Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores

Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein

Zweite Abteilung.

Reichtum.

Zweites Kapitel

Geschichte der beiden Gräfinnen in der Abwesenheit des Grafen KarlKlelia reist nach Sizilien

Unserm befreundeten Grafen gaben endlich die Osterferien volle Freiheit zu seiner Braut hinzuwandern, jeden Tag hatte er bis dahin an seiner Türe ausgestrichen, alles war voraus eingepackt, geordnet, der Abschied war genommen, und einsam wie ein Pilger nach heiligen Orten, voll Gedanken fromm und rein, in denselben alten, an der Sonne verschossenen grünen Husarenkleidern, schritt er eifrig über Berg und Tal, ohne Umsehens, schweigend in sich, dem hohen Ziele seiner Wallfahrt zu. Und wie er sich dem näherte, immer höher schlug ihm sein Herz, und als er wieder auf dem Felsen saß, wo er sie zuerst belauscht, wie sie Linnen begossen: weicher kann kein König sitzen, der lange vertrieben seinen Thron fest und unbesetzt wiederfindet. Die Sonne stand ihm im Abendscheine gerade gegenüber, sie blendete ihn und erweckte vor seinen Augen eine Welt von Blumen, wie es kaum die Morgensonne vermag; endlich konnte er hinuntersehen, wo ihn das Linnen sonst geblendet; er wischte sich die Augen, so viele springende Funken erschienen vor ihm. Endlich unterschied er Dolores, wie sie mit verbundenen Augen zwischen einer Zahl junger Herren und Mädchen ein Haschen spielte. Was war unschuldiger als dieses Kinderspiel und doch gehörte es nicht zu ihr, wie er sie gekannt, wie sie sich und ihre Stimmung und ihre Lebensweise in ihren Briefen dargestellt hatte; sie hatte sich in einen Edelmut und Heiligkeit verwegen hinein geschrieben, die sie nun jeden Augenblick ableugnen mußte; die Briefe waren kein Schattenriß von ihr, sondern eine abgestreifte glänzende Haut, von der sie sich gern zu gewissen Zeiten befreite, um dann um so gelenkiger in ihrer eigentlichen Natur sich zu bewegen. Das alles bemerkte der Graf mit einem tiefen Ingrimm, den er noch nie in sich gespürt; fluchte, als sie einen jungen Mann erhaschte, der sich lange wehrte, bis sie die Binde sich von den Augen gerissen und ihn erkannt hatte. Nun kniete der junge Mann vor ihr nieder und sie verband ihm die Augen und spielte dann so artig mit den Händen vor ihm herum, ihn zu prüfen, ob er sehen könne, bis er die eine Hand ergriff und einen Kuß darauf drückte; nun sprang der Malm gleichgültig auf und das Spiel begann in der bekannten Art. Der Graf dachte, wie dankbar er für solche Gunst würde gewesen sein, und da träumte er sich so hinein, daß seine Neigung die Eifersucht bald niedergekämpft hatte. Jetzt wurde sie wieder gefangen und augenverbunden; er freute sich an ihren zierlichen Bewegungen, und als er sich an der Mauer möglichst genähert hatte, lief sie einmal wild suchend so schnell nach der Gegend, daß der Luftstrom das feine weiße Kleid so dicht anwehete, daß der ganze Umriß ihres schönen Wuchses deutlicher, als er ihn je gesehen, ihm entgegentrat: welche Fülle im schönsten Ebenmaße! Jetzt hielt er sich nicht mehr, er sprang über die Mauer und mischte sich unter die laufende Menge, der es nicht befremdlich war, noch durch einen Gast vermehrt zu werden.

