nicht zu verwundern,
            War doch seine Stimm nicht schwärzer,
            Als von allen andern Männern,
            Trug er doch so gut den Degen
            Und die Feder auf dem Hute,
            Schwere Stiefeln, Klapperspornen,
            Und die Binde und die Krause,
            Wie der schönste Stabsoffzierer.
            Die Moral ist nun gewesen:
            Dieser kleine Mohrenjunge,
            Der mit recht beredter Zunge,
            Jetzt geschützt von der Äbtissin,
            Trat zu ihren alten Fräulein,
            Und mit rechtem scharfen Besen
            Aus den Winkeln der Gemüter
            Hat gefeget weltlich Leben.
            Die Äbtissin schickt ihn heimlich
            Zu dem Herzog, der gealtert
            Jetzt nun gar nichts denken konnte,
            Sondern alles unterschriebe,
            Seine besten Freund ließ hängen,
            Wenn nur zu der rechten Stunde
            Ihm das Mittagsmahl bereitet.
            Und der Herzog läßt ihn kommen,
            Frägt ihn lächelnd, was er könne,
            Ob er auf dem Seile tanze
            Oder Kartenkünste mache,
            Ob er unverbrennlich wäre?
            Alles dreies macht der Knabe,
            Und der Herzog wählt ihn gnädig
            Sich zum ersten Staatsminister,
            Und will gerne mit ihm reden
            Von der wahren Staatsverfassung.
            Wie ein Buch spricht da der Knabe,
            Doch der Herzog hat noch nimmer
            Acht gegeben, was gesprochen;
            Und der Knabe kann auch singen
            Nun verstehet ihn der Herzog,
            Aber ich verschweig dies Liedchen,
            Denn es riechet gar zu mystisch.
            Es beweiset die Verwandlung
            In dem Kopf des alten Herzogs,
            Weil er sei der Stein der Weisen,
            Der Metalle kann verwandeln,
            Daß zum Chaos alles kehre.
            Als der Herzog dies vernommen,
            Wird ihm bange und beklommen,
            Sieht, wie schon in den Gedanken,
            Alles Runde sich verwandelt
            Und die Krone ihm als Mühlrad
            Und als Suppendeckel scheinet,
            Während viele list'ge Feinde
            Nach der einen Krone trachten,
            Die auf seinem Haupte wackelt.
            Klüglich nimmt er an den Jungen,
            Sich zum Hof- und Staatspropheten,
            Daß er ihm die Krone halte:
            Der nun alles weiß, was künftig
            Bringt die Welt gar bald zum Ende.
            Und so endet mein Gedicht.

Die ungemeine, fast männliche Lebhaftigkeit und Freimütigkeit der kleinen runden Dame hatte alle Zuhörer überrascht; fast schien sie der kleine Mulatte selbst zu werden. Prediger Frank warf heimlich die Frage auf: Woher es komme, daß niemand einen Anstoß an der Erzählung genommen habe, während sie eine andre Frau in gemischter Gesellschaft schwerlich nacherzählen könne. – »Das kommt von der lauten metallenen Stimme unsrer Freundin; was sich so laut sagen läßt, ist sicher sehr unschuldig gemeint«, sagte der Graf eben so laut, »was in der Welt geschehen, ist auch wieder zu erzählen, nur in der rechten Art, denn wenn sich Gott nicht geschämt hat, es zu dulden, warum wir?« – Die kleine Runde, statt sich darauf einzulassen, machte allerlei Tierstimmen so geschickt nach, daß mehrere erschraken; überhaupt wußte sie ihr Wesen mehr durch Unerschütterlichkeit als durch Witz zu behaupten, und die andern mußten sich drein finden. Fräulein Walpurgis, die sich schon während der Geschichte des Mohrenknaben wieder bei der Gesellschaft eingefunden hatte, suchte diese luxurierende Lustigkeit, in der sich ihre Freundin leicht übernehmen konnte, wie eine Parze abzuschneiden; sie zog aus einer weißatlassenen, mit Zypressen und Urnen gestickten Brieftasche ein Paket Papiere heraus und sagte: Man sollte nicht allein die Übel protestantischer Stifter rügen, wo die Ehelosigkeit freilich kein Verdienst sei, auch die katholische Zeit ihres Klosters habe andre Nachteile gehabt, das allzu hohe Anrechnen dieses Zustandes habe zu leerem Stolz auf eine vorgebliche Heiligung geführt, wo sogar krankhafte Zustände für Heiligung gegolten. – Der katholische Geistliche gab ihr darin recht und machte die Nonnen aller Art lächerlich. Frank verteidigte sie. – Der Graf sagte: »Ich glaube, die Religionssysteme tauschen sich aus.« – Fräulein Walpurgis erzählte nun, daß sie alte Briefe in ihrem Kloster gefunden, welche eine Mohrin angingen, die von einem frommen Einsiedler bekehrt, eine Nonne geworden wäre, und einen recht grellen Gegensatz zu jener Mohrengeschichte darstellten. Der Graf nahm die Papiere und wollte sie vorlesen, aber der Prediger Frank fiel schon nach dem ersten Briefe der Sammlung sehr laut ein, indem er seine ganze Aufmerksamkeit auf die heilige Gewalt richtete, die ein Mann auf ein Mädchen ausüben könnte, das selbst noch keine Anlage zur Heiligkeit habe, und erzählte darüber viele Beispiele von Lavater, den er gekannt hatte; er führte diese Wirkung auf eine allgemeine Regel zurück, möglichst viel und eigentümlich auf andre zu wirken, um ihnen alle Zeit zur Gegenwirkung abzuschneiden, wenigstens die Besonnenheit dazu; nun sei aber nichts eigentümlicher im Menschen als die heil'ge Äußerung, also beschäftige und verwirre diese andre Leute am meisten; sie habe immer die Wirkung eines Einfalls und lasse am wenigsten einen Plan im Betragen durchscheinen, der jedem Mädchen besonders verhaßt wäre. – Der katholische Geistliche, der sich Xaver nannte, bewunderte den Scharfsinn Franks; er versicherte ihm, daß er wohl einhundert Kunstgriffe aller Art wisse, um die Leute der Religion zu unterwerfen, und während er ihren innern Glauben schärfe, schaffe er allmählich, wenn auch nur alle fünf Jahre, etwas von den alten törichten Glaubenslehren weg. – »Aber«, fragte der Graf ernsthaft, »ist denn unsre Religion, die so viel auf Erden gewirkt, größtenteils nur eine Sammlung alter Torheiten?« Die beiden Prediger entwickelten im Wettstreite ihrer Menschlichkeiten so viele Mysterien, daß die kleine runde Stiftsdame das Zeichen gab, zu einem allgemeinen Gelächter, das immer stärker anwuchs, trotz aller List des einen, trotz aller Menschen- und Weiberkenntnis des andern.

 


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