Der Graf nahm sich absichtlich so ungeschickt, daß Dolores ihn fing; wie war sie überrascht, als sie heißatmend ihre Binde lüftete, ihren Geliebten zu sehen, aber leider wie verändert. Das ärmliche eingezogene strengfleißige Leben hatte ihm wohl etwas von der Frische genommen, in der er das erstemal erschien, und die Liebe, die in ihm verschlossen, und die Sonne, in der er selig träumend, ihrer gedenkend, oft stundenlang gelegen, hatten ihn gebräunt; mehr aber entstellten ihn in ihren Augen die verschossenen Kleider, die schmutzige Wäsche und vor allem die Vergleichung mit gar vielen schöneren, größeren Männern, die sie unterdessen kennen gelernt und die ihn zum Teil in der Gesellschaft neugierig umstanden. Damals in ihrer Einsamkeit war er ihr als der Schönste erschienen, so hatte sie ihn allen ihren neuen Bekannten beschrieben, damals hatte sie ihm rücksichtslos, weil niemand sie störte, jede Liebkosung gewährt, jetzt wäre ihre große Vertraulichkeit leicht ein Gegenstand übler Nachrede für die Mädchen der Gesellschaft geworden; das alles wirkte auf sie, ohne daß sie es einzeln deutlich dachte; so froh sie erst aufjauchzte bei seinem Anblicke, so folgte gleich eine verwundernde Stille. Der Graf wollte sie küssen, sie kam ihm etwas mit dem Munde entgegen, dann zog sie ihn wieder zurück; der Kuß kam zustande, aber wie ein Wappenabdruck, wenn das Siegellack schon kalt geworden; genug, die Wonne, die er in ihrem ersten Gruße erwartete, die fand er nicht. Das machte ihn nachdenkend; statt der tausend Dinge, die sich ihr vorher mitteilen wollten, fiel ihm jetzt kaum ein unbedeutendes Wort ein zum herzlichen Gruße. Die Lebhaftigkeit der Dolores suchte das auszugleichen, und zu vergüten; sie neckte alle, sie neckte ihn und suchte sich vor ihrem Geliebten in der ganzen Pracht ihrer neuen geselligen Ausbildung zu entfalten, die bei Mädchen des Alters häufiger als bei Männern in eine Art unbändigen Geschwätzes übergeht. Es war ein böser Streich, den ihr die Eitelkeit spielte; dem Grafen schien es ein entsetzliches Geschrei ohne allen Sinn und Geschick, ein dummdreistes Zudecken der Verlegenheit mit Verlegenheit, unzierlich, leer und absprechend; es schien ihm, all und jeder fände darin seine Stelle, nur er nicht mit seiner Gesinnung, mit seinem Ernst, mit seiner Laune – und nun schmerzte ihn die Abwesenheit der guten Klelia doppelt, die sicher alle schreiende Farben dieses Bildes in einen milden Schatten gestellt hätte. Gern wäre er mit Dolores einige Augenblicke allein gewesen, aber sie gab keine Gelegenheit dazu; und da die Gäste keine Lust bezeigten, sich seinetwegen zu beurlauben, so entfernte er sich ihretwegen, indem er eine Ermüdung nach langer Reise vorschützte. Dolores glaubte daran und merkte nichts von seinem Unmute; sie horchte, was jeder von ihm sagen würde, und lobte ihn allen mit vieler Beredsamkeit, bis einer ihr so heimlich schmeichelnd sagte: »Ich weiß nicht, ob Sie schöner oder gütiger sind, aber das weiß ich, Ihr Geist setzt alles durch, macht die Stummen geistreich; gestehen Sie's nur, Sie selbst können nicht blind sein?« – Sie lächelte und die Unterredung war aus, die Gesellschaft ging aus einander und einer sprach heimgehend zum andern: »Schade, hätte das hübsche Mädchen Geld, so brauchte sie den ungeschliffenen Grafen nicht zu heiraten; lieben kann sie ihn unmöglich, ich hab's ihr wohl angemerkt.« – »Nun da gibt's gute Zeit für uns junge Leute«, meinte scherzend ein alter Hagestolz.

Graf Karl sah die Gesellschaft die Straße herunter bei sich vorüber gehen, er hatte sich eine Wohnung in der Nähe der Gräfin gemietet; er würfelte mit seinen Gedanken in Gedanken, ihm war es einerlei, ob er etwas oder nichts geworfen; in dieser Gesinnung sind die folgenden Verse damals von ihm ins Tagebuch geschrieben:

            Da steh ich an meinem Fenster,
            Und sehe doch nicht heraus,
            Da gehen so viel Gespenster,
            Die tauschten mein Liebchen mir aus.
            Das sind so geistreiche Männer,
            Die sprachen mit Liebchen so tief,
            Bis sie von allem die Kenner,
            Was in der Seele noch schlief;

            Das haben sie aufgewecket,
            Noch eh' es recht wachen konnt,
            Und haben sich mit genecket,
            Als wenn der Mondschein sich sonnt,
            Die Seel ist ihr ausgetauschet,
            Sie war mir ja sonst so lieb,
            Wo nun ihr Geschrei mir rauschet,
            Da mein ich, es werde so trüb.

            Ich hatte so fromm sie verlassen,
            Als trostlos ins Städtlein ich ging,
            Sie tät noch so heimlich da spaßen,
            Ich mußte ihr messen den Ring;
            Zwar lang mußt im Städtlein ich warten,
            Bis ich ein Ringlein ihr fand,
            Der Feinen und der Vielzarten,
            Das paßte an ihre Hand.

            Da bin ich auf Freunde gestoßen
            Und sagt es doch keinem nicht,
            Warum die Tränen mir flossen
            Froh über mein Angesicht,
            Und will es auch keinem hier sagen,
            Warum ich nun traurig und stumm,
            Denn alle Worte versagen,
            Wo alles geht so dumm.

            Denn wie ich zurückgekommen,
            Da saßen so viele beim Schmaus,
            Die hatte sie aufgenommen,
            Mir blieb da kein Plätzchen im Haus.
            Da fehlt es an Schüssel und Teller,
            Zwar gab sie das Beste mir gern,
            Doch waren die andern viel schneller,
            Es sorgten für sich nur die Herrn.

            Sie hatten sich selber geladen,
            Und rühmten sie alle so sehr,
            Das muß ihr wahrlich noch schaden,
            Daß sie so vorlaut wär;
            Sie hat den einen geschlagen,
            Er wußte gar nicht warum,
            Den andern auf Händen getragen,
            Ich saß da betreten und stumm.

            Da hat mich der eine betrogen,
            Gar heimlich um meinen Ring,
            Ihn auf ein Bändlein gezogen,
            Im Kreise er da ging;
            Ich kann wohl beten und singen,
            Doch weiß ich nicht für was,
            Vor Ärger möchte ich springen,
            Wenn das noch heißt ein Spaß!

            Was steh ich und sinn über andre,
            Und bin nicht recht bei mir,
            Viel lieber geh ich und wandre,
            Viel tausend Meilen von hier;
            Viel tausend Meilen und weiter,
            Geh über und unter im Meer,
            Drin steht eine Himmelsleiter,
            Ach wer nur im Himmel erst wär.

Kaum hatte er diese Worte geschrieben, so übte die Ermüdung ihr Recht; er warf sich unausgezogen auf den Sessel am offenen Fenster und betrat die ersten Stufen der Himmelsleiter, auf denen sich der Mensch ohne zu schwindeln erhalten kann. Frische Jugend, reich an Hoffen, wie der Frühling an blauen Blumen, jeder Morgen weckt neue für die abgeblühten am Abend, deren Stelle kaum mehr zu finden, unzählige Knospen warten noch ungeduldig auf ihre Entfaltung! Am Morgen, der ihn aus schönem Traume zum schöneren Leben erweckte, war des jungen Mannes Gram von der Brust, die am offenen Fenster voll Tau hing, bald mit diesem hinweggesonnt; der Wind trieb das Zimmer voll Blüten aus dem Schloßgarten her; die Ebene von den einzelnen Baumreihen der abgeteilten Gärten durchschnitten, wo jeder Zweig ihm altbekannt, hallte vom alten Jubel; er schalt seinen Argwohn, der ihm den Genuß der ersten Freude getrübt hatte, eine Torheit, eine Krankheit, eilte hinunter, im vorbei rauschenden Flusse sich rein zu baden und aus zu frieren. Als er so im Flusse gegen den Strom sich zu erhalten strebte, sah er ferne in dem gräflichen Schlosse ein Fenster sich öffnen; es war Dolores, die er wohl zwischen den Gesträuchen durch, aber sie nicht ihn erkennen konnte; wie Tantalus spannte er die Arme nach ihr aus, und dachte mit seliger Zuversicht: Du siehst mich nicht, du schönster Apfel der ganzen Flur und meine Hände können dich nicht erreichen und doch bist du mein, bald mein, und ich bin bei dir; wohl mir, daß ich nicht bin wie die Erle und wie die wilde Rose neben mir, die auch ihre Ärme zu dir ausstrecken; ich kann wandeln über Berg und Tal, durch Luft und Wasser und bald bin ich bei dir, und du reichst mir die Hand! – Wir wollen nicht lächeln, daß ein Mensch sich einmal freut ein Mensch zu sein, verfluchen es doch so viele und verleugnen es. – Er zog sich zierlich an, Weste und Pantalons von rot und weiß gestreiftem Sommerzeuge, eine rund geschnitten Jacke von leichtem grünen Tuche; so trat er in das Zimmer der Gräfin, die ihn in einem gegen die gestrige Pracht allzu sehr vernachlässigten, durchgestoßenen Morgenanzuge von dem fatalen Zeuge, das Sanspeine genannt wird, empfing, doch ganz die alte in Liebenswürdigkeit und Zutraulichkeit. Mit vieler Laune spottete sie über einen großen Teil der Gesellschaft, die ihr nur zur Zerstreuung wegen der Abwesenheit ihrer Schwester dienen sollte. Der Graf deckte nun ein Paket auf, wonach sie neugierig geblickt hatte; oben auf lag der Verlobungsring, den er ihr aus der Nachlassenschaft seiner Mutter verehrte: die zwölf Apostel, jeder mit seinem Zeichen, bildeten in halberhabener Silberarbeit den Reifen; in ihrem Kreise glänzte in Golde Christus in einem Strahlenscheine hoch erhaben, in seinen Händen Kelch und Brot: alles von sehr schöner Arbeit, aber freilich nicht im neuesten Stile; er übergab ihn ihr als das liebste Geschenk unter allem, was er je besessen; sie tat zwar ihm zur Liebe, als wenn er ihr lieb sei, doch dachte sie mit Ärger daran, daß sie ihn in Gesellschaft nicht würde tragen können; steckte ihn aber an und bewahrte ihn. Dann übergab er ihr eine ganze Reihe der zierlichsten Nonnenarbeiten, die er in einem Kloster am Wege mit großer Freude erkauft hatte; es waren teils fein gemalte Heilige auf zerstochenem Papiere, ein kleines elfenbeinernes Tabernakel, Marienbilder, aus seidenen Läppchen zusammengesetzt, geweihte Rosenkränze, eine Menge kindlich zierlicher kirchlicher Pracht. Auch hierüber mußte sie sich aus Anstand freuen, sie hatte aber etwas viel Angenehmeres, allerlei neuen Putz erwartet, auch wußte sie nichts mit diesen artigen Kleinigkeiten anzufangen, zu denen sie weder Andacht noch Spiellust fühlte; sie konnte sich nicht zufrieden geben über den gewaltigen Fleiß, der auf so was Unnützes verwendet, und schon diese Äußerung war ihm unangenehm, der ganz gerecht den Fleiß hochachtete, der so unbedeutende Stoffe zu beleben vermocht hatte. Dolores hatte aber während des einen Winters regelmäßiger Stadtvergnügungen sehr viel von der innern Freudigkeit vergessen, die aus sich selbst und geringen Anlässen schöpft; zu einer Klaviermusik hätte sie nicht mehr tanzen können; um sie anzuregen, gehörte wenigstens eine Gesellschaft von zehnen, die alle auf sie achteten, und wenigstens die Gegenwart eines Menschen, der ihr ganz unbekannt und dessen Aufmerksamkeit sie an sich ziehen wollte. Wie unglaublich nutzt die tägliche Mittelstufe der Gesellschaft, die stets sich beachtet, um nicht in Lust oder Schmerz abzuirren, die selbst überlassene Freude auf; mit Hamlet möchten wir jungen Mädchen, die wir darin erblicken, zurufen: »Geht in ein Nonnenkloster – statt an den Spieltisch zu gehen.« Schon darum reizen uns die Landfräulein, die nur auf wenige Wochen in die Stadt kommen, weil sie wie die Beurlaubten unter den Soldaten vor den steten Diensttuern eine große Munterkeit bewahren, auch gewinnen die meisten Menschen durch Reisen in sehr verschieden gebildete Länder bloß darum ein gewisses poetisches Wesen, weil ihnen der Unwert vieler Verhältnisse unwiderlegbar einleuchtend geworden; ihr eignes Vaterland überrascht sie mit manchem, was sie sonst übersehen und verachtet. Diese Betrachtungen geben wir als Leichenrede jener artigen Sächelchen, die der Graf zum Geschenke brachte und ein paar Tage darauf die Heiligen mit Schnurrbärten und Schönpflästerchen schrecklich bemalt bei Dolores antraf, die von dieser Arbeit ausruhend, sich vor Lachen nicht zu lassen wußte. Ihre Gleichgültigkeit dagegen hatte ihn gekränkt, aber dieser Mißbrauch war nicht zu ertragen; er zerriß alles mit großer Wut und warf es zum Fenster hinaus, sie lachte immer mehr und schlug scherzend mit dem Rosenkranze auf ihn. »Ich glaube, der Teufel lacht aus dir«, sagte er zuletzt, das Schweigen hätte ihm das Herz abgestoßen; er flog aus dem Zimmer fort nach Hause, da setzte er sich nieder und überdachte, was er getan, wie ein Missetäter, der bald seine Strafe erwartet und sich selbst dafür überliefert. Aber die Heiligkeit der Wahrheit durchzuckte ihn auf einmal, auch sein höchstes Glück wollte er keiner Lüge danken, nicht auf Schmeicheleien sich erborgen; er fühlte sein Recht und wollte es ihr in einer leichten Allegorie deutlicher machen, und dazu schrieb und übersandte er ihr die beigefügte kleine Erzählung:

 

Das Heidenmädchen

 

            Der Sohn des Himmels und der Erde
            Sah, aus der Weihnacht Abendrot,
            Ein schönes Kind bei einer Herde,
            Und keiner da Geschenke bot.

            Der Glaube war noch nicht gedrungen
            Zu diesen spät erschaffnen Aun,
            Denn von den Felsen ganz umschlungen,
            Konnt wenig Sonne überschaun.

            Doch freut die Kleine sich am Lichte,
            Das neu durch Felsenschatten strahlt,
            Sie hat so gar ein lieb Gesichte,
            Ein edles Blut die Wangen malt.

            Sie muß im Lichte zierlich springen,
            So glatt und weich schien ihr das Grün,
            Und zu dem holden Echo singen;
            Der Herr will sie zum Glauben ziehn.

            Es sprengt der Herr mit Strahlenzügen
            Die Ziegen ihr weit auf den Fels,
            Sie klettert sorgsam nach den Ziegen,
            Er zeigt den Weg im Blick des Hells.

            Hin über die bemoosten Platten
            Sie wagt sich, schaut ein andres Land,
            Da will ihr Herz vor Schreck ermatten,
            Denn alles scheint vor ihr in Brand.

            Da stehen tausend kleine Tische
            Mit bunten Lichtern rings besteckt,
            Und Brot und Wein steht im Gemische,
            Schön Meßgewand die Tische deckt.

            Und statt der Puppen heil'ge Bilder,
            Bewohnen dieses Paradies,
            Und Kinder ziehen sanft und milder
            Und sehn wie dies so herrlich ließ.

            Das Mädchen sieht's und meint ihr eigen,
            Was ihr kein andrer wehren will,
            Doch bald sich viele Knaben zeigen,
            Die bitten drum in Demut still.

            Der eine will ihr Händchen küssen,
            Dem wirft sie Äpfel ins Gesicht;
            Der will sie schön mit Reden grüßen,
            Dem hält sie in den Mund das Licht.

            Doch einer kommt mit Witz zu streiten,
            Da nimmt sie alle heil'gen Bild,
            Beginnt sie närrisch umzukleiden,
            Verliert sie dann im Spiele wild.

            Was so viel tausend Engel säten,
            Zerstört das Kind aus Unverstand,
            Worum viel fromme Kinder beten,
            Geschenk des Herren ist ihr Tand.

            Da kam der Herr zu ihr gegangen,
            Als armes Kindlein angetan,
            Und tät nach etwas nur verlangen,
            Was sie verworfen und vertan.

            Da fand sie leer die reichen Tische,
            Die Lichter waren fast verbrannt,
            Es dampften schon die Buxbaumbüsche, –
            Noch fand sie was, was sie nicht kannt.

            Es war die Rute, die verguldet
            Mit leeren Nüssen ausgeziert,
            Die gibt sie ihm so unverschuldet,
            Dem Herren, dem sie nicht gebührt.

            Es nimmt der Herr die goldne Rute
            Und zeigt sich, wie er einst erschien,
            Gegeißelt, daß vom roten Blute
            Auf Erden rote Rosen blühn.

            Sein Haupt hängt schwach, er kann's nicht tragen,
            Sein Blick ist jammervoll gesenkt,
            Er spricht: »So willst auch du mich schlagen,
            Die ich so reichlich hab beschenkt!«

            Was sie verworfen und zertreten,
            Sieht sie mit andern Augen an,
            Des Herrn Geschenk in den Geräten
            Zeigt sich im einfach tiefen Plan.

            Im Wein, im Brot sein Angedenken
            Und seiner Mutter heilig Bild,
            Sie muß den Blick zur Erde senken,
            Manch heilig Bild dort auf sie schilt.

             Sie schauet rings zu ihren Füßen
            Sein kunstreich Werk, das sie zertrat,
            Zusammen hätte bleiben müssen,
            Des Spieles Lust, der ernste Rat.

            Des Buxbaums Flechtwerk war die Kirche,
            Der glatte Fels war der Altar,
            Doch öde steht nun das Gebürge,
            Die Kirche ist verbrannt sogar.

            Das Kind will nach den Gaben langen
            Und sammeln, was es erst verwarf; –
            Da wacht es auf und sieht mit Bangen
            Sich ganz verschneiet, kalt und scharf.

            Es kommt ein Tag, doch ohne Klarheit,
            Die Kälte mit Entsetzen spricht:
            Was du versäumet, ist die Wahrheit,
            Was du verspielet, ist das Licht.

Diese allegorische Dichtung wurde der Gräfin treulich überliefert, aber sie verstand kein Wort davon; sie las es von hinten rückwärts, es war ihr unbegreiflich, denn beinahe hatte sie den Vorfall mit den kleinen Heiligenbildern über eine Komödie ganz vergessen, die sie aufführen wollte. Es ist mit den Dichtungen überhaupt das Eigene, daß viele Mädchen wie mit einem scharfen Striche von dem Verständnisse gewisser Arten ganz abgesondert sind, ganz insbesondre von allen, die ihrem Wesen und ihrer Natur zu nahe rücken, um in ihrer Bedeutung ihnen erfreulich zu werden; Schmeicheleien verstehen sie dagegen in dem allerbarockesten, unverständigsten Wortgepolter, und Bosheiten gegen Bekannte ebenfalls; am meisten scheuen sie sich vor wirklich ernsthaftem Ernst und scherzhaftem Spaß, weil beide durch die oberflächliche Schminke ihres gewohnten Lebens hindurch brechen. Nach langem Lesen brachte sie endlich heraus, der Graf halte sich für unsern Herrn Jesus, weil sie mit dem Kinde bezeichnet sei; daß jede Dichtung etwas für sich Bestehendes sei, wenn sie auch Beziehungen auf ein gewisses Ereignis habe, das war ihr nie in den Sinn gekommen. Sie lachte der ganzen Sache und ließ sie auf sich beruhen; sie wartete auf den Grafen, um sich über ihn aufzuhalten, er kam nicht, da er keine Antwort erhalten. Sie wartete mit Ungeduld, zuletzt ärgerte sie sich über ihn; er machte, daß sie eine Gesellschaft versäumte, wohin sie mit ihm gehen sollte; zuletzt fielen ihr allerlei Reden einer sehr fatalen Stadtmamsell ein, die ihr von dem alten Knecht Ruprecht, der sich nirgend mehr sehen läßt, nämlich von der Tyrannei der Männer viel erzählt hatte und wie man sie erziehen müsse. Sie empfand bald Mitleiden mit ihrem eigenen Unglücke, weinte über ihr Schicksal, das sie einem so harten Manne verbunden; endlich erschien sie sich selbst als Heldin, sie wolle sich zeigen in ihrer Stärke, sie wolle ihre Nachgiebigkeit unterdrücken, was solle in der Ehe erst daraus werden, wenn es schon so schwer im Brautstande begonnen. Also entwickelte sich der hochmütige Eigensinn, das törichte Vertrauen zu sich, an welchen sie endlich zu Grunde gehen mußte. Der Graf war indessen viel unglücklicher als seine Beleidigerin; oft glaubte er ihr zu viel getan zu haben, immer wartete er auf eine Nachricht von ihr; langsam schlich ihm der erste Tag dahin und hätte ihn sein Wirt, der ihn für krank hielt, nicht ungefragt mit Essen versorgt, er hätte gehungert. Den zweiten Tag reifte sein Entschluß, auf und davon zu ziehen; aber wohin sollte er, es schien ihm die Sonne nur hier, hier nur konnte er atmen. Der Krieg fiel ihm wohl als Zerstreuung ein, wie so manchem Unglücklichen, aber er kannte ihn aus der Nähe, was er eigentlich sei, keine immerwährende Folge kühner Unternehmungen, großer Begebenheiten, mächtiger Taten, ungeheurer Kräfte; das ist ein Traum aus Dichtern, er ist reizend. In Wahrheit ist aber der Krieg, wie er jetzt geführt wird, ein langweiliges Warten auf etwas, das nie erscheint; denn am Ende ist die Schlacht selbst nur ein Abwarten, daß der andre davon laufen mag, und dieses traurige Warten in der nüchternsten Gesellschaft, in der kleinlichsten Schererei, bei den rohesten Schandtaten, unter den größten Ekelhaftigkeiten und Krankheiten, würde es nicht eine unermeßliche Zeit in ihm gelassen haben, seinem Kummer nachzuhängen? Das ganze Kriegswesen kann nur durch einen unwiderstehlichen Trieb nach Auszeichnung belebt und geheiligt werden; darum haben wir auch immer bemerkt, daß alle, die ohne Zwang aus einem bloß wohlwollenden Triebe sich darin einließen, unglücklich und ungeschickt waren; nicht das Schwert soll die Welt belehren, denn wer das Schwert zieht, der soll durch das Schwert umkommen. Am dritten Tage kam ihm der Gedanke, wenn er mit Dolores auch nicht glücklich leben könne, so wolle er doch für ihr Glück leben; ihre Sehnsucht nach dem Vater entlockte ihr wahrhaft Tränen; sie hatte ihm erzählt, daß ein Gerücht erschollen, er sei in Ostindien; er beschloß ihn aufzusuchen und zurück zu bringen. Gleich schrieb er die nötigen Briefe an die Vormünder, deren Verwaltung bald zu Ende lief. Die Briefe waren noch nicht gesiegelt, als der alte ehemalige Bediente der Gräfin mit einem besorgten Gesichte zu ihm ins Zimmer trat; er grüßte ihn in ihrem Namen, wozu er keinen Auftrag hatte, und fragte ihn, ob er krank sei; er sehe wirklich blaß aus, seine Gräfin sei seinetwegen in großen Sorgen gewesen; es habe ihr nichts geschmeckt, sie habe immer geweint. Der Schmerz rollte dem Grafen wie ein Mühlstein vom Herzen, Tränen der Freude fielen neben Tränen der Verzweiflung auf seine Hand und sein eigenes Auge, das sie geweint, konnte sie nicht unterscheiden; ihm war alles vergessen, er gab sich von allem die Schuld, seinem törichten Ausdeuten einer unbedeutenden Ungeschicklichkeit, – wie konnte er Vorsicht bewahren, der noch nie eine Erfahrung gemacht, sondern seine Klugheit meist auf den Erfahrungen anderer gestützt hatte.


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